Interview mit André von Blind Guardian Twilight Orchestra

Ein Interview von Eddieson vom 04.11.2019 (31712 mal gelesen)
Die Idee wurde vor 23 Jahren geboren. Die Fertigstellung des Orchester-Albums dauerte ebenso lange. Doch nun ist es geschafft und "Legacy Of The Dark Lands" erblickt das Licht der Welt. Gitarrist und Komponist André Olbrich zeigt sich im Interview äußerst zufrieden über das Ergebnis. Doch von Ruhe keine Spur ein zweiter Teil ist in Planung und ein neues BLIND-GUARDIAN-Album ist auch nicht weit entfernt.

Andre, 23 Jahre hat es gedauert. Ihr und die Fans wahrscheinlich am wenigsten haben es nicht mehr für möglich gehalten, doch jetzt ist das Orchester-Album tatsächlich fertig.

André: Wir haben es tatsächlich geschafft.

Wahnsinn! Und wie fühlst du dich damit?

André: Ich fühle mich super, bin echt happy, dass es letztendlich geklappt hat, dass wir uns endlich die Zeit nehmen konnten. Wir wussten genau, dass wenn wir ernst machen, aufnehmen, mixen et cetera, dann kann das gut mal ein bis zwei Jahre dauern. Und die muss man erstmal mit BLIND GUARDIAN finden. Es war ja immer irgendwas los. So gesehen bin heilfroh, dass wir es durchgezogen haben, dass es wirklich mal vollendet ist und vor allem, es endlich vorspielen zu dürfen. [lacht] Wir haben es ja immer geheim gehalten und gehütet, dass bloß nichts zu früh rausgeht. Jetzt kann man mal Reaktionen sehen und dazu ein Feedback zu kriegen, ist nach all den Jahren natürlich etwas Tolles.

Das glaube ich. Und wie sind die Reaktionen?

André: Es kommt sehr gut an. Gerade bei unseren Metalfans hätte man ja denken können, dass es vielleicht doch viele gibt, die das ablehnen. Doch das ist nicht so. Es gibt einen großen Zuspruch. Man kann fast schon sagen, dass da sehr viel Euphorie bei ist. Wir haben bisher zwei Singles veröffentlicht, und die Leute scheinen es zu lieben. Alles gut, also. imgright

Ich kann mich dem nur anschließen. Hab das Album jetzt schon ein paar Mal gehört. Allerdings muss ich auch sagen, dass es anfangs natürlich etwas gewöhnungsbedürftig war, denn ich habe immer auf das Schlagzeug gewartet und natürlich die Gitarren, aber letztendlich machte es doch dann irgendwann klick und das Album funktioniert.

André: Vielen Dank!

Ich bin absolut kein Klassik-Experte. Habt ihr euch von irgendwelchen Komponisten Einfluss geholt, den man auf dem Album hört?

André: Nein, gar nicht. Meine Einflüsse kommen eher aus dem Fantasy-Bereich. Ich bin ein Hardcore-Roleplay-Gamer. Ich spiele seit vielen vielen Jahren World Of Warcraft, Final Fantasy und so weiter. Ich würde dazu eben auch gerne Fantasy-Soundtrackmäßige Musik hören und dementsprechend lag es nahe, sowas dann auch zu kreieren. Als wir damals am "Nightfall"-Album geschrieben haben, was ja ursprünglich eine Tolkien-Thematik haben sollte, kam dann eben auch die Idee sowas auszuprobieren und zu gucken, wie weit man musikalisch gehen kann, um die mit dem Fantasy-Genre zu verknüpfen. Ich habe immer soundtrackmäßig gedacht. Klassische Komponisten kenne ich natürlich auch, find ich auch gut und gefällt mir. Aber das gibt es ja alles schon und da sehe ich für mich keine Notwendigkeit, das zu kopieren. Ich wollte etwas Eignes kreieren. Etwas, das jetzt in unsere Zeit passt. Die Sachen so dynamisch zum Ausdruck bringen, wie ich sie empfinde.

