Interview mit Fernando von Moonspell

Ein Interview von Eddieson vom 16.04.2015 (15235 mal gelesen)
Mit "Extinct" kommt ein etwas anderes Werk aus Portugal. MOONSPELL haben sich darauf etwas mehr dem Goth-Rock verschrieben. Nun befinden sie sich auf der "Road To Extinction Tour" und wir haben Sänger Fernando am letzten Abend der Tour in Osnabrück getroffen und befragt. Nach 24 Dates ohne Pause wirkte er etwas müde, was ja verständlich ist, aber dennoch redete er bereitwilllig über das neue Album, die Setlist zur Tour, warum er in High Heels posieren durfte, über Religion, eine Briefmarke und über die Zeit vor 20 Jahren, als "Wolfheart" erschienen ist.

Fernando, vielen Dank, dass du dir kurz Zeit nimmst. Wie geht es dir?

Fernando: Gut, ich bin noch nicht untergegangen [Anspielung auf den Albumtitel "Ectinct"]. Wir hatten eine großartige Tour mit allen möglichen Locations, großen und kleinen. Aber das war nicht wichtig, es war immer gut besucht; eine Menge MOONSPELL-Fans, die sich freuten die neuen Songs live zu hören, aber auch die alten Stücke. Ja, es war großartig.

Wie viele Leute kamen den zu den Shows in Portugal?

Fernando: Sehr viele [lacht]. In unser Heimatstadt Lissabon waren so um die 3000 Leute. In Porto waren es ungefähr 12000 Leute, aber die Nachfrage war größer, leider konnten wir nicht auf eine größere Location ausweichen, aber wir werden wiederkommen. Die Tour hört nie auf [lacht], die nächste Show wird in Mexiko stattfinden, aber wir werden die Zeit haben ein zweites Mal in Porto zu spielen.

Glückwunsch zu eurem neuen Album. Es ist gut angekommen und einigen Ländern in den Charts gelandet. Die Reaktionen waren also sehr gut.

Fernando: Ja, das waren sie. "Extinct" ist ein etwas anderes Album, also weiß man vorher nicht, wie es ankommt. Aber ich bin da etwas romantisch, um nicht zu sagen naiv. Ich glaube, wenn man gute und originelle Ware liefert, so wie wir es mit "Extinct" getan haben, dann nehmen es die Leute auch gerne an. Wenn man ein Album schreibt, ist dieses natürlich nicht sicher, um so glücklicher waren wir natürlich, dass wir in den Charts gelandet sind. Ich glaube es war in neun Ländern so. Es ist das Ergebnis unserer Musik, der sehr guten Arbeit von Napalm Records, ein wirklich tolles Label. Leider arbeiten wir die ganze Zeit und haben nicht die Chance, das zu feiern. Als wir in Portugal auf Platz eins gelandet sind, haben wir grad in Italien gespielt. Ich muss auch sagen, dass dies etwas ganz besonderes für uns ist. Nach all den Jahren, nehmen uns die Leute immer noch wahr und interessieren sich für unsere Musik. Wir sind ja schon alte Hasen. Es kommen immer mehr neue Bands, die oft mehr zu bieten haben. Deswegen ist es für uns um so schöner, wenn wir solche Reaktionen auf das Album bekommen.

"Extinct" hat eine Menge orientalische Einflüsse. Wie kam es dazu?

Fernando: Die portugiesischen Folk-Musik ist davon stark beeinflusst. Wir sind damit aufgewachsen und es unterscheidet sich sehr von der westlichen Folk-Musik. Wir sind in etwas zwischen den Kulturen. Wir als MOONSPELL haben das auch schon auf unserer ersten EP "Under The Moonspell" genutzt, die ist sehr vom Orientalischen beeinflusst worden. Für "Extinct" fühlten sich die Songs passend dafür an. Sie haben die passende Stimmung dafür, also haben wir ein türkisch-israelisches-Orchester gewählt. Echte Musiker, die genau das in das Album gebracht haben, was wir wollten. Dieses 1000-und-eine-Nacht-Gefühl, etwas Mystisches. Ein Einfluss, der wichtig für MOONSPELL ist und auch ein Highlight darstellt.

Wie kommen denn die neuen Songs live an? Ihr habt 8 neue Songs in der Setlist. Das ist ja schon 'ne Menge.

