Spell - Opulent Decay

Review von Blaze Breeg vom 19.03.2020 (9172 mal gelesen)
Spell - Opulent Decay Kanada hat sich in der zurückliegenden Dekade - neben Schweden - als neues Metal-Walhalla entpuppt. Bands wie STRIKER und SKULL FIST haben den ganz großen Durchbruch in kommerzieller Hinsicht zwar (noch) nicht geschafft, sich aber längst als feste Größen im klassisch orientierten Underground etabliert. Ihre Landsleute GATEKEEPER, TRAVELER und RIOT CITY sind auf dem besten Wege, selbiges zu schaffen.

Und dann gibt es da noch SPELL, von 2007 bis 2013 unter dem Namen STRYKER aktiv. Das Trio aus Vancouver (Provinz British Columbia) fällt stilistisch ein wenig aus der Reihe, da die bisherigen Releases von Cam Mesmer (Gesang, Bass), Graham McVie (Gitarre) und Al Lester (Schlagzeug) eher den Genres Hardrock und Psychedelic Rock zuzuordnen sind. Mit ihrem letzten Longplayer "For None And All", erschienen im Jahr 2016, sorgten sie im oben genannten Underground für Aufsehen. Dies lag vor allem am hohen Wiedererkennungswert der Band, die okkult angehauchte Lyrics mit einer kauzigen Note verbindet. SPELL mögen in manchen Momenten an RUSH, BLUE ÖYSTER CULT oder THE DEVIL'S BLOOD erinnern, klingen aber letztendlich stets wie SPELL. Eine Wohltat angesichts der zahllosen Plastik-Combos und Klone, die häufig völlig zu Unrecht die Aufmerksamkeit größerer Metal-Magazine oder Festival-Veranstalter auf sich ziehen.

Mit "Opulent Decay" präsentieren die drei Kanadier aus der westlichsten Provinz ihres Landes nun endlich ihr drittes Studioalbum. Auf den ersten Blick fällt sofort auf, dass das Cover durchaus mit demjenigen von Adam Burke, welches "For None And All" veredelte, mithalten kann - und letzteres halte ich für das schönste mir bekannte Artwork seit der Jahrtausendwende! Dem Künstler gelingt es anno 2020 auf eine beeindruckende Art und Weise, die Atmosphäre der Musik wiederzugeben: mysteriös, vielschichtig und farbenfroh. Das Verrückte dabei: Das surrealistische Gemälde - Titel "Das Auge der Stille" - stammt nicht vom genialen Burke, sondern vom deutschen Dadaisten Max Ernst und ist zwischen 1943 und 1944 angefertigt worden. Mit anderen Worten: Hier hat Cam Mesmer, der sich als großer Bewunderer des genannten Künstlers und der von ihm repräsentierten Stilrichtung bezeichnet, eine perfekte Wahl getroffen!

In "Opulent Decay" kann man nicht nur deshalb komplett versinken. SPELL kreieren erneut eine eigene Welt, einen musikalischen Planeten, auf dem kommerzielle Zugeständnisse keinerlei Rolle spielen. Dafür ist Liebe zum Detail Trumpf: Man kann bei jedem Hördurchgang neue, spannende Elemente entdecken. Wir haben es hier nicht mit Fast Food zu tun, sondern mit Kunst, die man sich erarbeiten muss. Großartig ist das warme Klangbild, welches die Wirkung der entrückten, melancholischen Songs verstärkt. Es ist übrigens unmöglich, hier einen Anspieltipp zu nennen, da die Platte lediglich als Einheit funktioniert. Wer SPELL verstehen möchte, muss sich schon 45 Minuten Zeit nehmen. Mindestens, denn - siehe oben - "Opulent Decay" ist ein echter Grower.

Für manche Hörer dürfte im Übrigen Cam Mesmers Gesang DER Knackpunkt sein. Ich erinnere mich noch gut an den SPELL-Gig im Rahmen des HELL OVER HAMMABURG-Festivals 2018 in der altehrwürdigen Markthalle: Räucherstäbchen, ein Kerzenmeer und Omas liebste Wohnzimmerlampe - dazu eine phänomenale Performance, die mich, front row, tief beeindruckt hat. Allerdings störten sich einige Besucher, mit denen ich mich austauschen durfte, an der schrägen Tonlage des Sängers. Ein Stück weit kann ich solche Einschätzungen nachvollziehen, aber ich sehe das Ganze - ihr ahnt es - anders. Cams Gesang ist wie die Musik seiner Band einmalig, von mir aus einmalig-kauzig. Damit befindet er sich in allerbester Gesellschaft, man denke an die bereits erwähnten Landsleute RUSH - die SPELL beim besagten Festival übrigens passenderweise mit einer Coverversion des "Fly By Night"-Openers 'Anthem' ehrten - oder die US-Amerikaner CIRITH UNGOL. Nö, weichgespült und blank poliert ist hier nichts.

Generell lohnt es sich, Cam Mesmer zuzuhören, SPELL sprechen nämlich Herz und Kopf gleichermaßen an: "Opulent Decay" bietet sehr tiefgründige Lyrics, die von romantischen PoetInnen wie Percy Bysshe Shelley (1792-1822) und Samuel Taylor Coleridge (1772-1834, ja, der von 'Rime Of The Ancient Mariner') beeinflusst worden sind. Im Mittelpunkt stehen die immer aktuellen Themen "Überfluss" und "Entbehrung" - in diesem Zusammenhang lohnt sich erneut ein Blick auf das oben genannte Werk von Max Ernst, in dem man ebenfalls ständig neue Facetten entdecken kann.

Alles in allem gelingt es SPELL, die hohen Erwartungen nach "For None And All" zu erfüllen. Es liegt auf der Hand, dass die Zielgruppe für diese herrlich antiquierte Musik arg begrenzt ist. Wer für kauzige Töne empfänglich ist und sich auf "Opulent Decay" einlässt, wird sich künftig jeden Tag über das neue kanadische Juwel in seiner Plattensammlung freuen.

Gesamtwertung: 9.5 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Psychic Death
02. Opulent Decay
03. Sibyl Vane
04. Primrose Path
05. The Iron Wind
06. Dawn Wanderer
07. Deceiver
08. Ataraxia
09. Imprisoned By Shadows
10. Saturn's Riddle
Band Website: www.facebook.com/spellspell
Medium: CD
Spieldauer: 45:06 Minuten
VÖ: 20.03.2020

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