Reissue des 2008er-Comebacks mit der Album-Premiere ihres Immer-Noch-Sängers Jack Meille. Heute noch genauso überzeugend wie damals und verdammt gut gealtert.
Was für einen finsteren, chaotischen Brocken haben uns denn da SORDIDE auf den Plattenteller geworfen. "Ainsi Finit Le Jour" ist sicher kein leichtes Werk. Lohnt sich der Trip in den Abgrund?
Ein abgedrehter Mix verschiedenster Genres erwartet uns auf dem vierten Album "Bodenhex" der Band VLIMMER. Genuss pur oder doch etwas zu viel für meinen Magen?
Ein Interview von Dunkeltroll vom 20.09.2021 (23861 mal gelesen)
Unsere erste Verabredung ging auf Grund einer Terminüberschneidung in die Hose, doch nur 25 Stunden später klingelte BRAINSTORM-Sänger Andy B. Franck bei mir durch, entschuldigte sich für das Missgeschick und brachte als Entschädigung unerwartet viel Zeit mit. Meine Aufzeichnung startete erst nach unserer Begrüßung, und so geht es hier direkt ans Eingemachte:
Euer dreizehntes Album, "Wall Of Skulls", fängt passenderweise auch mit einem atmosphärischen Intro namens 'Chamber 13' an. Mit 'Where Ravens Fly' folgt eine recht flotte Nummer, die ihr als Lyric-Video ausgekoppelt habt, und bei der mir mal wieder aufgefallen ist, dass ich aus vielen deiner Texte nicht wirklich schlau werde.
Andy B. Franck: Das ist gut so - dann hab ich alles richtig gemacht! Punkt eins ist: Ich habe nie angefangen, wie viele deutsche Bands es gerne machen, über irgendwelche Regenbogen, Drachen, Ritter oder sonst was zu schreiben, sondern befasse mich lieber mit realistischen, religiösen oder historischen Themen. Dabei versuche ich aber immer, das Ganze ein bisschen kryptisch zu halten, weil man sehr schnell mit einer Meinung anecken kann. Es war sowohl der Wunsch von mir als auch der Band, sich nicht zu sehr angreifbar zu machen, um es vorsichtig zu formulieren. Es sind immer auch Themen dabei, zu denen ich eine Meinung habe, aber ich gestalte die Texte möglichst offen - und wenn jemand nicht weiß worum es geht, kann es dabei durchaus schwierig sein dem Narrativ zu folgen, da sie teilweise aus schnell wechselnden Perspektiven geschrieben sind: Ich wechsel die Ansichten innerhalb einer Phrase gerne zwei- oder sogar dreimal. Im Falle von 'Where Ravens Fly' geht es um das sowohl in der Historie als auch in Sagen immer wieder vorkommende Symbol des Raben als Zeichen der Macht - bei Odin angefangen. Aber wenn die Raben weggeflogen sind, deutete dies auch auf drohendes Unheil hin, wie etwa den nahenden Sturz oder Tod eines Herrschers. Damals noch bei SYMPHORCE (eine 1998 von Andy mitbegründete und 2011 aufgelöste Power-Metal-Band) hab ich mal zu ein oder zwei Themen relativ eindeutig Stellung bezogen, und dann ging gleich eine Diskussion los, und dann hab ich mir gedacht "Also nee, Leute: Das brauch ich nicht". Ich mach Musik der Musik willen, und nicht um als Priester oder Meinungsbilder da vorne zu stehen - das überlasse ich gerne anderen. Meine Texte könnten aber im Bezug auf die Geschichte etwas eindeutiger sein, das ist schon richtig.
Da mach ich es mir auch selber schwierig: Ich sitze manchmal da und notiere mir an meinen Texten, wer was sagt oder denkt - und diese Notizen fehlen den Fans hinterher, wenn sie die Lyrics zu Gesicht bekommen. Das hatten wir zum Beispiel auf der letzten Platte bei 'Jeanne Boulet' mit diesem "sacrifice her": Die erste Reaktion der katholischen Kirche in diesen schweren Zeiten war es, das Mädchen quasi als Menschenopfer zu werten, und hatte mit seinem Tod durch die Bestie natürlich nichts zu tun. Dadurch hat diese Textstelle bei so einigen Leuten für Verwirrung gesorgt.
Ein weiteres Video habt ihr zu 'Glory Disappears' gedreht - ein für BRAINSTORM eher ungewöhnliches, sehr hymnisches Stück - vielleicht ein bisschen nah am Kitsch - , das mich ohne offensichtliche Parallele an 'Hearts Of Olden Glory' von RUNRIG erinnert.
