Teaching History I: Heavy Metal und der Erste Weltkrieg

Ein Artikel von Tailgunner vom 06.03.2021 (17316 mal gelesen)
Der Krieg, der alle Kriege beenden sollte. Unter dieser Prämisse zogen die europäischen Großmächte nach der Julikrise 1914 schlafwandelnd in das bis dahin umfangreichste Morden, welches die Menschheit bis hierhin wohl erlebt hatte. Aus heutiger Sicht ist das Geschehen zwischen 1914 und 1918 schlecht greifbar, da das sogenannte "lange 19. Jahrhundert" von den viel größeren Schrecken des sogenannten "kurzen 20. Jahrhundert" in der Wahrnehmung überlagert ist. Dementsprechend finden sich vergleichsweise wenige Bands, die sich mit dem Ersten Weltkrieg inhaltlich auseinandersetzen. Das ist eigentlich verwunderlich, da dieses Themenfeld einerseits relativ unverbraucht ist, und andererseits historisch extrem relevant, da dieser Konflikt die Welt derartig radikal verändert hat, wie selten ein Konflikt zuvor und dessen Auswirkungen bis in die heutige Zeit hineinreichen. In diesem Special möchte ich mich vordergründig mit den Bands beschäftigen, die in irgendeiner Weise den Ersten Weltkrieg in ihren Werken angemessen thematisieren und gleichzeitig über die historischen Ereignisse schreiben. Eine Art Symbiose aus Heavy Metal und Geschichtslehre, welche zukünftig möglicherweise auch mit anderen historisch relevanten Themen fortgeführt werden könnte.

Bevor wir uns mit dem Kernthema, der Musik beschäftigen, möchte ich in groben Umrissen ausführen, weshalb dieser epochale Konflikt so relevant ist und warum er dennoch heutzutage, zumindest hier in Deutschland, eher wenig beachtet wird. Das Kriegsende im November 1918, in der elften Stunde des elften Tages im elften Monat beendete das "lange 19. Jahrhundert". Dieses begann 1789 mit der Französischen Revolution. Das Bürgertum durchbrach erstmals die Vorherrschaft des Adels, die modernen Nationalstaaten bildeten sich heraus und der überbordende Nationalismus gipfelte dann ab 1914 in den sogenannten Weltenbrand, der die alte Ordnung vollständig hinwegfegte. Fünf Großmächte fanden Ihr Ende. Das noch junge Deutsche Kaiserreich, welches erst 1871 nach dem Deutsch-Französischen Krieg aus der Taufe gehoben wurde, das mit ihm verbündete Osmanische Reich, welches zuvor schon seinen Zenit überschritten hatte und bereits im Krimkrieg der 1860ger Jahre von Russland auf die Probe gestellt wurde (den gar IRON MAIDEN im Song 'The Trooper' behandeln). Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn fand ebenfalls Ihr Ende. Aber auch auf Seiten der Alliierten gingen faktisch und praktisch Großmächte zugrunde. Zunächst bereits 1917 das russische Zarenreich und das Ende des Krieges markiert zudem den Niedergang der globalen Hegemonie des britischen Empires, welches nach der Schlacht am Kap Trafalgar 1805 vor Süd-Spanien (wo es die Flotten von Spanien und Frankreich schlug) die Ozeane und somit die Welt dominierte. An die Stelle des britischen Empires sollte nach dem Ersten Weltkrieg eine andere Seemacht treten, die bis dahin eine absolute Außenseiterrolle inne hatte und das "kurze 20. Jahrhundert" vollkommen dominieren sollte: Die USA. Die geostrategischen Veränderungen wirken bis in die heutige Zeit hinein. Wenn man sich die schnurgeraden Grenzen im Nahen und Mittleren Osten anschaut erkennt man, dass die damaligen Mandatsmächte die Grenzen vollkommen willkürlich, imgleft ohne Rücksicht auf Ethnien und religiöse Strömungen gerissen haben und somit bereits den Kern für den bis heute andauernden Nahostkonflikt pflanzten. Aber nicht nur geostrategisch wurde die Welt neu geordnet, auch gesellschaftlich und politisch änderte sich vieles. Nicht zuletzt forcierte der Krieg die Gleichberechtigung der Frauen. Mussten diese auf einmal in der Rüstungsindustrie "Männerarbeit" verrichten, emanzipierten sie sich zusehends und erfochten in den Jahren nach dem Krieg fast überall auch ihr Wahlrecht. Die größte Probe sollte allerdings die Auswirkungen auf der politischen Ebene darstellen. Aufgrund der Umstände, unter welchen der Krieg beendet wurde, kamen radikale Kräfte bei den Kriegsverlierern an die Macht, die revisionistisch unterwegs waren. In Russland setzten sich die roten Sowjets in einem brutalen Bürgerkrieg gegen die weißen Zarenanhänger durch und in Deutschland scheiterte die Weimarer Demokratie und die Nationalsozialisten kamen an die Macht. Diese beiden Regime sollten in Folge die Welt in Hekatomben von Blut ertränken. Die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust sollten von da an die Wahrnehmung des "Großen Krieges" vollkommen überlagern. In Großbritannien und Frankreich ist das übrigens bis heute vollkommen anders, dort ist mit dem "Great War", bzw. dem "Grande Guerre" immer der Erste Weltkrieg gemeint.

