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Interview mit Christofer Johnsson von Therion

Ein Interview von des vom 05.02.2021 (30512 mal gelesen)
Über Dämonen, die ihm Songs ins Ohr singen und wie er es geschafft hat, sich mit drei Weltreligionen gleichzeitig anzulegen, erzählt uns Christofer Johnsson. Und natürlich ist die Corona-Pandemie ein Thema und wie man es während eines Lockdowns schafft, eine Platte mit einer Band aufzunehmen, die über die ganze Welt verstreut ist. Ein düsteres Bild malt der THERION-Bandchef über Tourpläne.

Wir telefonieren hier aus dem Homeoffice. Wie arbeitet ein Musiker im Homeoffice? Hast Du das neue Album zu Hause aufgenommen?

Christofer: Ja, ich habe ein Studio zu Hause und ein Büro. Aber für die Aufnahme zu "Leviathan" war es unmöglich, jemanden einzufliegen. Und auch ich konnte nirgendwo hin, weil der Flughafen hier geschlossen worden war. Das ganze "Leviathan"-Album wurde in Schweden, Malta und Israel, Argentinien, USA, England, Deutschland und Spanien aufgenommen. Der urspüngliche Plan war es, jeden hierher nach Malta zu fliegen, aber wir haben hier die Regel, dass es nicht erlaubt ist, mehr als drei Leute gleichzeitig zu treffen. Und wie soll man da einen Chor aufnehmen? Daher haben wir den Chor in Israel aufgenommen, weil es der einzige Ort war zu dieser Zeit, wo man 30 Personen treffen durfte. Man musste halt sehen, was möglich war.

Wenn man diese Schwierigkeiten berücksichtigt, muss man sagen, dass das Ergebnis richtig gut geworden ist.

Christofer: Andere Bands, deren Mitglieder aus demselben Land stammen, tun sich leichter, die treffen sich einfach im Studio. Aber die Zeit, als THERION eine schwedische Band war, liegt schon lange zurück. Wir haben zwei Leute, die in Spanien leben, einen in Argentinien, ich selbst lebe in Malta. Das ist auch der Grund, warum wir keine Streaming-Konzerte machen konnten, weil wir über die ganze Welt verteilt sind. Christian Vidal, unser Gitarrist, der in Argentinien lebt, könnte nicht einmal herfliegen, auch wenn er es wollte. Er könnte nur nach Spanien fliegen und dort zwei Wochen in Quarantäne gehen, absolut lächerlich. imgleft

Das neue Album klingt anders als man es von euch gewohnt ist, mit kurzen, knackigen Songs. Hattet ihr einen neuen Ansatz?

Christofer: Das Ziel war es, ein THERION-Hitalbum zu machen - ich meine, es ist unser 17. Album und wir haben davor 16 Alben gemacht, genau so, wie wir es uns vorgestellt hatten - mit dem Ergebnis, dass es auf und ab ging wie in einer Achterbahn. Manche Alben waren sehr erfolgreich, manche weniger. Aber nach "Beloved Antichrist", unserem Rock-Musical, habe ich mich leer gefühlt, es war mein "last big dream", es gab nichts mehr, was ich noch machen wollte - außer eben eine Platte aufzunehmen, die dafür gemacht ist, unseren Fans zu gefallen. Es ist einfach zu sagen "wir sind eine künstlerische Band und machen, was uns gefällt", aber eine Platte für die Fans zu machen wiederum ist nicht so einfach. Daher war es unsere letzte große Challenge, ob es uns gelingen würde, ein klassisches THERION-Hitalbum zu machen. Schlussendlich kamen wir auf über mehr als 40 Songs, daher haben wir Material für drei Alben und "Leviathan" ist damit das erste Album einer Trilogie. Und wegen des Corona-Bullshit haben wir uns dazu entschlossen, weiterhin aufzunehmen, weil es unmöglich ist, eine Tour zu planen und wir haben auch schon mehr als das halbe "Leviathan II"-Album aufgenommen mit der Aussicht, es im Frühling fertig zu bekommen und dann mit Teil drei zu beginnen. Wir können also jedes Jahr ein Album veröffentlichen und man muss sehen, was mit Touring sein wird. Wenn keine Tourneen möglich sind, nehmen wir eben weiter Platten auf.

"Letzte Challenge" bedeutet aber nicht "letztes Album"?

