Föhn - Condescending

Review von Dead_Guy vom 05.09.2024 (11985 mal gelesen)
Föhn - Condescending Als ich diese Promo erhielt, schrieb ich darüber mit dem von mir geschätzten Kollgen Kai vom Åbstand-Magazin, der mit einer außerordentlich großen Leidenschaft für (ultra-)langsame Musik gesegnet ist. Da es ihn daraufhin in den "Fingern juckte", sich unsere Bewertung deckt und er das Ganze weitaus fundierter beschreibt als ich, der die Weiten des Funeral Dooms bei weitem nicht in der Tiefe ergründet wie er, gibt es heute statt einem Review von mir ein Gastbeitrag von eben diesem Kollegen. Viel Spaß beim Lesen:

"Fangen wir mit der Quintessenz an und resümieren, dass "Condescending" ein fantastisches Stück Funeral Doom ist. Eines, das viel Traditionsbewusstsein, gepaart mit einem ausgeprägten Willen, sich nicht beschränken zu wollen, beweist. Als Tradition lassen sich beispielhaft Spurenelemente von ESOTERIC am Ende des Titels 'Bereft' wahrnehmen, ebenso ziehen sich Zitate und Einsprengsel von EVOKEN, WORSHIP, MOURNFUL CONGREGATION und mehr kreuz und quer durch das Debüt des griechischen Trios. Allerdings sind FÖHN explizit und hörbar mit dem Anspruch angetreten, sich nicht nur in den Stereotypen des Funeral Dooms zu bewähren, sondern dem Genre einen avantgardistischen Ansatz einzuhauchen. Letztlich bleibt der Avantgarde-Anteil hier ein überhöhtes Etikett. Im Vergleich zu Acts wie ESTRANGEMENT, HALLOWED BUTCHERY, DOOMSLUT oder GOSPEL OF DEATH sind FÖHN immer noch Melodic Death und Funeral Doom. Doch Georgios Schoinianakis und Nikos Vlachakis sind keine Neulinge im Genre und mit ihren SHATTERED HOPE-Erfahrungen beweisen sie gemeinsam mit dem hinzugekommenen Bassisten Georgios Miliaras, dass sie in der Lage sind, sich sowohl handwerklich als auch kreativ im Funeral Doom zu emanzipieren und sich unter Einflüssen aus Dark Jazz und Dark Ambient eine kleine Nische im Genre zu sichern. Auch diese Nische ist nicht ganz neu, die mexikanische Band ABYSSAL und das finnische Projekt STARBOARD seien als jüngere Beispiele für eine analoge Idee genannt.

Genug einordnendes Resümee-Gelaber, kommen wir also zum Wesentlichen: dem Album. Die Musik ist ein eleganter und melodischer Funeral Doom. Die Essenz des Genres, wie das besonders tiefe Growling, das durchgehend behäbige Tempo und die atmosphärischen Spuren von Melodien und Harmonien sind allgegenwärtig. Doch FÖHN bereichern den Funeral Doom mit einer eigenständigen Dynamik abseits des Post-Metal-laut-leise-Spiels und verweist mit zwei Gastsaxophonisten auf den (Dark) Jazz. Mit ausladenden Intros und einem großen Fragezeichen versehen ist das Konzeptalbum "Condescending" derweil als Suche nach dem Verlust der Unschuld angelegt, nach dem Zeitpunkt, dem Umstand, dem Vergessen und der Leere danach ... Vier Titel lang untersucht jedes Stück das Thema auf eigene Weise.

Der Opener 'Bereft' bricht mit grell schreienden Saxophonklängen los und weckt gellende Erinnerungen an Fred Madisons verzweifelt wütendes Spiel in David Lynchs "Lost Highway", was dem Stück eine bittere und drängende Atmosphäre verleiht. Nach knapp vier Minuten verwandelt sich der Moloch aus repetitiven Gitarrenschlägen, schleppendem Schlagzeug und Saxophongebrüll in einen sich langsam entfaltenden Funeral Doom. Der Genrekenner mag hier STATION DYSTHYMIA als Vergleich heranziehen, nur dass FÖHN deutlich mehr Kraft und Wucht einsetzen und schließlich sogar in die erwähnten ESOTERIC-Gefilde vorstoßen. Überhaupt scheint ESOTERIC ein wichtiger Bezugspunkt des Albums zu sein. Auch der kristallklare und tonnenschwere Sound, der die Band zusätzlich aus der Masse der Genreinterpreten heraushebt, dürfte Greg Chandlers gekonnter Mix- und Mastering-Magie zu verdanken sein.

