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Am langen Arm der Industrie - unter dem Eindruck des gestrigen ALCHEMIST-Konzerts |
Ein Artikel von Opa Steve vom 29.06.2008 (15738 mal gelesen) |
Stell dir vor, du bist Künstler. Künstler sind meistens sehr davon überzeugt, was sie tun. Sie halten sich für klasse. OK, leider gibt es zu wenige Künstler, die tatsächlich eine Ausnahmeleistung bringen (und damit meine ich nicht die Verkaufszahlen). Aber nun stell dir mal vor, du bist Künstler, und in allen Kritiken weltweit wird dir bescheinigt, dass du klasse bist - man erwähnt sogar das Wort "Genialität". Das ist erst einmal begrüßenswert, lässt einen wachsen (manche verlieren sogar die Bodenhaftung), und stößt einem weltweit Türen zu einem Markt auf, dass man von der Musik leben könnte.
Ist es wirklich so einfach?
Nein. Denn selbst, wenn du noch so gut bist, bist du bei finanziellem Erfolg auf die Industrie angewiesen. Du benötigst entsprechende Startvorschüsse, eine Plattenfirma mit guten Vertriebskontakten, und natürlich einen Promoter und/oder Booker für Touren. Man kann sich nicht weltweit einen Markt erschließen, wenn man eben lieber Musik macht. Für alles gibt es Profis. Die Industrie kommt dabei ja auch nicht schlecht weg, denn von den erschlossenen Märkten fällt ja auch (oftmals sogar der Großteil) für die Industrie ab. Es liegt also in der Verantwortung der Industrie, sich veröffentlichungswürdige Künstler auszusuchen (bei der Release-Flut schüttelt man manchmal mit dem Kopf - 40% aller Newcomer stellen meiner Meinung nach pure Resourcenverschwendung dar). Und es liegt natürlich auch im Eigeninteresse, diese Künstler auch nach aller Kraft zu promoten, den potentiellen Käufern zugänglich zu machen, und für ordentliche Verbreitung zu sorgen.
Warum das manchmal überhaupt nicht stattfindet, ist eins der großen Rätsel dieser Welt. Ich könnte jetzt aus dem Stegreif einige Combos aufzählen, deren außergewöhnliche Klasse dank fauler und ignoranter Business-Menschen der Öffentlichkeit nahezu verborgen bleibt. Sicherlich ist da auch ein gutes Stück Subjektivität dabei, wobei ich mir aber mit jahrzehntelanger Musikerfahrung und als erfahrener Rezensent durchaus zumute, Künstler mit dem "gewissen Etwas" zu erkennen. Aber der spezielle Fall, der mich zum Schreiben dieser Zeilen motivierte, ist noch eine Ebene höher gelagert: ALCHEMIST, die außergewöhnliche Band aus Australien, räumen nun mindestens die letzten 3 Alben in jeder Kritik Bestnoten ab. Selbst in der Mainstream-Postille RockHard ziehen sie als Unbekannter 3x in Folge in die Dynamit-Sparte ein, zuletzt mit der Höchstnote. Und das bei unterschiedlichen Rezensenten. In den weltweiten Mags und Zines ist es nicht anders. Irgendwas muss wohl dran sein. Und jeder, der das Glück hatte, ALCHEMIST mal kennenzulernen, ist vom Fleck weg begeistert. Gegenanzeigen bisher unbekannt. Nur bleibt es eben bei den wenigen Auserwählten, denen ALCHEMIST per Zufall über den Weg gelaufen ist. Aktive Promotion zumindest in Deutschland Fehlanzeige. Und das, obwohl mit Relapse Records doch wirklich kein Unbekannter dahinter steckt.
In den Beneluxländern und in England ist die Situation auffälligerweise besser. Offenbar arbeitet man dort mit fähigeren Promotern zusammen und hat leistungsstärkere Vertriebe im Rücken. Allein die CDs waren in Deutschland über Jahre fast kaum zu bekommen, und selbst heute sind sie sehr rar und nur knapp unter Importpreis. Alle Touren von ALCHEMIST führten um Deutschland herum. Während sie schon mit CULT OF LUNA im europäischen Ausland größeren Publikum vorgestellt wurden und wiederholt ins kleine niederländische Dörfchen Baarlo zum Prog-Power-Festival eingeladen werden (letztes Jahr als Headliner) kann man die deutschen Gigs an zwei Händen abzählen. Es sind Stippvisiten, wenn die Band mal gerade auf mehr oder weniger eigene Faust in einem gemieteten Van mal kurz während eines Day-Offs über die Grenze kommt, um wenigstens einzelne Clubgigs zu spielen.
So war es dann auch gestern im MTC in Köln. Der zuständige Veranstalter OnkelPromotion glänzte durch Passivität, und die wenigen Anwesenden hatten alle mehr oder weniger per Zufall von diesem Gig erfahren. Nicht einmal die großen Tourdatenbanken im Netz waren informiert, und wer nicht zufälligerweise von der MySpace-Seite oder durch Mundpropaganda von dem Gig hörte, beißt sich heute in den Arsch. Denn die zwei Dutzend Gäste, die den Weg dorthin gefunden hatten, hatten wieder ein orgiastisches Erlebnis, machten Lärm für Hundert, und auch bei der Band waren trotz der geringen Besucherzahlen Spielfreude und Idealismus bis zum Anschlag aufgedreht. Natürlich nutzte man die Chance, sich bei jedem einzelnen Besucher anschließend zu bedanken.
Vor solchen Bands ziehe ich den Hut. Und Relapse Records bekommt die Rote Karte, da sie als Inhaber der Verwertungsrechte ihren Job nicht machen.
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