Livebericht Engst (mit Schimmerling ) |
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Ein Livebericht von Stormrider aus Aschaffenburg (Colos Saal) - 19.10.2024 (11626 mal gelesen) |
Was für ein grandioser Abriss! Das waren die finalen Worte meiner Konzertreview von ENGST im Das Bett in Frankfurt letzten November. Naja, und um das Fazit des Gigs im Aschaffenburger Colos-Saal schon mal vorwegzunehmen: WAS FÜR EIN UNGLAUBLICH FETTER, ENERGETISCHER UND GRANDIOSER ABRISS!!! Wer sich an diesem (mit fast 20 Grad recht warmen) Oktober-Samstagabend ein Ticket für ENGST in der fränkischen Musikmetropole gekauft hat, der dürfte sich für eines der Konzerthighlights des Jahres 2024 entschieden haben. Die Band war schon beim nachmittäglichen Interviewtermin (Näheres in Kürze auf diesem Kanal!) gut drauf und hat erzählt, dass die Tour super läuft. Der Stimmungssieger kommt zu diesem Zeitpunkt jedoch noch aus Köln. Es gilt also für die knapp 500 Anwesenden sich diesen Spot nun in den Colos-Saal zu holen. Dass die vier Berliner sich gerne auch mal einen Support auf ihre Rundreisen mitnehmen, die auf den ersten Blick kein musikalischer Hundert-Prozent-Match sind, ist bekannt. Dass ihre Fans aber extrem open minded sind und auch diese Künstler feiern, ist ebenfalls nichts Neues, siehe auch BLUTHUND bei der letztjährigen "Irgendwas Ist Immer"-Rundreise. Heute darf SCHIMMERLING den Abend eröffnen und betritt um 20:00 Uhr nicht einfach nur die Bühne, sondern wird von ENGST-Fronter Matthias persönlich angesagt und auch mit einer Menge Vorschusslorbeeren bedacht. Er lobt die engelsgleiche Stimme und die Lyrics, stellt sich dann direkt vor die Bühne und sieht sich den Gig von mitten aus den Fans an. Das primäre Gefühl, dass es für einen Musiker, der nur mit einer Akustikgitarre bewaffnet ist, auf einem Punkrockkonzert nicht einfach sein könnte, lässt sich auch bei den ersten beiden Tracks nicht ganz leugnen. Dennoch nimmt das Publikum ab dem zweiten Song, 'Luft + Liebe', ein wenig Fahrt auf und auch der Colos-Saal beginnt langsam (sich) aufzuwärmen. Dass SCHIMMERLING immer wieder lustige Sprüche und Ansagen raushaut, gibt dem ganzen bisweilen einen Stand-up-Comedy-Touch, macht es aber auch sehr sympathisch. So fragt er zum Beispiel, was denn die Stadt Aschaffenburg so ausmacht. Da es keine Rückmeldungen auf die Frage gab, kontert er mit einem charmanten: "Das hab ich mir gedacht!" Was natürlich für einige Lacher sorgt. Doch nicht alles bleibt humoristisch, es gibt auch eine ernste politische Komponente, die besonders vor 'Philosophia' zum Tragen kommt und in einem "Miteinander ist unsere größte Stärke, liebe Freundinnen und Freunde" mündet. Genau so ist es. Noch nie gab es in einem Krieg am Ende einen echten Sieger! Nur miteinander können wir es schaffen, diese Welt am Drehen zu erhalten. Nun sind auch die Fans etwas aufgetaut, es werden in den ersten Reihen sogar SCHIMMERLING-Banner hochgehalten und es wird fleißig mitgesungen. Brauchte ein wenig, das Publikum, aber jetzt ist es da und beginnt langsam mit der Party. Hier hilft es natürlich auch, dass trotz der reinen Akustikinstrumentierung niemals eine Lagerfeuerromantik aufkommt, denn SCHIMMERLING verzichtet in seinem Anschlag auf die klassisch(st)en Schlagmuster und erzeugt so vielmehr einen Unplugged-Indierock-Charme. Den vorletzten Platz in der Setlist bekommt 'Zimmer', der erste Song, den der Bonner jemals veröffentlich hat, nur um dann direkt im Lockdown gefangen zu sein, was natürlich für die mediale Aufmerksamkeit eher suboptimal lief. Als nach 'Ein + Alles' um 20:45 Uhr die Lichter angehen, konnte sich Simon (wie SCHIMMERLING bürgerlich heißt) durch seine Performance bestimmt ein paar neue Fans erspielen und hinterlässt