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Bevor ich auf den Ersten Weltkrieg selber und seine Besonderheiten zu sprechen komme, starten wir aber einen ersten Exkurs in die Musik, damit wir das eigentliche Thema nicht aus den Augen verlieren und das Ganze hier nicht zu einem trockenen Geschichtsseminar verkommt, denn in erster Linie geht es hier um Heavy Metal. Allerdings: Fangen wir erstmal mit Rock'n'Roll an und beschäftigen uns zunächst mit dem Titelstück von MOTÖRHEADs Album "1916". Lemmy versteht es, eine emotionsgeladene Dramatik und Traurigkeit in diesem Song zu transportieren, der das Stück dazu qualifiziert, einleitend und stellvertretend für das große und sinnlose Sterben von damals zu stehen. Musikalisch haben wir es hier nicht mit einem der typischen MOTÖRHEAD-Rocker zu tun, denn Lemmy präsentiert uns hier eine ausgesprochen traurige Ballade über einen jungen Kriegsfreiwilligen, der wie so viele junge Männer in so vielen Konflikten vor ihm dem Ruf zu den Waffen folgt und hierfür sein Alter von 16 auf 18 fälscht, ohne zu wissen, was ihn erwartet. Natürlich nicht das große Abenteuer in der Ferne, vielmehr ein grausamer und überaus sinnloser anonymer Tod. Es ist das Zynische, dass der Krieg die idealistischen und leicht zu begeisternden jungen Männer in den Tod schickt, die es aufgrund ihres jugendlichen und maskulinen Unsterblichkeitsempfinden gar nicht besser wissen können. Wir alle erinnern uns nur zu gut an dieses Alter. Wir sind jung, unsterblich und die Welt liegt uns zu Füßen. Dass dem nicht ganz so ist, merkt man dann mit zunehmenden Alter. Und genau die Alten, die es besser wissen, schicken die Jungen in den Tod. Jedenfalls ist der Song universell für das Leiden und Sterben der jungen Generation aller Kriege, die nicht Leben durften. Wir erfahren nicht, wo genau der junge Soldat gekämpft hat. Das spielt hier auch gar keine Rolle. Auf emotionaler Ebene ist mit diesem Song eigentlich bereits alles gesagt. Noch sind wir nicht ganz beim Heavy Metal, wir müssen tatsächlich noch einen kurzen aber wichtigen Exkurs hin zum Punk Rock unternehmen, denn der Song 'Green Fields Of France' von den DROPKICK MURPHYS ist imgright vom selben Kaliber wie '1916'. Zwar handelt es sich um ein Cover, aber die vorliegende Version ist ungemein ergreifend und stilistisch hier halbwegs relevant. In der Ballade erfahren wir von dem ebenfalls sehr jungen Soldaten Willie McBride, welcher in Flandern gefallen ist. Ein unbekannter Wanderer steht irgendwann nach dem Krieg zufällig an seinem Grab und sieht, dass McBride sein Leben mit 19 Jahren gab, bevor es überhaupt so richtig begann. Er fragt sich, wer dieser Willie McBride gewesen sein mag, ob sein unsterbliches junges Bild noch bei einer nun alten und trauernden Witwe im Herzen konserviert ist und ob er wohl schnell oder gar unsagbar qualvoll gestorben ist. Hatte er wirklich geglaubt, dass dieser Krieg alle Kriege beenden würde, oder hat er die bittere Wahrheit geahnt? Der Wanderer sieht die grünen Felder, auf denen sich die Mohnblumen im Wind wiegen, die Schützengräben sind vergangen aber eine ganze Generation wurde dem Untergang geweiht. Diese beiden Stücke sind für mich mit das Emotionalste, was ich an Musik kenne und es fühlt sich jedes Mal komisch an, sie zu hören. Es ergreift mich ähnlich, wie an den Orten zu stehen, auf denen dieses unfassbare Sterben seinerzeit stattgefunden hat.


