Ein Artikel von Rockmaster vom 19.08.2019 (26451 mal gelesen)
Vom 18.07. bis 04.08.2019 veranstaltete das Backstage (Backstage Concerts GmbH) das inzwischen 23. Free & Easy Festival. Ein Livebericht für QUEENSRŸCHE stand ohnehin auf dem Programm, und der Veranstalter hat freundlicherweise eine Fotoakkreditierung gleich für mehrere Konzerte ausgestellt - und auf den übrigen hilft auch mal das Handy aus. Grund genug, sich das kleine, aber traditionsreiche Festival mal genauer anzusehen. Schön zu sehen, dass auch dieses Mal der Metal-Nachwuchs auf dem Festival willkommen ist.
Free & Easy - Das Konzept
Achtzehn Tage im Sommer öffnete das Backstage sein Gelände mit mehreren Indoor-Bühnen, einer Open Air-Bühne und Freiflächen und einem bunten Programm von Musikevents und anderen Veranstaltungen für Jedermann. Natürlich stehen Konzerte jenseits des Breitenmusikgeschmacks und Musikparties im Vordergrund, aber daneben gibt es auch Kleinkunst, Lesungen, Kino, politische Diskussionsforen und vieles mehr. Musikalisch ist von Hip Hop bis Hardcore so ziemlich jede Stilrichtung vertreten. Auch der Metalhead kommt hier ganz klar auf seine Kosten.
Der Clou bei der ganzen Sache ist: Alle Veranstaltungen haben freien Eintritt.
Wie funktioniert das Ganze? Das Gelände des Backstage öffnet an den Festivaltagen um 18:00 und die Locations sind offen für alle Besucher, so lange sie nicht ihre Kapazität ausgereizt haben. Prinzipiell gilt also erst mal: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Und er ist beim Veranstalter auch herzlich willkommen, denn natürlich will auch ein Festival mit kostenlosem Eintritt wirtschaftlich funktionieren, was nur hinhaut, wenn die Besucher auch reichlich Getränke konsumieren. Hierfür laden Sonnenterrasse und Biergarten ein. Kalkulierte man in den Anfangstagen des Free & Easy noch, dass man ca. 1000 Besucher pro Tag bräuchte, damit das Festival keine Verluste einfährt, müssen es heutzutage auf dem größeren Gelände sicher ein paar Dutzend mehr sein.
Für Gäste mit langer Anreise gibt es zusätzlich Reservierungstickets für wenig Geld, die den Einlass in das "Backstage Werk" garantieren - und sich mit zwei Freigetränken zum großen Teil schon wieder selbst amortisieren. Aus Sicht des Veranstalters beschreibt es Chris vom Backstage Team so:
Backstage:: Soweit es geht finanziert sich das Free & Easy natürlich ausschließlich durch den Getränkeumsatz. Die Reservierungstickets sind für uns allerdings organisatorisch wichtig, da wir dadurch einen Eindruck bekommen, wie gut die Veranstaltungen besucht sein werden, was wiederum für Barpersonal und Security-Buchungen wichtig ist. Gäste von weiter außerhalb laufen dann auch nicht das Risiko umsonst herzufahren.
Damit die Gäste auch noch Gründe haben, länger zu bleiben, gibt es Aftershow-Parties und Midnight Gigs auf den kleinen Bühnen.
Backstage - Die Location
Das Backstage, respektive die Backstage Concerts GmbH um Gründer und Geschäftsführer Hans-Georg Stocker, ist in München DIE Institution der alternativen Musikszene. Zwischen den großen Locations der Stadt wie Olympiastadion und Olympiahalle, der Tonhalle, Zenith und anderen, und den vielen kleineren Locations wie dem Feierwerk, Strom, Substanz & Co. bietet das Backstage mit dem "Backstage Club" für etwa 280 Besucher, der "Backstage Halle" für etwa 360 Besucher und dem "Backstage Werk" für 1200 Besucher, einer kleinen Kneipe (das "Reitknecht") und der Open Air-Bewirtung auf Sonnenterrasse und Biergarten Platz für reichlich Publikum. Und natürlich bietet es die Bühnen für all die aufstrebenden Bands, die noch kein Stadion füllen, für die Altmeister, die die Stadionzeiten hinter sich haben, und für alle Kleinen und Großen aus den "kleinen", alternativen Musiksparten.
