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Nazi-Metaller - oder: die Scheinheiligkeit der Political Correctness |
Ein Artikel von Opa Steve vom 09.04.2007 (16221 mal gelesen) |
Obwohl die Szene glücklicherweise verhältnismäßig klein ist, ist sie aktuell in aller Munde: die Nazi-Metaller. Überall thematisiert man sie, man kontrolliert völlig pc, ob ein paar Exemplare auf Konzerten auftauchen, beschwert sich über mangelhafte Security-Einsätze gegen befremdliche Symbolik. Man schreibt Leserbriefe und organisiert Webrings und Webseiten gegen sie.
Doch wie konsequent ist unser Einsatz wirklich, wenn es darum geht, die Szene sauber zu halten? Und was heißt überhaupt "sauber"? "Sauber" heißt übersetzt in Wirklichkeit, sich selbst eine Definitionshoheit zu vergeben, was "Gut" und was "Böse" ist. Nur darum geht es. Das ist ja auch insofern OK, als dass es das Privileg jeder selbsterklärten Szene ist, mit subjektiven Maßstäben zu arbeiten und Ausgrenzung zu betreiben. Aber werden diese Maßstäbe konsequent angewandt, und - noch viel wichtiger - würden sie sogar einer objektiven Betrachtungsweise standhalten? Fangen wir daher ganz innen an. Der klassische Heavy-Metaller ist oftmals nicht einmal mit ausreichend großem musikalischen Tellerrand gesegnet, um überhaupt Nazi-Bands aufzählen zu können. Klar weiß jeder, was Nazis sind, aber die Fantasie reicht ohne konkrete Beispiele oft nicht aus, um sich die Mischung aus Langhaarigen (nicht nur ein Symbol der Rebellion, sondern auch der Freiheit) gepaart mit Übermensch- oder Rassismus-Fantastereien funktionierend vor Augen zu halten. Dabei ist die Existenz der Nazi-Metaller in der Tat schon abstrus genug, denn in allen bisherigen faschistischen Gesellschaftsformen wäre der Metal (und damit der Metaller ebenfalls) als entartete Kunst ohnehin als einer der ersten verfolgt und ausgerottet. Nur ein klassisches Beispiel von der Schizophrenie eines überzeugten Nazi-Metallers. Mehr praktische Erfahrung hat aber schon derjenige, der sich auch mit den extremen Spielarten des Metals auseinandersetzt. Wer hier zuhause ist, der kann mit dem Begriff NSBM was anfangen, und hat die Problematik der Gesinnung vielleicht selbst schon erlebt. Auch hier sind die Meisten lobenswerterweise gegen Nazi-Metaller. Leider entpuppt sich aber die Ablehnung bei genauem Hinschauen immer wieder als lediglich reflexartiges Zitieren von dem, was man ohnehin als "korrektes Benehmen" in seiner Szene aufgeschnappt hat. Mit dem Erfolg, dass man zwar plakativ über ABSURD- oder BURZUM-Shirts die Nase rümpft, aber im Prinzip das ganze Problem nur auf wenige Bandnamen reduziert, und damit den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.
Wo hapert's also? Man hat fast den Eindruck, als wollte der Metaller nicht allzutief in den großen Gesinnungssumpf eintauchen und diesen in Frage stellen. Vielleicht aus Angst, dass man seine Szene vielleicht tatsächlich großflächig verurteilen müsste? Oder dass man mehr entdeckt, als einem lieb ist? Oder sich nicht eingestehen möchte, dass man mit zweierlei Maß gemessen hat, um sich den Spass an der geilen Musik nicht durch ein schlechtes Gewissen zu versauen?
