Dornenreich - Freiheit

Review von Zephir vom 09.06.2014 (5971 mal gelesen)
Dornenreich - Freiheit Wer das Schaffen und Wirken von DORNENREICH über die Jahre mitverfolgt hat, der ist geschult darin, ein Werk in seiner Gänze zu umfassen und auch leise Zwischentöne wahrzunehmen. "Freiheit", das achte und vorläufig letzte Studioalbum der Österreicher, scheint in mancher Hinsicht die Essenz der vergangenen achtzehn Jahre der Bandgeschichte darzustellen.

Die Arbeit an dem Album, so gaben Jochen "Evíga" Stock und Thomas "Inve" Riesner bekannt, hat so viel Zeit in Anspruch genommen wie keines der Vorgängerwerke. Entstanden ist eine Art Konzeptalbum, das verschiedene bisher von DORNENREICH bekannte Elemente wieder aufgreift - das Akustische in seiner nachdenklichen Introspektive, die sanfte, zuweilen flüsternde Stimme. Nur zwei Tracks auf dem als "nicht mehr Metal" erwarteten Album beinhalten noch dunkelmetallische Elemente; musikalischer Grundtenor ist, wie so häufig bei DORNENREICH, Spannung und Kontrast. Produziert wurde "Freiheit" in der lang bewährten Zusammenarbeit mit Markus Stock, aufgenommen in dessen Klangschmiede Studio E.

Was "Flammentriebe" 2011 begonnen hatte zu erzählen, da schließt "Freiheit" 2014 an: Die acht Tracks des neuen Albums sind wie immer metaphorisch, symbolbeladen, sprechen von Menschwerdung, von nicht immer leicht zu deutender Positionierung eines kleinen Menschenwesens in der Welt, von Entwicklung und Schwellen und Übergängen. Wie es zu erwarten war, ist "Freiheit" weder in seiner textlichen noch in seiner kompositorischen Struktur einfach zu erfassen.

Die ersten drei Tracks wurden live eingespielt und entbehren der rhythmischen Orientierung aufgrund des fehlenden Schlagwerks, das erst später zum Einsatz kommt. Der Drummer Moritz "Gilván" Neuner kommt auf dem achten Album nur sparsam zum Einsatz; lange war unklar, in wie viele Stücke das Schlagzeug überhaupt mit einbezogen werden sollte. Dafür habe man an den Stellen, an denen Moritz nun dabei ist (und das sind schließlich auch nicht wenige) viel experimentiert und probiert, bis das Ergebnis sich mit den Vorstellungen der Musiker deckte.

'Im Ersten Aller Spiele' eröffnet das Album mit Akustikgitarre und Geige, was so manchen Hörer an "In Luft geritzt" erinnern wird. Anders aber als das Album von 2008 trägt der Opener von "Freiheit" mehr luftige Leichtigkeit in sich, erinnert ein bisschen an Singer-Songwriter-Musik. Dem schließt sich Nummer zwei an, der stark interpretationsbedürftige Titel 'Von Kraft Und Wunsch Und Jungen Federn' ("Tausend Masken, tausend Kleider,/tausend Worte wirren mich"). Hier dominiert die Violine, es geht in Richtung ungarischer Stil - leidenschaftlich mit Flüstern, Raunen und heftiger Intonation, mit zeitweise widrig dissonanten Harmonien. Zwischendurch sind verträumte Parts eingewoben, die das Ganze rhapsodisch wirken lassen.
'Des Meeres Atmen' ist meditativer, balladesk, mit viel Gänsehaut-Potenzial. Am Ende setzt überraschenderweise der Sound von Meeresrauschen ein. Man möchte mitatmen und atmend in diese Musik versinken (Motive aus diesem Track wurden bereits als Bonusmaterial für "Flammentriebe" konzipiert, dann allerdings in diesem Rahmen als unpassend empfunden).