Andy B. Franck: RUNRIG kenn ich vom Namen her, den Song aber nicht bewusst - müsste ich jetzt hören. 'Glory Disappears' wurde von uns jedenfalls aufs Wesentliche zurückgestutzt: Eigentlich wollten wir bereits im März 2020 ins Studio gehen, was dann durch die Pandemie nicht möglich war, und so haben wir uns stattdessen noch mal im Proberaum verschanzt und diverse Songs erneut überarbeitet. Ich war in der ersten Fassung auch mit einigen der Gesangslinien nicht ganz zufrieden; 'Glory Disappears' wäre in typischer BRAINSTORM-Machart eigentlich ein Song von sechs bis sieben Minuten geworden: so richtig mit Vorlauf, und dann kommt irgendwann der Gesang, dann wirds ein bisschen schneller, und la la la, dieses Ding. Das haben wir schon öfter gehabt, und das ist auch immer mal wieder ganz cool. 'Jeanne Boulet' ist ein sehr gelungenes Beispiel dafür - aber ein Song muss das hergeben, und ich fand bei 'Glory Disappears', dass der Song zwar cool war, aber sich auch ein Stück weit verloren hat. Und dann haben wir angefangen an ihm rumzuschneiden, wir haben sogar die Bridge rausgeschmissen, und von diesen sechseinhalb Minuten sind am Ende dreifuffzig übrig geblieben. Ich finde es tut uns gut, auch mal neue Wege zu probieren, und finde das Ergebnis erfrischend anders. Ob man den Song jetzt ans Kitschige angelehnt findet: joa, aber wir hatten ja immer schon sowohl sehr melodiöse Sachen als auch Songs, die schon nahe am Thrash sind. Das macht es für uns interessant, gerade wenn wir die Songs live spielen. Uns geht es da vor allem um die Abwechslung.
Wenn euch jemand so gar nicht kennt: Was, würdest du sagen, macht BRAINSTORM aus? Was ist die Linie, dir ihr verfolgt?
Andy B. Franck: Ich denke, dass wir eine recht untypische deutsche Power Metal- oder was auch immer Band sind - wir klingen recht amerikanisch beeinflusst und hatten nie irgendwelche Tralala-Songs. Wenn man jemanden fragt, wie typischer deutscher Metal klingt, wäre man wohl entweder schnell bei BLIND GUARDIAN, mit vielen Chören und dergleichen, oder bei HELLOWEEN mit viel Melodie. Wir haben da eine eigene Ecke - die macht es uns nicht mal immer leicht, da uns viele Leute vermutlich lieber in die ein oder andere Schublade sortieren würden. Noch dazu haben wir kein nervenzerfetzendes Image, wo die Leute sagen: "Guck mal hier: Immer wenn die auftreten haben sie Hörner auf dem Kopf!" oder sonst was, daher müssen wir uns über unsere eigene Musik definieren - aber die klingt vergleichsweise international, da kann man nicht so schnell sagen wo sie herkommt, und das find ich persönlich eigentlich ganz cool.
Ihr seid auch zu keinem Zeitpunkt mal so wirklich hip gewesen, oder? Ihr habt euch euer Publikum über starke Alben und vor allem auch über sehr starke Liveauftritte erarbeitet.
Andy B. Franck: Das haben wir, wobei wir in der Phase, in der "Metus Mortis" (2001), "Soul Temptation" (2003) und "Liquid Monster" (2005) erschienen sind, schon ein bisschen an die große Tür geklopft haben. Die Chance wäre wohl da gewesen, aber es war jetzt nie so, dass man uns irgendwie super gepuscht hätte. Wir waren damals schon angesagt, und haben statt einer auch mal drei Stufen auf einmal genommen, während wir uns sonst jede Stufe hart erarbeiten mussten und auch immer mal wieder schön auf die Fresse gekriegt haben, aber wir sind immer wieder aufgestanden und haben unser Ding durchgezogen. Und das ist doch am Ende das Wichtigste: Wir haben die Musik immer auch aus Spaß für uns selbst gemacht.
Zu dieser Zeit standet ihr auch bei einer Plattenfirma in Japan unter Vertrag. In einem Interview, das du dem "Deaf Forever" neulich gegeben hast war zu lesen, dass ihr aber noch nie in Japan aufgetreten seid, was mich schwer gewundert hat.
