Overhead - Telepathic Minds

Review von baarikärpänen vom 22.06.2023 (1503 mal gelesen)
Overhead - Telepathic Minds Es war mal wieder auf einer meiner ausgedehnten Reisen in die bunte Videowelt von Youtube, als mir der Algorithmus einen Song einer mir bis dato unbekannten Band mit dem Titel 'The War To End All Wars' vorschlug. Wie richtig die Behauptung "Eine geschmackvolle Verpackung erhöht das Interesse" ist, traf hier mal wieder zu 100% zu. Denn das Artwork des zum Song gehörenden Albums "Telepathic Minds" der finnischen Progger OVERHEAD ist ein wirklich ikonisches. Aber auch der musikalische Inhalt hat mich förmlich umgeblasen. Also schnell recherchiert und mit Erstaunen festgestellt, dass OVERHEAD tatsächlich schon seit 1999 existieren. An mir ist diese Truppe bis dato völlig vorbeigegangen und das, obwohl OVERHEAD schon mit Szene-Urvätern wie NICK MASON'S SAUCERFUL OF SECRETS oder Größen wie SPOCK'S BEARD auf der Bühne standen. Asche auf mein Haupt, kann ich da nur sagen. Man lernt anscheinend doch nie aus...

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Seit ihrer Gründung haben OVERHEAD in schöner Regelmäßigkeit Alben veröffentlicht, angefangen mit dem 2002er Werk "Zumanthum", in das ich natürlich intensiv reingehört habe. Schon dieses Werk zeigt eine Band, die ihren eigenen Weg geht, auch wenn noch nicht alles Gold ist, was glänzt. Gerade in dem musikalischen Bereich, in dem OVERHEAD sich bewegen, lässt es sich schwer vermeiden, mit den üblichen "Verdächtigen" verglichen zu werden. Aber bereits das Debüt lässt erkennen, dass OVERHEAD ihre Musik so elegant und mit Köpfchen schreiben, dass Rezensenten schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn sie Vergleiche ziehen wollen. Gitarrist und Hauptsongwriter Jaakko Kettunen bestreitet natürlich nicht, dass er von Musikern wie Joe Satriani oder von Truppen wie DEEP PURPLE oder RAINBOW beeinflußt ist. Aber, und das ist das bemerkenswerte, von denen findet sich schon mal nichts im Sound der Finnen. Generell sei es so, dass er (Kettunen) seine Songs den anderen vorstellt und die dann ihre eigenen Ideen mit einfließen lassen, die gar nicht so offensichtlich im fertigen Song zu finden sind und wenn, dann muss man schon sehr genau zuhören, da es sich lediglich um sehr kurze und äußerst geschickt eingeflochtene Sequenzen handelt. Ein wahres Fest also für die Die-Hard-Prog-Liebhaber, denen man ja oft nachsagt, im positiven Sinne schon ein wenig nerdig zu sein. Dass OVERHEAD aber Alben veröffentlichen, die nicht nur dieser kleinen Zielgruppe gefallen, sondern auch allen anderen Hörern und Hörerinnen, die gerne intensiv in ein Album eintauchen, spricht für die Band. Es ist aber nicht nur die Musik, die hier für glänzende Augen sorgt, es sind vor allem auch die wohldurchdachten Texte. Die eingehend zu betrachten lohnt sich auf alle Fälle. "Telepathic Minds", das allererste Doppel-Album der Finnen und zudem die allererste Veröffentlichung auf Vinyl, ist laut der Band ihr persönliches Opus Magnum. Eine zunächst gewagte These, die man aber schon nach dem ersten Durchlauf einfach nur abnicken kann, weil OVERHEAD sowohl musikalisch als auch mit dem lyrischen Konzept hier ein echtes kleines Meisterwerk eingetütet haben, dass sämtliche Veröffentlichungen der sog. "Big Player" in diesem Jahr zum schämen in die Ecke schickt.