Und hier kommen wir zum objektiven Punkt, der für unsere geliebte Szene mittlerweile tatsächlich kritisch geworden ist. Was ist tolerierbar, und was nicht? Wo sind die Grenzen, und stimmen unsere Maßstäbe? Zumindest das Thema des Nazionalsozialismus kann in Deutschland aufgrund der Vergangenheit (noch) nicht objektiv diskutiert werden. Überdeutlich wird dies, wenn man sich ausmalt, dass sich eine Band "HITLER" nennen würde. Über ein "STALIN" oder "MAO" würden wir müde lächeln, dabei waren beide in ihren Diktator-Zeiten quasi ebenbürtig, was die Ausrottung von Millionen von Menschen betrifft. Unsere Definition wäre sofort folgende: 'Die Band "HITLER" ist geschmacklos, ekelhaft, und muss geächtet (wenn nicht gar verboten) werden. "MAO" und "STALIN" wollen nur schocken, und wenn die Musik cool ist, darf sie selbstverständlich gehört werden.'. Die Auseinandersetzung mit dem Nazionalsozialismus ist ein urdeutsches Problem. Und das ist verständlich. Es sollte aber auch die Augen dafür öffnen, dass in anderen Ländern eben über NS-Symbolik genauso müde gelächelt wird, wie hier über Hammer & Sichel. Aber versucht doch mal, in Japan eine Band namens "MAO" an den Start zu bringen....
Wenn man nun vor der Wahl steht, üble Gesinnungen entweder nach vorherrschender Weltmeinung unter simpler "freier Meinungsäußerung" zu tolerieren, oder aber aus der lokalen Geschichte heraus zu verurteilen, fällt die Wahl nicht schwer - zumindest wenn man halbwegs von A nach B denken kann. Selbstverständlich ist Extremismus in jeder Form abzulehnen, denn jeder Extremismus ist eine Form von Intoleranz, die der Heavy Metal nicht dulden kann. Und dazu reicht es eben nicht aus, betmühlenhaft die Namen ABSURD, GRAVELAND, BURZUM etc. mit dem Bann zu belegen. Dazu gehört auch die Verurteilung von allzu laxem Umgang in Übersee mit diesen Attributen. Dass sie historisch nicht betroffen sind, mag man ihnen zu Gute halten - aber es ist keine Entschuldigung, dass ihr Menschenverstand offenbar nicht ausreicht, um entweder neutralere Schockelemente zu finden, oder gar die wirkliche Ideologie dahinter vollständig zu erfassen, die man damit in die Öffentlichkeit trägt. Was sich SLAYER auf einem ihrer frühen Videos geleistet haben (KZ-Ausschnitte zu ihrem trinkseligen Tourbus-Gesang) war eines der ersten Beispiele von eklatanten Geschmacksverirrungen, was Schockelemente und Humor betreffen. Auch wenn sie selbst "nur" Amerikaner sind, und SLAYER im Bandschnitt sicherlich keine NS-Gesinnung haben, wurde das Video zu Recht geächtet - nämlich wegen ihrer grenzenloser Dummheit, und um ihnen eine Grenze aufzuzeigen, was tolerierbar ist, und was nicht.
Heute scheint das Thema "Nazi" im Metal noch so ziemlich das einzig ächtenswerte Attribut zu sein. Was einen Außenstehenden nur verwundern kann, denn offenbar hat sich unsere Szene ausschließlich verpflichtet, sich selbst von Nazis zu reinigen, aber alle anderen extremen Richtungen zu tolerieren. Und selbst bei der Nazi-Thematik hält es sich oft so, dass man versucht, die Wogen möglichst flach zu halten. Allen voran Deutschlands größter Meinungsmacher, das ROCK HARD, verbiegt sich immer wieder so, dass man sich gelegentlich zwicken muss. Es ist schon bewundernswert, wie dieses Magazin die haarsträubendsten Geschichten aus dem Hut zieht, um wahlweise Absolution oder Verurteilung auszusprechen. Jüngstes Beispiel: WATAIN. Aus dem gesinnungstechnischen Umfeld der MLO stammend, ABSURD-Shirt-tragend, und auf einem Festival den Hitlergruß zeigend. Vor 10 Jahren gab's für sowas noch Schelte, die sich gewaschen hatte. Und heute? Man trifft sich zur "Aussprache", trinkt paar Bier zusammen, Götz Kühnemund findet die neue Scheibe geil, und schon steht für den ROCK HARD fest, dass es sich bei WATAIN um nette Jungs handeln muss, denen man vergibt. Ähnliche Ausnahmen galten schon für Jon Nödveidt und DISSECTION, deren (zugegebenermaßen damals geile) Musik einfach nicht ignoriert werden konnte, auch wenn Jon so ziemlich der Menschenfeind in Person war. Und natürlich wird man nicht müde, der ganzen extremen misantrophen Satanistenszene den Freibrief auszustellen - nach dem Motto: "Es sind nur menschenhassende bekennende Satanisten, aber gottseidank keine Nazis!". Toll, die wollen also nur spielen! Selbst bei vollendetem Mord scheint die politische Gesinnung allein ausschlaggebend, denn bei bekennenden Faschisten wie Varg Vikernes wird der Name BURZUM gestrichen, während man ZYKLON (deren Lyrics ebenfalls von einem Mörder geschrieben werden, der nebenbei mit den Extremsatanisten ABORYM zusammenarbeitet) locker weiter featuren kann.