Andy B. Franck: Ja - das hat mich auch schon gewundert (lacht), da sind wir schon zu zweit! Wir hatten schon mehrmals alles so gut wie in trockenen Tüchern, und jedes Mal kam etwas dazwischen: einmal ein Tsunami, dann ein Unfall in einem Atomkraftwerk, und einmal war es eine Europa-Tour, bei der dann 30 Shows in Europa gegen vier in Japan standen, und da muss man sich natürlich entscheiden. An mangelndem Interesse hat es aber nicht gelegen: Wir würden sehr gerne dort spielen, und die Japaner hätten uns auch gerne zu Gast. Wir haben da eine ganz gute Fanbase, verkaufen ganz ordentlich, aber irgendwie sieht es so aus, als hätte jemand was dagegen, dass wir da rüberkommen! (lacht) Ist aber ein Scheißgefühl, weil du wünscht dir ja als Musiker auch, mal so weit weg zu kommen. Vielleicht klappt es ja jetzt, vielleicht nächstes Jahr: Wir sind immer noch guter Hoffnung was das angeht, und werden auch noch eine ganze Weile fit und frisch genug sein, um in einen Flieger zu steigen.
Von Japan abgesehen: Was sind eure international stärksten Märkte? Ich würde jetzt mal auf Spanien tippen, wo ihr für die gerade leider verschobene Tour fünf Shows angesetzt hattet. (Die Nachricht, dass die Tour verschoben wird, wurde am 31.08., also zwei Tage vor diesem Interview veröffentlicht.)
Andy B. Franck: Spanien ist ganz groß dabei, die Tschechei, Ungarn, und mit der "Firesoul" haben wir ganz überraschend angefangen in England ganz gut zu verkaufen. Wir haben da zwar hin und wieder mal eine Show gespielt, waren aber nicht so beständig präsent. Und da sind 1000 Einheiten dann schon wirklich beachtlich, auch wenn das jetzt vielleicht nicht nach sonderlich viel klingt. Was auch verrückt ist, ist, dass wir eigentlich nur alle Jubeljahre nach Schweden oder Norwegen hochkommen, dort aber eine extrem große Hörerschicht haben, was man zum Beispiel bei Spotify sehen kann. Frankreich und Italien sind hingegen recht schwierige Märkte; besonders Italien, weil eigentlich nach Mailand nix mehr passiert - südlich vom Mailand gibt's keinen Metal; ein paar wenige Bands spielen vielleicht noch in Rom, aber ansonsten ist in Italien nicht viel. Aber ich glaube, wir sind in Europa ganz gut aufgestellt, und die Tour wäre ja auch nur ein erster Teil gewesen - um nicht zu sehr ins Risiko zu gehen. Aber selbst mit dieser Überlegung war das Risiko hoch genug, um die Tour verschieben zu müssen.
Als ihr die Tour angesetzt habt war ja bereits abzusehen, dass wahrscheinlich nicht alles laufen würde wie vor der Pandemie. Unter welchen Bedingungen wärt ihr gefahren, was war jetzt der Knackpunkt?
Andy B. Franck: Wir hatten eigentlich bis zum Schluss die Hoffnung, und hatten auch immer wieder den Austausch mit den Veranstaltern, auf eine durchschnittliche Auslastung von 50 Prozent zu kommen - da bist du in einem Bereich wo du sagen kannst, man kann das Ding kalkulieren. Der Vorverkauf lief für die Umstände eigentlich ganz ordentlich, wobei sich vielerorts die Leute erst einmal für die Konzerte angemeldet und die Karten noch nicht verpflichtend gekauft hatten. Aber die Lage ändert sich halt derzeit von Tag zu Tag: Wenn irgendwo wieder was kommt, sodass ein Klub nur noch eine Auslastung von 10% haben kann oder du gar nicht spielen darfst, dann stehst du halt da. Wir haben vor zwei Wochen in der Tschechei ein Festival gespielt, da waren vielleicht 10.000 Leute auf dem Platz, da hat keine Sau eine Maske getragen. Gleichzeitig gehen die Zahlen dort und anderswo aber wieder hoch, und man denkt über einen erneuten Lockdown nach. Auch durch die Verlängerung der pandemischen Lage hier in Deutschland ist es daher immer schwieriger geworden, bis es für uns irgendwann gar nicht mehr greifbar war, was wir jetzt überhaupt machen. Es kann gut gehen, aber wir laufen gleichzeitig Gefahr, dass jeder in der Band zwei- oder dreitausend Euro zuschießen muss, damit wir überhaupt bei Null rauskommen. Die Kalkulation wurde also immer schwieriger, und von den Veranstaltern konnte uns halt auch keiner Garantien geben, dass sie offen haben, wie viele Zuschauer sie reinlassen, unter welchen Bedingungen ein Konzert bei ihnen stattfinden könnte - ob 3G, 2G, Biertische, Maske, keine Maske, und da werden dann die Besucher natürlich auch wieder vorsichtiger, wenn sie nicht wissen, wie so ein Konzert ablaufen wird.
