Livebericht Engst |
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Ein Livebericht von Stormrider aus Frankfurt am Main (Das Bett) - 23.11.2023 (17646 mal gelesen) |
Es ist ein herbstlich-kalter Novemberabend in Hessen. Durch Frankfurt bläst ein launiger Wind, aber das soll nicht der einzige Sturm sein, der heute durch das Gallusviertel weht. ENGST sind in der Stadt! Und während sie vor vier Jahren noch im wohnzimmerartigen, aber auch schon ausverkauften "Elfer" vor 150 Fans spielten, ist es heute das seit Wochen mit einem "Sold Out!-Schild" versehene "Das Bett". Als ich um 19:30 Uhr die Venue betrete, ist es bereits rappelvoll. Das Publikum ist bunt gemischt, was zeigt, dass der punkige Deutschrock der sich mit sozialkritischen Texten genauso gut gibt, wie mit Partynummern auch für eine breite Masse funktioniert. Erinnert mich irgendwie ein wenig an die BROILERS, die ähnlich kein Blatt vor den Mund nehmen, gerne feiern und vollkommen zu Recht mittlerweile die großen Hallen füllen. Und dieses Potenzial haben auch ENGST. Die Vorfreude auf den Gig ist folglich nicht nur bei mir entsprechend groß. Obligatorisch geht der erste Weg aber mal zum Merch und schon hier zeigt sich, dass man es ernst meint damit, dass Matthias Engst im Laufe des Abends immer wieder nicht von Fans, sondern von Freunden spricht. Eine große Auswahl an Shirts, Hoodies und Nippes. Dabei wandern die günstigsten Shirts bereits für 10 EUR über die Theke. Aber wir sind ja nicht zum Shoppen hier, auch wenn die Fans die mehr als fairen Preise natürlich nutzen und sich entsprechend eindecken. Pünktlich um 20 Uhr geht dann das Licht aus. Dass ENGST immer gerne Berliner Bands als Support nehmen, ist kein Geheimnis. BLUTHUND sind für den Bleeding4Metal.de-Leser aber vermutlich eine größere musikalische Herausforderung, denn die selbstgewählte Genrebezeichnung des Quartetts lautet: StromGitarrenWutRap. Man kann noch das Wort Deutsch hinzufügen, denn es handelt sich um Deutschrap. Dass Joakim Broden von SABATON auf dem Debütalbum der Band als Gast vertreten war, das überrascht definitiv, reicht aber nicht, um eine Relevanz für den gemeinen Metal- oder wenigstens Rockfan zu generieren. Und spätestens als die vier BLUTHUNDe nach diversen Songs über Hunde aus der Konserve wie zum Beispiel 'Who Let The Dogs Out' sowie einem gesprochenen Einleitungsintro a la KISS, mit weißen Skimasken bekleidet auf die Bühne kommen, fragt man sich, was einen nun erwartet. Der Sound ist vom ersten Akkord an extrem druckvoll, und was da an Energie von der Bühne geflogen kommt, das ist mehr als überraschend. Positiv überraschend, um es genau zu sagen. Nicht, dass ich jemals auf die Idee gekommen wäre mich in irgendeiner Form dem deutschsprachigen Rap zu nähern, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich mir dieses Genre jemals in der Breite erarbeiten möchte. Aber hier und jetzt zählt nur der Moment, und da machen BLUTHUND sowas von Alarm. Die Energie, die Power und die Performance sind absolut mitreißend. Und offenbar scheint die Band vielen der Anwesenden besser bekannt zu sein als mir, denn die Stimmung ist, ohne lange Anlaufphase, direkt da und die Lust auf den Abend liegt in der Luft. Dass man sich auf eine metallische Instrumentierung mit Bass, Gitarre und echten Drums verlässt und nur die elektronischen Einsprengsel aus der Konserve kommen gibt dem Ganzen einen sehr natürlicheren Touch, und wenn man sich den Rap etwas zur Seite schiebt, dann ist das wirklich wütender Rock. Aber an diesem Abend passen auch die mich ansonsten eher schreckenden Vocals dazu, und die bereits jetzt warme und knallvolle Halle geht wirklich steil. Zu 'Scheißwut' gibt es den ersten Moshpit des Abends und die geforderte Wall Of Love (ja, genau in dem Wording gefordert…) teilt das Publikum erstmalig, aber nicht letztmalig. Als