Dabei hat das Backstage selber eine - im wahrsten Sinne des Wortes - bewegte Geschichte. Kamen zum ersten Konzert im Jahre 1991 gerade einmal siebzehn Gäste in die Turnhalle im Stadtteil Forstenried, in die sich die Veranstalter eingemietet hatten, wuchs nach einiger Zeit der Erfolg. Der erste Umzug 1993 erfolgte auf Druck der Nachbarschaft, und auch in den folgenden Jahren konnte sich das Backstage dem wachsenden Siedlungsdruck der Stadt nicht entziehen. In den Folgejahren hat sich der Veranstalter in verschiedene alte Industriehallen eingemietet, hat sich dabei zwar stets vergrößert, und doch war keiner der Umzüge freiwillig geplant. Seit 2007 befindet sich nun das Backstage in der Reitknechtstraße in der Nähe der Friedenheimer Brücke an seinem bislang vierten Standort, für den sich eine Weile lang auch der Name "New Backstage" eingebürgert hatte. Und auch dort wächst die Zahl Bürogebäude und verglaster Fassaden rund um die alten Hallen, ein Schicksal, das das Zenith im Norden Münchens schon kennt und die Tonhalle im "Werksviertel Mitte" auch bald ereilen wird. Bereits seit 2016 war die drohende Kündigung seitens der Besitzer des Geländes wieder imminent, und das endgültige Ende hing wie ein Damoklesschwert über dem Backstage. Veranstalter Stocker ist es gelungen, einen Teil des aktuellen und des benachbarten Geländes zu kaufen, aber die beantragte Baugenehmigung hatte wohl nicht gerade Priorität, so dass die Zukunft lange ungewiss war.
Free & Easy - Die Bands
Wie in den News angekündigt, hat Bleeding4Metal für Euch ausgewählte Veranstaltungen besucht. Bei 130 Veranstaltungen und über 200 Bands sind da natürlich Grenzen gesetzt, und die besuchten Shows sollen nur einen kleinen Einblick in die Vielseitigkeit der Veranstaltung gewähren.
PADDY AND THE RATS, TRIDDANA, GRACENOTES
Am Eröffnungsabend wird zur Folk Night im "Backstage Club" mit den tiroler Iren GRACENOTES, den argentinischen Schotten TRIDDANA und den irischen Ungarn PADDY AND THE RATS geladen. Mit Spiellaune, viel Spaß und einer Mischung aus Klassikern und Eigenkompositionen eröffnen GRACENOTES aus Silz in Tirol den Abend. Diese haben sich voll und ganz dem Irish Folk gewidment und beginnen ihren Auftritt mit "Whiskey In The Jar" - mehr muss man zum Stil nicht sagen, oder? Ruhige, melodische Titel wechseln sich ab mit schnellen Nummern, die immer mal wieder die typischen anarchischen Momente haben, wenn Daniel (Gitarre) und Dnil (Bass) Sängerin Madeleine unterstützen und die Refrains dazushouten - zu Titeln, die die Fans gerne mal mitgrölen. Das Publikum jedenfalls hat von Anfang an Spaß und geht mit, und besonders eine kleine Gruppe darunter veranstaltet wilde Tänze, Klatschperformances und vieles mehr. Einziger Fremdkörper im Set ist vielleicht das MANFRED MANN-Cover 'Mighty Quinn'. Ansonsten der perfekte Start für das nicht ganz metalaffine Publikum.
Natürlich wäre das kein Gig für Bleeding4Metal gewesen, wenn nicht noch etwas härtere Klänge zu erwarten gewesen wären. Für die sorgt die zweite Band des Abends, die Argentinier in Schottenröcken TRIDDANA. Die Folk-Elemente kommen hier vom Dudelsack oder der Flöte, ansonsten kracht und raucht es ganz anständig, und mit dem Auftreten der Band an sich und der leicht dreckigen Attitüde lassen sich ganz klar auch Elemente aus dem Sleaze Metal erkennen. Die Songs sind dementsprechend nicht überkompliziert arrangiert, dafür gibts das klasse Basspiel von Diego und das Dudelsack- und Flötenspiel von Pablo. Maximiliano wird gerade Papa, drum ist er in Argentinien geblieben und wird am Schlagzeug vertreten, und José an Gitarre und Mikro gibt so ziemlich die Rampensau. Beim Metalfan jedenfalls steigt der Spaßfaktor, und auch hier gibt es durchgeknallte Aktionen vom Publikum mit den bereits erwähnten Klatschperformances, Polonaise und Pogo/Mosh.
