Interview mit Mike von Moonspell

Ein Interview von Eddieson vom 14.12.2017 (30152 mal gelesen)
MOONSPELL haben mit "1755" ein Album veröffentlicht, dessen Konzept nicht nur geschichtlich relevant sondern dazu auch noch äußerst interessant ist und musikalisch überragend umgesetzt wurde. Grund genug also mit Schlagzeuger Mike, gebürtiger Amerikaner, mal etwas mehr über das dramatische Ereignis, dessen Folgen und das daraus resultierende Album zu sprechen.

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Hallo Mike. Danke, dass du dir kurz Zeit nimmst. Wie geht es dir?

Mike: Alles ist gut. Es ist schön hier in Portugal und wir sind mal wieder auf der Straße unterwegs. Also alles super!

Dann lass uns doch mal etwas über euer neues Album sprechen, das vor einiger Zeit veröffentlicht wurde. Wie nimmst du die Reaktionen darauf wahr?

Mike: Sehr gut, dass muss ich schon sagen. Ursprünglich haben wir gedacht, dass die Reaktionen aus Portugal besser ausfallen, aber die weltweiten Reaktionen und Reviews sind wirklich überwältigend.

Das Konzept des Albums beschreibt das schwere Erdbeben von 1755, auf das ein Tsunami und ein Feuersturm folgten, und fast komplett Lissabon zerstörte. Um es mal kurz zu beschreiben. Wer kam auf die Idee dieses dramatische Ereignis als Konzept für das Album zu nutzen?

Mike: Fernando konnte sich daran erinnern, wie er das Thema, und dessen geschichtliche Bedeutung, damals als Kind in der Schule behandelte. Auch die Aussichten auf weitere Erdbeben wurden damals durchgenommen. Portugal liegt sehr nah an einer der tektonischen Platten und die Forschung sagt, dass ein solches Beben jederzeit wieder passieren kann. Außerdem hat uns unser Label Napalm Records dabei sehr geholfen, weil sie daran glaubten, uns unterstützt haben, und keine Angst davor hatten, dass das Album auf Portugiesisch aufgenommen werden sollte.

Genau, das ist ein Punkt. Die Texte sind auf Portugiesisch und behandeln ein Thema, welches natürlich den Portugiesen sehr nahe geht. Warum habt ihr euch entschieden, dass das Album in eurer Heimatsprache aufgenommen wurde?

Mike: Das hat einen ganz einfachen Grund. Ein Thema, welches der Heimat so nah geht, kann nur in der eigenen Sprache am besten ausgedrückt werden. Wenn die Texte in Englisch gesungen werden würden, würde das schon etwas seltsam klingen. Aber natürlich hoffen wir, dass der Rest der Welt es versteht und die echten Gefühle trotzdem heraushören kann. Um eben das zu erreichen, mussten Texte aber auf Portugiesisch geschrieben werden. Ich glaube aber, dass die Metal-Community mittlerweile sehr offen geworden ist und mit der Sprache kein Problem hat. imgleft

Um dieses Thema seriös zu behandeln und mit vielen Fakten ins Detail zu gehen, musstet ihr bestimmt viel Recherche betreiben und einige Geschichtsstunden nachholen. Wie lange hat es gedauert, bis das Album von der ersten Idee bis zum letzten Mix und Master fertig wurde?

Mike: Oh ja! Das Ganze hat uns eine lange Zeit begleitet, zumal wir ja auch ständig auf Tour sind oder uns auf irgendwelchen Festivals rumtreiben. Also haben wir immer dazwischen an dem Album gearbeitet und es in zwei Teile aufgeteilt. Anfang 2016 war die Pre-Produktion mit Jon Phipps. In dem Sommer haben wir dann vier Songs aufgenommen. 2017 sind wir dann wieder in dasselbe Studio gegangen und haben an weiteren fünf Songs gearbeitet, die wir dann im April fertiggestellt haben. Fernando hat sich mit vielen Instituten, Professoren und Geschichtslehrern getroffen und mit ihnen über die damaligen Ereignisse gesprochen. Auch ich habe durch die Arbeit an dem Album viel über diese Katastrophe gelernt.

Wird das Thema denn auch im heimischen Geschichtsunterricht noch behandelt?

Mike: Ich habe davon gehört, dass im Unterricht noch darüber gesprochen wird. Ich wurde aber in Amerika geboren und habe eine ganz andere Geschichte. [lacht] Aber als Sohn portugiesischer Emigranten wäre es natürlich toll, das Thema zu studieren. Ich kann mir vorstellen, dass das meine Sicht auf Portugal noch mal verändert. Heutzutage hat sich nicht viel geändert, die portugiesische Jugend weiß nicht viel über die Geschichte des Landes und dessen Wichtigkeit. Wenn das Thema also nicht in der Schule behandelt wird, dann eben im Metal. Da werden oft wichtige Themen behandelt, die sonst kaum noch eine Bedeutung haben und das macht mich etwas stolz ein Teil davon zu sein.

Du sagtest ja eben, dass du in den USA geboren bist. Kannst du dich dann noch an deinen Geschichtsunterricht erinnern?

Mike: Ich kann mich gut an die amerikanische Geschichte erinnern aber nur wenig an die europäische. Ich bin nach Portugal gezogen, als ich 12 war. Damals hatte ich eine schwierige Zeit im Geschichtsunterricht, weil die Geschichte, im Gegensatz zu der in den USA, für mich sehr komplex war. Außerdem konnte ich die Sprache noch nicht richtig lesen und schreiben. So war die Schule sehr schwer für mich. In den Staaten hatte ich eine Menge Spaß daran und außerdem hatte ich da schon meinen ersten Schlagzeugunterricht. Sport wurde auch zu einem wichtigen Teil meines Lebens. Ich bin in der Nähe von Boston aufgewachsen und Bildung war dort sehr wichtig, aber durch die Musik und das viele Reisen habe ich noch viel mehr Geschichte gelernt. Das macht mich sehr glücklich.

Portugal ist ein streng katholisches Land. Jetzt ist das Erdbeben am 01.11.1755 passiert, einem kirchlichen Feiertag. Außerdem wurden fast alle Kirchen in Lissabon zerstört, aber das Rotlichtviertel ist verschont geblieben. Ein Schelm, der dabei Böses denkt. Natürlich kam damals das sogenannte Theodizee wieder auf. Also die Frage, warum Gott ein solches Desaster zulassen kann, obwohl der Großteil der Bevölkerung extrem gottesfürchtig ist.

Mike: Klar, dieses Ereignis war wie eine Erweckung für die Portugiesen und deren "Anführer". Man hätte auch noch mehr Kirchen bauen können, um die Leute unter Gottes Kontrolle zu halten, aber Gott wollte sie nicht bestrafen. Wissenschaft und Intelligenz kamen ins Spiel. Marques De Pombal erhielt damals den Auftrag vom König, Lissabon wieder aufzubauen. Und er tat es mit den bestmöglichen Methoden. Er achtete die Toten und übernahm Verantwortung für die Überlebenden. Die Stadt brauchte allein ein Jahr, um wieder auf eigenen Füßen stehen zu können. Es gab damals Hilfe aus allen Teilen Europas und diese Allianz aus verschiedenen Ländern war umwerfend für damalige Verhältnisse. Durch dieses Ereignis entstand auch die Erdbebenforschung. Man ging durch die Industrielle Revolution und das Zeitalter der Vernunft.

Hat das Ereignis, welches vor 265 Jahren passierte, auch heute noch Einfluss auf Portugal?

Mike: Wir haben uns mit Professoren und Ingenieuren aus dem Institut für See und Atmosphäre getroffen. In Zusammenarbeit mit vielen Nachbarländern zeichnen sie die Aktivitäten des Ozeans auf. Man kann das auf den Monitoren sehen und das mit nur drei Sekunden Verspätung. Die Leute in dem Institut haben das Ereignis von damals mit dem 9.11. verglichen und wie es die Welt veränderte. Sie haben uns auch erklärt, dass die Kraft und Bedeutung, die das Erdbeben damals hatte, bis heute nicht erreicht werden konnte. Natürlich half auch die folgende Diktatur nicht. Aber wir sind stolz auf unsere damaligen Führer, die das Leben mit angemessenen Grundsätzen sah, und sich nicht der Doktrin der Kirche unterwarfen. imgright

Die Songs, die das Album mit dem Konzept füllen, klingen wesentlich aggressiver, als die Songs auf den letzten Alben. Liegt das an dem Konzept oder wollen MOONSPELL insgesamt wieder etwas aggressiver klingen?

Mike: Das liegt vor allem an dem Konzept, wie es eigentlich bei jedem MOONSPELL-Album so ist. Wir lieben es, ins Detail zu gehen. Die Texte erzählen eine Geschichte und die Musik ist der Soundtrack dazu. Im Zuge dieses Albums waren wir in einem Museum, welches einen Simulator hat, der dich die Szenerie zur Zeit des Erdbebens nachfühlen lässt. Es war vernichtend, der blanke Horror und Verwirrung durch die komplette Stadt, durch die sich Menschen schlugen, die weiß vor Staub waren, weil die Gebäude und Kirchen eingestürzt sind. Unsere Vision war es, diese Erfahrung dem Hörer näher zu bringen. Also war es nötig unsere aggressive Seite wieder zum Vorschein zu bringen, inkl. dem Sound der damaligen Straßen. Kirchenchöre, afrikanische, arabische und portugiesische Einflüsse tragen ebenfalls dazu bei. Es gab einen großen Kulturmix und dies brachte die frühen Tage von MOOSNSPELL wieder zurück. Es war sehr erfrischend, ebenso war die Arbeit mit Tue Madsen. Wir haben ja auch schon vorher eine Menge aggressive Songs gespielt, es schien also perfekt ihn wieder ins Team zu holen. Ich denke die Kombination mit Chor und Orchester ist brillant.

Auch CRADLE OF FILTH, mit denen ihr ja Anfang nächsten Jahres auf Tour geht, haben ein fantastisches Album veröffentlicht. Schon gehört?

Mike: Klar, bin seit 1994 Fan und das neue Album ist super. Ich freue mich die Songs live zu hören, das wird bestimmt eine großartige Tour.

Bis dahin sind es noch gut zwei bis drei Monate. Was macht ihr in der Zwischenzeit?

Mike: Wir haben vor kurzem ein paar Release-Partys in Lissabon und Porto gespielt, gefolgt von einer Tour durch Spanien und ein paar Shows in portugiesischen Theatern. Diese Theater-Termine sollten ein wenig das Gefühl von der damaligen Zeit vermitteln. Außerdem haben wir ja alle Kinder und Familien, das muss mit verschiedenen Produktionen, Management-Angelegenheiten und Proben unter einen Hut gebracht werden. Es gibt also immer was zu tun.

Mike, vielen Dank für das Interview. Viel Erfolg für Album und Tour. Die letzten Worte gehören dir.

Mike: Vielen Dank für den Support. Ich hoffe wir sehen uns auf der Tour. Kommt vorbei und erlebt, was uns verbindet. Metal hat mein Leben verändert und ich hoffe, dass es vielen Anderen auch so geht. All the best!

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