weiterer Höhepunkt lässt sich 'Hass! Hass! Hass!' ausmachen und ich bin überrascht, wieviele Leute um mich herum da doch textsicher sind. Der letzte Song dieses wirklich mitreißenden Sets hört auf den Titel 'Wir Fackeln Alles Ab', und wenn man es als Vorband schafft, einen Großteil der 500 Anwesenden dazu zu bewegen, sich hinzusetzen und die kurzweiligen 45 Minuten springend zu beenden, dann muss man konstatieren, dass BLUTHUND einiges richtig gemacht haben. Später wird Matthias Engst sagen, dass er das Wort Supportband nicht besonders mag und lieber von der ersten Band des Abends spricht. Oftmals ist der Support nur eine Vorband, die man dann vergessen hat, wenn für den Headliner das Licht ausgeht, aber BLUTHUND sind an diesem Donnerstag weit mehr als das. Chapeau! Das hatte ich nicht erwartet! Die Umbaupause wird musikalisch dann eher chillig untermalt und ist mit 30 Minuten im gewohnten Rahmen. Um 21:15 Uhr gehen die Lichter erneut aus und ENGST entern die Bühne. Als energetische Liveband bekannt und mit dem auf Platz 14 gecharteten aktuellen Album, "Irgendwas Ist Immer" im Rücken ist die Vorfreude auf das, was da nun kommt, schon fast physisch greifbar. Los geht es mit dem Opener des aktuellen Albums. 'Digitale Liebe' ist ein ausgestreckter Mittelfinger an all die Möchtegern-Influencer und Soziale-Medien-Selbstbeweihräucherer und versetzt dem "Das Bett" direkt einen Adrenalinstoß. Keine zwei Minuten dauert es folglich, bis alle im Raum wieder auf Betriebstemperatur sind. Das Backdrop ist geschmackssicher eine Wand aus leeren Bierkisten und auch die Flügel der Bühne sind damit bestückt und dienen als Lichttraverse. Manchmal kann es doch so einfach sein. Und gerade, weil der Fronter keinen Hehl aus seiner Vorliebe für das eine oder andere Kaltgetränk und eine zünftige Party macht, passt das wie die Faust aufs Faschoauge. Und was in den nächsten 105 Minuten kommt, ist nicht weniger als eine einzige Party. Mit allem, was eine gute Party ausmacht, nämlich den großen Emotionen in alle Richtungen. Dass man am Bühnenrand ein paar Boxen aufgestellt hat, auf denen sich der Sänger hauptsächlich bewegt, sorgt dafür, dass man auch in den hinteren Reihen nicht nur schöne Rücken sieht, sondern auch die Band. Aber schon den vierten Track, 'Umtausch Ausgeschlossen', singt Matthias im Publikum, sodass die Tuchfühlung mit dem Publikum sowieso gegeben ist. 'Mein Problem' markiert den Höhepunkt im ersten Konzertdrittel bei dem jeder mitsingt und die anschließenden Dankesworte an das Publikum - sorry, ich meine natürlich die Freunde - kommen sehr authentisch rüber. So wie überhaupt nichts an diesem Auftritt gekünstelt wirkt, man nimmt der Band jedes Statement, jede Geste, jeden Dank und jedes Lächeln ab. 'Drei Uhr Nachts', für mich eines der Albumhighlights, ist natürlich nur eine Geschichte eines "entfernten Bekannten" von Matthias, der zufällig Sänger in einer Band ist, welcher gerne Hawaiihemden trägt. Aber natürlich weiß jeder, dass es sich um eine autobiographische Nummer handelt. Und man kann sich den Sänger auch genau vorstellen, wie er unter dem Fenster der Ex steht und in die Berliner Nacht ein "Fick Dich, Du Hurensohn!" brüllt, um seinem ganzen Schmerz Luft zu machen. Aber genau diese Authentizität ist es, welche die Band auszeichnet. Man kann nur hoffen, dass sie sich das beibehalten wird. Die anschließende Polonaise bei 'Der König' gehört mittlerweile zum ENGST-Standard, funktioniert aber trotzdem immer wieder. Vor allem, weil man das Publikum zunächst mal in Männlein- und Weiblein-Seiten teilt, um die Menschenschlange als Real-Life-Tinder anzukündigen. Danach wird eskaliert. 