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Swart's Welt |
Ein Artikel von Sebastian Swart vom 27.07.2010 (6453 mal gelesen) |
"Weak Ties" (schwache Bindungen) sind das, was man bei Facebook gemeinhin als Freunde bezeichnet. An einem gähnend langweiligen Sonntag Anfang April, den ich vor allem auf Facebook verbrachte, wurde mein "Weak Tie" Jens, der vor rund 20 Jahren einmal Tourmanager bei MORGOTH war und den ich seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gesehen hatte, plötzlich sehr strong. Wir unterhielten uns im Chat und irgendwann kamen wir auf das Full Force Festival. Full Force, Full Force!? Meine Synapsen verrieten mir, dass ich dort früher des Öfteren mal war, zuletzt 2003. Sieben Jahre ist das schon wieder her? Ich erinnerte mich an 2 Bühnen, 3 Tage Metal der härtesten Gangart, Tonnen von Staub und den ewigen Headliner SLAYER.
Jens, seines Zeichens Production Manager beim WFF, fragte mich, ob ich nicht mal wieder Bock hätte mir drei Tage die Metal-Kante zu geben. Ich war mir nicht sicher, drei ganze Tage?? V.I.P. natürlich. Achso ja klar, das war ich ja auch und da ich Anfang Juli noch frei war sagte ich zu. Nun ist es ja so, dass man auf Gästelisten immer +1 oder so steht. Wen also mitnehmen? Meine Freundin sagte dankend ab. Nun verhält es sich so, dass ich eine mittlerweile 18-jährige Tochter habe, der ich ganz offensichtlich ein oder mehrere "Metal-Gene" vererbt habe und die sich in der Szene derweil weit besser auskennt als ich. Ein kurzer Anruf, die Freude war groß, das Ding gebongt.
In meiner Naivität versuchte ich nun Anfang April noch ein Hotelzimmer - am besten in Löbnitz und mit Seeblick - zu ergattern. Das Ergebnis war niederschmetternd und das Gelächter der nordsächsischen Gastronomen ließ mich wissen: hier geht gar nix mehr! Seltsam, vor so vielen Jahren hab ich doch da auch immer im Hotel gepennt... Wieso weiß ich allerdings nicht mehr.
Die Alternative lag auf der Hand - 'ne Karre und ein Zelt! Ein Traum für mich als 100%iger Campinghasser und Hygienefreak mit chronischem Rückenleiden.
Schnell bei einem großen Deutschen Autovermieter einen Mercedes Sprinter gebucht, der sich als VW Crafter entpuppte, Luftmatratzen organsiert und schon konnte es losgehen.
Am Freitag kamen wir nach reibungsloser Fahrt von Berlin auf dem Festivalgelände an. Jens hatte mir nicht zu viel versprochen und mit goldenen Bändchen am Arm und dem grünen VIP-Pappdeckel hinter der Windschutzscheibe unseres Nightliners fuhren Töchterlein und ich auf den VIP-Campingplatz, also DER staubige platte Acker direkt gegenüber DEM platten staubigen Acker für nicht VIP’s. Weil der eigentliche Platz aber überfüllt war, wurden wir auf einen NOCH staubigeren Acker gelotst, auf dem wir unser blechernes Heim schließlich parkten. Schnell die Matratze aufgeblasen, die Klamotten quer durch das Vehikel verteilt und ab in Richtung Festival-Gelände. Meine Tochter hält schließlich nichts von unnötiger Trödelei und Tätigkeiten, die nichts mit Metal zu tun haben. Ich möchte auch mal wieder 18 sein...
Um 18:30 Uhr - STUCK MOJO, alte Century Media Label Kollegen, hatten ihr Set fast beendet, als wir auf das Festivalgelände stiefelten. Mein erster Eindruck: Alles sieht aus wie früher und SLAYER sind Headliner, da kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Das ist das bemerkenswerte beim Metal. In den letzten 10, 20, 25 Jahren hat sich praktisch nichts verändert. Es ist doch beruhigend zu wissen, dass sie alle noch da sind, die alten Metalheads, die teilweise, so wie ich nun, ihren Nachwuchs an die Metalfront schicken.
Nachdem wir die Lage gepeilt und das VIP-Zelt gefunden hatten, bewaffneten wir uns gleich mit einem Bier, DEM Getränk, das uns die nächsten Tage versüßen sollte. Kurze Zeit später lief uns dann auch Thilo, der bis 2004 Basser bei ActionJackson (einem Projekt von Marc Grewe und mir) war, über den Weg. Die nächsten drei Tage bestanden dann, mit Ausnahme des Deutschland - Argentinien Spiels, das live für alle übertragen wurde, aus unerbittlichem Geknüppel, langen Nächten, Unmengen Bier und einigen lustigen, teilweise sogar erfrischenden Gesprächen mit Leuten, die ich viele, viele Jahre nicht mehr gesehen hatte. Was Facebook alles vermag!
Was wir nun an den folgenden Tagen an Bands zu sehen bekamen war zwar nicht schlecht, aber auch schon mal besser. Das mag aus meiner Sicht aber auch daran liegen, dass ich einige der jüngeren Bands wie z.B. AS I LAY DYING oder auch EKTOMORF gar nicht kenne. Aber was soll’s: Die alten Hasen wie z.B. VENOM, UNLEASHED, FEAR FACTORY, wie immer SLAYER und PARADISE LOST waren ja da. Warum Letztere allerdings dazu verdammt waren Montag morgens um 3:00 Uhr die Bühne zu betreten ist mir nicht ganz klar.