ein aufgewärmtes, aber noch nicht gänzlich heißgelaufenes Aschaffenburger Publikum. Das wird seine Reserven allerdings noch brauchen. Setlist SCHIMMERLING: 01. Gedichte 02. Luft + Liebe 03. Everybody 04. Outro 05. Philosophia 06. Zukunft 07. Zimmer 08. Ein + Alles Nach einer recht kurzen Umbaupause (es musste ja nicht viel umgebaut werden) läuft pünktlich um kurz nach 21 Uhr das Intro und ENGST starten fulminant mit 'Wieder Da' in den Set. Es dauert keine 30 Sekunden, bis die Bude bebt. Sofort geht die Temperatur nach oben und es gibt keine Frage, dass hier und heute mit einer Party galore zu rechnen ist. Der Bühnenaufbau entspricht dem der 2023er Tour, bleibt damit also spartanisch, aber effektvoll. Denn die gestapelten Bierkisten, in denen diverse Lichteffekte eingebaut sind, funktionieren sowohl als Backdrop als auch inhaltlich, denn schon der zweite Song hört auf den schönen Namen: 'Nie Wieder Alkohol... Vielleicht'. Matze macht dem jetzt schon frenetisch jubelndem Publikum auch direkt klar, dass es hier und heute um den Stimmungsspitzenplatz der Tour geht und man zwar einen guten Start hingelegt hätte, aber Köln eben eine echte Messlatte sei. Ein Samstagabend ist aber auch prädestiniert für eine zünftige Sause, und der bekennende Hawaiihemdenträger, der sich heute für ein schlichtes schwarzes Rockoutfit entschieden hat, ist bereits bei Song Nummer drei ('Umtausch Ausgeschlossen') das erste Mal im Publikum, um den Song dort zu singen. Es wird nicht das letzte Mal bleiben. Die Setlist hat sich im Vergleich zum ersten Tourabschnitt vergleichsweise stark verändert. Das macht es sowohl für die Band spannend, aber natürlich auch für die Fans, die schon auf dem letzten Konzert im nur 40 Kilometer entfernten Frankfurt gesungen, gepogt, geweint und geschwitzt haben. 'Erwachsen Werden' ist ein Massentanz und auch 'Denkst Du Noch An Mich' kommt gut an. Danach wird zu 'Keinen Meter' nicht nur die Solidarisierung gegen jedwede Form von Faschismus thematisiert, sondern wilder Pogo in der vorderen Hallenhälfte getanzt und auch die Wall Of ... LOVE von Matthias geteilt. Ja, ENGST legen Wert darauf, dass es zwar wild, aber immer respektvoll zugehen darf und soll. Da gibt es eine klare Ansage, dass heute hier alle Freunde und Freundinnen sind und man sich auch als solche behandelt. Und das, was ich wahrnehme, ist auch genau das. Wer im Pit stolpert oder unglücklich gegen jemand anderen knallt, bekommt sofort die helfende Hand. So muss das sein! Der Fronter steht naturgemäß im Mittelpunkt des Geschehens, aber man muss hier einfach das Gesamtpaket abfeiern. Der Sound ist klar, druckvoll und dennoch nicht so laut, dass man die nächsten Tage mit einem Ohrenpfeifen leben müsste, und jeder in der Band hat sichtbar so viel Spaß in den Backen, wie schon jetzt die glücklichen Gesichter der Fans zeigen. ENGST haben ja die Gabe, ihren teilweise sehr poppigen und immer eingängigen Punkrock lyrisch mit einer Komponente zu versehen, die es trotz allem musikalischem Mainstreampotenzial nicht immer einfach macht, auch dort stattzufinden. Ein Track wie 'Drei Uhr Nachts' ist da exemplarisch. Matthias trägt sein Herz nicht nur in den Lyrics auf der Zunge, sondern eben auch bei Konzerten. Er als Sozialpädagoge könne ja nun nicht diese Schimpfwörter im folgenden Song singen, wo doch auch viele Familien und Minderjährige ihren Weg hierher gefunden haben. Muss er auch nicht, denn das übernimmt das Publikum, welches nicht nur mit bunten Knicklichtern ausgestattet einen schönen Lichteffekt erzeugt, sondern auch inbrünstig die Textzeile: "Fick dich, du Hurensohn!" in diesem Liebesdrama um die Ex, die einen Neuen bei sich hat, intoniert. Im Anschluss folgt eines der Highlights eines jeden ENGST-Konzertes. 