3,2,1 und alle tanzen!!! heißt es in 'Eskalieren' und Ramin spielt diesen Song aus dem Publikum heraus. Nach diesen Partyemotionen wird es etwas ruhiger und 'Kopf Hoch' nimmt ein wenig den Fuß vom Gaspedal. Der Song, der für meinen Vaddi geschrieben wurde, wie Matthias über die schwere Zeit seines Vaters erzählt, ist eine wunderbare Nicht-Aufgeben-Geh-Weiter-Egal-Was-Passiert-Nummer und lässt mit dem noch balladeskeren 'Ist Mir Egal' im Anschluss ein wenig Luft zum atmen. Hierbei geht es wieder auf Tuchfühlung mit den Fans und Seifenblasen wehen durch den Saal. Nach dem Durchschnaufen geht es aber wieder in die Vollen. 'Wir Sind Wieder Da', 'Immer Noch Am Leben' und der grandiose Titeltrack des letzten Albums, "Schöne Neue Welt", lassen wieder Wasser von der Decke tropfen. Die Abrechnung mit dem nörgeligen Nachbar und die Single 'Geschichte Schreiben' halten die Stimmung hoch, ehe mit 'Zu Hause' eine vergleichsweise untypische Nummer den Abschluss des regulären Sets bildet. Denn der Track ist eher im Midtempo abgesiedelt. Aber geschickt lässt man die Freunde einen "Ohoho"-Part übernehmen, der auch weitergesungen wird, als das Quartett die Bühne erstmalig verlässt. Aber das war natürlich nicht alles, der Zugabenblock wird von den zwei melancholischen Songs 'Ohne Dich' und 'Träumer & Helden' eröffnet. Erster ist ein Song, welcher der Muddi gewidmet ist, und rührt zu Tränen. Aber auf einer guten Party darf man auch mal emotional weinen, wie ich finde. 'Träumer & Helden' wurde im Vergleich zur Albumversion ein wenig umarrangiert und wird hier mit der Akustikgitarre präsentiert. Auch das wäre ein schönes Ende des Gigs gewesen, ein ruhiger Ausklang. Aber ENGST wären nicht ENGST, wenn sie ihre Freunde nicht nochmal zum Schwitzen bringen würden. Die 'Hymne Der Verlierer' wird von allen mitgesungen und die namensgebende Textzeile in dieser Emotionalität und Lautstärke aus 500 Kehlen geschrien: für mich ist es eine einzige Ganzkörpergänsehaut. Schwer diesen Moment zu toppen! Daher ist es auch besser, man hält sich vor Augen, dass auch die schönste Party irgendwann zu Ende gehen muss und wie heißt es: Aufhören, wenn es am schönsten ist. Wir werden sowieso alle sterben, und mit diesem Song entlassen die vier ENGSTies ihre Freunde dann auch in die kalte Frankfurter Nacht. Als das Licht zu 'Griechischer Wein' angeht, sieht man rundum glückliche Gesichter. Der Merchstand wird auch 30 Minuten nach Konzertende noch gut besucht sein und wer ein Ticket für den Abend ergattern konnte, dürfte hier eines der Konzerthighlights des Jahres 2023 gesehen haben. Hier hat einfach alles gestimmt. Vom druckvollen Sound, über die verschiedenen Emotionen, die Stimmung, der Kontakt zu den Fans und die Fans selber, die den Abend einfach gnadenlos gefeiert haben. Zu Recht sagt Matthias: "Ihr seid die Szene! Ihr, die ihr auf einen Donnerstag eine kleine Band supportet und den Club Wochen vorher vollmacht! Und man glaubt ihm jedes Wort des Dankes." In der Form gehören ENGST für mich zu den wichtigsten neueren deutschen Rockbands und können es mit dieser Energie mit so gut wie jeder Band in einem Club aufnehmen. Wer die Chance hat, die Berliner Jungs in naher Zukunft noch in kleinen Locations zu erleben, der sollte das tun, denn wenn nicht alles schiefläuft, dann geht es in den nächsten Jahren ein paar Sprossen auf der Karriereleiter nach oben. Next Stop: Batschkapp, und dann mal schauen wohin die Reise noch gehen kann. Was für ein energetisches Konzert, was für ein grandioser Abriss!! Setlis ENGSTt: 01. Digitale Liebe 02. Optimisten 03. Nie Wieder Alkohol ... Vieleicht 04. Umtausch Ausgeschlossen 05. Mein Problem 06. Fette Jahre 07. Drei Uhr Nachts 00. Der König 09. Eskalieren 10. Kopf Hoch 11. Ist Mir Egal 12. Wieder Da 13. Immer Noch Am Leben 14. Schöne Neue Welt 15. Nachbar 16. Geschichte Schreiben 17. Zu Hause Encore: 18. Ohne Dich 19. Träumer & Helden 20. Hymne Der Verlierer 21.Wir Werden Alle Sterben |
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