Fernando: Ja, das ist viel. Manchmal sind es nur sieben, manchmal auch zehn. Es gibt viele Bands, die nehmen die Tour als Geschäft, als etwas, das sie tun müssen. Natürlich genießen es Musiker live zu spielen, aber einige gehen da halt auf Nummer sicher. Das könnten wir auch tun, wir könnten ein "Wolfheart"-Set spielen, oder ein "Irrelegious"-Set. Wenn wir live spielen, ist das die beste Möglichkeit zu zeigen, dass wir hinter dem Album stehen. Es ist nicht so, dass wir die anderen nicht mögen, wir spielen ja ein langes Set u. a. auch alte Songs. Aber einige sagen, dass das zu viele Songs sind. Nicht für mich. Ich denke, wenn man die Songs mag und sich gut damit fühlt, dann soll man das den Leuten auch zeigen. Wir spielen keine Tour mit dem Namen "Road To Extinction", um dann nur 2-3 neue Stücke zu präsentieren. Der eigentlich Plan war es, jeden Abend das komplette Album zu spielen, bis wir merkten, dass wir leider nicht die Zeit haben, alles in eine Setlist zu packen. "Wolfheart" feiert 20 jähriges Jubiläum, deshalb wollten wir natürlich auch Songs von diesem Album spielen. Mit den neuen Songs haben wir die Zeit unseres Lebens. Am Anfang war es etwas ungewöhnlich, aber jetzt passt es alles.

Wenn ich das mal so sagen darf, die Setlist ist wirklich stark und wir freuen uns auf die Show.

Fernando: Das ist sehr cool, vielen Dank! imgleft

Hast du ein Ritual welches du vor, während oder nach der Show vollziehst?

Fernando: Nein, kein typisches Ritual. Es ist eigentlich etwas, das ich täglich mache. Eine Stunde vor der Show wärme ich mich auf, dehne mich, trainiere meine Stimme. Wir spielen 24 Shows ohne Day-Off, das ist schon hart. Die Stunde brauche ich, um runterzukommen. Klar man ist nie alleine auf Tour, aber ich versuche runterzukommen, um mich auf die Show einzustimmen. In der Stunde mache ich zwar nicht viel, nur etwas singen und ein paar Übungen, ähnlich wie in einem Fitnessstudio [lacht]. Ich nutze die Stunde aber auch, um mich von den "weltlichen Problemen" zu distanzieren, weil ich mich voll und ganz auf die Show konzentrieren möchte. Und da ist kein Platz für Management oder Merchandise [lacht]. Ich möchte das tun, weswegen wir hier sind, unsere Songs spielen. Ich habe also kein spezielles Ritual, sondern eine Stunde für mich, um mich auf die Show vorzubereiten.

Nervös oder aufgeregt bist du aber wohl nicht mehr, oder?

Fernando: Nein, das nicht, weil wir schon so viele Shows gespielt haben. Ich freue mich immer auf die Shows und wenn ich dann mit dem Publikum in Kontakt komme, sehe ich was passiert. Es gibt keine Show, die so ist wie eine andere. Man muss an seine Musik glauben und nicht nach Schema-F funktionieren. Ich glaube, dass wenn man live spielt, man sich eine gute Show aufbauen muss. Ich freue mich jeden Abend, eben weil man immer etwas Neues aufbauen muss. Die Leute sollen mit einem guten Gefühl die Show verlassen. Das ist es, was wir wollen. In Portugal war es die größte Show, heute ist es die Kleinste [der Bastard Club hat Platz für max. 200 Leute; Anm. d. Verf.], das ist schon ein Kontrast [lacht]. Aber nervös bin ich nicht. Der Fokus liegt auch heute auf der Show. Es ist ja auch eine Sache des Vertrauens. Die Leute sind ja nicht blöd und merken, wenn die Band eigentlich keinen richtigen Bock hat. Dann gehen sie und das ist nicht in unserem Sinne.

Ist es wahr, dass es in Portugal eine Briefmarke von MOONSPELL gibt?

Fernando: Ja, das ist wahr.

Wie alt ist die und wie kam es dazu?

Fernando: Oh, die gibt es jetzt seit 4 Jahren oder so. Da war dieser große Radio-Moderator in Portugal, der in den Achtzigern viel Rock und Metal gespielt hat und mit dem wir aufgewachsen sind. Der hat mich eines Tages angerufen und erzählt, dass die portugiesische Post eine Kollektion von Briefmarken mit portugiesischen Rockbands plant und er denen vorgeschlagen hat, auch eine von MOONSPELL zu machen. Es ist eine Heavy Metal Band und ein großer Export aus Portugal, sagte er denen und ohne die würde etwas fehlen. Die Post stimmte ihm zu. Die Kollektion gab es dann ein paar Tage, denn Kollektionen von Briefmarken gibt es immer nur wenige Tage. Ihr merkt, ich habe dadurch viel über das Business der Post gelernt. [lacht] Sie druckten also die Marke, aber eine 2€-Marke, um die Post auch International verschicken zu können, mit dem "Wolfheart"-Cover, nicht mit der Band, denn sie wollten nur Cover. Das ist für mich immer noch unglaublich. Ich war damals ein Tape-Trader und habe natürlich jede Menge Briefmarken benutzt, und wenn damals jemend gesagt hätte, dass er irgendwann ein Demo-Tape oder eine CD mit einer MOONSPELL-Briefmarke verschickt, obwohl es heute das Internet gibt, da macht das ja eh niemand mehr [lacht], aber den hätte ich für verrückt erklärt. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber doch eine Errungenschaft, denn es gibt wohl nicht viel Heavy-Metal-Bands, die die Aufmerksamkeit der Post bekommen. [lacht]

"Extinct" gibt es mit zwei verschiedenen Cover.