Um die folgenden musikalischen Exkurse besser einordnen zu können, sprechen wir nun vorerst über einige allgemeine Dinge, welche den Ersten Weltkrieg betreffen. Zunächst ein Mal handelt es sich um den ersten wirklich globalen Konflikt der Moderne. Es gab frühere Kriege, die ebenfalls ausgesprochen zerstörerisch waren, wie etwa der Dreißigjährige Krieg, oder viele Kriegsparteien auf großem Gebiet beinhalteten, wie etwa der Siebenjährige Krieg. Auch gab es vorher bereits Konflikte, die erahnen ließen, wie der technische Fortschritt das Kriegswesen verändern würde. Der Amerikanische Bürgerkrieg oder der Krimkrieg etwa. Aber erst im Ersten Weltkrieg sollten all diese Effekte vollständig und umfassend zum Tragen kommen. Der Krieg wurde global ausgetragen. Von den bekanntesten Schlachtfeldern des Stellungskriegs in Westeuropa über die Hochalpenfront zum relativen Bewegungskrieg in Osteuropa. Im Nahen und Fernen Osten wurde gekämpft und Überseenationen des Commonwealth und die USA waren beteiligt. Zudem veränderte der technologische Fortschritt des 19. Jahrhunderts die Kriegsführung grundlegend. Artillerie war tödlich wie nie zuvor und zwang die Kombatanten dazu, sich tief in die Erde einzugraben. Maschinengewehre sorgten für tödliche Sperrriegel vor den Stellungen und Stacheldraht sowie Minenfelder machten das vollkommen verwüstete Gelände, das Niemandsland, zwischen den Stellungen nahezu unpassierbar. Kampfgas wurde zum ersten mal eingesetzt, Der Krieg wurde zudem auch erstmals in der Luft und unter Wasser geführt und auch der Kampfpanzer hatte seine Feuertaufe in Cambrai des Jahres 1917, als die Briten versuchten, die erstarrte Front mit ihren "Tanks" zu durchbrechen. Aber auch auf den ersten Blick unscheinbare Dinge wie die Logistik haben sich grundlegend verändert. Dank der Eisenbahn war es nun möglich, Truppen schnell und effizient an die erforderlichen Brennpunkte zu verlegen. Das Kriegswesen hatte sich grundlegend verändert und die schnelle Eskalation nach Kriegsbeginn machte ein Aufhören einfach nicht mehr möglich. Der ein oder andere hat vielleicht schon einmal die Bilder von strahlenden Soldaten gesehen, die davon überzeugt gewesen sind, dass sie Weihnachten wieder zu Hause sein würden. Es sollte ganz anders kommen. Im Westen trafen die Truppen in Frankreich aufeinander, nachdem das deutsche Heer völkerrechtswidrig durch das neutrale Belgien vorstieß. Zunächst war das Momentum auf Seiten der Deutschen, die schon bald kurz vor Paris standen. Den Franzosen gelang nur durch einen verzweifelten Kraftakt die Abwehr bei der Schlacht an der Marne, wo Pariser Taxen Poilus, so wurden die Französischen Soldaten genannt, direkt bis an die Front fuhren. In Langemark fand dabei eine ganze Generation von deutschen Abiturienten, die sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet haben, ihr Ende. Da daraufhin niemand den entscheidenden Durchbruch erzielen konnte, begann der sogenannte "Wettlauf zum Meer", indem die Mittelmächte und die Entente Cordiale versuchten, den Gegner zu überlaufen und zu umgehen. Am Ende erstarrte die Front von den Schweizer Alpen bis an die belgische Kanalküste und sollte sich bis Kriegsende wenig bis gar nicht mehr bewegen. Und auf diese erstarrte Front konzentriert sich sowohl der Fokus der Musiker und auch der meisten anderen Menschen, da es das Bild dieses Konfliktes absolut geprägt hat.