Verleugnen kann man es nicht, der Großteil des Publikums wartet immer noch auf den subjektiven Höhepunkt des Abends: PADDY AND THE RATS um Sänger/Gitarrist Paddy O'Reilly aus Ungarn (aber die Namen der Bandmitglieder klingen allesamt erstaunlich irisch). Mit recht wilder Instrumentierung - akustische Gitarre, elektrische Gitarre, Bass, Schlagzeug, Akkordeon, Geige - geht es hier auch ziemlich flott zur Sache. Andere Quellen bezeichen den Stil als "Celtic Punk", ich würde von Irish Folk mit starker Punk-Schlagseite reden. Läuft vermutlich auf dasselbe hinaus. Auf der kleinen Bühne drängt sich die Band schon gut zusamen - Schwergewicht Seamus an den Drums braucht für sich schon einigen Platz - und auch der Publikumsraum scheint geschrumpft zu sein. Jedenfalls gibt es hier kein Halten mehr, der Pogo wird wilder (und ich hab Angst um das Getränk in meiner Hand), die Stimmung kocht über. Langsame Nummern scheinen die Jungs nicht zu kennen. Zum letzten Stück des Auftritts fordert Paddy das Publikum auf, sich in der Mitte des Saales zu teilen - und dann kommt sie in den ersten Takten des Titels, die Wall of Death. Puh. Das war mal ein Eröffnungsabend.
MARKY RAMONE'S BLITZKRIEG, DEAD KITTENS, LITTLE TEETH
Auch mein zweiter Besuch des Festivals sollte ein wenig Wilderei im Punk sein. Die Newcomer LITTLE TEETH, bestehend aus den Wahlmünchnern Cory und Jason und den Münchnern Max und Bastian, erweisen sich als nicht ganz so bissiger, aber durchaus massentauglicher Schrammelrock mit flotten Rhythmen und eingängigen Melodien. Stilistisch lehnen sie sich nicht sehr weit aus dem Pop-Rock-Bereich heraus, daher ist's für den Metal-Fan schwer einzufangen. Die spielerische Qualität lässt sich aber nicht verkennen und die Band kriegt einigen Applaus. Auch ernste Themen wie Depressionen und Selbstmord packen sie an. Das erste Album ist veröffentlicht, und die Produktion will noch finanziert sein, und so bittet Sänger Cory um reichlich CD-Käufe am Merch-Stand. Und, falls jemand keine Kohle haben sollte, er habe auch keine Allergie gegen psychoaktive Wirkstoffe. Na gut. Wir wünschen der Band, dass sie schnell die Produktionskosten einspielt.
Ganz klar die "dangerous Freak Points" erspielen sich heute abend die DEAD KITTENS. Dirk singt und spielt Bass, KD sitzt am Schlagzeug. Das war's. Und dabei machen die beiden mächtig Alarm, sind politisch, ironisch, laut und Punk as Punk can. Irgendwie ist das Ganze aber schon ziemlich sperrig. Für das angestrebte Krachniveau wird eine gescheite Bass-Verzerrung vermisst, und ohne Gitarre kommt halt nicht der fette Sound zusammen. Ein bisschen erinnern mich die beiden an das westfälische Duo THE PICTUREBOOKS, die ähnlich reduziert instrumentiert sind, das aber durch innovative wie skurrile Ideen wettmachen. Am Ende können die toten Kätzchen nur einen Teil des Publikums mitreißen.
Schließlich kommt der Headliner des Abends, MARKY RAMONE'S BLITZKRIEG. Marky am Schlagzeug ist neben CJ einer der letzten Überlebenden der RAMONES. Nach wechselnden Besetzungen featurt die Band inzwischen BAD RELIGION-Gitarrist Greg Hetson, Sänger Iñaki Urbizu, der die Bühne mit einer Attitüde einnimmt, die man auch von Joey erwartet hätte (nur die Matte ist kürzer) und Bassist Martin Blitz. Glaubt man diesem, spielen BLITZKRIEG heute am laufenden Band den gleichen Titel, nämlich 'Onetwothreefour', nur in wechselnden Geschwindigkeiten. Nein, es kommt quasi das komplette bekannte Repertoire der RAMONES und dazu ein paar Coverversionen. Die meisten Titel kennt man eh noch. Die Pausen für Beifall sind überflüssig beziehungsweise werden ähnlich kurz gehalten wie die Punk-Songs, bevor Martin den nächsten Titel anzählt (wie sich das gehört: "Onetwothreefour" - Pause - Ratatatatata). Erschreckend ist heute nur die Erkenntnis: Irgendwie ist Punk Establishment geworden. Das Publikum ist beinahe beschämend zivil, und es gibt maximal Hüpfpogo. Schubsen und Rempeln ist nicht mehr en vogue - na ja, vielleicht beim Irish Folk noch? Immerhin wird die Musik goutiert.