Fernando: Es sind sogar drei.

Ach wirklich? Okay, wie kam es dazu?

Fernando: Seth, der Künstler, der die Cover entworfen hat, hat mir wesentlich mehr als drei Versionen zugeschickt, glaubt mir. [lacht] Mit vielen kleinen Details in den Figuren. Der beste Weg, um die Kunst zu zeigen, war nun mal eine Version für das Jewelcase, eine für das Mediabook und eine für die Vinyl-Version. Die Vinyl-Version ist mein Favorit, es ist voll von kleinen Details, also wollte ich es auf großem Format. Insgesamt war es eine gute Entscheidung, denn die Fans mögen die verschiedenen Versionen und wir wollten den Fans mehr geben, deswegen gibt es z. B. noch die "Road To Extinction"-DVD dazu, die ca. 80 Minuten läuft und den Entstehungsprozess des neuen Albums zeigt. Es ist also Fan-freundlich.

Ihr handelt also nach dem Prinzip value for money.

Fernando: Ja, ich denke schon. imgright

Im Internet gibt es ein Foto von dir, auf dem du in High Heels posierst. Was ist der Hintergrund zu diesem Foto?

Fernando: Ich wurde von einem portugiesischem Frauen-Lifestyle-Magazin eingeladen, ähnlich wie die Cosmopolitan. Die hatten ein interessantes Thema, denn häusliche Gewalt ist ein großes Problem in Portugal. Und über die Jahre wurden immer mehr Fälle an die Gerichte und die Polizei herangetragen. Und diese Kampagne wollte das Bewusstsein dafür verstärken, wie hart es für eine Frau in Portugal ist einen Job zu finden; es gibt keine Gleichberechtigung. Sie haben also hundert Männer eingeladen. Sie wollten besonders männliche Typen oder solche, die sich männlich in ihrer Kunst oder was auch immer ausdrücken. Da waren ein Typ aus dem nationalen Fußball-Team, ein Designer und eben auch einige Musiker. Das macht mich glücklich. Nicht, dass ich die High Heels tragen musste, denn die sind sehr unbequem [lacht], es war wirklich nicht leicht mit diesen Schuhen zu laufen. Aber es ist ein ernstes Thema mit einem ernsten Hintergrund, und deshalb gibt es das Foto von mir in High Heels.

Kann mir gut vorstellen, dass die Schuhe unbequem sind.

Fernando: Ja, das sind sie wirklich.

Wir werden dich also nie mit High Heels auf der Bühne sehen?

Fernando: [lacht] Nein, da schwöre ich noch immer auf die guten alten Stiefel.

Wo ich grad dein Tattoo sehe, welches sagt "There Is No God...". Du glaubst also nicht an irgendeinen Gott.

Fernando: Nein.

Wie denkst du über den aktuellen Zustand der Welt mit Religionskriegen, Terroranschlägen, usw.

Fernando: Ich denke, wenn mehr Leute so denken würden wie ich, dann hätten wir ein Problem weniger. Ich glaube jede Ausdrucksform von Religion, ob nun positiv oder negativ, ist von Menschen gemacht. Ich glaube wir haben die Kontrolle darüber verloren. Ein Typ hat vor Jahren gesagt, wir reden über Gott und so wurde alles mögliche gebaut und gemacht, um diesen Gott zu feiern, dessen Existenz ja noch nicht mal bewiesen ist. Und es kann auch nicht mehr bewiesen werden, denn wir können nicht mehr zu diesem einen Typen gehen. Ich glaube eine Welt ohne Religion, besonders, wenn die Religion noch mit Politik gemixt wird, wäre eine bessere Welt. Ich komme aus Portugal, meine Familie ist katholisch, ich respektiere sie, sie respektieren mich. Meine Frau ist auch katholisch und glaubt an Gott, das ist manchmal ein kleines Problem. Ich kenne viele Leute und wir haben viele Fans im Mittleren Osten, die ebenso wie du und wir, in Ruhe und Harmonie leben wollen, und dabei ist es egal, ob sie nun Luzifer anbeten oder jemand anderes, das ist dann eine persönliche Wahl. Aber wenn du mich fragst, die Welt wäre ohne Religion besser dran.

