"Legacy Of The Dark Lands" - Wenn eine 23 Jahre alte Idee Wirkichkeit wird.

Ein Artikel von Eddieson vom 06.11.2019 (12149 mal gelesen)
Es war ein Mystikum, eine Legende, ein geheimes Album, das von BLIND GUARDIAN gehütet wurde, wie der heilige Gral. Gleichzeitig war es auch das "Chinese Democracy"-Album für die Band. 23 Jahre sind seit der ersten Idee bis zur letztendlichen Veröffentlichung vergangen. 23 Jahre voller Leidenschaft und Zuversicht. "Wir haben es tatsächlich geschafft" begrüßt mich Komponist Andre Olbrich. Die Idee zu einem Orchester-Album entstandt mit dem Songwriting zum "Nightfall"-Album. "Als wir damals am "Nightfall"-Album geschrieben haben, was ja ursprünglich eine Tolkien-Thematik haben sollte, kam dann eben auch die Idee, sowas auszuprobieren und zu gucken, wie weit man musikalisch gehen kann, um die mit dem Fantasy-Genre zu verknüpfen. Ich habe immer soundtrackmäßig gedacht." erzählt der Blind-Guardian-Gitarrist. Und so hat er seine Soundtrack-Gedanken in die Tat umgesetzt. "Legacy Of The Darklands" klingt wie ein Soundtrack, wie ein epischer Film, der von Schlachten erzählt, von Kämpfern, Drachen, Zwergen und Elfen.

"Meine Einflüsse kommen eher aus dem Fantasy-Bereich. Ich bin ein Hardcore-Roleplay-Gamer. Ich spiele seit vielen vielen Jahren World Of Warcraft, Final Fantasy und so weiter. Ich würde dazu eben auch gerne Fantasysoundtrack-mäßige Musik hören und dementsprechend lag es nahe, sowas dann auch zu kreieren." Was wäre ein Rollenspiel-Abenteuer ohne die passende Hintergrund-Musik? Doch nur halb so atmosphärisch. So kann man sich mit "Legacy Of The Dark Lands" in ganz andere Welten versetzen lassen, noch tiefer in das Rollenspiel-Abenteuer eintauchen, die Gefühle aufnehmen, die die verschiedenen Charaktere durchleben. Olbrich hatte hier die Möglichkeit seiner Kreativität vollen Lauf zu lassen, sich nicht einzuschränken und so entstandt ein wahrhaft bombastisches Album. Dramatisch, romantisch, theatralisch, kämpferisch und ruhig zeigen sich die Stücke auf dem Album, die immer wieder unterbrochen werden von kurzen Sprach-Sequenzen, die von verschiedenen Charakteren gesprochen werden und so das Kopfkino, die Bilder im Kopf noch deutlicher und klarer werden lassen. Für deren Soundeffekte zeigen sich übrigens auch Hansi und André selbst verantwortlich.



Sänger Hansi wird auf "Legacy Of The Dark Lands" eine große Rolle zuteil. Denn auch er trägt einen wesentlich Teil zur Atmosphäre, Stimmigkeit und Bombast zum Album bei. Er zeigt sich bei seiner Arbeit hier unglaublich facettenreich und vielseitig. Nicht nur dass er unglaublich klar und deutlich singt, er singt auch verschiedene Charaktere. Er muss schreien, mal leise, dann wieder laut singen. Mal hoch, mal tief, dann wieder rau und bitter, im nächsten Moment dann wieder zart und klar. Nicht umsonst lobt sein Partner Olbrich die Leistung auf diesem Album: "Jetzt steht er da erstmal alleine vorne vor und das ist natürlich eine ganz andere Herausforderung für einen Sänger. Und er hat seinen Weg gefunden, er hat diese musicalartigen Gesänge gemacht/komponiert, die auch verschiedene Charaktere spielen. Ich find das super interessant, denn das hat es in der Form so noch nicht gegeben. Diese Performance zeigt jetzt eben auch sein ganzes Können und es ist meine persönliche Lieblingsperformance von Hansi. Dass ist seine beste Leistung bisher."



Aufgenommen mit dem 90-köpfigen Prager Filmharmonic Orchestra im Prager Rudolfinum zeigt sich das Album extrem druckvoll und dennoch glasklar im Sound. Doch "Legacy Of The Dark Lands" zeigt auch, dass Metal und orchestrale Musik gar nicht soweit voneinender entfernt sind, wie einige vielleicht bisher dachten. Erklären kann euch das der Olbrich selbst: "[...] Und später gab es dann tatsächlich Kompositionen, die wir für das Orchester-Album geschrieben haben, die dann aber gefühlsmäßig nicht reinpassten, zum Beispiel 'Wheel Of Time'. Der Song basiert auf einer orchestralen Komposition, klang aber sehr orientalisch. Wir wollten das aber nicht so mischen, wir hatten alles so in unserem Fantasy-Konzept, dann geht der halt rüber. Dann haben wir den Song als Metal-Song konvertiert und haben den für das Metal-Album genommen. Wir sind da frei. Wir wissen, dass wir das jetzt können, können die Songs also auch konvertieren, wenn wir wollen. Ein zweites Mal ist das passiert bei 'At The Edge Of Time', welcher auf unserem letzten Album gelandet ist. Da waren wir auch der Meinung, der passt nicht rein. Und als wir jetzt das Orchester-Material gesichtet haben und den Song noch mal im Original gehört haben, haben wir gemerkt, dass wir uns da vertan haben und der in der Original-Version so geil ist, dass er doch wieder auf dem Orchester-Album gelandet ist." Und das Metal und Orchester gut zueinander passen, wissen wir ja nicht erst seit METALLICAS "S&M".