Uns ist es Sonntagabend nicht sehr leicht gefallen die Verschiebung zu besprechen, weil wir auch viele Zuschriften von Leuten bekommen haben, die auf diese Tour gehofft haben. Aber am Ende des Tages muss es ja auch Sinn machen: Wir müssen auf so einer Tour nichts verdienen, aber wir haben ja auch Leute dabei, die teilweise seit 18 Monaten nichts verdient haben, und denen kann ich nicht sagen: Kann sein, dass du was verdienst, kann aber auch sein du verdienst nix. Wir Musiker haben uns damals gegen die Profi-Schiene entschieden und haben alle unsere Jobs, sodass die Rechnungen bezahlt sind. Aber in der Crew haben wir Jungs und Mädels dabei, die davon leben, und denen muss man schon was garantieren können, und das war zum Schluss nicht mehr möglich.
Am 01. Oktober hätte die Tour im Turock in Essen Station gemacht, und eure Vorband TRI STATE CORNER, deren Sänger Lucky bei RAGE Schlagzeug spielt, hätte Album-Release gefeiert. Peavy von RAGE wiederum singt auf "Wall Of Skulls" als Gast bei 'Escape The Silence' mit, und wohnt auch um die Ecke. Gab es Pläne, dass er den Song an diesem Abend auch live mit euch bringt?
Andy B. Franck: Nee, noch nicht: Die letzten Wochen waren so voll mit Promo fürs Album und der Frage, ob die Tour stattfindet oder nicht, dass für derartige Überlegungen noch gar keine Zeit war. Hätten wir am Sonntag einen grünen Haken dahinter gemacht, hätten wir über so etwas sicher mal nachgedacht. Wahrscheinlich stehen aber noch Gelegenheiten an, bei denen wir zusammen mit RAGE spielen, hab ich jetzt läuten hören, und da muss ich dann mal gucken, ob ich den Peavy aus der Dusche rausziehe oder aus dem Backstage raushole, denn das wäre natürlich eine schöne Geschichte, auf jeden Fall! (lacht)
Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Peavy bei euch auf dem Album mitgemacht hat? Ihr habt sogar zwei Gäste dabei, wobei Seeb Levermann (ORDEN OGAN) als euer Produzent ja naheliegend war.
Andy B. Franck: Die Idee oder den Wunsch, einen Gastsänger auf einem Album zu haben, habe ich schon seit vielen Jahren, denn ich finde das immer ganz spannend. Ich will nur nicht inflationär damit umgehen, und ich brauch auch keine Leute darauf, die mit ihrer Stimme inflationär umgehen und sich bei jedem Projekt, bei dem zweimal einer in die Gitarre haut, als Sänger anbieten. Ich hatte Seeb davon erzählt, was ich mir so vorstelle, und da ging es dann um irgendwelche Jungs aus Amerika, aus England oder Schweden, und Seeb sagte: "Die kannst du natürlich einfliegen oder für teuer Geld was aufnehmen lassen, nur damit sie was aufgenommen haben, hast aber eigentlich gar keinen persönlichen Bezug zu denen. Und hier, quasi ums Eck wohnt einer, den kennst du seit Jahren, mit dem warst du schon unterwegs, mit dem hast du schon ab und zu einen gehoben, ihr mögt euch, warum fragt du eigentlich nicht den?" Mein Gesicht hat dann wohl Bände gesprochen, wir haben Peavy angerufen, er war sehr angetan von der Idee, und als wir mit dem Telefonat fertig waren, hab ich Seeb angeguckt und gesagt: "Na ja, das ist schon geil: Jetzt haben wir so ein deutsches Metal-Urgestein auf dem Album drauf", - was mich sehr stolz macht, denn ich kenn ja die Platten von ganz früher mit 'Don't Fear The Winter' und 'Invisible Horizons' und dem ganzen Zeug drauf noch - "aber es wär auch cool wenn wir ein modernes, neues Metal-Icon mit auf der Platte hätten." Und Seeb guckt mich nur so an und sagt: "Von wem sprichst du denn?", und ich sag "Frag nicht so'n Blödsinn, du weißt genau von wem ich spreche!" Seeb wollte erst nicht, er hat sich überzeugen lassen, auch weil beide Parts stimmlich wirklich gut zu den Jungs passen. Und was mich halt echt stolz macht ist, dass eigentlich beide eben nicht wie eingangs erwähnt auf 1000 anderen Platten schon gesungen haben. Es macht das Album noch ein bisschen besser und ist am Ende nicht aus Kalkül, sondern aus Freundschaft entstanden.