Der Einstieg ist mit 'The War To End All Wars' mehr als perfekt gewählt. Auch wenn der Titel anderes vermuten lässt, ist dieser Song keine direkte Reaktion auf den Krieg in der Ukraine. Kettunen sagt, dass die Arbeit an diesem Stück schon weit vor dem Angriff begonnen hatte. Interessant ist in diesem Kontext, dass Sänger Alex Keskitalo sehr interessiert ist an der Theorie "The Fourth Turning". Diese Theorie besagt, kurz umrissen, dass schwierige Zeiten eine starke Generation kreieren. Diese Generation wiederum sorgt dann zwar für bessere Zeiten, allerdings auch dafür, dass die nächste Generation "schwach" wird und somit wiederum schwierige Zeiten entstehen, die das entstehen einer nächsten, starken Generation zur Folge haben. Ein stetiger Zyklus, und wir befinden uns gerade wieder am Beginn von ungemütlichen und harten Zeiten. 'The War To End All Wars' beschreibt diesen einen großen Krieg, nach dem sich die Nationen endlich wieder um sich selbst kümmern, anstatt sich in das Geschehen in anderen Ländern einzumischen. Gerade in Bezug zum Ukraine-Krieg und seinen Folgen, den Drohungen beider Seiten, ist dieses Stück fast schon prophetisch. Überhaupt beschäftigen sich sämtliche Lyrics auf dem Album mit den derzeitigen Krisen der Menschheit, sei es der Klimawandel, der immer stärker werdende Einfluß der AI, der Corona-Krise und ihrer Auswirkung auf den Umgang miteinander.



