Interview mit Jeff Waters von Annihilator

Ein Interview von Elvis vom 28.01.2017 (21975 mal gelesen)
Jeff Waters hat im Herbst 2016 eine erfolgreiche, ausgedehnte Europatour mit ANNIHILATOR hingelegt und für 2017 ein dickes Live-Paket für Zuhause namens "Triple Threat" geschnürt. Lest selbst, was der ANNIHILATOR-Chef in diesem Zusammenhang alles zu berichten wusste - viel Spaß!

Hallo Jeff, schön, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns genommen hast - ich denke mal, nach einer so ausführlichen Tour wie der, die ANNIHILATOR jetzt im Oktober und November gefahren haben, ist ein bisschen Ausspannen bestimmt angenehm, oder?

Jeff Waters: Ja, da ist natürlich auf alle Fälle die Zeitverschiebung, die einem erst mal in den Knochen steckt. Da fühlt sich jeder ein bisschen so, als ob er eine Erkältung in den Knochen hätte. Da braucht man schon vier bis fünf Tage vernünftigen Schlaf, um wieder reinzukommen, aber letztlich wacht man dann doch wieder um vier oder fünf in der Nacht auf und fängt dann plötzlich an zu arbeiten. Unterm Strich sind es doch vier bis fünf Wochen, bis man wieder so richtig drin ist. Na ja, bis dahin muss man dann eben ein bisschen mehr Kaffee trinken (lacht). Letztlich ist es nun mal nicht so, dass man von einer Tour zurückkommt und dann erst mal nichts tut. Allein vom Geschäftlichen her kann man da schnell mal eine ganze bis anderthalb Wochen einplanen, um das alles erledigt zu bekommen.

Ist es denn insofern ein Problem, vom Tour-Rhythmus wieder runterzukommen?

Jeff Waters: Damit komme zumindest ich jedenfalls ziemlich gut klar. Was ich immer mache, zumindest für die kanadischen Bandmitglieder wie mich selbst auch, also z. B. etwa auch Dave Padden früher: Am Ende einer Tour in Europa miete ich uns immer im Sheraton Hotel am Frankfurter Flughafen ein. Die Bar und das Restaurant da sind echt klasse und da kommen wir erst mal ein bisschen runter, bevor es dann wieder zurück nach Hause geht. Das machen wir dann immer so einen Tag oder anderthalb Tage. Danach sind wir vor dem Heimflug immer zumindest ein bisschen entschleunigt.

Wenn ich davon ausgehe, was ich bei Facebook sehen konnte, hattet Ihr ja definitiv Spaß bei der Tour. Leider hab ich es selbst diesmal nicht hinbekommen, ein Konzert mitzunehmen. Wie kamt Ihr auf die Idee, dieses neue Live-Album aufzunehmen?

Jeff Waters: Na ja, es war auf jeden Fall eine super Tour! Wir bemühen uns aber ohnehin, regelmäßig Konzerte zu geben, da auch wir wissen, dass nicht jeder Fan immer Zeit hat, ein Konzert zu besuchen und auch mal was dazwischen kommt. Unterm Strich sind es an sich sogar drei Produkte in einem. Da ist einerseits das Livekonzert vom "Bang Your Head", dann haben wir den Akustik-Gig im Studio und zur Abrundung gibt es noch eine Minidokumentation über unser Tourleben. Letztlich ist das mehr ein Gesamtpaket als bloß eine Live-DVD. Die Idee dahinter kam von mit und dem A&R-Mann beim Label, da wir gerne ein DVD- bzw. BluRay-Paket machen wollten. Irgendwie kamen wir dabei darauf, dass ein 3-Disc-Set werden sollte und diese Ideen kamen dabei raus. Das Label dachte dann erst mal, es sei ein Livekonzert mit zwei Bonusdiscs. Man muss halt immer mit einem begrenzten Budget arbeiten und da wäre bloß eine Live-DVD ein bisschen wenig gewesen. Man möchte den Fans ja auch was Cooles bieten. Für mich geht es nämlich hier weniger um das Konzert, sondern um das Akustik-Set. Die eigentliche Live-Show neben der Dokumentation sollte dann entweder aus Calgary oder aus Deutschland bei einem Festival sein. Es ging dabei nie um eine riesige Big Budget-Show mit gigantischen Produktionswerten und Explosionen, sondern mehr um eine typische ANNIHILATOR-Show. So konnte ich unterm Strich für das mir gegebene Budget das Maximum für die Fans rausholen und nicht bloß ein Konzert mit ein bisschen Bonus raushauen.