Seeb hatte bereits euer letztes Album ("Midnight Ghost", 2018) produziert. Warum habt ihr damals gesagt: "Das ist unser Mann", was was da ausschlaggebend?
Andy B. Franck: Wir hatten ORDEN OGAN auf einem Festival kennengelernt, und ich hab mit Seeb ja dann an dem einen ALMANAC-Album zusammengearbeitet ("Tsar", 2016), was ich unheimlich angenehm fand. Wir haben von BRAINSTORM-Seite nach jemandem gesucht, der sich die Bezeichnung "Produzent" auch tatsächlich verdient - das ist der große Unterschied zwischen der Zusammenarbeit mit Seeb und manch anderen Leuten, mit denen wir gearbeitet haben. Die waren eher Aufnahmeleiter, haben den Knopf gedrückt, und egal was du gesungen hast haben die gesagt "Ja, ist gut! Willst du noch einen machen? Dann mach noch mal. - Ja, ist auch nicht schlecht." Das ist aber nicht das, was wir uns als Produzent gewünscht haben: Wir haben jemanden gesucht, der sich schon im Vorfeld mit den Songs beschäftigt und schon weiß was du aufnehmen willst, wenn du ins Studio kommst, Vorschläge macht und mit dir arbeitet. Seeb tritt dir dann auch mal ein paar Stunden in den Arsch und sagt zu dir: "Du musst noch mal, das ist nicht gut genug! Nee, Scheiße, lösch ich alles wieder!" Da stehst du dann in deiner Kabine drin und könntest kotzen, weil der dich einfach nicht rauslässt. "Nee, das machst du nochmal! Andy, das hört sich kein Mensch an, mach noch mal!" (lacht) Oder: "Was ist das für ein Part?" Es ist so eine Unart von BRAINSTORM, dass wir nach dem zweiten Chorus gerne so extra Parts einbauen - Proberaum-Parts nenn ich die immer. Und Seeb hört sich das an und sagt dann: "Okay - welche Bedeutung hat dieser Part? Warum ist der wichtig?", und dann gucken wir uns an und sagen: "Klingt halt toll!", und dann schmeißt er den halt raus, schneidet das zusammen und sagt dann: "Guckt mal: So würde das klingen, wenn ihr das ohne diesen Part spielt", und dann denkst du dir: "Ja, der hat Recht." Im Gegensatz zu anderen Leuten wird Seeb tatsächlich ein sechstes Bandmitglied, für die Zeit die du mit ihm im Studio bist. Das haben wir uns immer gewünscht; er ist ein Stück weit Fan von BRAINSTORM, so wie wir auch Fans von ORDEN OGAN sind, die Kommunikation funktioniert sensationell, und wir möchten das auch nicht mehr missen.
Seeb hat auch von ERADICATOR das letzte Album ("Influence Denied", 2021) gemacht, von dem ich ebenfalls sehr angetan war, die als Thrash-Band ja etwas weiter von seinem eigenen Betätigungsfeld weg sind als ihr.
Andy B. Franck: ASPHYX ("Necroceros", 2021) hat er ja auch gemacht, das Ding klingt auch monstermäßig. Ich finde er hat einen Weg gefunden, jeder Band eine gewisse Identität über den Sound zukommen zu lassen, und macht sich da schon sehr sehr viele Gedanken. Er ist da schon immer sehr weit im Kopf - da müssen wir manchmal gucken, dass wir hinterher kommen! (lacht) Bevor wir das erste Mal zusammen ins Studio gegangen sind hat er uns gefragt, was wir uns eigentlich vorstellen würden, hat in den Gesprächen mit uns rausgehört, was für ein Sound uns vorschwebt, das dann umgesetzt und das erste Album draus gemacht. Er nimmt sich Zeit für uns, er hört uns zu, er berät uns und wir tauschen uns aus. Das ist eine gute Mischung, die wir da gefunden haben, die zwar Arbeit ist, aber auch Spaß macht - das ist cool. Sehr cool!
Das Ergebnis ist auf jeden Fall wieder sehr sehr ordentlich geworden, wobei: Ein wirklich schwaches BRAINSTORM-Album hab ich noch nicht gehört.
