Sweet - Full Circle

Review von derkleinekolibri vom 15.09.2024 (12106 mal gelesen)
Sweet - Full Circle "Are you ready, Steve?" "Uh-huh!" "Andy?" "Yeah!" "Mick?" "Okay!" "Alright fellas, let's go!"

1968 als SWEETSHOP gegründet, spielten ein paar junge Männer, darunter Schlagzeuger Mick Tucker und Sänger Brian Connolly, relativ erfolglos in Clubs und Discotheken, auch die Veröffentlichung einiger Singles blieb erfolglos. Zwei Musiker verließen die Band. Sie wurden durch den Bassisten Steve Priest und den Gitarristen Andy Scott ersetzt. THE SWEET waren geboren. 1971 begann der Höhenflug der Band, den ich komplett miterleben durfte. Die Singles 'Funny Funny', 'Co-Co' und 'Alexander Graham Bell' schafften es in die deutschen Top 100, wobei 'Co-Co' sogar Platz 1 erklomm. 1972 folgten drei weitere Chart-Erfolge: 'Poppa Joe' (Platz 3) sowie 'Little Willy' und 'Wig-Wam Bam' (jeweils auf Platz 1). 1973 wurde die in den Jahren zuvor "Bubblegum" genannte Musik deutlich härter und es gab vier aufeinander folgende Platzierungen an der Spitze der deutschen Charts: 'Blockbuster!', 'Hell Raiser' und 'The Ballroom Blitz' 1973 sowie 1974 'Teenage Rampage'. Bis zum 1979er 'Call Me' schafften es alle Singleauskopplungen in die Charts, einen weiteren Platz 1 gab es nur noch 1975 für 'Fox On The Run'. Bereits mit dem zweiten Album "Sweet Fanny Adams" (1974) fiel das "The" im Bandnamen weg und fortan nannten sich die vier Briten auf ihren Plateauschuhen schlicht und einfach SWEET. 1979 war schließlich das Jahr, in welchem SWEET zerbrachen, nachdem Brian Connolly wegen seines schlechten Gesundheitszustands die Band verließ. Bis 1982 veröffentlichten die verbliebenen Bandmitglieder noch drei Alben. In unterschiedlichen Konstellationen traten SWEET dann noch gelegentlich auf. 1992 gab es sogar zwei Versionen der Band gleichzeitig: ANDY SCOTT'S SWEET und BRIAN CONNOLLY SWEET. Schließlich wurde es ruhiger um SWEET und ihre Mitglieder. Brian Connolly starb 1997, Mick Tucker 2002 und Steve Priest 2020.

Und warum weiß ich das alles? Ganz einfach: Bereits mit der ersten Single 'Funny Funny' wurde ich 1971 zum Fan der vier "Süßen". Drei Jahre und etliche Klassenfeten später war es dann so weit: Am 24. Oktober 1974 gestatteten mir meine Eltern - das war knapp vier Wochen vor meinem 13. Geburtstag - den Besuch der Deutschlandhalle - SWEET live in Berlin für 12 DM! Verdammt lange und ereignisreiche 50 Jahre ist das her. Mittlerweile bin ich Opa geworden, aber nie war ich mehr mit der Musik verbunden als jetzt. Darum empfinde ich es als Ehre, das am 20. September 2024 als CD, limitiertes Vinyl (Purple) und in einer Fan-Box erscheinende neue Album "Full Circle" besprechen zu dürfen. Eure Bedenken, es würde mir dies wegen meiner langen Liebe zur Band nicht objektiv gelingen, kann ich durchaus verstehen. Ich zitiere hierzu einmal etwas aus einer meiner Lieblingsserien, Percy Stuart, die Ende der 60er, Anfang der 70er ausgestrahlt wurde: "Gentlemen, ich werde mein Bestes tun."

Die mir vorliegende CD-Version wird in einem Trifold-Digipack veröffentlicht, welches ein 16-seitiges Booklet mit sämtlichen Texten beinhaltet. Beim Betrachten des Covers war meine erste Assoziation: SWEET auf einem Abstellgleis? Nach über 50 Jahren Bandgeschichte durchaus nachvollziehbar, würde man noch ein allerletztes Album produzieren, um danach den wohlverdienten Ruhestand anzutreten. Den Moment der durch diesen Gedanken ausgelösten Schockstarre hatte ich nach einigen Sekunden überwunden. Also rein mit der CD in den Player und los geht's! Der erste Durchlauf war ein wenig ernüchternd. Doch als Mensch, der allem und jedem immer mindestens eine zweite Chance gibt, durfte der Silberling selbstverständlich erneut rotieren. Und siehe da, nach und nach erschienen die 11 Stücke in einem anderen Licht.

Der Opener 'Circus' marschiert im Stile der 1973er Erfolgshits los. Je öfter man das Stück hört, desto mehr gewinnt es an Strahlungskraft. 'Circus' hätte auch gut in jene Zeit gepasst, als SWEET den Klischee-Übergang von Bubblegum-Rockern zu Glam-Rockern vollzogen. Es scheint, als hätte man einige Riffs von damals in die Jetztzeit transferiert. Ein recht unspektakuläres Stück erklingt danach: 'Don't Bring Me Water' wurde bereits im Januar 2023 als Single veröffentlicht. Genauso wie das anschließende 'Burning Like A Falling Star' (kam im Juni 2024 als Single heraus), das etwas härter daherkommt - hier gehen die Melodien sofort ins Ohr, ohne allerdings einen besonderen Status zu erlangen. Das eher nach Bubblegum Rock klingende 'Changes' (auch als Single bereits im Juni 2023 erhältlich) ist ein typischer Mitsingsong, der einen nach mehrmaligem Hören irgendwie nicht mehr loslassen möchte. Vollkommen unerwartet startet dann 'Everything' in einem epischen Stil, den besonders AXEL RUDI PELL zu spielen pflegen. Gesanglich hingegen gibt es Passagen, die durchaus von FOREIGNER stammen könnten. Für mich ein echter erster Höhepunkt der knapp 42 Minuten langen CD. Doch gleich mit 'Destination Hannover' wurde ich eines Besseren belehrt. Das Markenzeichen ihrer 70er-Jahre-Musik war das sich in immer höhere Stimmlagen steigernde "Ah-ah-ah-ah", hier ebenso gekonnt zelebriert. Dazu ein Text, der sich sofort in den Hirnwindungen festsetzt. Es ist offensichtlich eine Hommage an die vielen treuen deutschen Fans, denen SWEET wohl die allermeisten Erfolge zu verdanken haben. Sie beschreiben das Kreischen der Fans in München, während die Sonne untergeht, ihre wundervolle Zeit in einem von Freiheit geprägten Deutschland und nennen sechs deutsche Städte als Ziele, deren Wildheit sie aufleben lässt: Hannover, Hamburg, Berlin, Stuttgart, Frankfurt und München. Englisch gesungen klingen die Städtenamen irgendwie weitaus sanfter und beschaulicher, als wenn sie ein Deutscher ausspricht. Selbst nach vielen Durchläufen ist es mir bisher nicht gelungen, 'Rising Up' in irgendeine Schublade zu sortieren. Tom Cory spielt hier ein wunderschönes Solo. 'Fire In My Heart' löst in mir das Phänomen aus, dass ich einen Song zu kennen scheine, ihn aber niemandem zuordnen kann, obwohl ich mir sicher bin, den Titel schon hundertmal gehört zu haben. Wundervoller Gitarrenarbeit dürft ihr bei 'Defender' lauschen, das im Stile "härterer" ROD STEWART-Stücke beginnt, aber dann seine ganz eigenen Wege geht. In 'Coming Home' wird der Wunsch, einem geliebten Menschen endlich wieder nahe sein zu können, musikalisch sehr gefällig umgesetzt. Den Titelsong 'Full Circle' hat man sich fürs Ende aufgehoben. Ist es tatsächlich der Abgesang auf ein erfülltes Musikerdasein, während sich die Erde unbeirrt weiterdreht? Es ist sicherlich das abwechslungsreichste Stück des Albums. Während des Refrains wird der Härtegrad um einiges erhöht. Verklingen dann die letzten Töne, legt man sich genüsslich zurück und grübelt ein wenig über sein eigenes Leben nach: "Eigentlich war das Leben doch bisher mehr schön als schlecht."

SWEET, mit mehr als 55 Millionen verkauften Tonträgern, haben sich ihren Platz in der Geschichte der Rockmusik allemal verdient. Sollte "Full Circle" tatsächlich ihr letztes Album sein, so haben sie noch einmal eine mehr als passable Leistung hingelegt, auch wenn von den Ursprüngen der Band eigentlich nur noch Andy Scott verblieben ist. Und trotzdem, wenn die Jungs im Rahmen ihrer 15 Konzerte umfassenden "The Final Round II"-Tour vom 20. September bis 22. Oktober 2024 einen Liveauftritt im Nürnberger Löwensaal am 19. Oktober 2024 absolvieren werden, ist es mein größter Wunsch, diesem beiwohnen zu dürfen. Zwischen meinem ersten und letzten SWEET-Konzert lägen dann stattliche 50 (!) Jahre - okay, okay, es fehlen fünf Tage an den 50 Jahren.

Zum Schluss noch (m)ein Anspieltipp, der aber dem aufmerksamen Leser ohnehin nicht entgangen sein dürfte: 'Destination Hannover'.

Gesamtwertung: 8.0 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood dry dry
Trackliste Album-Info
01. Circus
02. Don't Bring Me Water
03. Burning Like A Falling Star
04. Changes
05. Everything
06. Destination Hannover
07. Rising Up
08. Fire In My Heart
09. Defender
10. Coming Home
11. Full Circle
Band Website:
Medium: CD, LP
Spieldauer: 41:57 Minuten
VÖ: 20.09.2024

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Ich kann hier jedes Wort hier nachempfinden und aufgrund gleicher und ähnlicher Erlebnisse mitreden. Auch ich durfte die Band Sweet von Beginn an miterleben. Wie so viele andere gute Bands dieser Zeit, die es teils auch heute noch gibt: Alice Cooper, Uriah Heep, Deep Purple, T. Rex, Slade usw. Also zur richtigen Zeit IN die richtige Zeit hinein geboren... Als 1959er Jahrgang war ich 12, als „Funny Funny“ erschien... Herzlich habe ich gelacht, als die Serie „Percy Stuart“ erwähnt wurde. Die Ausstrahlungen habe ich damals in mich rein gefressen. Noch mit Schwarz-Weiß-TV… Kürzlich erst habe alle Staffeln nach und nach mir in der Mediathek reingezogen. Großartig. "Gentlemen, ich werde mein Bestes tun." Ansonsten sehr gute Rezension und eine nachvollziehbare Sichtweise zum neuen Sweet-Album.
(16.10.2024 von Martin Böhmer)

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