Es folgt mit 'Ghosts From The Future' der erste von zwei überlangen Songs. Und hier wird schnell klar, was OVERHEAD so besonders macht. Ein Stück zu schreiben, das es fast auf 13 Minuten bringt und trotzdem zu keiner Sekunde so etwas wie langatmig wirkt, ist großes Kino. Die Kunst ist, wie geschickt verschiedene und völlig anders gelagerte Parts mit einander verwoben weden, um im Endeffekt eine kleine Achterbahn der Gefühle zu erzeugen. Das fängt bei dem getragenen Beginn an, der mich etwas an die Deutschen RPWL erinnert, kombiniert mit einem kleinen Tupfer Rautalanka (einer in Finnland beliebten Art der Gitarrenmusik, inspiriert von Bands wie THE VENTURES oder THE SHADOWS), nur um mit metallischen Gitarren im Chorus aufzuwarten, nahtlos übergehend in einen Prog-Part mit Keskitalos Querflöte, direkt gefolgt von einem orientalisch anmutenden Zwischenspiel, das wiederum in einen fast schon Flamenco zu nennenden Teil mündet. Sämtliche Musiker haben ihren Raum, um zu glänzen, egal ob es Kettunen oder Keskitalo sind, auch Drummer Ville Sjöblom, Bassist Janne Katalkin und Keyboarder Jerre Sarainen. 'Sail Across The Universe' zeigt OVERHEAD von ihrer eingängigen, straighten, aber auch härteren Seite, garniert mit einem wahren Monster von Chorus (sogar der ein oder andere Growl hat sich eingeschlichen). Auch wenn es Jaakko Kettunen mir gegenüber verneint hat oder doch zumindest nicht beabsichtigt war, aber der Beginn des nachfolgenden 'The Pilot's Not Fit To Fly' (genialer Titel) erinnert doch sehr an GENESIS zu ihren besten, also unpoppigen, Zeiten. Über 'Sleep Tight Sweetheart' mit seinen zum Teil dissonanten Parts (spannend gemacht!) geht es zum in der Mitte des Albums geparkten Titelsong, mit etwas mehr als 17 Minuten der absolute Glanzpunkt, an dem sich OVERHEAD ab jetzt mit weiteren Veröffentlichungen werden messen lassen müssen. Akustische Gitarren und der einfühlsame Gesang von Keskitalo, zu denen sich nach und nach zuerst Bass, dann Drums und Keyboards gesellen, sind der Startpunkt für diese Reise durch alle bunten Klanglandschaften, die die Nation Progistan zu bieten hat. Ausgedehnte Solo-Parts von Gitarre und Querflöte, fast schon hymnische Keyboards, die mich dezent an einen Rick Wakeman erinnern. Die vielen Stimmungen,die hier verarbeitet werden, aber letztendlich wie ein Zahnrad in das nächste greifen, sind fast schon atemberaubend. Aufhorchen lassen die ganz kurzen Stellen, an denen die finnischen Meister des progressiven Rocks, KINGSTON WALL, egal ob beabsichtigt oder nicht, zu ihren Ehren kommen. Nach diesem Übersong bietet das relativ kurze und eher ruhige 'Tuesday That Never Came' Zeit zum Durchschnaufen, bevor OVERHEAD mit 'Planet Of Disorder' und 'Sheep Stay Silent' (sollte klar sein, auf was sich der Titel bezieht) zur nächsten Fahrt auf dem Prog-Karussell einladen, wo man nur zu gerne Platz nimmt. Das geschickt betitelte 'Almost Always Near The End' beschliesst dieses Album und nochmals, zum Grande Finale sozusagen, hauen OVERHEAD nochmal so richtig einen raus. Was nach knapp 90 Minuten bleibt, sind eine runtergeklappte Kinnladen, bunte Farben vor dem inneren Auge und die Gewissheit, gerade etwas richtig Großes gehört zu haben. Fast schon müßig zu erwähnen, dass "Telepathic Minds" eine Produktion spendiert bekommen hat, die nichts zu wünschen übrig lässt. Gilt auch für die verschiedenen Medien, in denen "Telepathic Minds" mit seinem tollen Cover von der Band zu beziehen ist. Die Doppel-CD kommt im echt schicken Digipack mit 12-seitigem Booklet, inklusive speziellem Artwork zu jedem einzelnen Song und natürlich Lyrics. Und dann wäre da ja auch noch die Vinyl-Version, mit der OVERHEAD sowas von glänzen. Angefangen bei dem wirklich vernünftigen Preis gibt es diese Doppel-LP im sehr stabilen Gatefold mit bedruckten schweren Innenhüllen und einem Download-Code. Value for money indeed!

Ich bin immer noch verwundert, wie OVERHEAD bis jetzt an mir vorbeigehen konnten. Schaut man auf Streamingportalen nach, scheint es aber nicht nur mir so ergangen zu sein. Dabei hat diese Band wirklich alles, um so viel größer zu sein und "Telepathic Minds" ist ein Album, dessen Texte zum Nachdenken anregen, ohne mit erhobenem Zeigefinder zu nerven, das man entweder laut hören kann oder unter dem Kopfhörer ganz einfach die Zeit zu vergessen und sich wegtragen lassen kann. Etwas anderes als die Höchstnote kann es hier gar nicht geben, verbunden mit dem Hinweis, die Homepage der Band zu besuchen und von dort aus direkt beim Shop seine Bestellung zu platzieren.



Gesamtwertung: 10.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. War To End All Wars
02. Ghosts From The Future
i) Endless Sleep
ii) Last Chance To Bail
03. Sail Across The Universe
04. The Pilot's Not Fit To Fly
05. Sleep Tight Sweetheart
06. Telepathic Minds
i) Hypnotized
ii) Random Honesty
iii) Telepathic Minds
iv) Back In Time
v) Reprise: Home Again
07. Tuesday That Never Came
08. Planet Of Disorder
09. Sheep Stay Silent
10. Almost Always Near The End
Band Website: www.overhead-band.com
Medium: CD, LP, Downloa
Spieldauer: 89:15 Minuten
VÖ: 31.03.2023

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