Andy B. Franck: Es gibt jetzt kein Album wo ich sagen würde: "Oje oje, da haben wir uns total vergriffen", aber es gibt Alben wie "On The Spur Of The Moment" (2011), bei dem wir genau das gemacht haben, was wir jetzt bei 'Glory Disappears' erfolgreich vermieden haben: Wir haben uns zu sehr in manchen Sachen verloren, haben vielleicht gemeint eine gewisse Ernsthaftigkeit reinbringen oder uns verändern zu müssen. Nach links gucken, nach rechts gucken - ich glaub aber, das ist eine Phase, die jede Band so ein bisschen mitmacht. Das beste Beispiel ist für mich immer KISS mit "The Elder" (1981) damals, aber es gibt auch Bands wie KREATOR, die mit "Endorama" (1999) versucht haben neue Wege zu gehen. Eigentlich willst du das weder als Fan noch als Musiker, aber du meinst, du müsstest mal was anderes probieren, weil ansonsten könnte ja dein Alltag langweilig sein - ist er aber eigentlich gar nicht. Wir sind froh so wie es ist, und mit "Midnight Ghost" und dem neuen Album haben wir wieder so eine kleine Neuausrichtung hingekriegt, und das fand ich sehr sehr spannend.
Ihr habt grundsätzlich gestrafft: Der längste Album-Track dauert lediglich 4:39. Und dann habt ihr einen Bonustrack, der die fünf Minuten sprengt und der mir sehr gut gefällt, weil er auch so einen kleinen Epic-Metal-Part hat. Wie zeitgemäß ist so ein Bonustrack für die Limited Edition heute noch - von was für Stückzahlen sprechen wir da?
Andy B. Franck: Der Track soll einen gewissen Mehrwert darstellen - BRAINSTORM haben schon von ihrem zweiten Album eine Metallbox gemacht, noch bevor ich in die Band eingestiegen bin. Wir waren bei der "Soul Temptation" eine der ersten Bands, die eine Bonus-DVD dabei hatte, und haben da also schon immer viel Wert drauf gelegt. Und es ist dann immer auch ein Wunsch der Plattenfirma, dem Ganzen einen extra Song zu geben, neben dem ganzen DVD-Kram. Wir haben es in der Zwischenzeit massiv eingedampft: Früher hatten wir zehn Songs auf dem Album, einen Bounstrack auf der Limited, hatten aber noch mal zwei, drei Songs aufgenommen, für Japan zum Beispiel. Das war eine Unart die es sehr lange gab, dass der japanische Markt immer nach mindestens zwei Bonustracks verlangt hat. Dagegen haben wir uns vor ein paar Jahren verwehrt, weil dadurch die Fans außerhalb von Japan dafür bestraft werden, dass sie sich ein Album bei Veröffentlichung kaufen, denn in Japan bekommen sie noch mal zwei Songs mehr. Und wer dann welchen Song als besser empfindet, ist eine schwierige Geschichte: Auf der letzten Platte hatten wir zwei Bonustracks, und da haben auch Leute gesagt, dass die unbedingt aufs Album gehört hätten. Wir versuchen das Album mit zehn oder maximal elf Songs rund zu halten, sodass es unserer Meinung nach in sich stimmig ist. Wir lassen im Vorfeld einer Veröffentlichung immer einige Kumpels alle Songs hören, die wir aufgenommen haben, und fragen sie, welche davon in welcher Reihenfolge aufs Album sollen. Dabei kommt jeder zu einem völlig anderen Ergebnis. Viel wichtiger ist aber meiner Meinung nach: Wenn du von BRAINSTORM einen Bonustrack bekommst, dann ist das kein Ausschuss. Ich hab mir früher Platten gekauft, da waren Bounstracks drauf, da hab ich gedacht: "Na das ist klar, dass das ein Bounstrack ist." Furchtbar, konntest du dir nicht anhören. Und das ist doch eigentlich ein cooles Zeichen - jetzt hab ich eine schöne Rede gehalten für den Bonustrack, das find ich gar nicht so schlecht! (lacht)
Ich finde es halt schade, dass von den inzwischen doch recht vergleichsweise wenigen Leuten, die sich physische Tonträger kaufen, nicht wenigstens alle jeden Song bekommen, den ihr aufgenommen habt. Aber lass uns mal über die DVD reden, was ist da denn drauf?
Andy B. Franck: Wir haben im Frühjahr ja diese Streaming-Show gemacht, die auf YouTube war und bei der man spenden konnte, und die Show haben wir auf BluRay brennen lassen, denn es wäre schade wenn die verloren geht. Find ich sehr cool, denn die hat ein qualitativ sehr hochwertiges Bild, wir hatten ein super Stage-Setup mit allem Drum und Dran, und ich glaube nicht, dass wir so was noch mal machen - besser gesagt: Ich hoffe nicht, dass wir es noch mal machen müssen (lacht), denn es ist so abnormal, auf der Bühne zu stehen, zu spielen und zu machen, und dann ist der Song zu Ende, und dann ist da nix - dann stehen da am Ende des Raumes zwei Leute und unterhalten sich darüber, was im Baumarkt gerade im Angebot ist. Die sind halt da, müssen auf- und abbauen, haben ansonsten aber mit der Band nix zu tun. Das ist ein bisschen seltsam, war aber eine mega Erfahrung mit so vielen Kameras und so, und es ist cool, das jetzt den Fans mitgeben zu können. Es ist nicht einfach mal wieder eine Live-DVD, sondern schon was Besonderes - und eine komplette Show, wir haben da etwa anderthalb Stunden gespielt.