Weiter geht es mit Musik. Anhand von zwei Songs möchte ich auf zwei von vier entscheidenden Ereignissen an der erstarrten Front im Westen eingehen. Denn der Krieg an der Narbe, die sich quer durch Europa zog, war zu keiner Zeit gleichförmig oder überall gleich intensiv. Wie gesagt, kam keiner mehr so richtig voran. Die Front war zu einem mehr oder weniger schmalen Band erstarrt, welches aus den Schützengräben und Unterständen bestand, die sich teilweise nur wenige Dutzend Meter gegenüber lagen. Angriffe waren so sinn- wie erfolglos, von irrsinnigen Verlusten begleitet und zogen immer den unmittelbaren Gegenstoß des Gegners nach sich. Das Gelände war durch unendlichen Beschuss zerhauen, Wälder waren schlichtweg nicht mehr vorhanden und Höhenzüge haben durch das Trommelfeuer mehrere Meter an Höhe verloren. Die Zustände waren unvorstellbar. Das Gelände war mit Munition, Toten und Kriegsschrott verseucht und unter normalen Umständen schon unpassierbar. Nun kam der deutsche Generalstab, genauer gesagt Erich von Falkenhayn, auf eine perfide Idee, welche zu der sehr bekannten Schlacht von Verdun führte, die im Februar 1916 begann und sich bis in den Herbst zog und dabei über 600.000 Tote forderte. Verdun war eine französische Festungsstadt von bedeutendem Prestige. Die Überlegung war nun folgende: Man greift Frankreich nun an einer bestimmten Stelle, welche es auf gar keinen Fall verlieren kann und darf, mit fast allem an, was man hat. Und das war Verdun. Man wollte Verdun allerdings gar nicht erobern. Der Plan war viel zynischer. Man wollte in einer "Blutmühle" so viele französische Soldaten binden und töten, bis der Gegner "ausgeblutet" sei. Am Ende sind dort in Lothringen beide Armeen verblutet. Der Deckname für dieses Unterfangen - Operation Gericht - ist zugleich namensgebend für den Song der deutschen Thrash Metal-Formation MACBETH: 'Das Große Gericht'. Wie kaum eine andere Band verstehen es MACBETH ohnehin, diese ernsten Themen mit völlig unpeinlichem deutschen Gesang zu behandeln. Begleitet vom giftigen, brutalen aber dennoch melodischen musikalischen Gerüst berichtet Sänger Olli Hippauf vom großen Sterben. Aufgrund der Popularität und der großen Reichweite der Band SABATON muss ich in diesem Zusammenhang selbige zumindest kurz erwähnen. Im Gegensatz zu den von mir hier sonst vorgestellten Musikern, sehe ich den Umgang der Schweden mit diesen schweren Themen allerdings ausgesprochen kritisch. Schunkelhymnen und "Noch ein Bier-Spielchen" wollen nicht so recht zu dem sinnlosen Sterben von Millionen Menschen passen. Wenn die Band dann zudem noch vor dem Beinhaus in Verdun - in dem Ossuarium befinden sich die sterblichen Überreste von 130.000 Soldaten - posiert, muss die Frage erlaubt sein, ob man wirklich historische Themen aufzuarbeiten gedenkt, oder vielmehr einen morbiden Schauer beim Zuhörer erzeugen möchte. Wie man das wiederum viel besser macht und dennoch als große Band mit enormer Reichweite derlei Themen verarbeitet, dass zeigen einmal mehr IRON MAIDEN. Und hier kommen wir zu dem zweiten wichtigen Ereignis im Westen. Da die Franzosen im Süden bei Verdun derartig unter Druck standen, wurde der Ruf nach einer Entlastungsoffensive durch das britische Expeditionskorps im Norden der Front laut. Und so kam es zu den sogenannten Flandern-Schlachten rund um die Belgische Stadt Ypern. Schlecht vorbereitet und über das Knie gebrochen, hetzte das arrogante britische High-Command unter Lord Kitchener seine jungen Soldaten in einen sinnlosen Frontalangriff nach dem anderen. Stellvertretend hierfür steht das Dorf Passendale, dem IRON MAIDEN mit dem Stück 'Paschendale' ein musikalisches Vermächtnis setzten. Das besondere an den Schlachtfeldern in Flandern war der niedrige Grundwasserspiegel, der einen vernünftigen Stellungsbau