Das macht an sich auch durchaus Sinn, irgendwann hat man ja doch so viel an Veröffentlichungen auf dem Markt, dass nur eine weitere Live-Show jetzt auch nicht mehr sooo spannend ist.

Jeff Waters: Ganz richtig, und man muss auch sehen, dass die meisten - wenn auch nicht alle Bands - in 99% der Fälle, wo man ein Konzert mi großem Budget veröffentlicht, hingehen und die Fehler bei solchen Veröffentlichungen mit Overdubs im Studio ausbügeln. Wir wollten es dagegen ziemlich unbearbeitet lassen. Ok, an ein paar Stellen haben wir ein paar Verspieler ausgebügelt, zugegeben. Aber zu ca. 99,9% ist es dennoch eine Liveaufnahme. Klar, wir hätten es sicherlich noch deutlich mehr aufpolieren können. Viel wesentlicher war für uns aber am Ende das Live-Akustik-Set. Mir persönlich war das um ein Vielfaches wichtiger, was aber das Label nicht richtig verstehen wollte. Das Einfliegen aller Bandmitglieder dafür kostete ja auch noch mal einiges. Irgendwie habe ich UDR aber überzeugen können, sie sind jetzt richtig glücklich mit dem Gesamtpaket und das ist doch die Hauptsache.

Im Ergebnis ist es ja doch viel spannender, wenn man eine Band wie ANNIHILATOR mal abseits der üblichen Pfade gerade so was tun sieht und hört.

Jeff Waters: Ja, ganz richtig. Irgendwie wollte ich das mal getan haben. Wir haben ja doch einige unterschiedliche Aspekte, sei es Thrash, Rock, Metal oder auch mal ein bisschen Punk Rock. Ich bin jetzt 50 Jahre alt und ganz ehrlich: Ich mag einfach Herausforderungen. Auf der Bühne stehen, Gitarre spielen und vor einer neuen Tour dann mal wieder üben: Das ist zwar immer wieder ein bisschen anders, aber es ist nun wirklich nichts, wo ich mir mittlerweile wirklich groß Gedanken vorher machen müsste, das kenne ich einfach zu gut. Damit will ich nicht sagen, dass es einfach wäre, aber ich kenne es eben gut. Eine Herausforderung ist da wirklich schön, das Wissen und der Wunsch, es einfach besser zu machen bzw. es zu müssen.

Würdest Du - nachdem Du ja mittlerweile wieder auch die Vocals übernommen hast - denn irgendwann wieder darüber nachdenken, einen festen eigenen Sänger bei ANNIHILATOR zu nehmen?

Jeff Waters: Das ist natürlich eine ebenso gute wie typische Frage, die ich grade die letzten Monate von Fans, Freunden und natürlich auch von der Plattenfirma gestellt bekomme. Ich bin definitiv nicht der beste Sänger, den ANNIHILATOR jemals hatte. Mir kommt es dabei nicht mal auf den technischen Aspekt an, sondern darauf, dass der Sänger zum Song passt. Coburn Pharr bei "Never Never Land" war meiner Meinung nach ganz klar der originellste Sänger, den ich jemals hatte, das war sicherlich mein Favorit. Was mich betrifft, ich denke, dass es nach sechzehn Alben vielleicht wirklich das Beste ist, wenn ich mich mit der Rolle arrangiere und bemühe, gesanglich noch besser zu werden und einfach dabei zu bleiben. Einen anderen Sänger zu bekommen, ist wirklich nichts Schwieriges. Sofern nicht grade Rob Halford (JUDAS PRIEST) oder Stu Block (ICED EARTH) den Job machen wollen, bleibe ich dabei und ziehe das jetzt auch bis zum Ende der Band durch.

