Paradise Lost - Obsidian

Review von Damage Case vom 04.05.2020 (6474 mal gelesen)
Paradise Lost - Obsidian Ein englisches Sprichwort und der Albentitel einer Groove-Metal-Kapelle aus Oakland besagen "The more things change, the more they stay the same". Was haben diese Worte mit den bekanntesten Musikern aus dem englischen Halifax gemeinsam? Wie beinahe keine andere schwer rockende Band stehen PARADISE LOST seit über dreißig Jahren für musikalischen Wandel und haben sich dennoch den Status einer absoluten Szene-Institution erworben, mit einer Fangemeinde, wie sie keine der vergleichbaren Weggefährten, seien es MY DYING BRIDE, ANATHEMA, KATATONIA, AMORPHIS, TIAMAT oder MOONSPELL auch nur ansatzweise hat. Auch wenn seit dem Debüt "Lost Paradise" (1990) so ziemlich alles von Death Metal, Death Doom, Gothic Metal, Düster Metal, Elektro Gothic und diversen Mixturen aus den Genannten serviert wurde, findet jede Bandphase ihre Anhänger und vor den Bühnen dieser Welt stehen die Fans immer noch in Scharen bereit und feiern ab, wenn PARADISE LOST aufspielen. Nicht zuletzt resultiert diese Fantreue auch daraus, dass PARADISE LOST für eine beinahe unvergleichliche Output-Konstanz stehen. Sechzehn Alben in dreißig Jahren, nie eine Band- oder Veröffentlichungspause. Die längste Zeit zwischen zwei Alben waren exakt drei Jahre und zwei Monate zwischen "The Plague Within" und "Medusa", wobei in dieser Zeit noch das Live-/Orchesteralbum "Symphony For The Lost" erschien. Mit entsprechender Qualität der Outputs (über die Alben zwischen 1999 und 2007 kann man streiten) erarbeitete man sich der Ruf einer Konstante, auf die sich Fans weltweit seit über 30 Jahren verlassen können - bis auf die mehreren Schlagzeugerwechsel ohne jegliche Auflösungserscheinungen oder Bandmüdigkeit, der vor allem Sänger Nick Holmes und Gitarrist/Songwriter Greg Mackintosh mit ihren Seitenprojekten vorbeugen.