Christofer: Nein, aber um ganz ehrlich zu sein: Welche Band heutzutage besteht noch in der gleichen Form wie zu Beginn und bringt noch "etwas Neues"? Das ist keine Kritik, nein, es gibt wirklich viele sehr gute Bands, die gute Musik machen. Aber ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege, aber mir scheint, dass die Zeit für Innovationen vorbei ist. Es geht mehr darum, gute Songs zu schreiben und Leute zu unterhalten. Als Beispiel das letzte JUDAS PRIEST-Album: Ich habe es gekauft und es gefällt mir und ich bin ein großer Fan der Band, aber es gibt keine Revolutionen mehr. Wenn man zurück geht bis auf den Ursprung, als Jimi Hendrix die Musik revolutionierte - man hatte den frühen Hardrock, Punk, die unterschiedlichen Formen von Heavy Metal, die in den 80ern losgingen, in den 90ern der Gothic Metal und im neuen Jahrtausend Progressive Metal - und dann passierte nichts mehr Revolutionäres, wie früher, als METALLICA, MOONSPELL, PARADISE LOST komplett neue Sounds kreierten. Die letzte Innovation für mich war das DIABLO SWING ORCHESTRA und das ist auch schon 15 Jahre her. Auch vom persönlichen Standpunkt her hat man das Gefühl, dass einen die Zeit einholt. Als damals CELTIC FROST 1987 "Into The Pandemonium" veröffentlich hatten, war das absolut bahnbrechend, auch wenn das Album seiner Zeit voraus war und von vielen nicht verstanden wurde. Zehn Jahre später machte THERION Symphonic Metal und es waren nur wenige andere Bands, wie NIGHTWISH, die diesen Stil verfolgten und auch noch größer machten bis hin zum Platinstatus. Später kamen andere Bands wie EPICA, WITHIN TEMPTATION und plötzlich klang "Into The Pandemonium" gar nicht mehr so beeindruckend. Es ist noch immer eines meine Lieblingsalben, aber für einen jungen Musikfan, der Symphonic Metal mit THERION oder NIGHTWISH entdeckt hat, ist es nichts mehr Besonderes. So wie es einem jungen Metalhead nicht mehr bewusst ist, welchen Einfluss Jimi Hendrix oder BLACK SABBATH auf viele Metal-Bands hatten. Aber es ist ok; in einem Moment bist du ein Innovator und 15 Jahre später sind das nur mehr Rock-Klassiker. Das ist auch ein Aspekt, der auf THERION zutrifft: In den 90ern waren wir Innovatoren - wobei ich mich jetzt keinesfalls mit Hendrix auf eine Stufe stelle - aber irgendwann kommt man an den Punkt, wo man Symphonic Metal Classics spielt. Daher habe ich mir gedacht, dass es ein guter Zeitpunkt ist, vom musikalischen Entdecker zum Unterhalter zu werden. Ich war die ganze Zeit hungrig und habe gegessen und gegessen und bin satt - warum also nicht das Dessert genießen?

Ist es leicht, ein Hitalbum zu schreiben?

Christofer: Nun, es ist anders, würde ich sagen. Als wir die früheren Alben schrieben, lief das alles spontan. Mein Songwriting war immer ein kleiner Dämon, der auf meiner Schulter saß und mir einen kleinen Song ins Ohr gesungen hat. Ich habe mein Songwriting nie geplant, aber als wir dann "Beloved Antichrist" schrieben, war es anders, weil wir die Musik für ein Rock-Musical schreiben mussten, das für eine Aufführung bestimmt ist und wo die Musik zu den Szenen passen musste. Für eine Kriegsszene bombastische Musik, für eine Monologszene musste es dafür etwas Introvertiertes sein. Ich musste mich dazu zwingen, zu lernen, Musik für einen bestimmten Stil zu schreiben. Daher war es jetzt leicht für mich, Musik in einem bestimmten Stil zu schreiben. Es hängt nur davon ab, die nötige Inspiration zu haben, von der man nie weiß, wann sie kommt.

Marco Hietala, der ehemalige NIGHTWISH-Bassist, hat auch einen Song gesungen. Wie hat sich das ergeben?

Christofer: Wir haben die Demos aufgenommen, in denen Thomas [Vikström] den kompletten Gesang übernommen hatte. Thomas hat eine großartige Opernstimme und als Rocksänger eine eher melodische. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich etwas Raueres haben wollte. Mein erster Gedanke für 'Tuonela' war ein Gesang wie David Wayne von METAL CHURCH. Das große Problem dabei ist, dass David Wayne tot ist. Daher musste ich mir überlegen, wer noch am Leben ist und auf diese Art singt und mir fiel sofort Marco ein, ich bin ein großer Fan von seinem Gesang bei TAROT. Ich halte ihn für einen der besten skandinavischen Metal-Sänger. Dasselbe gilt auch für 'Psalm Of Retribution', für das wir Mats Levén gewinnen konnten. Auch bei diesem Song wollte ich etwas Raueres, etwas Rock 'n' Roll-isch und da war Mats ganz naheliegend, auch weil wir in der Vergangenheit schon miteinander gearbeitet haben.

Mit 'Die Wellen Der Zeit' findet sich auch ein deutscher Titel, wie das?

Christofer: Der Song wurde von unserem Bassisten Nalle geschrieben; er hatte mir ein sehr simples Demo geschickt mit Beats einer Drum-Maschine und Gitarre und es hat gepumpt wie [singt] huh-di-du-di-duuh, was sehr folky geklugen hatte. Ich dachte mir, dass es entweder Schwedisch oder Deutsch sein musste, wir hatten ja mit "Secret Of The Runes" schon ein komplettes schwedisches Album gemacht, also sollte es diesmal Deutsch sein. Der erste Gedanke war, den Song in Altdeutsch zu singen, aber das Problem war, dass wir niemanden kennen, der das spricht - und nachdem wir wegen Corona ohnehin niemanden einfliegen konnten, nahmen wir Deutsch als zweitbeste Lösung. Es war trotzdem schwierig, weil wir den Chor in Israel aufnahmen. Ich denke, eine der Chorsängerinnen sprach ein wenig Deutsch, sie brauchte nur etwas Unterstützung mit der Aussprache. Es war ein wenig ein Risiko, aber es ist auch ein Ausdruck der Metal-Brotherhood, wenn man einen israelischen Chor auf Deutsch über deutsche Mythologie singen hört. Als wir 2007 das erste Mal in Israel spielten, hatten wir Kerzen auf der Bühne. Um nicht Übergepäck bezahlen zu müssen, dachten wir, dass wir die Kerzen nicht im Fluggepäck mitnehmen, sondern vor Ort kaufen. Was wir nicht bedacht hatten, war, dass genau Sabbat-Zeit war und wir nur Sabbat-Kerzen bekommen konnten. Also hatten wir Sabbat-Kerzen auf der Bühne und entweihten damit das Judentum, spielten 'Deggial', in dem es um den muslimischen Antichristen und die Entweihung des Islam geht und andere Songs, die Christen nicht gefallen. Im Endeffekt haben wir uns mit einem Auftritt mit drei Weltreligionen angelegt und wir spielten am selben Abend 'Schwarzalbenheim', in dem israelische Fans auf Deutsch mitgesungen haben. Der Abend hat mir das Gefühl gebracht, dass eine kleine Hoffnung für ein friedvolles Zusammenleben besteht - und diese beginnt mit Metal. Das klingt vielleicht pathetisch, aber das Gefühl hatte ich. Ich weiß, ich klinge wie Joey DeMaio von MANOWAR [lacht].

Wie geht es dir mit deinem Nebenprojekt, dem LUCIFERIAN LIGHT ORCHESTRA?

Christofer: Ja, da habe ich sieben Songs, ich hatte nur noch keine Zeit, sie aufzunehmen. Aber ich brauche noch ein paar Songs mehr. Ich denke, nach Abschluss der "Leviathan"-Trilogie werde ich Zeit dafür haben. Ich denke, ich werde es hier auf Malta aufnehmen. Definitiv wird es ein Album geben, aber ich weiß nicht, ob ich das Projekt danach noch weiterführe. Es stockt im Moment und ich muss mich dazu zwingen, Songs dafür zu schreiben. Ich habe genug mit THERION zu tun und brauche im Moment keine zusätzlichen Arbeiten. Ich habe das Problem, dass ich zu viele Ideen habe und zu wenig Zeit. Ich denke ich sollte weiser werden, je älter ich werde und mich nicht mehr mit Arbeit zudecken.

Du wirst ja 50 nächstes Jahr, oder?

Christofer: Ja [seufzt], danke. Ich erinnere mich an eine Konzert 2018, als ich auf der Bühne stand und mir dachte "was zur Hölle machen all diese alten Typen hier?", bis mir einfiel "warte, die sind ja in meinem Alter". Fuck, ich werde alt [lacht]. Wenn man Metal-Gitarre spielt, denkt man nicht darüber nach, weil man nicht einem regulären täglichen Job nachgeht. Ich trinke nicht viel, aber wenn ich will, kann ich mich an einem Montag betrinken. Und man hat das Gefühl nicht zu altern, aber selbstverständlich wird man älter.

Auja, ich bin auch 47 ...