Eine Antwort darauf, warum VENOM am Samstag als Headliner die Bühne betraten, kann ich leider auch nicht geben. Abgesehen von Klassikern wie 'Black Metal' oder 'Countess Bathory' bestand das Programm aus doch eher mittelmäßigen Selbstzitaten, die zudem auch noch viel zu gut interpretiert wurden (wir erinnern uns ja sicher alle noch an das schöne Gerumpel von Drummer Abaddon hinter der Schießbude). Was auf mich vollkommen lächerlich wirkte war das ewige Gepose der drei Herren. Chronos, wahrlich auch nicht jünger geworden, stakste wie Rumpelstilzchen in seiner ollen Strapse über die Bühne und zelebrierte Posen von Anno 1981. Getoppt wurde das Vintagegehabe nur noch vom Drummer, der zwar sein Handwerk beherrschte, ansonsten aber ein lustiges Kasperletheater abzog. Auch wenn einige wenige Songs fesseln konnten, so wären VENOM durchaus auch tageslichttauglich gewesen. Der Headliner-Status hätte HEAVEN SHALL BURN, die vor VENOM die Main-Stage betraten, jedenfalls weitaus besser zu Gesicht gestanden. Hier die aus meiner Sicht fünf interessantesten Bands des diesjährigen Full Force:
FEAR FACTORY
UNLEASHED
HEAVEN SHALL BURN
MUSTASCH
THE DEVILS BLOOD
und natürlich wie immer
SLAYER!
Eine willkommene Abwechslung im Line-Up waren sicher MUSTASCH aus Göteborg/Schweden. Abseits des oft so bierernsten Knüppelmetals boten die Jungs um den gut gelaunten und routinierten Frontmann Ralf Gyllenhammar ein abwechslungsreiches Set. Songs wie 'Bring Me Everyone', 'Parasite' oder 'Black City' sind tolle und unterhaltsame Rocker. Gyllenhammar's deutsche Ansagen brachten es meist auf den Punkt. So machte er einem jungen weiblichen Fan mit den Worten: "Du hast einen Freund? Egal, ich bin Rockstar, ich nehm erst Dich und dann Deinen Freund!" ein eindeutiges Angebot. MUSTASCH spielten jedenfalls jeden ihrer Songs auf den Punkt und das bei bestem Sound.
SLAYER sind live nur sehr selten schwach und nie schlecht. Ich als alter SLAYER-Fan habe mich natürlich besonders auf die vier Herren aus Huntington Beach gefreut. Was SLAYER hier allerdings zum Besten brachten fiel leider enttäuschend aus. Hauptgrund hierfür war, dass Tom Araya stimmtechnisch schwer angeschlagen war und auch sonst sehr unkonzentriert wirkte. So hat er 'Hate Worldwide', einer der ersten Songs des Sets, nur eine ganze Strophe lang gesungen, um den Rest komplett auszusetzen. Ich dachte, die Band verlässt gleich die Bühne. Außerdem gelang es ihm, den Einsatz von 'Seasons in the Abyss' zu verpassen, einen Song, den die Band seit ca. 20 Jahren hunderte Male im Jahr runter rockt. Vielleicht auch gerade deswegen. Ansagen gab es gar keine. Hinzu kam dann noch, dass das Set so unglaublich schnell, präzise und wuchtig runter gedroschen wurde, dass so etwas wie Stimmung, bei mir zumindest, nicht aufkam. Die wollten einfach nur schnell fertig werden und weg. Sowas hinterlässt bei mir dann doch ein paar Bauchschmerzen. Aber klar, SLAYER sind Profis und haben ihr Set zu Ende gebracht. Man merkte aber, dass die Band sich nicht wohl fühlte. Immerhin hat sich Tom Araya am Ende noch krächzend versucht zu entschuldigen, was ihm natürlich hoch anzurechnen ist. Letztlich wollten sie Ihre Fans nicht enttäuschen. Da ich selbst jahrelang auf Tour war weiß ich, dass es nicht immer leicht ist, jeden Abend die gleiche Qualität abzuliefern und das mit zunehmendem Alter sicher erst recht nicht. Dennoch stellt sich mir die Frage, ob sie nicht einfach hätten absagen sollen. Dann allerdings hätte sich vermutlich die Hölle auf dem Gelände aufgetan.
Fazit:
Drei Tage Geknüppel, drei Tage Bier, drei Tage Staub und drei Nächte in einem Transporter. Leute die ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe, anregende und kritische Gespräche u.a mit Frank Albrecht vom Rock Hard und Rene Daegling von Bleeding4Metal. All das und natürlich die vielen Bands, die manchmal, wie beim Deutschland-Argentinien Spiel zur Nebensache wurden, haben mir auf jeden Fall wieder in Erinnerung gebracht, wie mein Alltag bis vor ca. 12 Jahren aussah. Laut, dreckig und schnell. Meine liebe Tochter hat mir gezeigt, wie viel Energie man mit 18 haben kann und mich auch trinktechnisch auf die Plätze verwiesen. Um wen sollte ich mir denn jetzt Sorgen machen? Heute eher eine Ausnahmesituation aber eben doch eine Erinnerung an die "good old times". Bemerkenswert ist, dass die Metalszene über die vielen Jahre kaum verändert hat. Nach einigem Hin und Her werte ich das mal als positiv.
In diesem Sinne: Stay Metal!
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