Interview mit Volkmar von Die Apokalpytischen Reiter
Ein Interview von Farvynn vom 13.06.2022 (22022 mal gelesen)
Nur ein Jahr nach dem Release ihres experimentellen Albums "The Divine Horsemen" folgt nun die Veröffentlichung von "Wilde Kinder". Natürlich hab ich es mir nicht nehmen lassen, dem guten Volkmar auf den Zahn zu fühlen.
Hey Jungs, danke erstmal, dass ihr euch die Zeit für das kurze Interview nehmt. Wie fühlt ihr euch inzwischen? Das Album ist ja mittlerweile fast drei Wochen alt ...
Volkmar: Genau genommen ist das Album schon fast zwei Jahren alt, denn es wurde im Wesentlichen zwischen 2019 und 2020 komponiert. Wäre alles nach Plan gelaufen, wäre es auch schon im Sommer 2021 erschienen, aber wir alle wissen ja, dass sich die Welt durch die Pandemie auf den Kopf gestellt hat. Daher sind wir sehr froh, dass es nun endlich erschienen ist.
Euer Album “Wilde Kinder“ ist ja direkt auf Platz 8 der Albencharts eingestiegen, wohingegen der Vorgänger “The Divine Horsemen“ nur Platz 22 erreicht hat. Mir drängt sich da die Frage auf, woran das liegt. Sind Studioalben generell beliebter als das, was der Musiker abseits der Norm mit Herzblut produziert?
Volkmar: "The Divine Horsemen" ist kein Album, sondern ein Experiment. Es zählt für uns daher auch nicht im klassischen Sinne als Album. Da die Auflage von Beginn an auf 3000 Stück limitiert war, konnten wir auch gar nicht so viel verkaufen, dass es für eine hohe Chartsposition gereicht hätte. Das war auch nie das Ziel. Es hat zwar einige Zeit gekostet, Nuclear Blast von diesem besonderen Format zu begeistern, aber sie haben es letztlich unterstützt.
Ihr habt die letzten drei Jahre am aktuellen Silberling und simultan am Vorgänger gearbeitet. Gab es Momente, in denen ihr eines der Projekte zur Seite legen wolltet, um ganz am anderen arbeiten zu können? Ich stelle es mir nicht unbedingt einfach vor, parallel auf zwei Hochzeiten zu tanzen - wenn ihr versteht, was ich meine.
Volkmar: Die Arbeitsabläufe waren nicht wirklich parallel. Die Arbeiten für "Wilde Kinder" waren schon abgeschlossen, und die Drums auch schon im Studio eingespielt, als wir entschieden haben, das Album zu verschieben. Vielmehr riet uns die Plattenfirma dazu, da sie bereits im Sommer 2020 wussten, dass eine VÖ von "Wilde Kinder" im Sommer 2021 keinen Sinn machen würde. Wir haben ihren Rat damals angenommen, denn in der Tat fühlten wir uns etwas unter Druck: Einige Texte waren noch nicht fertig, einige Gitarrensoli auch noch nicht. Da schoben wir "The Divine Horsemen" einfach dazwischen – für dieses Happening brauchte es ja keinerlei Vorbereitung – alles entstand an lediglich zwei Tagen. Die Nacharbeit und vor allem das Layouten der aufwändigen Verpackung zog sich dann aber doch fast ein halbes Jahr hin, so dass wir erst im Frühjahr 2021 mit "Wilde Kinder" weitermachen konnten. Wir gingen sozusagen mit frischen Ohren an ein gut gereiftes Projekt, und viele neue Ideen ploppten dann plötzlich auf – die Extrareifung hat "Wilde Kinder" richtig gut getan. Wir haben übrigens 14 Songs aufgenommen, aber nur 10 aufs Album gemacht.
Nicht nur ist das parallele Arbeiten sicherlich nicht einfach gewesen, auch das große C kam ja mit einigen Einschränkungen daher. Konntet ihr euch regelmäßig im Studio zusammensetzen und die Songs ausarbeiten, oder hat jeder für sich seinen Teil aufgenommen, und das Ganze ist erst im Studio zusammengeflossen?