Christofer: Ein bereits verstorbener Freund von mir hat gesagt "Freaks werden älter". Man wird älter, aber man kann sich den Spirit bewahren. Aber es ist auch ein großer Unterschied zwischen den Generationen; meine Eltern wären never-ever auf ein Konzert gegangen. Heiraten-Kinder-kriegen-arbeiten und ein langweiliges Erwachsenenleben leben. Aber die Generation danach ist viel aufgeschlossener, geht zu Konzerten und bringt die Kinder mit zu MAIDEN, why not? Ich glaube, die in den 70ern und danach Geborenen haben verstanden, dass man nicht langweilig werden muss, wenn man 50 wird. Du kannst ein Bier trinken und mit Freunden Musik hören, aber Du kannst auch zu einem Konzert gehen. Mein Vater hat mich nur ein einziges Mal auf ein Konzert mitgenommen, das war in einem Sommer, den wir in einem Sommerhaus verbracht haben, es war eine Art Familienkonzert und vielleicht das einzige Konzert, auf dem er je war.

Stimmt es, dass du darauf achtest, dass jedes Album 11 Songs hat?

Christofer: Ja, genau, entweder sind es 11 Songs oder zehn und der letzte Song ist gesplittet. Das ist eine Inspiration von der Qlifotischen Kabbalah, aus der jüdischen Mystik. Du kannst es Aberglauben nennen, aber es ist Teil der THERION-Formel. Wir haben das ab dem dritten Album gemacht. "Gothic Kabbalah" war eine Ausnahme, weil es sich um ein Konzeptalbum handelt. Das Album hat 16 Tracks, aber ... 16 ist die Zahl des Teufels im Tarot, also ist das ein guter esoterischer Twist. Aber man kann mit Zahlenspielen immer etwas finden.

Plant ihr eine Tour oder ist das im Moment zu schwierig?

Christofer: Das weiß im Moment niemand - alles was wir wissen, ist, dass bis zum Sommer niemand touren wird. Sommerfestivals? Ich denke, das russische wird stattfinden, weil sie das erste Vakzin hatten und Massenimpfungen in Moskau durchgeführt haben. Bei den europäischen steht es 50:50; wir denken daran, nach dem Sommer zu touren. Auch das ganze Ecosystem ist kollabiert: Tourbusse, Booking-Agenten, Road Crews, die kein Einkommen haben, aber Kredite zu zahlen haben und sich daher umorientieren, um nicht bankrott zu gehen. Es wird zukünftig schwierig werden, einen Tourbus zu bekommen und manch Rockclub wird etwas anderes sein. Vielleicht ist dein Lieblingsclub das nächste Mal ein Fitnessstudio? Dasselbe gilt für Merchandising Companies; ich kann im Moment nirgendwo Merch drucken lassen, weil viele der Firmen nicht mehr existieren. 80 Prozent der T-Shirts werden auf Touren verkauft - keine Touren, keine Shirts. Es wird ein Alptraum werden, wenn die Tourneen wieder beginnen. Wir haben 5 Milliarden Bands, die dann alle gleichzeitig auf Tour gehen wollen und keine Tourbusse bekommen werden. Wir haben zwei Strategien: Die erste ist es, sich mit anderen Bands zusammenzutun; Bands, die normalerweise headlinen, werden gemeinsame Minifestivals veranstalten. Man kann sich damit die Crews teilen und größere Venues buchen. Und wenn das nicht funktioniert, denke ich ernsthaft darüber nach, die Situation auszusitzen und zu warten, bis sich wieder Normalität eingestellt hat. Es fühlt sich an wie eine hungernde Menge, die über einen Sack Kartoffeln herfällt und es ist unter meiner Würde, da mitzumachen. Wir versuchen also ein interessantes Line-up zusammenzustellen. Wir werden uns nicht dafür hergeben, in Shitclubs zu spielen und mit Promotern zu arbeiten, die niemand kennt und uns in einen absoluten "Piece-of-shit-Tourbus" stecken und die Bands abzocken. Zukünftig werden die Produktionskosten massiv steigen und es wird viel weniger übrig bleiben. Ich befürchte, dass viele zuverlässige Promoter von der Bildfläche verschwinden werden und neue auftauchen werden, die vielleicht das Geld haben, aber keine Erfahrung und weniger Aufmerksamkeit. Promoter, die eine Gitarre nicht von einem Bass unterscheiden können und die Du bei technischen Problemen nicht fragen kannst. Ich bin da wirklich pessimistisch, aber warten wir mal, was passiert. Zum Glück macht es mir persönlich mehr Freude aufzunehmen, als live zu spielen. Ich spiele gerne live, aber das macht für mich nur 25 Prozent an Vergnügen, das Erschaffen neuer Musik machen die restlichen 75 Prozent aus. Es ist auch kein wirkliches finanzielles Problem für mich, wenn wir nicht touren können. Ich komme damit klar.

Dann bedanke ich mich für das Interview und wünsche dir alles Gute und dass es besser kommt als befürchtet.

Christofer: Danke, und ich denke, wir sprechen uns in einem Jahr wieder, wenn wir "Leviathan II" veröffentlichen!

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