'Der König' wird in guter Tradition mit einer Polonaise durch die ganze Venue geführt. Man könnte vermuten, dass gerade wir Deutschen uns ja mit unserer Handtuchlegermentalität da schwer tun. Immerhin könnte man seinen gerade so guten Platz verlieren. Aber Pustekuchen! Das Ding funktioniert einfach jedes Mal, macht trotz der Einfachheit der Sache immer wieder Spaß und der Song ist mit seinem Ska-Touch eine sichere Partygarantie. 'Alle Wollen Alles' ist danach der neueste Track in der Setlist, da er außerhalb des Albumzyklus veröffentlicht wurde, ist aber, wie uns im Interview verraten wurde, einer der derzeitigen Bandfavoriten bei den Gigs. Bassist Chris, der heute Geburtstag hat, bekommt hier nicht nur sein Geburtstagsständchen und ein Happy Birthday-Banner. Er darf sich vom Publikum auch noch eine kleine Choreografie wünschen. Er entscheidet sich für ein gefühlt simples: "Jeder hüpft vier Mal nach links und dann vier Mal nach rechts!" Klingt einfach, ist in der Umsetzung aber durchaus komisch, weil die Hüpflänge und der Takt doch eine echte Herausforderung darstellen. Es ist aber auch hier fast unmöglich, sich nicht von der Stimmung anstecken zu lassen. Und so macht eben der ganze Colos-Saal mit. Viele der Effekte, die eine ENGST-Show zu etwas Besonderem machen, kommen dabei gar nicht von der Band selber, sondern haben sich verselbständigt und werden von den Fans initiiert. 'Ist Mir Egal' singt Matthias wieder im Publikum, er steht mitten im Raum und die Fans sitzen auf den Boden. Dazu sprühen Seifenblasen. Klingt kitschig?? Ist es auch, aber irgendwie passt es einfach. Nach der kurzen Auszeit ist es aber Zeit zu eskalieren. Und was eignet sich besser als der gleichnamige Track, den Gitarrist Ramin crowdsurfend spielt? Überhaupt gibt es immer wieder Crowdsurfer, die weite Strecken über die Köpfe fliegen. Der Titeltrack des zweiten Albums "Schöne Neue Welt" ist inhaltlich eine Abrechnung mit uns allen (und die Band nimmt sich da explizit nicht aus), die wir immer gerne mal wegsehen, hoffen, dass andere die Dinge regeln und uns viel mehr engagieren könnten, um die Welt nicht untergehen zu lassen. Auch ein gewisser orangehaariger alter Mann bekommt in der Ansage noch sein Fett weg. Und auch hier gibt es wieder eine Wall of Love. Zu 'Geschichte Schreiben', für mich eines der Highlights des aktuellen Albums, "Irgendwas Ist Immer", wird SCHIMMERLING nach vorne gerufen. Aber nicht, wie man erwarten könnte, um den Song gemeinsam zu performen. Nein, er soll ebenfalls eine Runde crowdsurfen, und die Fans lassen ihn nicht hängen, sondern machen sein erstes Mal zu einer echten Erfolgsstory. Und auch der Wettkampf um die Stimmungspoleposition ist weiterhin offen, aber Aschaffenburg ist, aussagegemäß, bereits auf Augenhöhe mit Köln. Ich mag mich wiederholen, aber wer hier und heute keinen Spaß hat und nicht bis auf die Unnerbuxe durchgeschwitzt ist, der hat etwas falsch gemacht. Mit 'Optimisten' geht aber um 22:20 Uhr der reguläre Set erst mal zu Ende. Dass das aber nicht alles gewesen sein kann, dass ist jedem hier bewusst. Zur Zugabe kommt Matthias allein mit einer Akustikgitarre zurück und spielt den zwar schon sechs Jahre alten, aber erst nun veröffentlichten Song 'Herr Meier Von Der AfD'. Der Track lässt natürlich keine inhaltlichen Fragen offen und wird genauso mitgesungen wie die Tracks, die musikalisch eher zum Feiern animieren. Auch 'Träumer Und Helden' ist eher getragen. Hier steigen auf einmal jede Menge Herzballons auf und werden durch den Saal geschickt. Bedenkt man, dass auch das alles von den Fans organisiert ist, sieht man, wie sehr sich Fans und Band verbunden fühlen. Das ist keine choreographierte, sondern eine interaktive Show, bei der alle zusammen dafür sorgen, dass es so grandios ist, wie es ist. Der Track endet mit einem von den Fans intonierten "Oh wie ist das schön"-Chor. Einer der ältesten Tracks des Abends ist auch jedes Mal einer der emotionalsten. Die 'Hymne Der Verlierer' ist vor allem eines: eine echte Hymne. Unfassbar, welche Energie der Track erzeugt und wie der Saal beim Refrain explodiert. Und spätestens jetzt haben wir den Führungswechsel mit Köln geschafft. Denn Ramin geht zu Matze und die beiden beschließen einen weiteren Zugabetrack einzustreuen, der nicht auf der (abfotografierten) Setlist steht. 'Fremdes Elend' wird mit einem Circle Pit garniert, in dessen Mitte Matthias steht und den Song singt, während die Crowd um ihn herumwirbelt. Manche mögen ENGST für ein stückweit zu poppig halten. Aber das ist Punk, das ist Rock, das ist ... ECHT! Leider muss im Colos-Saal um 23:00 Uhr Schicht sein, und so bleibt noch der finale Abschluss. Vor diesem werden noch all die unbesungenen Helden gewürdigt, die einen solchen Abend überhaupt erst möglich machen, von der Security, die dafür sorgt, dass bei aller Eskalation alle immer gesund ihren Pogo und die Crowdsurfingrunde beenden, über die Techniker hin zur Mercherin. Und dann macht Matthias eine Ansage, die man ihm einfach bedingungslos abnimmt: "Freunde, egal wohin für uns die Reise geht, egal wie und ob wir groß werden. Wir versprechen euch, wir werden keine Arschlöcher!!! " Und genau so gibt sich die Band auch. Alle strahlen wie Honigkuchenpferde, als beim wirklich letzten Track, 'Wir Werden Alle Sterben', noch einmal die letzten körperlichen und stimmlichen Reserven mobilisiert werden. Um 22:55 Uhr geht zu 'Griechischer Wein' das Licht an und man sieht nur Strahlen. Der Schweiß tropft gemütlich von der Decke, das Bier macht den Boden glitschig und man muss zwingend am Merchandise vorbeischauen, um sich etwas Trockenes für die Heimfahrt zu kaufen. Man kann das aber auch einfach tun, um eine der derzeit besten deutschsprachigen Bands und energetischsten Liveacts, die wir in unserer hiesigen Szene haben, zu supporten. Es ist mehr als gerechtfertigt. Das, was hier und heute an Adrenalin und Emotionen durch den Colos-Saal sprühte, das war fantastisch. Beim kurzen Plausch mit Ramin nach dem Gig geht der neue Platz an der Stimmungssonne an Aschaffenburg und er sagt, dass er nicht nur krasse Gänsehaut hatte, sondern den Tränen nah war, so frenetisch und emotional haben die Fans hier und heute gefeiert. Keine Viertelstunde nach dem letzten Akkord steht die Band übrigens geschlossen am Merch und signiert bereitwillig, macht Fotos und ist noch mal im direkten Kontakt mit den Fans. Leute, ich kann es nur immer wieder sagen: Unterstützt Bands wie ENGST und geht zu diesen Konzerten!! Hier lebt die Szene, hier findet das Leben und die Party statt, nicht auf Insta, Facebook oder TikTok. Nein, hier, wenn man Menschen gemeinsam singen, lachen, weinen und feiern sieht, hier holt man sich die Erinnerungen, die am Ende, wenn wir alle sterben, unser Leben ausgemacht haben!!! Tja, was soll ich sagen, was ein unglaublich fetter, energetischer und grandioser Abriss!! Ich freue mich schon auf das nächste Album und definitiv das nächste Konzert. Setlist ENGST: 01. Intro 02. Wieder Da 03. Nie Wieder Alkohol … Vielleicht 04. Umtausch Ausgeschlossen 05. Erwachsen Werden 06. Denkst Du Noch An Mich 07. Keinen Meter 08. Drei Uhr Nachts 09. Der König 10. Alle Wollen Alles 11. Ist Mir Egal 12. Eskalieren 13. Schöne Neue Welt 14. Geschichte Schreiben 15. Optimisten Zugabe: 16. Herr Meier Von der AfD 17. Träumer Und Helden 18. Ich Steh Wieder Auf 19. Hymne Der Verlierer 20. Fremdes Elend 21. Wir Werden Alle Sterben |
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