Ich hab hier noch eine nicht ganz ernst gemeinte Frage, die auch nicht von mir stammt: Wann rasierst du dir endlich deinen D'Artagnan-Bart ab? Anscheinend ist der nicht bei jedem beliebt. Hast den gerade ab, oder ist der so vergraut, dass ich ihn nicht richtig erkennen kann?
Andy B. Franck: Der ist so vergraut, den kannst du nicht erkennen! (lacht) Ja, mal gucken: Ich hab da auch schon mal drüber nachgedacht, ob der irgendwann mal wieder weg muss. Jetzt ist er ein paar Jahre dabei, das war halt mal so 'ne Idee. Ich nehm mich da in manchen Punkten nicht mehr so ernst, das ist ganz wichtig für mich selber. Weißt du, warum das Scheiße ist mit dem Ding? Du musst immer drumrum rasieren, und es wäre doch einfacher entweder komplett stehen zu lassen oder wenn du rasierst, dann einfach einmal weg, und dann ist auch gut. Ich denk mir manchmal: "Alter, machst du dir da einen Alarm, um das Ding rum rasieren, am besten noch mit Schablone, so ein Blödsinn!" (lacht)
Also ich find ja der steht dir - ich find den cool. Du hast auch die Haare dafür, da fehlt nur noch ein Hut mit Feder...
Andy B. Franck:(lacht) Ich hab ihn mal bei irgend 'ner Einzelshow abgemacht, das war echt krass. Früher war es immer so, wenn ich nach 'ner Show raus bin, und hatte zum Beispiel eine Baseball-Kappe auf, dann haben mich manche gar nicht erkannt. Mit dem Bart kannst du machen was du willst, da kannst du dir 'nen Turban machen, da kannst du dir 'nen Dutt machen, da kommst du raus und dich erkennt jeder; das ist schon irgendwie abgefahren. Bei einem Festival hatte ich dann den Bart abrasiert, da hab ich mich Mittags verschnitten, hab gedacht "ach leck mich!", zack weggemacht, komm raus, die ganze Band guckt mich an: "Uh, was ist denn jetzt los?" (lacht) Da sag ich: "Ja, heut ist Verjüngungskur", und nach der Show war wieder das Gleiche: Komm ich raus, keine Sau erkennt dich. Sechst Wochen später spielst du wieder ein Festival, hast den blöden Bart wieder im Gesicht, kannst machen was du willst: "Ah Andy, hallo!" (lacht)
Wie bist du damals auf die Idee mit dem Bart gekommen, wann hast du gesagt: "Ach das wär doch mal was"?
Andy B. Franck: Das war 'ne Spielerei vorm Spiegel - da hatte ich mich glaub ich 14 Tage überhaupt nicht rasiert, das war mal cool als der Bart noch dunkel war, jetzt wird er grau, und hab dann mal angefangen so rumzurasieren und dann war das Ding da noch übrig, und dann bin ich raus und hab gefragt: "Wie ist denn das?" - "Joa, joa ...", und "Joa" heißt bei mir in der Familie soviel wie "Ja, ist cool!", und dann hab ich mir gedacht: "Joa heißt leck mich am Arsch", und dann hab ich das mal so stehen lassen, mal gucken was passiert, und seitdem hab ich das. (lacht) Allerdings muss ich dazu sagen: Die ersten Shows waren schon krass, da sind dann tatsächlich Leute zu Torsten hin und haben gesagt: "Euer neuer Sänger klingt wie der Andy, wo habt ihr denn den her?" Da gab es völlig abstruse Geschichten, weil du dir 'nen Bart stehen gelassen hast. Und du stehst daneben! (lacht)
Eine Frage ist aus der Reihenfolge ein bisschen rausgerutsch: Ihr habt Peavy als Gast auf dem Album, du hast mit dem Victor Smolksi bei ALMANAC gearbeitet, ihr hättet TRI STATE CORNER als Vorgruppe dabei gehabt - offenbar pflegt ihr mannigfaltige Beziehungen zum RAGE-Camp, oder hat sich das jeweils unabhängig voneinander ergeben?