Mit 'A Day After', dem zweiten Stück, wird zaghaft eine Art Grundmuster erkennbar. Am Anfang steht erneut ein längeres Intro als Einladung in die Gedankenwelt des Stücks. Das dissonante Saxophon des ersten Stücks wird im zweiten von einem Kinderlachen abgelöst. Ausdruck jener kindlichen Unschuld, über deren Verlust nachdenkend der Gitarrist Georgios Schoinianakis FÖHN erfand. Die Konfrontation mit der Armut eines indonesischen Straßenkindes, im Kontrast zur behüteten Kindheit des Samples, warf bei ihm die Frage auf, wann die eigene Unschuld verloren ging und ob er selbst sich nicht gerade "einen Tag danach" befand. Entsprechend drückend ist das Instrumentalspiel, in das das wohlige, von atmosphärischen Keyboards untermalte Sample von spielenden Kindern übergeht. Zäh kriechende Gitarren und ein Funeral Doom im instrumentalen Strudel von ESOTERICs "The Maniacal Vale", geheftet an ein Leerraumspiel, das an MOURNFUL CONGREGATIONs "The Monad Of Creation" erinnert. Aber final von einem sakral erhabenen Chor in die Unendlichkeit geführt. Ein so sublimes wie schmerzlich elegisches Stück, das der Grundkonzeption des Albums und der Vita des Stückes absolut gerecht wird.

Es folgt mit 'The Weight Of Nothing' die beinah obligatorische Auseinandersetzung mit der inneren Leere. Kreisende Gitarren lullen den Hörer in hypnotischen Schleifen ein, bis sich das drückende Riffing über Growls und langgezogene Leads legt. Derart drängend und drückend entfaltet sich wieder ein Gefühl von ESOTERIC, nur reduzierter und auf das eigentliche Spiel fokussiert, mit klarerer Lead und weniger Effekten. Dynamische Wechsel dehnen das Stück und lassen 'The Weight Of Nothing' zum kraftvollsten des Albums anschwellen. Hier zeigt sich einmal mehr die Leistung von Greg Chandler bei Mix und Mastering. Der Sound ist tief, klar, satt und organisch, die Riffs fühlen sich verdammt fett an und das Schlagzeug wirkt geradezu lebendig und aggressiv, wie ein lauerndes Dschungelungeheuer oder eben jenes bedrohliche Etwas, das hinter der inneren Leere lauert.

Den Abschluss bildet das 17-minütige Epos 'Persona'. Wieder geht dem Stück ein Sample-Intro voraus. Die vermutlich fiktive Aufnahme einer Frau, die eine grausame Geschichte über ihr Leben als heroinsüchtige Prostituierte, als misshandeltes und manipuliertes Objekt erzählt, durchzogen und überlagert vom Weinen und Schreien einer weiteren oder derselben Frau. Die eingangs zarten Töne der Gitarre werden im Verlauf der Erzählung durch Loungeklänge von Gitarre und Schlagzeug ergänzt, bis der Song die aufgestaute Trauer und Wut in all ihrer Resignation aufbrechen lässt. Wohlgemerkt ohne die ersehnte Katharsis einer Eruption. Weit qualvoller findet eben jene Resignation ihren Ausdruck in klagenden Funeral-Klängen, zu welchen Nikos Vlachaki eben jene Geschichte als Ausgangspunkt nimmt, um über die Unausweichlichkeit des Verlustes der Unschuld zugunsten des Profits zu sinnieren. Dabei alterniert das instrumentale Spiel zwischen den mittlerweile bekannten Polen der Band, insbesondere das an MOURNFUL CONGREGATION erinnernde Leerraumspielen, Töne und Rhythmusanschläge bis in die Zersetzung aushallen zu lassen, kommt hier zur Geltung. Dabei weiß das Trio das Saxophon als Leadinstrument gekonnt als Kontrastpunkt einzusetzen, und der Vlachakis-Gesang schlägt hier sogar in ein verzweifeltes Schreien um, das Erinnerungen an ATARAXIE aufkeimen lässt.

Natürlich gibt es auch Schwächen. Einige kompositorische Schlenker sind überflüssig oder hätten zumindest kompakter ausfallen können, das Album als Gesamtpaket hätte eine Spur weniger Gefälligkeit gutgetan und das Intro-Song-Schema wirkt beim dritten Mal doch zu aufgesetzt, zumal die Intros in ihrer Fülle jeweils etwas zu lang wirken. Das multinationale Duo CEREMONIC BURYMENT hat diese Idee des langen Intros/Samples beispielsweise auf "As We Weep Over Life" pointierter und damit treffender umgesetzt. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Eklatante Mängel gibt es nicht, und was es zu kritisieren gibt, sind Nuancen in diesem Debüt. Summa summarum dürfte "Condescending" am Ende des Jahres zu den Top 5 Genre-Alben 2024 gehören und FÖHN zu den vielversprechendsten Newcomern im Genre zählen."

Gesamtwertung: 8.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Bereft
02. A Day After
03. The Weight Of Nothing
04. Persona
Band Website:
Medium: CD+digital
Spieldauer: 57:29 Minuten
VÖ: 23.08.2024

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