So passt es auch. Es hat wirklich mehr so Leinwand- und Soundtrackcharakter. In dem Moment, als alles beendet war und der letzte Ton aufgenommen wurde: Was ging dir da durch den Kopf? Schließlich war die Arbeit von 23 Jahren damit abgeschlossen.

André: [lacht] Ehrlich gesagt, ging mir durch den Kopf: "Oh, wir haben noch so viele Stücke über. Machen wir einen zweiten Teil?" Ich wollte direkt weitermachen, weil es auch so viel Spaß macht. Ich konnte Hansi auch mittlerweile davon überzeugen. [lacht] Wenn man so eine Liebe dafür entwickelt hat und Spaß daran hat, und ich habe tierisch Spaß daran, die Sachen zu komponieren, dann will man das nicht ganz abschließen. Es wäre traurig für mich gewesen, wenn mir jemand gesagt hätte, dass das jetzt wirklich alles ein Ende hätte. Aber zum Glück kann mir das keiner sagen, wir machen lustig weiter.

Na hoffentlich dauert es nicht wieder 23 Jahre.

André: Bestimmt nicht, jetzt wissen wir ja, wie es funktioniert. [lacht]

Aber jetzt mal Hand aufs Herz. Gab es zwischendurch nicht auch mal Momente, wo du alles hinschmeißen wolltest. Es dich angekotzt hat, weil es sich über eine so lange Zeit gezogen hat?

André: Wir haben ja nicht 23 Jahre daran gearbeitet. Man muss sagen, dass es die meiste Zeit auf Eis gelegen hat. Bedingt durch BLIND GUARDIAN, wenn wir auf Tour waren oder wieder zu spät, weil wir mit unserem Metal-Album so spät waren, dass wir nicht mehr am Orchester-Album arbeiten konnten. Ich fand es eigentlich immer sehr traurig. Ich wollte immer mehr Zeit investieren, aber es war oft einfach nicht möglich. Für mich war das jetzt eher umgekehrt, wenn ich mit Hansi im Songwriting war und mir dann irgendwann der Kopf geraucht hat und ich keine Ideen mehr hatte, dann habe ich das immer als kleine Flucht genutzt und habe dann eine Orchester-Nummer komponiert. Was für Hansi und mich sehr erfrischend war, weil wir da in unsere Welt eingetaucht sind, und danach erst wieder in unsere reguläres Songwriting gekommen sind. Es war eigentlich nie so zäh, dass wir keinen Bock mehr hatten. Diesen Punkt hatten wir nie. Es war immer eher der Punkt, dass wir es kaum abwarten konnten, wieder daran zu arbeiten. Wir wollten beide immer damit weiterkommen.

Ihr habt doch auch sicherlich beim Komponieren zwischendurch gedacht, dass sich einige Parts auch gut auf einem BLIND-GUARDIAN-Album machen könnten.