kaum möglich machte. Die Front versank regelrecht im Schlamm und nicht wenige sind schlicht ertrunken. Das über achtminütige Epos stellt den Höhepunkt der "Dance Of Death" dar und dürfte sehr gerne künftig noch einmal live gespielt werden. In dem andächtigen Auftakt erzählt Bruce Dickinson von einem unbekannten Soldaten, der in fremdem Boden bestattet liegt. Bevor er starb bat er jedoch darum, der Welt von Passendale zu berichten. Dann folgt eine intensive und beeindruckende Reise in das Flandern des Jahres 1917. Kaum eine andere Band vermag es dabei, so greifbare Bilder vor dem inneren Auge zu erzeugen, wie IRON MAIDEN das vermögen. Im wieder getragenen Ausklang des Stückes erfahren wir, das die Seele des Soldaten über die Stellungen und Hügel vom Wind getragen entschwindet und sich die Seelen von Freund und Feind im Frieden vereinen. Das ist ganz groß, regelrecht monumental und fast unerreicht. Den einzigen Song mit Themenbezug Erster Weltkrieg, den IRON MAIDEN sonst noch geschrieben haben, ist 'Death Or Glory', in dem der Luftkrieg und der Flieger Manfred von Richthofen besungen werden. Hierzu habe ich mich in meinem IRON MAIDEN-Special "Flying Heavy Metal" bereits in epischer Länge ausgelassen, darum bleiben der Song und das Sub-Thema hier nun außen vor.

imgleftGing es bis hierher um einzelne Stücke, welche sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen, komme ich nun auf Bands zu sprechen, die ihr Schaffen entweder vollständig diesem Thema verschrieben haben, oder zumindest ganze Alben dazu genutzt haben, uns von den Ereignissen von vor mittlerweile über 100 Jahren zu berichten. Die lange Zeitspanne bedingt natürlich auch, dass es seit langem keine Zeitzeugen mehr gibt, die uns berichten könnten. Das macht das Geschehene für uns Nachgeborene nur noch abstrakter und schwer greifbar. Da ist es um so wichtiger, dass wir nichts vergessen. Das gilt für alle Fehler der Menschheit, da wir offensichtlich auch zum Wiederholen derselben neigen. Das wird künftig um so wichtiger, wenn bald die letzten Zeitzeugen versterben werden, welche uns noch vom Zweiten Weltkrieg berichten können. Jedenfalls komme ich zunächst auf die nicht ganz unbekannten Niederländer GOD DETHRONED. Die haben tatsächlich eine komplette Album-Trilogie über den Ersten Weltkrieg geschrieben. "Passiondale" und "Under The Sign Of The Iron Cross" drehen sich thematisch auch eher um das Geschehen an der Westfront. Wie gesagt überlagern diese Bilder des verheerten Niemandslandes ja auch alle anderen Kriegsschauplätze dieses globalen Konfliktes. Im dritten Werk "World Ablaze" werden hingegen auch Themen der Ostfront verarbeitet und wir erfahren etwas über die Weiße Armee, die dem Zar gegenüber der Roten Armee der Bolschewiki die Treue hielt. Musikalisch muss ich hier gar nicht viel zu sagen. Wer auf GOD DETHRONED und guten Death Metal steht, der macht hier nichts falsch und kennt die Alben vermutlich ohnehin schon. Ich wurde im Vorfeld zu diesem Special auf eine Sache hingewiesen: Henri Sattler bezieht sich in einigen seiner Texte auf den Autor Ernst Jünger, der unter anderem das Buch "In Stahlgewittern" geschrieben hat. Das Werk und der Autor sind jedoch nicht ganz unumstritten, da Jünger im Gegensatz zu "Im Westen Nichts Neues" von Erich Maria Remarque sich jeder Wertung entzieht und die brutalen und unmenschlichen Fakten als Anti-Kriegsbotschaft im Buch für sich sprechen lässt. Dass Jünger sich nach dem Krieg von den Nationalsozialisten hat instrumentalisieren lassen, macht die Sache auch nicht einfacher. Als Primärquelle sind jedoch die Kriegstagebücher von Jünger unverzichtbar und der interessierte Leser muss sich letztendlich sein eigenes Bild machen. Die Ukrainer 1914 haben gleich ihr komplettes Schaffen dem Großen Krieg verschrieben. War