Interview mit Mirai Kawashima von Sigh

Ein Interview von Opa Steve vom 03.02.2010 (10117 mal gelesen)
Japanischer Black Metal mit Bläsern und abgefahrenen Arrangements klang für uns exotisch genug, um Bandleader Mirai mal ein paar Statements von der anderen Seite der Erde zu entlocken.

Hi! SIGH haben sich musikalisch immer wieder verändert und weiterentwickelt. Euer neues Album "Scenes From Hell" ist ziemlich abgefahrener Stoff, wenn man es mit "Hangman's Hymn" vergleicht. Welche Einflüsse habt ihr aufgesaugt, als ihr diese Songs geschrieben habt?

Mirai Kawashima: Um ehrlich zu sein war ich überrascht, dass "Scenes From Hell" überall als durchgeknallt wahrgenommen wurde. Ja, es ist ein wenig komplizierter als "Hangman's Hymn", aber doch längst nicht so verrückt wie "Hail Horror Hail" von 1997 oder "Imaginary Sonicscape" in 2001. Wir leben nun im 21. Jahrhundert, und ich hätte nicht erwartet, dass die Leute das bekloppt nennen würden! Die Hauptthemen auf dem Album sind Krieg, Tod und Hölle. Wenn ich "Hölle" sage ist allerdings keine religiöse Bedeutung dahinter. Es gibt viele Höllen wie Krankheit, Hungersnot oder Krieg, und oft werden sie auch in Gemälden thematisiert, wie z.B. von Boecklin oder Bruegel. Und ich wollte das gleiche mit der Musik erreichen, wie Richard Strauss seine Reise in die Alpen mit der Alpensinfonie beschrieb. Insofern sind die Songs sehr darstellerisch. "Prelude To The Oracle" und "L'art De Mourir" beschreiben die Welt wo Menschen überall sterben und sie fühlen den Sensenmann über ihren Köpfen. Drei Songs die zu "Musica In Tempora Belli" gehören sind so explizit wie ich es mir nur vorstellen kann, und sie beschreiben Kriegsszenen mit rollenden Panzern, Luftschutzsirenen, Bomben u.s.w.. Das ist Musik für Kriegszeiten.

Wurdet ihr jemals darauf aufmerksam gemacht, dass ihr viele Merkmale der osteuropäischen Polka nutzt?

Mirai Kawashima: Nein, wurden wir nicht, aber es ist wohl nicht so weit hergeholt, denn russische Komponisten wie Khrennikov, Kalinnikov, Schnittke und Tchaikovsky waren ein großer Einfluss auf das Album. Russische Orchester betonen ebenfalls die Blechbläser, was für uns eine große Inspiration ist.

Apropos Bläser: nachdem ihr auf älteren Aufnahmen mit Keyboard-Sounds gearbeitet habt nutzt ihr jetzt echte Blasinstrumente auf "Scenes...". Inwieweit hatte dies Einfluss auf euren Songwriting-Prozess und die Produktion?

Mirai Kawashima: Es war einiges härter als mit MIDI zu arbeiten. Das Schlimmste war die Notation. Die musste ich auf hunderten von Seiten mit der Hand anfertigen und sie auf die entsprechenden Instrumente transponieren. Z.B. musste ich ein "D" notieren, wenn ich ein "C" auf der Trompete wollte - das war schon ziemlich verwirrend. Bei MIDI juckt's dich außerdem nicht die Bohne, ob die Parts überhaupt spielbar sind oder nicht. Aber wenn du das auf echten Instrumenten machst, musst du Grifffolgen, Atempausen und so weiter natürlich berücksichtigen. Aber es war die Anstrengung wert.

Dr. Mikannibal kam vor ca. 3 Jahren zur Band. Wie kamt ihr auf die Idee, in düsteren Metal ein Saxofon zu integrieren?

Mirai Kawashima: Wie du weißt ist ein Saxofon im Rock gar nicht so ungewöhnlich. Selbst im Metal, die Italiener DEATH SS haben es auch benutzt, genauso wie die UK-Thrasher WARFARE. Das Saxofon ist im Metal daher keine neue Sache. Wir haben Saxofon-Sounds seit 1995 auf "Infidel Art" eingesetzt, und zu guter letzt war es toll, eine echte Saxofonistin in der Band zu haben.

Vielleicht war ihr Bitch-Image auch nicht gerade von Nachteil, wenn ich an die meist männlichen Fans denke?

