Heavy Metal mal anders - Eine Spoken Word Veranstaltung mit Scott Ian

Ein Artikel von Eddieson vom 28.01.2015 (9701 mal gelesen)
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Wenn man 30 Jahre im Musik-Geschäft ist, erlebt man eine Menge skurriler Geschichten, man lernt eine Menge interessante und uninteressante Menschen kennen, man sieht viel von der Welt, muss viel über sich lesen und ergehen lassen, hat aber auch eine Menge Spaß. Im Heavy-Metal-Zirkus gibt es zahlreiche schillernde Personen und solche, die sich dafür halten, die dir einen ganzen Sack voll Geschichten erzählen können, es aber entweder gar nicht tun, die Fans auf irgendwelchen Musikkanälen an ihrem Leben direkt teilhaben lassen oder irgendwann ihre Memoiren schreiben bzw. schreiben lassen. Dann gibt es aber einige Ausnahmen, die auf die Bühne gehen und dir die Geschichten persönlich erzählen. Aus dem Musik-Bereich fallen mir da leider viel zu wenige ein. Ganze drei, um genau zu sein. Zum einem ist da Jello Biafra von den DEAD KENNEDYS, den ich vor Jahren mal gesehen habe, was aber mehr einer politischen Veranstaltung glich, dann gibt es Henry Rollins, der mit alten BLACK-FLAG-Geschichten auffährt und hier und da den moralischen Zeigefinger hebt und seit einiger Zeit gibt es eben Scott Ian, der mit seinen Geschichten einfach nur unterhalten will.

Klar, man könnte auch einfach sein Buch "I'm The Man. The Story Of That Guy From Anthrax" lesen, um schon einiges über ihn zu erfahren. Viel schöner ist es doch aber, sich ein paar schöne Anekdoten aus seinem Leben von ihm selber erzählen zu lassen. Seid einiger Zeit reist er also solo durch die Lande und unterhält das Publikum mit viel Witz und Charme. So auch an diesem Sonntagabend in der Zeche Bochum. "Es war gar nicht meine Idee, sondern die eines Promoters in London.", erzählt er uns im Interview auf die Frage, wie er dazu gekommen ist. "Ich erzähle auch nicht jeden Abend die selben Geschichten, ab und zu tausche ich sie aus, sonst wird es ja auch für mich irgendwann zu langweilig.". Er wirkt etwas zurückgezogen, hat uns aber auch schon gesagt, dass er gesundheitlich etwas angeschlagen ist. "Ich rede auch einfach zu viel", sagt er. Die Vorteile einer solchen Performance liegen natürlich auf der Hand. Man reist z. B. mit kleinem Gepäck. Lediglich ein Laptop, eine Gitarre und eine Leinwand hat er dabei. Auf die Frage, wie es sich anfühlt plötzlich so auf der Bühne zu stehen, sagt er "Es fühlt sich wesentlich leichter an. Ich muss keine 10-Kg-Gitarre mit mir rumtragen. Es fühlt sich super an, ansonsten würde ich es nicht tun. Ich genieße das sehr." Gibt es denn für ihn irgendwelche Tabus, über die er nicht reden würde? "Nein.", sagt er. "Ich war etwas unsicher, weil ein großer Teil meiner Show um die Geschichte mit Lemmy geht, in der ich auch viel Nazi-Zeugs erzähle, aber die Leute lachten sich schlapp.". Das kann ich bestätigen, auch heute in Bochum gibt es keine verstohlenen Blicke, niemand fühlt sich angegriffen, wenn der Mann mit jüdischem Glauben auf der Bühne von Dr. Stein erzählt, von dem er sich fragt, was dieser wohl damals während der Nazizeit gemacht hat. "Beim Meet & Greet in Hamburg habe ich die Leute gefragt, was sie davon halten, wenn ich von Nazis erzähle. Sie lachten nur und sagten, sie wären die 3. Generation danach. Klar, es ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte, aber hier geht es um den Humor."
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Und den hat er. Das wird gleich deutlich, als er den Abend eröffnet und erst mal erzählt, wie schwer das Leben doch als Musiker ist, vor allem, wenn man ständig angesprochen wird und für einen Typen aus einer ganz anderen Band gehalten wird. Warum Leute ihm auch ständig an den Bart fassen wollen kann er nicht verstehen und gibt den Tipp, das nicht unbedingt bei Tom Araya von SLAYER zu versuchen, der steht da nämlich gar nicht drauf, aber Kerry, den könnte man am Bart anfassen und er würde sich gleich, wie ein kleines Kätzchen auf den Rücken legen und möchte gekrault werden. Kleiner Spaß, man sollte es besser nicht versuchen. Und so packt er eine kleine Geschichte nach der nächsten aus.