das Debüt "Eschatology Of War" noch etwas unausgegoren, so haben 1914 mit dem Zweitwerk "The Blind Leading The Blind" einen absoluten Kracher mit famosen Artwork rausgehauen. Und zwar an dem geschichtsträchtigen Datum des 11.11.2018, also exakt 100 Jahre nach dem Waffenstillstand. Musikalisch sprechen wir hier von schwarz angehauchtem Death Metal, der dem Geschehen brutal-atmosphärisch, mal rasend schnell, dann wieder schleppend wabernd wie Kampfgas, mehr als gerecht wird. Ich kann das Album absolut empfehlen und in einer Rezension würde ich ihm neun Punkte geben. imgright Keinerlei musikalische Erklärung bedarf es bei BOLT THROWER, den Königen des britischen Death Metals. Ihr finales Album "Those Once Loyal", welches in Deutschland interessanterweise auch an einem 11.11. veröffentlicht wurde, ziert eine Darstellung einer Schlachtszene, welche auf einem War Memorial in London zu sehen ist. Der größte Teil der Songs hat einen klaren Bezug zum Ersten Weltkrieg. Ähnlich wie es in Frankreich der Fall ist, nimmt auch in Großbritannien der Erste Weltkrieg einen deutlich höheren Stellenwert in der Gedenkkultur ein als der Zweite Weltkrieg, da beide Länder in diesem Konflikt weitaus höhere Verluste erlitten haben. So findet sich in so ziemlich jedem Dorf dieser beiden Länder eine Gedenkstätte. Wer schon einmal in Edinburgh Castle gewesen ist, der wunderte sich gar über eine Art Sakralbau mit Kirchenfenstern, die Szenen aus dem großen Krieg darstellen. Definitiv beeindruckend.

imgleftDie Deutsche Death Metal-Formation SCALPTURE befasst sich mit ihrem aktuellen zweiten Album "Eisenzeit" ebenfalls ausschließlich mit dem Thema. Musikalisch wird hier ziemlich exakt die HAIL OF BULLETS-Formel bedient, was aber hervorragend funktioniert. Auch dieses Album kann ich sehr empfehlen. Stücke wie 'Hell Is A Field In France' und 'Yperite' stehen exemplarisch für dieses gut produzierte Brachialalbum. Die Schweden TORCHBEARER verfolgen auf ihrem 2006 erschienenen Album "Warnaments" gar einen maritimen Ansatz. Das vollständige Album dreht sich um die Seeschlacht vor dem Skagerrak, welche vom 31. Mai auf den 1. Juni 1916 vor Jütland stattfand. Hier kam es zu dem gewaltigen Aufeinandertreffen der britischen Roayl Navy und der deutschen Flotte. Der Ausgang entsprach einem Patt, wobei die deutsche Seite im Grunde genommen einen taktischen Sieg errung, da sie mit weniger Kampfkraft in das Gefecht zog und den Briten die größeren Verluste beibrachte. Letztendlich konnte die Royal Navy aber die Seeblockade gegen das Kaiserreich aufrecht erhalten. Jedenfalls besingen TORCHBEARER hier mit typisch schwedischer Melodieführung in ihrem Death Metal einen sehr interessanten Aspekt des Krieges. Nicht zuletzt war das Flottenwettrüsten zwischen der Seemacht Großbritannien und der Kontinentalmacht Deutschland einer der Gründe, imgright die zu diesem Krieg geführt haben. Musikalisch mischen TORCHBEARER nicht wirklich in der Oberliga mit, aber wenn man dem Thema und melodischen Schweden-Death der zweiten Reihe etwas abgewinnen kann, dann passt das schon. Die Osnabrücker MINENFELD spielen auf ihrem ersten Album "The Great Adventure", sowie auf der Promo 2017 und zwei Split-Veröffentlichungen einen unfassbar räudigen Death Metal, der sich ebenfalls sehr kritisch mit dem Thema auseinandersetzt. Schwerpunktmäßig wird der Kriegseintritt der USA im Jahr 1917 behandelt, der das weitere Geschehen in Europa stark beeinflusste. Nachdem Deutschland im Osten das russische Zarenreich besiegt hatte, warf man verzweifelt sämtliche Kräfte in den Westen, um bei der sogenannten Michaels-Offensive im Frühjahr 1918 noch einmal die Initiative zu gewinnen, bevor die überlegenen und ausgeruhten Truppen der Amerikaner das Kriegsgeschick endgültig zu Gunsten der Entente Cordiale beeinflussen würden. Zunächst gelang tatsächlich erstmals seit Beginn des Stellungskrieges ein entscheidender Durchbruch und Geländegewinne, jedoch aufgrund von überdehnten und unpassierbaren Nachschubwegen verlief sich der Anfangserfolg im Schlamm und von dort an war das deutsche Heer bis zum Waffenstillstand im November in der Defensive und nicht mehr in der Lage, den Krieg auch nur noch zu einem Patt zu führen. Dem Vernehmen nach arbeiten MINENFELD bereits am Nachfolger zu "The Great Adventure". Klare Empfehlung für Freunde von minimalistischen Brachial-Death Metal. Brutal trocken und mit der Wucht eines Belagerungsgeschützes. Auch das Ein-Mann-Projekt aus Westfalen, HORN, muss hier erwähnt werden. imgleft Nicht nur auf dem Album "Feldpost" von 2015 beschäftigt sich Nerrath mit dem Ersten Weltkrieg, auch auf dem aktuellem Album "Mohngang" finden sich, angefangen vom stimmigen Cover, wieder Verweise auf dieses Thema. Musikalisch lassen sich HORN, jedoch nur sehr grob, in die Pagan Black Metal Sparte einordnen. Allerdings wird das dem Schaffen von Nerrath nicht gerecht. Die Musik weist sehr eigenwillige und eigenständige Merkmale auf. HORN haben einen sehr eigenen Sound, den man so direkt kein zweites mal finden wird. Ungewöhnliche Instrumente wie ein Dulcimer unterstreichen neben den überaus kryptischen Lyrics den kauzigen Ansatz dieses sehr empfehlenswerten Projektes. Abschließend möchte ich noch SKYFORGER erwähnen, die ihr Album "Latvian Riflemen" dem Kriegseinsatz ihrer Landmänner in lettischer Sprache widmen.

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Heute vergessen wir allzu leicht, wie weit wir in Europa in den letzten 75 Jahren gekommen sind. Seit drei Generationen kennen wir im Grunde genommen nur Stabilität, Frieden und relativen Wohlstand. Dass die europäische Vergangenheit eine blutige ist und unsere Vorfahren viel Lehrgeld bezahlen mussten, ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, wenn nicht mal wieder gerade eine abstrakte Weltkriegsdoku über den Bildschirm im Hintergrund flimmert. Einer der beklemmensten Orte, die ich bei Verdun besucht habe, war das Fort Douaumont. Dieses Festungswerk, welches sich inmitten des umkämpften Gebietes befindet und weiland mehrfach den Besitzer wechselte, hat den Tod abertausender Menschen gesehen. Seine Kasematten gehen irrsinnig tief unter die Erde. Dort herrscht eine kalte und grausame Atmosphäre. Als wir jedoch wieder hinaustraten blickte ich nach oben in die warme Sonne und verstand erst jetzt in vollem Umfang, was es bedeutet, dass auf einer für die Franzosen regelrecht sakralen Stätte neben der Französischen Trikolore und dem Banner der EU auch eine Flagge der der Bundesrepublik Deutschland weht. LEST WE FORGET

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Ich möchte mich noch bei folgenden guten Menschen aus dem Deaf Forever Forum bedanken, welche mich im Vorfeld mit Bands inspiriert haben, die mir entweder nicht bekannt waren oder die ich schlicht erstmal nicht auf dem Schirm hatte:
@lpp, der mich auf MINENFELD aufmerksam gemacht hat, die seitdem hier in Dauerrotation laufen. Das Vinyl ist unterwegs. Danke!
@Tolpan für den Hinweis auf TORCHBEARER.
@Major Ziggy, der mich darauf hinwies, dass Henri Sattler sich durch Ernst Jünger inspirieren lies.
@Douggie, der mir SCALPTURE empfahl, die nun auch hier endlos laufen und die Vinyls sind ebenfalls unterwegs.
@Bulletrider für den Hinweis auf SKYFORGER.


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Sehr cooler und spannender Artikel, der mal wieder aufzeigt wie gut es uns in der jetzigen Zeit und trotz Pandemie tatsächlich geht. Und ich habe einiges gelernt, sowohl musikalisch als auch historisch. Chapeau!
(14.03.2021 von Manu)

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