Drüber gestolpert - Ein Tonträger gegen Rechtsextremismus

Ein Artikel von Kex vom 24.09.2009 (11644 mal gelesen)
Eigentlich ging es um etwas ganz anderes als Musik. Es ging darum die Jugendarbeit in unserem Kirchenkreis zu retten und dem Bischof klar zu machen, dass seine Kirche mittlerweile auch von Agnostikern und Atheisten getragen wird - wegen ihres sozialen Engagements.
Am Ende der Diskussionen bekam einer kleine Teil der Ehrenamtlichen ein Geschenk, mit dem so niemand gerechnet hatte: Einen "Tonträger gegen Rechtsextremismus". Genau diesem soll der Artikel gewidmet sein, nicht der Frage nach Glauben, Christentum oder der Institution Kirche. Die evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck ist zwar Initiator dieses Tonträgers - doch Infiltration findet nicht statt, im Gegenteil, hier wird sich für eine gute Sache eingesetzt, die in Zeiten von Wahlerfolgen der NPD auf jeden Fall Beachtung finden sollte.

"Tonträger gegen Rechtsextremismus" - Das Projekt
Um gegen Rechtsextremismus ein Zeichen zu setzen rief die evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck zu einem Jugend-Song-Contest auf, bei dem Jugendbands aus dem Landeskirchenkreis Texte und Melodien gegen Rechts bis zum 28.02.2009 einsenden konnten. Neben Jugendbands der Kirche bewarben sich auch eine Vielzahl außerkirchlicher Bands, Einzelpersonen und sogar Schulklassen, auf den Tonträger schafften es schließlich 12 Songs. Zur Eröffnung des Hessentags in Langenselbold am 12.06.09 wurden die Gewinner geehrt, sowie die CD als solche vorgestellt. Die Bands selbst haben die Songs nicht eingespielt - stellvertretend haben dies erfahrene Musiker übernommen. Die CD selbst wurde in einer Auflage von 10.000 Stück gepresst, um diese auf Schulhöfen zu verteilen. Unterstützt wurde die Aktion unter anderem von der Deutschen Post AG, WIR SIND HELDEN sowie der Skapunk-Gruppe STROM & WASSER.

"Tonträger gegen Rechtsextremismus" - Die Musik
Auf der CD finden sich 12 Songs, die 45:34 Minuten quer durch verschiedenste Musikszenen gehen, zumeist befinden sich die Songs im Pop/Rock- und Soulbereich wieder. Die Bewerber haben zu ihren Texten jeweils die Melodien gestellt, die Komposition übernahmen dabei aus Zeit- und Kostengründen erfahrene Musiker. Los geht es rockig mit dem Song 'Es reicht', eingereicht vom MEINHARDER TEENCHOR. Es wechseln ruhige Gesangspassagen im Stile XAVIER NAIDOOS mit flottem, rockig angehauchtem Refrain.
Weiter geht es mit 'Wieso Weshalb Warum', der Jugo-Projekt-Band FUZZ 2, deren Song sich im Mix von Neuer Deutscher Härte in Richtung RAMMSTEIN und UNHEILIG präsentiert.
Eher punkig schließt sich 'Wachsam sein' von den JAMSTICKS an, der sich mit Produktionen von den BEATSTEAKS durchaus messen lassen kann, gleichwie mit einigen Skaproduktionen.
'Jeder ist anders' ist der Song der Siegergruppe der Band 'JÜNGER'. Beginnend im nachdenklichen, ruhigen Stil steigert sich Keyboard und Gitarre in eine Aufbruchstimmung hinein, die dem Text durchaus gerecht wird.
Der 'Regenbogensong' ist den Federn der Schulklasse 8H der Berlin-Thiergarten-Schule entsprungen. Die ersten Akkorde lassen zunächst an einen Western denken, doch geht es dann mit einem Mix aus Neuer Deutscher Welle und Rock weiter - schade, dass die Gesangspassagen im Refrain zu hoch angesetzt sind. Insgesamt ist dies der schwächste Song der CD.
Eine Gruppe ohne Namen reichte 'Zusammen gegen Gewalt' ein. Einen Song, der nachdenklich und ruhig im Stile von U2 einfordert, gemeinsam den Kampf gegen Gewalt aufzunehmen - auch hier stellenweise stimmlich etwas zu hoch angesetzt, ansonsten ein schöner Song.
Einen Sonderpreis erhielt SIMON KÜMMLING für 'Don't Close your eyes', der im Gesang passend eine Soulfärbung und in der Komposition Elemente des Blues verpasst bekam, eine sehr schöne und recht hochwertige Abwechslung auf der CD.
Die Geschichten, die unzähligen Einwanderern widerfahren, fasst VERA FILLIPONI in 'Different' zusammen, stimmlich wunderbar emotional umgesetzt. Die Melodie, getragen von Akustik-Gitarre und nur streckenweise dezent angeschlagenen E-Saiten unterstreicht den nachdenklichen Inhalt, steigert sich aber passend um den geforderten Aufbruch einzufordern.
Keyboard und weiblicher Gesang zeichnen in 'Leben' eine traurige Geschichte nach - ohne jedes Happy End. Leider ist die Umsetzung des zweitplatzierten Songs der Gruppe PYTHAGORAS im Schlussteil nicht so gelungen - die melancholisch eingespielten Akkordeonklänge zu französischem Gesang wirken eher deplaziert. Schade.
Den Abschluss bildet 'Teil von mir' der Schulband SEVEN ROSES. Die Melodie erinnert auf jeden Fall an einen bekannten Popsong der neunziger - leider komm ich nicht auf den Titel - die Umsetzung aber ist passend ruhig, auch hier wieder weiblicher Gesang.
Insgesamt sind die Kompositionen der meisten Songs gelungen, vor allem die ruhigen, emotionalen Umsetzungen punkten und stimmen nachdenklich. Das Plädoyer: Leute, wacht doch auf! in 'Teil von mir' leitet dann gut zu den abschließenden Songs der unterstützenden Bands über.
'Hartschalenkostüme' von STROM & WASSER fängt zunächst wie REINHARD MEYS 'Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland' eher bedrohlich an und verbleibt in sonorer Weltuntergangsstimmung um dann im Refrain den Hörer wach zu rütteln.
Zum Abschluss erinnern WIR SIND HELDEN mit 'Der Krieg komm schneller zurück als man denkt' daran, dass wir eine Verantwortung haben.