ANIMALS AS LEADERS, ROLO TOMASSI, CAR BOMB
Wenn ANIMALS AS LEADERS sich ankündigen, ist klar: Es gibt heute musikgewordene Mathematik zum Dran-Verzweifeln. Da dürfen die Supportacts nicht weniger durchgeknallt sein. Entsprechen schwer fällt es, diese zu beschreiben oder gar zu kategorisieren. CAR BOMB werden hier und da als Metalcore bezeichnet, andere Quellen drücken sich gleich um die stilistische Einordnung herum. Irgendwie passt auch keine. Krachende Death Metal-Blasts, atonales Metalcore-Rhythmusgetrümmer, fauchende Vocals und elektronische Effekte wechseln sich ab und geben ein meist kompaktes, aber stets irrwitzig konstruiertes Gebilde ab. Für ein Trio mit Schlagzeug, Gitarre und Gesang machen die Jungs mächtig Alarm. Technical Death Metal, Progressive Metal, und Mathcore werden hier und da noch als Stilbezeichnungen genannt. Jeden im Publikum erreichen die New Yorker nicht, aber sie hinterlassen einen ziemlichen Eindruck. Nicht die einzige Band heute Abend, an der sich die Geister scheiden werden.
Denn das gelingt auch ROLO TOMASSI aus UK, die in eine ähnliche musikalische Kerbe schlagen. ROLO TOMASSI sind jedoch tendentiell melodischer - abgesehen von Sängerin Eva, die meist ziemlich wild faucht. Die rhythmischen Passagen sind mathematisch durchkonstruiert, Eva wechselt dann und wann in eine tonale Stimmlage - und dann gibt es immer wieder Passagen, die sich beinahe poppig anhören und die man glatt in der Cocktailbar als Hintergrundmusik laufen lassen könnte. Das hat ihnen wohl die Kategorisierung "Jazzcore" eingebracht - finde ich ein bisschen weit hergeholt. Auch Bezeichnungen wie Mathcore oder Post-Hardcore werden der Band attestiert, ja, das kann man gelten lassen. Aber auch die Briten sprengen mit ihrem schrägen Mix jede Schublade und stören sich nicht weiter daran, dass nur ein Teil des Publikums drauf abfährt.
Zum Schluss kommen ANIMALS AS LEADERS und präsentieren ihre Variante progressiven Metals. Tosin und Javier spielen den Zuhörer auf zwei achtsaitigen Gitarren schwindlig, während Matt dazu absolut kranke Rhythmen aus dem Schlagzeug zaubert. Hier würde ich am ehesten die Stilbezeichnung Jazz irgendwie mit der Band in Zusammenhang bringen wollen - jedoch ist das, was wie wahnwitzige Improvisation klingt, bis in die letzte Note und den letzten Schlag durchkomponiert und wird in absoluter Perfektion dargeboten. Anders als bei den beiden Support-Acts wirkt das Ganze auch nie wie durchgeknallter Krach, sondern wie ein mathematisch exakt entworfenes Kunstwerk. Sämtliche Titel sind instrumental, aber wie es Tosin gelingt, den komplexen Songs beinahe eingängige Melodien zu geben, ist wiederum eine Kunst für sich. Klar ist auch die Musik von ANIMALS AS LEADERS so speziell, dass sie sicher nie das große Publikum erreichen wird. Aber großartig ist sie allemal. Und mich persönlich flasht ihr heutiger Auftritt.
Midnight Gig: CRYSTALLION
Während die Tour Crew die QUEENSRYCHE T-Shirts vom Merch-Stand einpackt, spielen ein Tor weiter draußen die deutschen Power Metaller CRYSTALLION um die neue Sängerin Kristina und Gitarristen Markus einen der sogenanten Midnight Gigs. Kristina und die Jungs bieten ziemlich gute Mucke, der Sound ist für die Mini-Bühne wirklich gut, und trotz des gigantischen Headliners zuvor im "Werk" können CRYSTALLION eine erkleckliche Anzahl Gäste animieren, zu bleiben. Ich finde sie gut, aber leider warten am nächsten Morgen der Wecker und der "andere" Job auf mich, und ich kann nicht bis zum Schluss bleiben. Da muss vielleicht mal ein Studioalbum her.
Backstage - Die Zukunft
Wie schon erwähnt, stand das Backstage bereits seit 2016 wieder vor dem drohenden, endgültigen Aus. Nun wurde aber für das neu erworbene Gelände die sehnlichst erwartete Baugenehmigung erteilt, und dort soll es mit neuer Halle mit einer Kapazität von bis zu 3000 Personen mindestens bis 2023 weitergehen. Das schafft eine gewisse Planungssicherheit, und es bleibt zu wünschen, dass diese Institution München erhalten bleibt, und nicht noch weiter aus der Stadt herausweichen muss. In S-Bahnnähe und gerade so in Radlentfernung auch aus entlegeneren Stadtteilen, ist das ein Teil der Lebensqualität, die München nicht dem Druck des Zuzuges an Firmen und deren Mitarbeitern opfern darf.
Free & Easy - Das Fazit
Hierzu habe ich noch einen O-Ton von Chris eingefangen:
Was für ein Resümee würdet Ihr vom Free & Easy 2019 ziehen?