André: Auf jeden Fall! Die Nummern waren ja ursprünglich für "Nightfall" komponiert. Es war dann ein harter Kampf, als ich gesagt habe, dass ich da ein ganzes Album draus machen möchte. Dieses Gesamtkonzept ist so gut, dass es schade wäre, das mit ein bis zwei Nummern zu verballern. Wir waren damals mal wieder in Zeitnot und es gab erstmal Diskussionen, ob wir überhaupt die Nummern zurückhalten können. [lacht] Wir haben es dann zum Glück gemacht und es gab dann natürlich immer die Verbandelung zwischen Metal-Band und Orchester-Album. Man sieht dann, dass aus diesen Erfahrungen heraus ein Song wie 'And Then There Was Silence' zustande gekommen ist. Erst mit diesem Wissen konnten wir einen solchen Song schreiben. Und später gab es dann tatsächlich Kompositionen, die wir für das Orchester-Album geschrieben haben, die dann aber gefühlsmäßig nicht reinpassten, zum Beispiel 'Wheel Of Time'. Der Song basiert auf einer orchestralen Komposition, klang aber sehr orientalisch. Wir wollten das aber nicht so mischen, wir hatten alles so in unserem Fantasy-Konzept, dann geht der halt rüber. Dann haben wir den Song als Metal-Song konvertiert und haben den für das Metal-Album genommen. Wir sind da frei. Wir wissen, dass wir das jetzt können, können die Songs also auch konvertieren, wenn wir wollen. Ein zweites Mal ist das passiert bei 'At The Edge Of Time', welcher auf unserem letzten Album gelandet ist. Da waren wir auch der Meinung, der passt nicht rein. Und als wir jetzt das Orchester-Material gesichtet haben und den Song noch mal im Original gehört haben, haben wir gemerkt, dass wir uns da vertan haben und der in der Original-Version so geil ist, dass er doch wieder auf dem Orchester-Album gelandet ist. Da kann man jetzt auch mal direkt vergleichen. Das sieht man den Link zwischen Metal und Orchester-Kompositionen. Da sieht man jetzt auch, diesen Metal-Approach, wie stark der drin ist in diesen orchestralen Kompositionen. Jetzt kann man das tatsächlich vergleichen und sehen, dass der nicht nur als Metal-Song funktioniert, sondern auch als Orchester-Song sehr geil und heavy klingt.

Wie war das denn für Hansi? Es ist ja schon ein Unterschied, ob man nun einen Metal-Song einsingt oder gegen ein komplettes Orchester singen muss. Stell ich mir schwierig vor.

André: Es ist tatsächlich genau umgekehrt. Er muss nämlich normalerweise gegen, wenn man schon das Wort "gegen" benutzt, dann gegen die Metal-Band singen. Die Gitarren sind natürlich sehr dominant und machen alles zu. Es muss also mindestens schreien, um da rüberzukommen. Bei einem Orchester hat er einen ganz anderen Spielraum, da kann er auch mal leise singen. Die Möglichkeit hat er bei einem Metal-Song nicht. Dadurch bekommt seine Stimme eine ganz andere Variationsbreite, die er auch in vollen Zügen ausgenutzt hat. Er kann andere Sachen machen, er kann mehr variieren, er kann höher oder tiefer, ohne unterzugehen. Dann kann er ganz leise und auch wieder mit der Dynamik anschwellen. Sachen, die zum ersten Mal funktionieren, weil er hier den Platz hat. Natürlich bringt es auch Schwierigkeiten mit sich, weil man, wenn man mit einem Orchester singt, 100% sauber singen muss. Man hört jeden Fliegenschiss, was du bei einer Metal-Nummer so nicht hast. Da hast du eben die dicken Gitarren, die alles zukleistern. Jetzt steht er da erstmal alleine vorne vor und das ist natürlich eine ganz andere Herausforderung für einen Sänger. Und er hat seinen Weg gefunden, er hat diese musicalartigen Gesänge gemacht/komponiert, die auch verschiedene Charaktere spielen. Ich find das super interessant, denn das hat es in der Form so noch nicht gegeben. Diese Performance zeigt jetzt eben auch sein ganzes Können und es ist meine persönliche Lieblingsperformence von Hansi. Dass ist seine beste Leistung bisher.

Das ist auch das, was mir direkt aufgefallen ist, dass Hansi unheimlich sauber und variabel auf dem Album singt. Du sagtest ja schon, dass ihr noch genügend Stoff für ein zweites Album habt. Aber gibt es auch noch andere Ideen, das Album zu verarbeiten? Es schreit ja geradezu nach einer großen Bühne oder Leinwand.

André: Ja, wir versuchen gerade eine einmalige Live-Aufführung hinzukriegen, was schon genug Planungsarbeit ist und wohl auch nicht vor 2021 zu realisieren ist. Wir wollen es halt gut machen. Wir wollen es nicht verheizen, es soll schon etwas Tolles werden, auch musikalisch hochwertig, da muss man natürlich sehen, was für eine Halle man nimmt, wo es gut klingt und wo man ein tolles Bühnenbild hinkriegt. Wir brauchen für eine Liveaufführung noch mehrere Sänger, weil das alleine nicht zu schaffen ist. Man kann dann die Charaktere ein bisschen verteilen und auf lange Sicht würde es uns reizen, eine Art Musical zu machen. Muss man aber sehen, dazu wollen wir erst noch Erfahrungen sammeln, und es einmal live aufführen. Ich denke auch, dass es sehr viel Potenzial hat, weil es eben sehr visuell ist. Man kann sowohl Theater als auch Musical durch die Performence eine ganze Menge verknüpfen und das Ding als Live-Event richtig interessant machen.