Ja, es war ein Mammut-Projekt und dementsprechend hoch sind die Erwartungen. Zugegeben, es ist anfangs etwas ungewöhnlich, denn ich für meinen Teil habe immer auf die Gitarren gewartet oder auf das einsetzende Schlagzeug, doch diese bleiben aus. Und vielleicht braucht es auch ein paar Anläufe, bis das Album seinen vollen Charakter entfalten kann. Doch hat es einmal "klick" gemacht hat, dann bekommt man ein bombastisches Stück Musik, das nach mehr schreit als eine schnöde Veröffentlichung. Und auch dazu konnte André mir einiges sagen: "Ja, wir versuchen gerade eine einmalige Live-Aufführung hinzukriegen, was schon genug Planungsarbeit ist und wohl auch nicht vor 2021 zu realisieren ist. Wir wollen es halt gut machen. Wir wollen es nicht verheizen, es soll schon etwas Tolles werden, auch musikalisch hochwertig, da muss man natürlich sehen, was für eine Halle man nimmt, wo es gut klingt und wo man ein tolles Bühnenbild hinkriegt. Wir brauchen für eine Liveaufführung noch mehrere Sänger, weil das alleine nicht zu schaffen ist. Man kann dann die Charaktere ein bisschen verteilen und auf lange Sicht würde es uns reizen, eine Art Musical zu machen. [...] Eine Idee ist noch, dies mit einem BLIND-GAURDIAN-Festival zu verbinden. Dass man tatsächlich ein richtig großes Event macht, wo wir einen Abend das Album in voller Länge und Pracht aufführen und am anderen Abend unsere epischen Nummern mal live präsentieren mit Unterstützung eines Orchesters. Sowas ist angedacht. Ob wir das hinkriegen, weiß ich nicht, aber es ist eine Idee."

So zieht das für die Band bisher größte Projekt noch weitere große Projekte mit sich und der geneigte Hörer kann also gespannt sein, was "Legacy Of The Dark Lands" noch alles mit sich bringen wird. Auch ein zweiter Teil ist möglich, denn Olbrich & Kürsch scheinen noch einiges in petto zu haben: "Ich wollte direkt weitermachen, weil es auch so viel Spaß macht. Ich konnte Hansi auch mittlerweile davon überzeugen. [lacht] Wenn man so eine Liebe dafür entwickelt hat und Spaß daran hat - und ich habe tierisch Spaß daran, die Sachen zu komponieren - dann will man das nicht ganz abschließen. Es wäre traurig für mich gewesen, wenn mir jemand gesagt hätte, dass das jetzt wirklich alles ein Ende hätte. Aber zum Glück kann mir das keiner sagen, wir machen lustig weiter."

Fazit: Fantasy-Freunde, Rollenspiel-Liebhaber und Soundtrackhörer werden ihre Freude an "Legacy Of The Dark Lands" haben. Auch Freunde des Bombastischen, der dramatischen Musik dürfen sich das Album nicht entgehen lassen. Kürsch & Olbrich haben hier etwas ganz großes geschaffen, jeder Ton, egal ob gespielt oder gesungen sitzt, ist durchdacht, denn nicht umsonst hat alleine das Einsingen der Songs ein Jahr gedauert. Es gibt sogar von jedem Song bis zu drei verschiedene Gesangsversionen. Natürlich ist ein reines Orchester-Album einer Metal-Band erst mal gewöhnungsbedürftig und natürlich darf man das als Metal-Fan auch skeptish betrachten, doch wer die letzten BLING-GUARDIAN-Alben kennt, weiß, dass die Krefelder ein Händchen für orchestrale Arrangements haben und hier nichts dem Zufall überlassen wird. Und obwohl keine einzige Gitarre auf dem Album zu hören klingt es doch wesentlich mehr nach Metal, als so manch anderes, was unter "Metal" veröffentlicht wird. Die Komponisten des Albums haben nicht zu viel versprochen und werden den Erwartungen, die sich über die letzten 23 Jahre aufgebaut haben gerecht. Und so überlasse ich dem Protagonisten André Olbrich das abschließende Wort: "Vielen Dank!"

Hier findet ihr das komplette Interview mit André.

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