Soviel zum Rückgrat des Szene-Organs, aber auch zur Szene selbst. Offenbar ist es tolerierbarer, allgemein menschenverachtend (oder im Sinne der MLO "antikosmisch") zu sein, als ein simpler Nazi. Die Bands selbst haben sich mittlerweile darauf eingestellt. Überall wird abgewiegelt, alles sei nur ein Spass, Nazis wären sie keine, und ihre Gesinnung hüllen sie in mystisches Geschwafel, bloß um öffentlich keine Stellung beziehen zu müssen. Seitens der Szene oder der Zines spart man auch immer höflich mit Nachfragen, solange der Nazi-Check als "bestanden" abgehakt werden kann. Man möchte ja auch mal wieder in lockerer Atmosphäre ein Bier mit den netten Musikern trinken. Dabei müssen extreme Satanisten und Misantrophen nicht einmal einen Hehl aus ihrer Gesinnung machen. Während ein "Ich hasse Juden und Schwarze" den sofortigen Ausschluss von der Öffentlichkeit bedeuten würde, wird ein "Ich hasse alle Menschen", wie es immer wieder aus diffusen Black Metal Ecken in Interviews tönt, so selbstverständlich aufgenommen wie eine Brötchenbestellung beim Bäcker. Der Grips reicht offenbar nicht dafür aus, um festzustellen, dass unter "alle Menschen" nicht nur Juden und Schwarze, sondern auch Du und Ich fallen. Die Parallellen zwischen ernsthaftem Satanismus und dem Faschismus sind so groß, dass man sie eigentlich nicht mehr unterscheiden mag. Umso verwunderlicher ist der unterschiedliche Umgang mit beiden Themen. Vielleicht weil wir keine satanistische Diktatur in Deutschlands Vergangenheit (oder sonstwo auf der Welt) hatten?
Es wird Zeit, dass hier wieder der Verstand einsetzt. Schockelemente waren schon immer ein fester Bestandteil des Metals, und das ist auch gut so. Das ist so lange gut, solange es als Stilmittel eingesetzt wird. Als IRON MAIDEN "666 - The Number Of The Beast" sangen, dachte niemand ernsthaft daran, dass sie den Teufel anbeten. Sie bedienten sich der Freiheit eines Fantasy-Elements, wie es ein Horrorfilm auch tut. "Der Exorzist" wurde ja auch nicht gedreht, weil der Autor besessen war. Doch wenn sich mittlerweile Musiker zu einer menschenfeindlichen Gesinnung bekennen, ist das etwas anderes, und muss auch anders bewertet werden. Heavy Metal ist Kunst, und da haben ernstgemeinte destruktive Weltanschauungen definitiv nichts verloren. Weder detaillierte Ausprägungen wie Nazis, noch sonst irgendwelche Idioten, die irgendjemandem das Recht auf Unversehrtheit und Freiheit absprechen. Völlig egal, unter welcher Überschrift das verpackt wird.
Also haltet unsere Szene sauber.
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