Volkmar: Ins Studio zusammen durften wir wegen der Coronabestimmungen im Studio gar nicht. Anstatt gemeinsam einige Wochen abzuhängen, haben wir dieses Mal im Wesentlichen alle Instrumente einzeln zu Hause oder im Proberaum eingespielt. Fuchs war auch drei Monate in Frankreich und hat einige Gesangstakes dort aufgenommen, teilweise mitten in der Natur (im Flußbett, in einer Höhle). Auch ich habe zwei Songs an der französischen Atlantikküste aufgenommen, als ich dort im Urlaub war. Beim Einsingen hatten sich kurzfristig noch zwei Akkorde verändert, Ady und Fuchs riefen mich an und fragten, ob die das irgendwie hinbekommen könnte. Zum Glück hatte ich so etwas schon geahnt, denn bei den Reitern ändert sich oft noch etwas auf den letzten Drücker. So saß ich dann bei 35 Grad im Zelt und habe unter recht abenteuerlichen Bedingungen noch zwei Bass-Spuren aufgenommen. Aber es war auch schon spaßig. Danach gings auf Surfbrett mitten in den Atlantik. Da ich genau weiß, an welchen Stellen diese Passagen auf dem Album kommen, hab ich da immer ein ganz schönes inneres Grinsen, wenn ich an die Entstehung denke.
Womit wir auch schon den Sprung zu eurer aktiven Arbeit geschafft haben. Der gleichnamige Film zeigt im Schnelldurchlauf ein Jahr an Arbeit. Wie war es für euch, jederzeit eine Kamera im Nacken zu haben?
Volkmar: Irgendwann merkt man die Kamera nicht mehr, beziehungsweise man selektiert schon im Vorfeld aus, wann man sie laufen lässt und wann lieber nicht. Die Idee, einen Film daraus zu schneiden, hatte Fuchs auch erst am Ende des Prozesses, denn irgendwie war das viele schöne Material auch zu schade, um auf einer Festplatte zu versauern. Wir wollten keinen klassischen Studioreport machen, das gab es von allen möglichen Bands bereits und ist aus unserer Sicht auch unspannend geworden. Aber durch die besonderen Umstände der Entstehung von "Wilde Kinder" war es fast schon ein Muss, dies auch für die Nachwelt festzuhalten. Obwohl ich ehrlich gesagt auf die Corona-Pandemie-Erfahrungen hätte verzichten können, die letztlich ja der Grund dafür waren, dass "Wilde Kinder" so anders als üblich entstand.
Im Vergleich zu zum Beispiel Tourtagebüchern, die es zu Hauf auf Youtube gibt, zeigt ihr euch im Film hochkonzentriert und recht ernst. Wie kam es überhaupt zu der Entscheidung, eine Kamera mitlaufen zu lassen? Wolltet ihr den Fans zeigen, wie hart solch eine Produktion ablaufen kann?
Volkmar: Einen spaßigen Film konnten und wollten wir gar nicht machen. Dafür waren die Umstände schlichtweg zu hart, die Band hat durch den fast zweijährigen Stillstand quasi alle finanziellen Reserven aufgebraucht und wir sind froh, dass es nun bald wieder auf Tour gehen kann. Es gab wie gesagt vorab keinen Plan, einen Film zu machen. Der entstand erst, als wir gesehen haben, wie toll das Material geworden ist, das jeder aufgenommen hatte.
Ich bin ehrlich und darf sagen, für mich ist das Album verdammt gut geworden und wurde bei uns mit 10/10 Punkten bewertet. Gerade der Opener 'Von Freiheit Will Ich Singen' hat mich ordentlich mitgenommen. Warum habt ihr gerade die Geschichte von Erich Mühsam, der im KZ zu Tode gefoltert wurde, genommen und nicht zum Beispiel 'Volle Kraft'?
Volkmar: 'Von Freiheit ...' hat als Opener eher Schmiss und passt thematisch etwas besser, aber es gab auch die Überlegung, 'Volle Kraft' als Opener zu setzen. Das dreht sich dann einige Tage wild hin und her, und alle aus der Band machen Vorschläge. Obwohl es dieses Mal echt einfach war und wir schon nach kurzer Zeit eine finale Trackliste hatten. Ich denke, das Thema Freiheit beziehungsweise Einschränkung derselben lag uns einfach sehr am Herzen, und wir wollten direkt mit dem ersten Ton ein Statement setzen.
Gerade hier in Deutschland ist es 80 Jahre nach Kriegsende nicht gern gesehen, wenn man solche Geschichten wieder aufleben lässt. Sehr ihr euch da in gewisser Weise auch als Botschafter, dass dieses dunkle Kapitel weiterhin existieren wird und wir nicht einfach wegsehen sollen?