Mirai Kawashima: Eigentlich hab ich diese ganze "Hottest Metal Chicks" Sachen nie wahrgenommen, bevor sie zu SIGH kam. Nun ja, ich erwartete schon, dass sie etwas Aufmerksamkeit auf sich zieht, aber die Reaktion sprengte doch meine Vorstellungen. Was aber an ihr toll ist, ist, dass sie zwar das Bitch-Image hat, aber sie arbeitet sonst als Wissenschaftlerin in einem Labor, und sie liest immer so Bücher wie die verrückten Professoren in Filmen, so mit komischen Formeln und so...

Wie bringt ihr die neuen Songs auf die Bühne? Ihr werdet ja sicherlich kein echtes Orchester einsetzen. Nutzt ihr Clicktracks mit Samples, oder werden die Songs für die Liveshow umarrangiert?

Mirai Kawashima: Wir nutzen jetzt Clicktracks mit einem iPOD, was die einzige Möglichkeit ist, diese Songs live zu bringen. Zuerst stand ich dem Click sehr skeptisch gegenüber, denn es könnte die Dynamik eines Konzerts kaputtmachen, aber es funktioniert viel besser als erwartet, und eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Die alten Songs spielen wir nach wie vor ohne Click.

Welche Reaktionen habt ihr aus westlichen Ländern bekommen? Polka und einige Karneval-Assoziationen sind beim durchschnittlichen europäischen Metal-Fan nicht gerade beliebt...

Mirai Kawashima: Natürlich lieben es einige, während es andere hassen. Das ist die übliche Reaktion auf unsere Alben. Ich persönlich mag Karneval, Maschkapellen-Zeug und russische Musik - also wenn jemand diesen Geschmack nicht teilt, wird er auch nicht mögen, was wir machen.

Hast du eigentlich ein Problem mit der Bezeichnung "Black Metal" für SIGH?

Mirai Kawashima: Überhaupt nicht. Wenn Black Metal ausschließlich mit Satanismus verbunden ist, sind wir keine Black Metal Band. Aber für mich ist Black Metal Musik, die den Geist der 80er weiterträgt. Black Metal in den frühen 90ern war mehr oder weniger eine Rebellion gegen Death Metal, Grind und was da noch alles trendy war. Es war klar eine Zurück-Zu-Den-80ern-Bewegung. Und wir fühlen das gleiche wie Euronymous und seine Kumpanen, weil ich auch dachte, dass Metal zu etwas anderem wird. Und ich vermisste wirklich den 80er Thrash. Außerdem wurde die Bezeichnung "Black Metal" von unseren Göttern VENOM erfunden.

Den typischen Satanismus als Gegenstück zur christlichen Kultur hätte ich ohnehin in Japan nicht erwartet. Von was handeln eure Songs denn so?

Mirai Kawashima: Wie ich schon sagte handelt das Album von Hölle, Krieg und Tod, eben im Sinne der üblichen Katastrophen, die die Menschheit erleiden muss. Früher haben wir auch mehr orientalischen Okkultismus verarbeitet, aber heute handeln unsere Texte von dem Horror, der uns im wahren Leben verfolgt.

Habt ihr einen Hauptsongwriter, oder macht ihr alles zusammen?

Mirai Kawashima: Die meisten Songs schreibe ich selbst, aber wenn ich manchmal nicht mehr weiterkomme gebe ich auch die Riffs an unseren Gitarristen weiter, der dann den Rest schreiben kann. Manchmal lasse ich ihn auch einige Riffs schreiben und baue sie zu einem Song zusammen. Wenn ich einen Song fertig habe, baue ich das Grundgerüst in den MIDI-Sequenzer und gebe den Soundtrack als MP3 mit Notation an die Bandmitglieder. Wir jammen also nicht im Studio rum. Allerdings wird schon mal was beim Proben verändert.

Wie sieht's mit Touren in Europa die nächste Zeit aus?

Mirai Kawashima: Für 2010 haben wir bisher 3 Shows in Europa bestätigt: 10. April Helsinki (Black Curse Over Hellsinki Festival) mit IMPALED NAZARENE, BARATHRUM, BLACK CRUCIFIXION etc., 18 Juni in Frankreich auf dem Hellfest, 12 August in Tschechien auf dem Brutal Assault Open Air.

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Mirai Kawashima: Danke für das Interview!

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