Wie du eben schon sagtest, feiert "Wolfheart" dieses Jahr seinen zwanzigsten Geburtstag. Kannst du dich noch an die Zeit damals erinnern, wie die Aufnahmen liefen, wie die Zeit vor und nach dem Release war?

Fernando: Natürlich, es gibt 'ne Menge "Wolfheart"-Stories. Ich war 21, jetzt bin ich 40. Es war das erste Mal, dass wir ein Album aufgenommen haben und das im Ausland, in Deutschland. Wir sind nach Hagen gegangen. Es war eine harte Zeit, wir waren auf Century Media, die hatten natürlich gewisse Anforderungen, auf die wir noch nicht richtig vorbereitet waren. Aber abseits dieser Schwierigkeiten war ich glücklich, als ich ihm Flugzeug das Tape über Walkman [lacht]] gehört habe und ich nun erleben konnte, wie MOONSPELL klingen, denn all die anderen Releases und Demos waren von schlechter Qualität. Wir sollten dann einige Shows in England spielen und gingen dann in einem Van auf Tour mit MORBID ANGEL und IMMORTAL über acht Wochen. Als wir danach zurück zu Century Media kamen, öffnete uns Robert Kampf, der Boss, und sagte uns, dass wir über 50.000 Exemplare von "Wolfheart" verkauft haben und somit wurde "Wolfheart" das best verkaufte Album für Century Media. Das konnte natürlich niemand so recht glauben, wir kommen aus Portugal und "Wolfheart" ist kein typisches Album auf Century Media mit all seinen Gothic-, Black-Metal-, Folk-Einflüssen. Damit haben wir eine Seite in dem Buch der Geschichte geschrieben, wie SAMAEL, TYPE O NEGATIVE oder TIAMAT. Aber ich erinnere mich noch, wie wir sagten: Okay, 50.000 Exemplare ist super, aber können wir jetzt was essen, wir sterben vor Hunger. [lacht] Das beschreibt ganz gut, wie überraschend "Wolfheart" für uns und alle anderen war. Und ich denke das Album hat den test of time bestanden. Die Leute lieben es und auch die neue Generation liebt dieses Album. imgleft

Ich denke man kann es als Klassiker bezeichnen.

Fernando: Ja, vielleicht.

Ihr werdet auf dem kommenden Rock In Rio mit Derrick Green von SEPULTURA zusammen auftreten. Wie kam es dazu und was können die dortigen Fans erwarten?

Fernando: Darauf freuen wir uns besonders, denn wir haben immer die großen Shows von dort im TV gesehen. Wir haben das Rock In Rio in Lissabon mal gespielt. Das gibt es auch in Lissabon. Das war großartig. METALLICA waren dabei, SEPULTURA, SLIPKNOT und eben MOONSPELL. Wir spielten vor 60.000 Leuten um 18 Uhr und dann spielten METALLICA später vor 80.000 Nasen. Das war schon ein großes Ding. Aber das Original ist in Rio, wo so ziemlich jede Metal-Band oder Rock-Band mal spielen möchte. Die Leute dort mögen MOONSPELL und sie wollten uns schon mal für eine andere Ausgabe des Festivals haben, aber das hat irgendwie nicht hingehauen. Ich bekam dann einen Anruf, wo sich mich fragten, ob wir beim Rock In Rio auf der Sunset-Stage spielen wollen. Natürlich sagte ich zu. Bei der Sunset-Stage fragen oder motivieren sie die Bands immer mit einer anderen Band was zu machen, nicht die ganze Show, sondern nur ein paar Songs. Wir hatten also Pläne mit Derrick, den wir von einer Tour kennen, wir sprechen dieselbe Sprache. Derrick spricht mittlerweile gutes brasilianisches Portugiesisch. Also haben wir ihn eingeladen, um mit uns einen Song auf Portugiesisch zu singen. Das wird sehr originell und wer weiß, vielleicht spielen wir auch was von SEPULTURA, denn wir sind große Fans. Das ist ein weiteres Highlight in der Karriere von MOOSNPELL, auch für die Leute dort. Wir haben zwar schon oft in Brasilien gespielt, aber noch nie in Rio. Es ist ein fantastisches Line-Up, viele verschiedene Arten von Metal mit METALLICA, SYSTEM OF A DOWN, SLIPKNOT, DEFTONES, LAMB OF GOD, NIGHTWISH und MOONSPELL. Auch wenn wir der David zwischen all den Goliaths sind, versuchen wir dort zu überzeugen.

Vielen Dank für das Interview.

Fernando: Kein Problem, und entschuldigt die Eile. [der Tourmanager stand irgendwann in der Tür und tippte auf die Uhr]

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