Volkmar: Freiheit heißt für mich die Wahl zu haben. Daran hat sich nichts geändert. Unrecht stellt man nicht dahin, man verweigert sich, sagt nein oder kämpft dagegen an. Ein Blick in die Vergangenheit ist immer hilfreich, wenn man den Weg in die Zukunft beschreitet. Gerade wir Deutschen haben so viel Unglück über die Welt gebracht, dass wir sicherlich weit davon entfernt sind, darunter einen Schlussstrich zu ziehen. Es wird gern viel und oft über Freiheit gesprochen, auch wenn die meisten oft recht unscharf bleiben, sie im Konkreten zu beschreiben.
Der Rest des Albums ist da vergleichsweise entspanntere Kost. Teils durch aktuelle Ereignisse geprägt, manchmal Aussagen, die man gern mal vergisst und dennoch allgegenwärtig sind oder die vertonte Fassung alter Märchen wie 'Der Eisenhans'. Wie kam es letzten Endes zu diesen Texten und ist da lediglich Fuchs federführend oder beteiligen sich alle an den Ideen? Gab oder gibt es auch Lieder, die durch Fans inspiriert sind?
Volkmar: Texte sind seit 2003 die alleinige Baustelle von Fuchs. Sagen wir mal, das Märchen der Gebrüder Grimm gab den Rahmen und die Idee der Geschichte vor. Tatsächlich ist sie aber mindestens 6000 Jahre alt. Es geht um Initialisierung oder darum, wie das Kind zum Manne wird. Junge Männer und Frauen wissen leider sehr wenig über ihre Natur oder ihre Aufgaben. Das Leben in den Industriestaaten ist extrem kompliziert, viel komplizierter als im Dschungel. Es gibt aber keine weißen Alten, die dich vorbereiten, dich in die Geheimnisse des Lebens oder auch die des anderen Geschlechts einweihen, dir einen moralischen Kompass geben, dich Werte lehren und den Charakter schulen, Prüfungen unterziehen, die dich zu einem wertvollen Mitglied einer Gemeinschaft machen. Ich halte das für sehr wichtig.
In den 27 Jahren, die ihr als Band besteht, habt ihr euch die Nähe zu den Fans immer bewahrt. Ich erinnere mich da zuletzt an den Livestream kurz vor Release. Wie wichtig ist euch persönlich der aktive Kontakt zu den Fans, egal ob nach einem Konzert im Gespräch und durch Fotos oder auch zwischendurch per Email oder Gespräch?
Volkmar: Fanarbeit war uns schon immer wichtig, wir haben da ja auch eine sehr spezielle Wandlung durchlaufen, angefangen von klassischen Briefen per Post, die wir am Anfang der Karriere bekommen haben. Heute ist die Sache etwas verzwickter, denn durch die Kommentare auf all unseren Plattformen wie Facebook, Insta und Twitter ist es mitunter schwierig, den Überblick zu behalten. Darüber hinaus haben wir auch noch eine geschlossene Facebook-Gruppe, einen Telegram-Kanal und seit über 20 Jahren auch den Reitermaniacs Reiter Fanclub - am 1.10. diesen Jahres findet endlich wieder ein Fanclubtreffen mit der Band statt. Irgendwie war das bei uns immer schon so, wir sind schon irgendwie eine Band zum Anfassen – es hat vermutlich damit zu tun, dass wir gern in Gesellschaft sind, ungern ins Bett gehen und selten ein Bier ausschlagen, wenn es uns angeboten wird.
Leider ist meine Zeit mit euch wieder vorbei. Ich bedanke mich erstmal recht herzlich bei euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt und hoffe, dass wir uns zeitnah auf Tour wiedersehen. So langsam kommt endlich wieder alles ins Rollen. Ich denke mal, ihr freut euch, wenn ihr wieder auf der Bühne stehen dürft.
Volkmar: Vielen Dank fürs Interview! Unsere "VOLLE.KRAFT.VORAUS."-Tour startet im Oktober. Es ist die erste Clubtour seit fünf Jahren. Ich bin jetzt schon tierisch aufgeregt, wenn ich daran denke. Am Freitag dieser Woche startet der Vorverkauf für die Tour, hier gibt es auch schon einen Tourtrailer zu sehen.