Nummer vier, 'Das Licht Vertraut Der Nacht', beginnt ebenfalls kontemplativ und ist ursprünglich in akustischer Form entstanden. Dabei ist es aber nicht geblieben: An dieser Stelle findet der erste eindeutige Wandel in der Entwicklung des Konzeptalbums statt, nach einigen Takten kehrt sich zum ersten Mal die schwere, metallische Seite DORNENREICHs heraus. Den verstärkten Gitarrenriffs ist nicht nur die Geige, sondern teils auch die Akustikgitarre übergelagert; die arrangierte Mehrschichtigkeit spiegelt die diffusen lyrischen Vorgänge, die "freienden Kräfte,/lösenden Kräfte,/bindenden Kräfte,/einenden Kräfte" ... Ein solcher Ausbruch muss naturgemäß konsequent fortgeführt werden; 'Aus Mut Gewirkt' folgt daher gleich als zweiter Metal-Song und geht von allen auf dem Album befindlichen Titeln noch am ehesten ins Ohr - soweit man das von einem DORNENREICH-Song überhaupt sagen kann. Nachdem die ersten vier Titel starke Gewichtung auf die Stimme gesetzt haben, verkürzt sich hier der Text elliptisch in Form und Gehalt, wie wir es von älteren Werken kennen. Die Vocals treten dabei zunehmend in den Hintergrund.

Von Luft und Wasser bewegen wir uns weiter zum Feuer: Der Titel 'Im Fluss Die Flammen' vereint die beiden letzteren sich ausschließenden Elemente. Ein überraschend akkurater Beat und ein Anflug von Folk stützt den affirmativen Zirkel, der aus der absoluten Introspektive in die Welt hinauszugehen scheint und wieder ins Innere zurückkehrt: Am Anfang steht "dein Mut", am Ende steht "dein Mut". Wenn dieses Album von der Entwicklung eines Selbst, eines Ich berichtet, dann scheint dieser Track eine Art Offenbarungserlebnis zu sein.

Der lyrische Gehalt von 'Traumestraum" lässt in seiner metaphysischen Versponnenheit ein wenig an das Album "Durch Den Traum" erinnern, woran nicht nur der Titel Schuld hat, sondern auch ätherisch-transzendente Verse wie: "... dieser Welt versterbend ... bin ich zwischen hier und dort". Und "dort", das ist dann wohl der Ort, wo die 'Blume Der Stille' blüht: deren Musik existierte bereits seit 1997. In dieses akustische Instrumentalstück kann man abermals versinken, im Background klingt etwas wie Atem. Die Musik mündet in eine Tiefe, deren Ursprung und Ziel sich gar nicht recht erklären lassen. Im Element Erde schließt sich der Kreis.

Zum Album zusätzlich veröffentlicht wird übrigens eine Bonus-EP, auf der unter anderem die Stimme von Thomas Helm zu hören sein wird. Darauf zu finden ist die Metal-Version von 'Jagd' (Album "In Luft Geritzt") und die Akustik-Version von 'Reime Faucht Der Märchensarg' (Album "Bitter Ist's Dem Tod Zu Dienen", 1999), die schon auf diversen Live-Konzerten zum Besten gegeben wurden.

Natürlich muss sich jeder Hörer selbst ein Bild machen, muss selbst einen eigenen Deutungsversuch unternehmen - sofern man hierzu das Bedürfnis verspürt, denn wie immer lässt sich die Musik ebenso einfach als Musik genießen. Auch wenn "Freiheit" an manchen Stellen an "Hexenwind" (2005) oder "In Luft geritzt" erinnert, ist es doch beileibe kein Reload der vergangenen Werke; wenn es sich auch wie "Flammentriebe" in gewisser Weise mit dem Menschsein auseinandersetzt, ist "Freiheit" doch ganz anderer Natur: Es ist affirmativer, zentrierter und damit in vieler Hinsicht sehr mutig. Von welcher Art und welcher Länge nun die Pause sein wird, in die DORNENREICH uns einstweilen entlassen wollen, bleibt abzuwarten. Genug Material haben sie uns aber mit auf den Weg gegeben, um die hoffentlich nicht zu lange Wartedauer zu überbrücken.

Gesamtwertung: 9.5 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Im Ersten Aller Spiele
02. Von Kraft Und Wunsch Und Jungen Federn
03. Des Meeres Atmen
04. Das Licht Vertraut Der Nacht
05. Aus Mut Gewirkt
06. Im Fluss Die Flammen
07. Traumestraum
08. Blume Der Stille
Band Website: www.dornenreich.com
Medium: CD
Spieldauer: 47:22 Minuten
VÖ: 02.05.2014

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