Andy B. Franck: Du hast einen vergessen, das ist der André Hilgers. Wir kennen uns jetzt seit vielen vielen Jahren, und er hatte immer zu mir gesagt, er würde unheimlich gerne mal mit mir zusammen in 'ner Band spielen, und das beruht auf Gegenseitigkeit. Er war eigentlich als fester Schlagzeuger bei ALMANAC vorgesehen, noch bevor die Band einen Namen hatte, und hat den Kontakt hergestellt. Wir waren damals, als bei RAGE gerade so ein bisschen dicke Luft war, gerade auf Tour und haben in Polen gespielt, da kam ein Anruf von André, und er hat mir von seinem Projekt erzählt, und dass der Victor vermutlich auch dabei sein würde. Dann hab ich noch ein paarmal mit André telefoniert, dann irgendwann hatte ich nur noch Victor am Telefon, später bin ich dann zu Victor gefahren und hab gefragt: "Wann kommt denn André?" - "Ja der kommt nicht, der ist nicht dabei." - Das war dann so die Runde. Aber mit André hab ich immer wieder Kontakt - der hinterlässt mir immer sehr abgefahrene, sehr krasse WhatsApp-Messages, die ich immer erst zweimal hören muss, und dann nicht mehr aus dem Lachen raus komme. Abgefahrener Typ, ich mag den sehr, und es ist nach wie vor auch mein Wunsch, mit ihm mal irgend 'ne Nummer zu machen, das wär echt geil. Aber tatsächlich, jetzt wo du es so sagst: Wir sind schon so ein bisschen RAGE-versaut! (lacht) Und einen haben wir auch noch vergessen, mit dem ich eigentlich auch ganz dicke bin: den Manni. Als Manni bei GRAVE DIGGER gespielt hat waren wir zusammen auf Tour, und da haben wir eine echt coole Freundschaft gegründet, und haben auch danach immer wieder miteinander Kontakt gehabt. Es wird immer schlimmer, je länger wir drüber reden! (lacht)
Hast du die neue RAGE schon gehört?
Andy B. Franck: Klar! Viel besser als viele Sachen davor. Gutes Line-up, coole Jungs, gefällt mir sehr gut. Was ich aber auch dazu sagen muss: Ich war nie ein Fan von RAGE in der Besetzung zusammen mit Victor; da ist die Band wirklich komplett an mir vorbei gegangen, das war nicht das, was ich von ihnen hören wollte. Ich konnte auch mit den Songs wie 'Empty Hollow', die wir bei ALMANAC gecovert haben, nix anfangen - mit den RAGE davor und den RAGE danach konnte ich was anfangen. Das neue Album ist sehr geil, fast so gut wie "Wall Of Skulls" (lacht) - das muss ich jetzt sagen! (lacht)
Eure Alben kommen ja zeitgleich raus: Habt ihr Wetten abgeschlossen, wer es höher in die Charts schafft?
Andy B. Franck: Nee, das machen wir nicht - dafür sind wir zu gut miteinander.
Andy: Vielen Dank für das Gespräch, alles Gute für die Veröffentlichung eures neuen Albums und ich hoffe, dass ihr die Tour so verschoben bekommt, dass ihr alle angesetzten Konzerte nachholen könnt. Du hast ein letztes Wort an unsere Leser, wenn du möchtest?
Andy B. Franck: Vielen herzlichen Dank für die Unterstützung - hört euch "Wall Of Skulls" an, das wird eure Schädel spalten - das soll es auch, dafür ist dieses Album da. Blaubt sauber, bleibt gesund, bleibt heavy, und wir sehen uns hoffentlich auf der bald stattfinden Tour oder auf irgendwelchen Festivals, und dann lassen wir es noch mal richtig krachen. Aber dir auch vielen Dank für deinen Support und deine Zeit - sehr geil, eine Stunde und sechs Minuten, wir sind schon gar nicht so schlecht unterwegs, wir zwei. Länger als das neue BRAINSTORM-Album, wer hätt's gedacht? (lacht) Wir müssen mal gucken: Kann sein, dass wir zum Release doch die ein oder andere Show machen, das ist aber noch nicht verbrieft - Jörg Michael checkt das noch. Jörg Michael: Nächste Verbindung zu RAGE, der ist unser Booker. Jetzt wird's echt gruselig, und wenn wir jetzt noch das nächste BRAINSTORM-Album "Rage" nennen, dann wird es ganz kriminell! (lacht) "Outrage"! (lacht) Also: Passt auf euch auf!
Nach dem letztjährigen Unfalltod des Gitarristen haben die Australier nicht aufgegeben. Die EP dokumentiert die letzte Zusammenarbeit mit Connor Verner-Oakley und verarbeitet Schmerz und Wut - zumindest teilweise.