Euer Fokus liegt also jetzt erst mal auf dem Orchester-Album und seinen Folgen und BLIND GUARDIAN ist vorerst etwas zurückgestellt.

André: Nein, ganz und gar nicht. [lacht] Könnte man meinen, aber das Orchester-Album ist tatsächlich unser Side-Projekt. Wir arbeiten unter Hochdruck an einem neuen Metal-Album. Ich hatte ja Zeit. Während Hansi ein Jahr lang die Gesänge eingesungen hat, war ich ja quasi arbeitslos und hab da natürlich fleißig komponiert und auch während Hansi DEMONS & WIZARDS gemacht hat, hatte ich noch mehr Zeit. Ich bin schon relativ weit. Wir planen schon Anfang des Jahres mit den Aufnahmen zu beginnen. Fokus und Priorität hat immer die Metal-Band BLIND GUARDIAN. Unser Plan ist es, 2020 im Studio zu verbringen und 2021 Veröffentlichung und Tour. BLIND GUARDIAN liegt also nicht auf Eis. Wir haben dieses Album jetzt mal vorgezogen, um es fertigzustellen, aber ansonsten geht es ganz normal weiter. imgleft

Nun habt ihr ja ganz viel klassisches Musikpulver verschossen, kann mal also davon ausgehen, dass das neue Album wieder weniger bombastisch klingt und wieder straighter Metal ist?

André: Also mein Anliegen ist es ja, wirklich neue Ideen zu finden und sich in irgendeiner Form musikalisch zu bewegen. Ich möchte also ungerne das Gleiche machen, was ich auf einem Album schon mal gemacht habe. Deswegen hoffe ich, dass es uns glückt, wieder neue Songs zu schreiben, die die Leute überraschen. Damit meine ich nicht, die Leute vor den Kopf zu stoßen und etwas ganz anderes machen, sondern einfach mit unseren Trademarks, die bei uns verankert sind, trotzdem wieder interessante Songs zu haben, die auch viele Überraschungsmomente bieten. Dann bin ich zufrieden. Im Moment sind wir auf einem ganz guten Weg, es gibt tatsächlich andere Konzepte, die wir bisher noch nicht gemacht haben. Aber im Großen und Ganzen knüpfen wir schon an unsere letzten Alben an, einfach eine große Variationsbreite schaffen, wo man wirklich zehn Stücke hat, die alle anders klingen. So würde ich das nächste Album erst mal ansiedeln.

Mit diesem kleinen Ausblick in die Zukunft sind wir auch schon am Ende des Interviews. Ich wünsche dir und euch ganz viel Erfolg für das Orchester-Album und bin gespannt, was im Zuge dessen noch so alles kommt.

André: Da bin ich auch gespannt. Das wird noch eine große Herausforderung, das zu stemmen. Wir bleiben dran, wir geben uns Mühe. Eine Idee ist noch dies mit einem BLIND-GAURDIAN-Festival zu verbinden. Dass man tatsächlich ein richtig großes Event macht, wo wir einen Abend das Album in voller Länge und Pracht aufführen und am anderen Abend unsere epischen Nummern mal live präsentieren mit Unterstützung eines Orchesters. Sowas ist angedacht. Ob wir das hinkriegen, weiß ich nicht, aber es ist eine Idee.

Das klingt gut, aber auch dann muss wirklich die passende Location gefunden werden und sollte nicht in einer sterilen Stadthalle stattfinden. Klar, ist eine Monsteraufgabe, aber ihr werdet das schon machen.

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