Sein erstes Treffen mit Lemmy Mitte der Achtziger wird ihm wohl ewig in Erinnerung bleiben und auch den Zuhörern, denen er seine Geschichten mit auf Leinwand projizierten Bildern untermalt, bekommen einiges visuell vorgesetzt, dass sie so schnell wohl nicht vergessen werden. Man denke da an das Bild, was er zeigt, als Dr. Stein ihm ein Mittel gegen seinen monströsen Kater geben will, den er bekommen hat, weil er mit Lemmy mehrmals angestoßen hat. Nebenbei rutscht er immer wieder in kleine andere kurze Geschichten ab, die nicht minder witzig sind. Wie er z. B. damals mit seinem Opa vor dem TV sitzt und der Opa ihm deutlich machen will, dass die Nazis in dem Kriegsfilm die bösen sind, der kleine Scott das aber überhaupt nicht versteht, weil die doch so schicke Uniformen tragen.
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Dimebag der ehemalige Gitarrist von PANTERA war ein guter Freund von Scott und anscheinend auch ein guter Lehrer, denn zu einer Zeit, als es bei ANTHRAX nicht so gut lief, hat Scott beschlossen mit dem Trinken anzufangen und sich Dimebag als Lehrer während einer ANTHRAX/PANTERA-Tour ausgesucht. Er wollte vom besten lernen und hat es zwischendurch auch wohl etwas bereut, dennoch durchgehalten und verträgt nun mehr als nur 2 Bier. Außerdem verbindet die beiden noch eine Geschichte mit Sebastian Bach und eine mit einer ziemlich teuren Gitarre. Beide hat er auch schon auf seiner DVD "Swearing Words" erzählt. Es ist wirklich lohnenswert, sich die mal erzählen zu lassen. Dazu muss ich sagen, sollte man etwas Sitzfleisch mitbringen. Knappe 3 Stunden hat er heute in Bochum erzählt, die Zeit vergeht zwar relativ schnell, das lange Sitzen jedoch bin ich nicht mehr gewohnt und bereitete mir doch einige Schwierigkeiten.

Zu Weihnachten, während seine Familie den Baum geschmückt hat, lief SLAYER und ihm fielen einige Wörter in z. B. 'Angel Of Death' auf, die er noch nie in seinem Leben gehört hat. Also schaute er sie nach, verwandelt sich heute auf der Bühne zu Prof. Ian und macht anhand einiger Wörter aus SLAYER-Texten nun Lexikologie mit uns.
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Zu guter Letzt hat das Publikum dann noch die Möglichkeit einige Fragen zu stellen. Dazu gebe ich einen Tipp, fragt ihn mal, wenn er lieber mag: MAIDEN oder PRIEST. Egal was, die Leute können fragen, was sie wollen. Scott wird sie auf seine Art und Weise beantworten. Es sei denn, man lebt in Finnland, da fragen die Leute wohl nicht so viel, weil die Finnen immer mit dem Strom schwimmen und nichts fragen wollen, so berichtet er. Eine Frau in Finnland hätte ihm das so erklärt.

Und nach knappen 3 Stunden ist auch schon wieder alles vorbei. Wenn ich mir die Zuschauer, in Zahl vielleicht 40 bis 50 Leute, so ansehe, dann erkenne ich nicht ein enttäuschtes Gesicht. Es wurde viel gelacht, gefragt und aufgenommen von dem, was uns als Zuhörer heute hier berichtet wurde. Wer Heavy Metal mal anders erleben möchte, dem sei ein Spoken-Word-Performance von Scott Ian dringend empfohlen, denn es ist schon was anderes, wenn der ANTHRAX-Gitarrist direkt vor dir steht und dir erzählt, wie er sich z. B. vorstellt, wie Dimebag auf der Jagd nach seiner Ziege mitten in der Nacht in den Pool springt oder warum er mit Lemmy eine Diskussion über zu kurze Shorts anfängt. Das hat schon was und ist nicht nur was für eingefleischte ANTHRAX-Fans. Versprochen!

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