Guter Gedanke, wenn Du mich fragst. Du bist jetzt 50 und magst eine Herausforderung, zumal Du grade gesagt hast, Du möchtest es jetzt bis zum Ende so durchziehen. Nehmen wir zum Beispiel mal KISS: Die sind jetzt schon Mitte 60. Mal schauen, wie lange sie das noch durchziehen können oder werden, aber meinst Du, es ist schwer, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um aufzuhören?

Jeff Waters: Ich glaube, da gibt es drei Dinge. Solange Du es physisch noch draufhast, ist das schon mal gut. Du solltest noch vernünftige Musik spielen und keine langweilige Show spielen. Und vor allem: Wollen die Leute einen überhaupt noch sehen und hören? Diese drei Punkte sind für mich wirklich wichtig. Wenn ich bei einem Album merke, die Presse, die Fans und das Label mögen es nicht, weil es ziemlich schwach ist ... ich meine, das merkt man als Musiker, ob man da was Starkes veröffentlicht oder ein ziemlich maues Werk. Man kann das auch kaum vermeiden, ob nun in der Musik oder jedweder Kunst, es ist nun mal nicht alles überragend. Ich habe zum Beispiel alle IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST, SLAYER und AC/DC-Alben in meinem Studio auf CD oder iTunes. Trotzdem höre ich mir nicht immer alle davon an, da manche schon besser als andere sind. Wenn ich es physisch nicht mehr draufhabe, dann lasse ich es natürlich. Wenn die Reaktionen nicht mehr passen, hab ich zwei Möglichkeiten: entweder wird das nächste Album richtig, richtig gut oder muss es einfach ganz sein lassen. Es ist nicht so, dass ich abhängig wäre oder süchtig, ich mache das einfach gerne. Und wenn das nicht mehr passt, dann werde ich der Erste sein, der sagt, es reicht. Wenn ich jetzt nach Hause komme zu meinen drei Hunden, meiner deutschen Verlobten, meinem schönen Haus, in dem ich ein Studio habe, wo wir für die Tour proben und auch die Crew dann bleibt ... das ist echt toll. Alles, was grade mit der Musik zu tun hat, ist so toll. Ich liebe die Musik immer noch. Band wie EXODUS, METALLICA oder SLAYER bringen immer noch gute Alben heraus - ich hoffe wirklich, Gary Holt darf endlich mal für SLAYER ein paar Songs schreiben! Wenn man dann Teil dieser Szene ist und auch noch gute Angebote für Gigs bekommt, dann muss man einfach nur dankbar sein. Ein Ende ist einfach derzeit nicht in meinem Kopf absehbar. Wenn es nicht grade an der Gesundheit scheitert, daran, dass ich einfach keine guten Songs mehr hinbekomme und die letzte Platte besser wird als die Vorgängerin, dann tue ich mich damit echt schwer.

Wo Du allgemein Herausforderungen ansprichst: Gibt's da noch eine, die Du wirklich gerne annehmen würdest und die Dich echt anspornen würde?