"Tonträger gegen Rechtsextremismus" - ein Fazit
Die Idee ist gut, die Jugend schreibt für die Jugend, Text und Melodie sind professionell Umgesetzt und spiegeln zumindest zum Teil die momentanen musikalischen Hörgewohnheiten wieder, wobei ich die ein oder andere Elektro-, aggressive Punk- oder Hip-Hop-Produktion vermisse. Den Hauptsächlich in Deutsch gehaltenen Texten merkt man zwar an, dass sie aus jugendlicher Feder stammen, doch sind diese keinesfalls plump oder weltfremd. Hier kommt zum Ausdruck, was Schüler bewegt und vor allem, welche Zeichen sie sich von der Gesellschaft wünschen. Der Song von STROM & WASSER dürfte wohl eher die älteren Generationen begeistern, doch mit WIR SIND HELDEN haben die Initiatoren eine zeitgemäße Band auf ihre Seite gezogen.
Dem Sound merkt man an, dass hier Professionelle am Werk waren, dennoch hätte man vielleicht an den Stimmen noch ein wenig rumbasteln oder Teile noch mal verändert einsingen sollen. Sicher wäre es spannender Gewesen, die einzelnen Bands alles komplett umsetzen, komponieren und einspielen zu lassen, letztlich wird das allerdings nicht finanzierbar gewesen sein.
Abgesehen davon, dass die Werbung bisher mies war, finde ich Idee wie CD gut und hoffe, dass so einige der Tonträger in Schülerhand geraten. Zu kaufen gibt es den 'Tonträger gegen Rechts' meines Wissens nach nicht, wer weiteres Interesse hat, kann versuchen über tontraeger@ekkw.de Näheres zu erfahren - zum Beispiel wie um alles in der Welt man an diese CD rankommt, wenn man nicht Pfarrer ist.

"Tonträger gegen Rechtsextremismus" - Heavy Metal?
Für Metalfans ist wohl nur 'Wieso Weshalb Warum' wirklich interessant, da hier die Gitarren nicht sanft und melodisch, sondern mit angemessener Härte den Gleichschritt imitieren. Der Gesang erinnert stark an Till Lindemann, während die Kombi aus Keyboard, Bass und Gitarren dann eher UNHEILIG widerspiegelt. Die restlichen Songs, in denen die Akkordfolgen und Spielarten dem Rock nahe kommen sind insgesamt zu seicht und standardmäßig, als dass sie irgendwen in der Szene großartig beeindrucken würden. Generell hätte aus Sicht der Metalszene mehr an härterer Musik vertreten sein können.
Die Aktion hat mich dennoch darüber zum Nachdenken gebrach, warum es keine CD gegen Rechts gibt, von Metalbands für Metalfans, die kostenlos auf Festivals verteilt wird. Wenn die Kirche für solch eine Aktion Sponsoren findet, müsste sich so etwas sicherlich organisieren lassen, zumal es genügend Bands gibt, wie zum Beispiel MISERY SPEAKS, die Songs gegen Faschismus oder reche Gewalt in ihrem Repertoire haben. Wahrscheinlich sind es Fragen der Koordination, Produktion und der Zeit, die ein solches Projekt verhindern.

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten