Interview mit Till Oberboßel von Lucid Dreaming

Ein Interview von Stormrider vom 03.10.2013 (11938 mal gelesen)
Gerade im Bereich der sogenannten Metalopern gab es ja in der letzten Zeit wieder vermehrt Nachschub. Aus Frankfurt hat Till Oberboßel mit LUCID DREAMING - "The Chronicles Pt.1" seine Vorstellung eines solchen Projektes veröffentlicht (zum Review hier klicken). Er stand uns für ein ausführliches Interview zur Entstehung dieses Debütalbums zur Verfügung.

Hallo Till, danke dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst.

Till: Hey Pat!

Lass uns gleich ins Thema einsteigen. Du hast als Initiator von LUCID DREAMING kürzlich Deine Vision einer Metaloper verwirklicht. Vielleicht kannst Du uns, bevor wir näher auf "The Chronicles Pt.1" eingehen, kurz etwas zu den Beweggründen für dieses Projekt sagen, immerhin bist Du ja auch bei ELVENPATH aktiv. Wieso, weshalb, warum hast Du also zusätzlich noch LUCID DREAMING ins Leben gerufen?

Till: Ich war schon immer ein großer Fan von Konzeptalben und mag es, wenn über ein komplettes Album eine Geschichte erzählt wird. Als dann diese sogenannten Metalopern aufkamen, wo jeder Charakter von einem anderen Sänger dargestellt wurde, fand ich das auch sehr interessant und die Idee, so etwas auch mal zu machen, nahm langsam Gestalt an. Da ELVENPATH aber eine feste Band mit einer festen Besetzung und einem einzigen Sänger sind, war mir klar, dass dieses Projekt unter einem anderen Namen erscheinen muss.

Wie haben denn Deine Bandkumpels von ELVENPATH reagiert, als Du ihnen eröffnet hast, dass Du eine weitere Spielwiese aufmachst?

Till: Die Kollegen haben darauf recht locker reagiert und eher Interesse gezeigt als Missgunst. Schließlich war auch klar, dass ich hier keine Konkurrenzband heranzüchten will und weiterhin 100% für ELVENPATH gebe. Während ELVENPATH eine Band mit regelmäßigen Proben und häufigen Konzerten sind, fällt all dies bei einem reinen Studioprojekt wie LUCID DREAMING weg, das erleichtert die Sache natürlich. Zwei meiner Elvenkollegen (Dragutin und Oliver) sind ja auch bei LUCID DREAMING zu hören und haben sich sehr gefreut, ihren Teil beitragen zu dürfen. Und jedem aus der Band gefällt das Album, da ist also alles im grünen Bereich.

Nachdem das Organisatorische geklärt ist, kommen wir zu "The Chronicles Pt.1". Musikalisch ist es ja sehr klassische Metal-Opern-Schule geworden, sprich viele Chöre, verschiedene Sänger und Speed-Power-Metal. Wie konntest Du die verschiedenen Sänger/innen alle für das Album gewinnen.

Till: Ich war mit all diesen Sängern schon vorher bekannt bis befreundet, lediglich Jason Conde-Housten habe ich bis heute nicht persönlich kennengelernt. Als ich an den Stücken schrieb, musste ich mich mit der Frage beschäftigen, welche Art von Stimme denn zu der jeweiligen Figur passen könnte. Anhand dessen habe ich dann die Sänger ausgewählt. Das war teilweise eine längere Überlegung, teilweise ging es aber auch ganz schnell. Als ich zum Beispiel an Tarans ersten Textzeilen schrieb, hörte ich sofort Leo Stivala in meinem Kopf, wie er diese Zeilen sang, das passte derart ideal, er musste also einfach Taran verkörpern. Manche der Sänger sagten auf meine Anfrage hin sofort zu, andere wollten erst mal die Songs hören, aber im Endeffekt waren alle gerne an Bord und haben ihren Teil zu LUCID DREAMING beigetragen. Ich musste also keine Millionengagen bieten, um irgendjemand zu überzeugen (lacht). Jeder einzelne hat wirklich großartige Arbeit abgeliefert und seinen Charakter zum Leben erweckt. Ich bin wirklich sehr zufrieden.

Wie lief dabei denn der Songwritingprozess? Hast Du die Tracks erst finalisiert, als Du wusstest, wer wirklich dabei ist, oder hast Du alles komponiert und dann auf die Vokalisten verteilt?

Till: Die Kompositionen und Texte waren zuerst fertig und erst als das komplette Album geschrieben war, habe ich die Rollen verteilt. Das war wie gesagt eine größere Überlegung, welche Stimmfärbung wohl zu welchem Charakter passen könnte und welcher Sänger über eine entsprechende Stimme verfügt.

Konnten sich die Beteiligten Sänger/innen denn noch selber einbringen, mal abgesehen von ihrer Gesangsperformance?

Till: Die musikalische Grundlage sowie die Texte waren natürlich von mir vorgegeben, aber bei den Gesangsmelodien habe ich den Sängern weitgehend freie Hand gelassen. Zum Teil haben sie dann meine Vorgaben übernommen, zum Teil haben sie aber auch eine Menge eigene Ideen eingebracht bzw. meine Vorgaben so abgeändert, dass sie zu ihrem eigenen Stil passten.

Vielleicht kannst Du uns noch einen kurzen Einblick geben, wie die Aufnahmesessions von statten gingen. Durch die Vielzahl der Beteiligten habt ihr wohl kaum alle gemeinsam gearbeitet, oder?

Till: Das lief in der Tat recht unterschiedlich ab. Zunächst habe ich ein Demo mit Drumcomputer, Gitarre und meinem Gesang aufgenommen. Dies diente als Vorlage für alle Beteiligten, erst anschließend begannen die eigentlichen Aufnahmen. Zuerst wurden Schlagzeug, Gitarren und Bass aufgenommen, was insgesamt recht schnell von statten ging. Die Gesangsparts zogen sich dann ziemlich in die Länge, da viele Sänger auch mit ihren eigenen Bands beschäftigt waren. Etwa die Hälfte der Sänger nahm ihre Parts bei uns im Studio in Frankfurt auf. Das war mir auch am liebsten, da ich so bei den Aufnahmen dabei sein konnte. Die anderen nahmen ihre Parts bei sich auf und schickten dann die Dateien an uns, wo alles zusammengefügt wurde. Ich sage bewusst "uns", da ich mit Michael Frölich einen fähigen Tontechniker zur Seite hatte, der die Produktion begleitet hat und technisch die Fäden in der Hand hielt. Gemixt und gemastert wurde schließlich im Kohlekeller-Studio. Hier erhielt das Album seinen finalen Klang.

Ich habe das Album ja bei uns auch zur Review gehabt, und ich muss sagen, dass ich es alles in allem als etwas überambitioniert empfunden habe. Mir waren es zu viele Ideen, die alle irgendwie untergebracht werden mussten. Dazu habt ihr die Spielzeit einer CD ja nahezu komplett ausgereizt. In einer Welt, in der sich kaum noch jemand die Zeit nimmt, sich Alben am Stück anzuhören, sondern einzelne Songs oft im Vordergrund stehen, wieso hast Du hier nicht ein wenig reduzierter gearbeitet? Der Titel suggeriert ja bereits, dass Du einen zweiten Teil planst.

Till: Diese Kritik wurde in mehreren Reviews benannt. Ich kann auch nachvollziehen, dass ein solch opulent gestaltetes Album nicht jedermanns Sache ist. Ich hingegen wollte es genauso haben, da ich Detailreichtum und Fülle ausgesprochen gerne mag. Das Wort "Überproduktion" gibt es in meinem Wortschatz nicht (lacht). Ich habe mir in der Tat viel Zeit genommen, um die Songs auszufeilen, und da gehören auch viele Details, vor allem bei den Gitarren und beim Gesang, dazu. Auch beim Mix haben wir nochmal eine Menge interessante Sachen in das Album gepackt. Das ergibt insgesamt natürlich eine ganz ordentliche Herausforderung für den Hörer, aber ich mache nun mal kein musikalisches Fast Food. Wer LUCID DREAMING wirklich in seiner ganzen Fülle erfassen will, muss sich Zeit nehmen und bereit sein, sich wirklich auf das Album einzulassen. Da Du einzelne Songs, die heute häufig im Vordergrund stehen, angesprochen hast: Interessanterweise scheint das für viele Leute der Fall zu sein, jedenfalls haben mich viele nach meinen Lieblingssongs gefragt und ihre eigenen genannt. Dabei scheinen die Favoriten sehr unterschiedlich zu sein. Ich hingegen nehme das Album immer als Gesamtpaket wahr und höre es mir auch nur am Stück an. Meiner Ansicht nach ist dies auch die sinnvollste Art, sich dem Album zu nähern. Wie gesagt: Es ist eine Herausforderung, welche dem Hörer Zeit und Einlassungsbereitschaft abverlangt.

Eine weitere Frage noch, die in die gleiche Richtung zielt. Kein Song kommt unter sechs Minuten durch die Ziellinie, dazu werden oft wahnsinnig viele verschiedene Teile in den Songs untergebracht, die einen typischen Songaufbau etwas vermissen lassen. Dabei mir ist aufgefallen, dass sich gerade der Bereich "Chöre" ziemlich überproportional (im Vergleich zu ähnlich gelagerten Projekten) in den Vordergrund drängt. War es lyrisch notwendig, in jedem Song Chöre unterzubringen oder ist das mehr ein musikalischer Wunsch von Dir gewesen?

Till: Eigentlich beides. Zum einen erforderte es die Geschichte, dass bestimmte Dinge von mehreren Personen erzählt werden, was sich natürlich in den Refrains am besten umsetzen lässt. Zum anderen stehe ich auch einfach sehr auf fette Chöre und wollte dieses Element bei LUCID DREAMING nicht missen. Es stimmt natürlich, dass alle Songs über sechs Minuten lang sind, meist sogar ein ganzes Stück länger, und dass sie voller Details stecken. Was manche Leute als anstrengend empfinden, ist für mich ein Qualitätsmerkmal. Die Songs sind teilweise unkonventionell strukturiert, erscheinen in ihrem Aufbau aber doch schlüssig. Grundsätzliche Kritik an langen Songs könnte ich dann verstehen, wenn die Länge nur durch endlose Wiederholungen und ausufernde Soli erreicht würde. Aber der durchdachte und schlüssige Aufbau der Stücke bei LUCID DREAMING sowie der Detailreichtum sprechen eine andere Sprache. Wie gesagt, LUCID DREAMING fordert den Hörer ziemlich heraus, was für mich ein Qualitätsmerkmal des Projektes ist.

Du hast es ja vorhin bereits selber gesagt. Konzeptalben erzählen in der Regeln eine zusammenhängende Geschichte. Du hast Dir "The Chronicles Of Prydain" von Lloyd Alexander als Thema ausgesucht. Was war der Hintergrund? Wieso gerade diese Fantasy Story?

Till: Diese Pentalogie habe ich schon als Kind zum ersten Mal gelesen und liebe sie seitdem. Ich habe die Bücher über all die Jahre mehrfach gelesen, und als ich mir dann die Frage gestellt habe, was für eine Geschichte ich denn auf dem Album erzählen könnte, bin ich ziemlich schnell bei den "Chroniken von Prydain" gelandet. Es ist eine sehr interessante Geschichte um den Jungen Taran, sein Heranwachsen, seine Erlebnisse und Begegnungen. Der Stoff eignet sich einfach sehr gut, um ein Metal-Konzeptalbum daraus zu machen.

Ich schätze, dass nicht alle unsere Leser mit dem Inhalt vertraut sind, vielleicht kannst Du es in kurzen Worten zusammenfassen?

Till: Die "Chroniken von Prydain" umfassen insgesamt fünf Bände und basieren lose auf der walisischen Mythologie, aber nähere Kenntnis derselben ist für das Verständnis der Romane nicht vonnöten. Es ist eher Fantasy für etwas jüngere Leser, aber auch Erwachsene können sicherlich viel damit anfangen. Die Hauptperson Taran wächst als Findelkind auf einem Bauernhof unter der Obhut des Zauberers Dallben auf. Er kennt seine Herkunft nicht, doch das Leben hält deutlich mehr für ihn bereit, als sein Leben lang Schweine zu hüten. So erkundet er die Welt, wird in allerlei Abenteuer verwickelt, versucht das Geheimnis seiner Herkunft zu ergründen und findet schließlich etwas ganz anderes, als er erwartet hatte. Es handelt sich also sowohl um Fantasy als auch um eine Coming-Of-Age-Geschichte. Das Album umfasst die beiden ersten Bände "The Book of Three" und "The Black Cauldron". Ich muss allerdings anmerken, dass man nur anhand der Texte die Geschichte auch nicht verstehen kann, dazu muss man schon die Bücher selbst lesen. Was ich auch nur empfehlen kann.

Wie wird dann das Konzept in Pt. 2 aufgebaut sein?

Till: Es wird erneut nach Prydain gehen, allerdings werde ich nicht alle Bände chronologisch verarbeiten. Das zweite Album wird meinen Lieblingsband der Reihe zum Inhalt haben - den vierten Band "Taran Wanderer". Taran zieht hier durch das Land, um das Geheimnis seiner Herkunft zu lüften. Die Geschichte schreit regelrecht danach verarbeitet zu werden, da er hier auf eine Menge interessanter Charaktere trifft.

Wo wir schon beim Thema Pt. 2 sind, hast Du hier bereits Pläne, oder bist Du gar bereits mitten im Produktionsprozess? Werden die beteiligten Sänger wieder alle dabei sein?

Till: Ein paar Songs sind schon fertig geschrieben und wenn alles gut läuft, möchte ich im Sommer 2014 mit den Aufnahmen beginnen. Wann das Album dann veröffentlicht werden wird, mag ich jetzt noch nicht vermuten, da sich schon die Arbeit am ersten Album sehr lange gezogen hat (lacht). Ich hoffe aber, dass es nicht wieder so lange dauern wird. Musikalisch wird es auf der gleichen Schiene fahren wie das Debüt: Melodischer Power Metal mit dezenten Folkeinflüssen. Und es wird sicherlich erneut ein nicht einfach zu verdauender Brocken sein (lacht). Ich möchte weiterhin meiner Leidenschaft für musikalischen Detailreichtum frönen. Was die Sänger angeht, hängt das von der Geschichte ab. Manche Charaktere vom ersten Album kommen auch auf dem zweiten vor und natürlich hätte ich die entsprechenden Sänger gerne wieder mit an Bord. Andere werden nicht erneut dabei sein, was ausschließlich daran liegt, dass die jeweiligen Charaktere nicht mehr Teil der Geschichte sind. Dafür werden eine ganze Reihe interessanter neuer Charaktere ihr Unwesen treiben. Ich habe da auch schon einige Ideen, wessen Stimme ich da gerne hätte ... abwarten!

Du hattest es zu Beginn ja bereits erläutert, dass es sich bei LUCID DREAMING grundsätzlich um ein Studioprojekt handelt. Gibt es denn für die Zukunft Pläne, das Ganze doch irgendwie auf die Bühne zu bringen?

Till: Liveauftritte wären natürlich großartig, sind aber nahezu unmöglich. Da müssten erstmal sehr viele Terminkalender koordiniert werden, bis all die Beteiligten Zeit hätten. Und dann noch Flüge, Unterkunft, Proben etc., das wäre ein riesiger finanzieller Aufwand. Das wäre nur durch entsprechend große Shows zu rechtfertigen, und das ist einfach unrealistisch. Daher war LUCID DREAMING von vornherein als Studioprojekt geplant und wird es wohl auch bleiben. Heavy Metal fürs Wohnzimmer (lacht). Statt mich da in irgendwelche Konzertplanungen zu stürzen, wende ich meine Zeit und Energie lieber für das zweite Album auf.

Damit sind wir auch schon am Ende unseres Interviews angekommen. Danke, dass Du Dir die Zeit für unsere Fragen genommen hast. Wie es bei uns gute Sitte ist, gehören den Musikern die letzten Worte. Noch etwas, das Du unseren Lesern mitteilen möchtest?

Till: Ich möchte alle Leser grüßen und sie einladen, mal bei LUCID DREAMING (und gerne auch bei ELVENPATH) im Internet vorbeizuschauen und sich ein paar Songs anzuhören. Wenn Euch die Musik gefällt, dann seid bitte so fair das Album zu kaufen, anstatt es herunterzuladen. Ich verdiene ohnehin kein Geld mit der Musik, aber etwas finanzielle Schadensbegrenzung wäre schön, schließlich habe ich die komplette Scheibe alleine finanziert. Unterstützt den Underground, stay Metal!

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