Was darf man vom sechzehnten Werk einer Institution wie PARADISE LOST erwarten? Der Opener 'Darker Thoughts' empfängt mit Klargesang und Akustikgitarre, bis dann elektrische Gitarren und Growls übernehmen und gegen Ende in epische Gitarrenleads, wie sie nur Greg Mackintosh spielt, übergehen. So muss ein PARADISE LOST-Album beginnen, damit sich der geneigte Fan direkt wie zuhause fühlt. 'Fall From Grace' startet so, wie man es von den vergangenen beiden Alben kennt: düster, doomig, Death Metal-Grunts. Seit Nick Holmes 2014 bei BLOODBATH eingestiegen ist, setzt er diese Laute auch wieder verstärkt bei seiner Stammband ein. Nur eben im Wechselgesang mit klarer Stimme ("We're all alone" im Refrain - typischer geht es für die zynische Briten kaum), die auch diesen, wie auch alle anderen Songs von "Obsidian" auflockert. Muss man mögen, für Puristen ist das nichts. An dritter Stelle folgt mit 'Ghosts' der schnellste Song des Albums, der zwar von Breaks unterbrochen wird, in den Strophen aber mit feiner Basslinie und tiefer Gesangsstimme einen gewissen Gothic-Rock-Charme verbreitet. 'The Devil Embraced' ist ein wenig unauffällig, mit knapp über sechs Minuten auch um ein Drittel zu lang geraten, wobei das garstige Ende ab Minute fünf noch der beste Teil ist. Stilistisch würde diese, von einer Orgelmelodie begleitete, grimmige Walze am besten auf dem bärenstarken "Tragic Idol" (2012) reüssieren, wohl aber eher als B-Seite mit durchgängigem Klargesang. 'Forsaken' steigt mit gesampeltem Frauenchor und Klargesang ein, erinnert dann schnell an die seligen "Icon" (1993) und "Draconian Times" (1995), als Nick Holmes gesanglich den James Hetfield machte. Das Tempo wird leicht angezogen, stramm geht es durch den gesungenen Refrain "We're all forsaken", es gibt Keyboards und die seit 'Embers Fire' beste flirrende Gitarrenmelodie. PARADISE LOST in Höchstform! Mit 'Serenity' wird es wieder deutlich finsterer, Nicks Gesang imitiert wieder das Krümelmonster und es hat ordentlich schlechte Laune. Der Song stampft etwas weniger als fünf Minuten auf der Suche durch seine musikalische Heimat durch die Flora - und findet sich auf der etwas zwiespältigen Rückbesinnung "In Requiem" (2007) am besten wieder. Anschließend dann der Song, den man bereits beim ersten Hördurchgang zu kennen glaubt: 'Ending Days' atmet den Vibe von "Draconian Times" (eine langsamere Version von 'Yearn For Change' und 'I See Your Face' mit ähnlichem Motiv). Das grenzt zwar an blanke Selbstkopie, aber wenn man einen Song im Stile eines ikonischen Albums verfasst, musst das nicht wirklich etwas Schlechtes bedeuten, vor allem wenn man in diesen viereinhalb Minuten besser und authentischer klingt, als auf allen Alben zwischen 2000 und 2010. Wenn ein Song mit dem Titel 'Hope Dies Young' folgt, glaubt man bei PARADISE LOST auf ein Doom-Monster zu stoßen. Auf den beiden letzten Alben wäre das womöglich auch so gewesen, man denke nur an 'No Hope In Sight' - aber weit gefehlt. Das Stück ist neben 'Ghosts' das rockigste des Albums und so langsam geht dem Hörer das Licht auf, dass die Anreicherung des aktuell todesdoomigen Sounds um jenen der Jahre 1993 bis 1995 den musikalischen Masterplan beim Schreiben von "Obisidian" lieferte. 'Ravenghast' liefert abschließen das Finale nach Maß: finster, schleppend, angedeutete Blastbeats, doomig, dramatisch, hoffnungslos, Wechselgesang, PARADISE LOST. Die beiden Bonus-Songs 'Hear The Night' und 'Defiler' wurden vom Label nicht zur Verfügung gestellt. Man darf gespannt sein, denn PARADISE LOST sind bekannt für hochkarätige Extras, die teilweise besser sind als die eigentlichen Albumsongs beziehungsweise sogar zu ihren besten Aufnahmen zählen (zum Beispiel 'Sweetness', 'Cruel One', 'Never Take Me Alive', 'The Last Fallen Saviour' und 'Albino Flogged In Black'). Das Coverartwork ist leider etwas fade und einfallslos geworden, "Tragic Illusions 25" und "Tragic Idol" hatten in dieser Kategorie in jüngerer Vergangenheit deutlich die Nase vorn - macht 0,5 Punkte Abzug wegen optischer Langeweile.

Fazit: Die aktuelle Phase seit "The Plague Within" erinnert an die Drei-Alben-Phase "Shades Of God" bis "Draconian Times". Ein Stil wird definiert, verfeinert und aufgelöst. Greg Mackintosh verleiht jedem einzelnen Song einen Hammersolopart sowie spannende Melodien - die zahlreichen Selbstzitate stören nicht wirklich, sie schaffen eher Erinnerungen an die Tage, als PARADISE LOST noch die Zukunft des Metals waren. Nach 2020 wird vielleicht eine neue Phase beginnen. Welche das sein wird? Nick und Greg werden sicher bereits eine Richtung im Kopf haben. "Obsidian" ist auf jeden Fall das abwechslungsreichste und auch beste Album seit dem grandiosen "Tragic Idol" und könnte irgendwann, wenn PARADISE LOST sich einmal zur Ruhe gesetzt haben werden, in der Gunst ihrer Anhänger in der oberen Hälfte der Banddiskografie stehen.

Wunsch: Eine Wiederholung des 1993er Tour-Packages mit SEPULTURA. Beide Bands standen damals für den neuen Metal und sind ihrer Vision vom steten Wandel bis heute treu und somit relevant geblieben. Beide Acts nochmal auf einer Bühne vereint wären nicht nur ein Nostalgiefest, sondern auch eine Demonstration zweier Größen, die sich 2020 in einer Verfassung befinden, die auf noch viele weitere Großtaten hoffen lässt.

Drei Anspieltipps: 'Darker Thoughts', 'Ghosts' und 'Forsaken' sind drei Highlights eines starken Albums, die man auf der irgendwann stattfindenden Tour hoffentlich live wird abfeiern dürfen.

Gesamtwertung: 8.5 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood dry dry
Trackliste Album-Info
01. Darker Thoughts
02. Fall From Grace
03. Ghosts
04. The Devil Embraced
05. Forsaken
06. Serenity
07. Ending Days
08. Hope Dies Young
09. Ravenghast
Band Website: www.paradiselost.co.uk
Medium: CD
Spieldauer: 45:18 Minuten
VÖ: 15.05.2020

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten