Fjoergyn - Judasmesse

Review von Zephir vom 01.07.2023 (4282 mal gelesen)
Fjoergyn - Judasmesse Die thüringischen Avantgarde-Metaller FJOERGYN sind seit jeher eine Ausnahmeerscheinung, die sich in keine Schublade stecken lässt. Für ihr sinfonisch angehauchtes Black Metal-Derivat scheint es bis heute kein Genre zu geben - in eine ähnliche Nicht-Kategorie gehören wohl auch Kollegen wie DORNENREICH, AGRYPNIE oder NOCTE OBDUCTA. FJOERGYN pflegen seit ihrem Debüt "Ernte Im Herbst" (2005) eine feinsinnige Antihaltung gegenüber allem Menschlichen, die zunächst mit gleichzeitiger Überhöhung der nichtmenschlichen Natur einherging; dies war vor allem auf dem fast romantisierenden 2009er-Release "Jahreszeiten" zu hören und zu spüren. Diese Nuance hat FJOERGYN in der Vergangenheit immer wieder Zuordnungen zur Pagan-Szene eingefahren, wogegen sie sich vor allem in den Zehnerjahren vehement wehrten. Es sollte bereits in den Nullerjahren deutlich geworden sein, dass Mastermind Stephan L. seine Sicht auf die Welt weniger in Naturmystik sondern in einer tief in die menschengemachte Kulturgeschichte zurückgreifenden Metaphorik zum Ausdruck bringt. Diese schöpfte bereits auf dem Zweitling "Sade Et Masoch" (2007) aus der jüdisch-christlichen, späterhin verstärkt aus der griechischen Mythologie, allerdings immer lediglich als Konnotation einer stechend scharf geschliffenen zeitgenössischen Perspektive.

Die besagte Antihaltung spezifizierte sich 2013 mit "Monument Ende", einem apokalyptischen Dark Metal-Koloss, der nun aus der Retrospektive wie eine Ouvertüre zum 2017er-Album "Lvcifer Es" wirkt - letzteres die vorläufige Klimax der FJOERGYNschen Misanthropie. Entsprechend neugierig war ich auf das neue Release, das nun unter dem Titel "Judasmesse" erschienen ist. Und ja, der Weltpessimismus findet seine folgerichtige Fortsetzung. Musikalisch gibt es einiges zu entdecken: FJOERGYN legen schon im Opener 'Sturz' eine ordentliche Schippe an backmetallischem Drumgeknüppel drauf und weigern sich zunächst, im Riffing allzu harmonisch unterwegs zu sein. Harmonie ist wohl auch fehl am Platze, wenn es mit der Geschichte von 'Kain' weitergeht. Was das Songwriting angeht, sind die Thüringer nach wie vor rhapsodisch unterwegs und liefern mit nur in Maßen dosierter Sinfonik durchkomponierten Avantgarde Dark Metal, der bis hierhin unverkennbar nach FJOERGYN klingt, aber noch düsterer, noch zorniger, noch gallespuckender geworden ist. Dies zeigt sich auch in den Vocals, die immer wieder mit deutlich mehr Klarheit auf den Stimmbändern arbeiten, was im Vergleich zum unterkühlten Harschgesang deutlich mehr Emotion und Temperament ins Album bringt.

Aber das ist nicht alles. Der folgende Track, 'Komm, Abel, Lass Uns Aufs Feld Gehen', bleibt rein instrumental gehalten und verblüfft mit einem Saxophonsolo. Die Trilogie 'Prometheus' bedient sich wieder der griechischen Mythologie; ihr erster Part ist vielleicht eine Spur sinfonischer als der bisherige Verlauf der Platte. Ihr dritter Part allerdings ist mit rockigem Beat und deutlichem Synthie-Einsatz so bei FJOERGYN noch nie dagewesen. Auch das langsame, getragene 'Vater(s)land', bei dem die teils verfremdeten Vocals seltsam entrückt klingen wie aus alten Aufnahmen, arbeitet im letzten Drittel mit elektronischen Klängen. In 'Non Serviam' macht die elektronische Verzerrung auch vor der Stimme selbst nicht Halt. Wer mit dem Schaffen der Band gut vertraut ist, wird sie hier noch immer erkennen, aber die subliminale Metamorphose, die FJOERGYN bis zum heutigen Tage durchlaufen haben, ist nicht zu leugnen.

Was die Lyrics angeht, so ist ebenfalls eine ganze Menge passiert: Die Texte sind ausgefeilter, die Reimschemata ausgeklügelter als in früheren Werken. Entsprechend kann der vermeintliche Rausschmeißer 'Warfarin' zu zahlreichen Interpretationen anregen; inhaltlich wird die Platte ohnehin ganz sicher einige Debatten lostreten. Nur "vermeintlich" ist es der letzte Track deswegen, weil ihm ein allerletzter Hidden Track folgt: 'Kreuzmann'. Die Rhythmik ist hier wieder unverkennbar FJOERGYN, die Botschaft ist wie die gesamte Platte trostlos und demoralisierend. Auch melodisch entlässt uns "Judasmesse" wutgetrieben und deprimiert.

Nicht jeder Band gelingt es, ihr Schaffen derart transformierend weiterzuentwickeln und sich dennoch absolut treu zu bleiben. "Judasmesse" ist zweifellos ein gewaltiges, teils auch ein gewagtes Album, das - wie alle FJOERGYN-Platten - einiger intensiver Durchläufe bedarf, um nur annähernd vollumfänglich erfasst werden zu können. Zugegeben, das Coverart schreckte mich zunächst ab und missfällt mir auch weiterhin außerordentlich. Musikalisch und auch lyrisch bietet "Judasmesse" aber ein Epos an Misanthropie und Pessimismus, das seinesgleichen sucht.


Gesamtwertung: 8.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Sturz
02. Kain
03. Komm, Abel, Lass Uns Aufs Feld Gehen
04. Prometheus I – Briefe Eines Sterbenden
Kosmos
05. Prometheus II – Uranos Zorn
06. Prometheus III – Plagen
07. Vater(s)land
08. Non Serviam
09. Warfarin
Band Website: www.fjoergyn.de
Medium: CD + digital
Spieldauer: 59:30 Minuten
VÖ: 02.06.2023

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