Jeff Waters: Ich bin da ganz realistisch. Zum Beispiel weiß ich genau, dass ich immer die ein oder andere Entscheidung getroffen habe, die die Band davon abgehalten hat, größer zu werden. Aber das sind vielfach auch Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass wir überhaupt noch hier sind. Im Metalbereich sind 16 Studioalben ja schon eine echte Hausmarke. Klar, wir sind nicht SLAYER von den Verkäufen her, aber ich denke, ich habe schon sehr viel richtig gemacht. Vor vielen Jahren habe ich da meinen Frieden mit mir selbst gemacht, dass es gar nicht um jeden Preis in diese Sphären bringen möchte. Am Ende des Tages ist mein Ziel mit ANNIHILATOR eigentlich nur, dass wir überleben. Das bedeutet, wir brauchen Fans, wir brauchen die Unterstützung eines Labels und wir müssen gute Musik machen. Da habe ich im Grunde auch immer den Schwerpunkt drauf gelegt. Wenn dabei genug Geld rauskommt, um eine weitere Platte zu machen und alle zu bezahlen, dann ist das gutes Geld für harte Arbeit.

Wenn Du den Spirit dafür nicht hast, wer dann?

Jeff Waters: Ich kenne genug Beispiele von Kollegen, denen es wirklich nur um die Musik geht, aber gar nicht um Geld. Aber es gibt auch mehr als genug Musiker, die es aus den völlig falschen Gründen betreiben. Manche Fans wollen das nicht sehen, weil das Label oder die Presse manche dieser Bands so hochjubeln. Schön für sie, aber ich mache es eben, weil ich Heavy Metal und Thrash Metal liebe, das ist alles.

Wo Du das sagst, mich würde interessieren, was Du von STEEL PANTHER hältst ...

Jeff Waters: Meinst Du, weil Nikki Sixx kürzlich diese abfälligen Kommentare gemacht hat?

Na ja, die Band ist schon nicht einfach zu durchblicken.

Jeff Waters: Als solche, meinst Du? Als ich die Band Mitte der 2000er das erste Mal hörte, standen unheimlich viele Frauen und auch Kerle auf manche Songs von STEEL PANTHER. Welche das jetzt genau waren, weiß ich nicht mehr, aber es waren gut produzierte und gut geschriebene Songs. Ich dachte mir, nun ja, ist halt ein Gimmick im Stile von Hair Metal und 80er-Optik. Als Kanadier habe ich eigentlich einen ziemlich guten Sinn für Humor. Nimm zum Beispiel RUSH, die haben diesen lustigen Song "Into The Great White North" mit Bob und Doug McKenzie gemacht, zwei Komikern, damals in den 80ern. Das war ein reiner Spaßsong. Ich selbst schreibe zum Beispiel Songs über Mac & Cheese oder Hühnchen mit Mais. Als ich STEEL PANTHER zum ersten Mal hörte, bin ich deswegen nicht losgezogen und habe ihre Platten gekauft, aber ich habe ziemlich genau verstanden, was sie tun. Sie nehmen halt die Klischees des 80er Hair Metals und verpacken das für die heutige Zeit. Das ist schon ziemlich cool, aber als CD würde ich es nicht kaufen. Sie waren eine der ersten Bands, die das so gemacht haben, also ziemlich clever gemacht von ihnen, würde ich sagen.

Heute sind sie - tolle Musiker und gute Songwriter sind sie zweifellos - leider arg professionell und weniger spontan geworden. Das vermisse ich ein wenig.

Jeff Waters: Das ist halt das Problem, wenn man mit einem Gimmick anfängt, was für sich betrachtet ja nichts Schlechtes ist, sondern Teil des Ganzen. Am Anfang ist das cool, dann würde man vielleicht gerne davon weg und dann ist es schwer. Sie sind eben stark an den 80ern orientiert. Wenige Bands haben es geschafft, von so was dann auch wegzukommen. Nimm zum Beispiel PANTERA, da sind die Hair Metal-Anfänge auch ganz anders als z. B. später "Cowboys From Hell". Was Schlechtes kann ich jedenfalls nicht über sie sagen. Das hat was von SCORPIONS, DOKKEN, RATT oder KISS.

Denkst Du, nach diesen großen Namen kommt noch mal was richtig Großes hinterher? Wenn IRON MAIDEN oder METALLICA mal aufhören?

Jeff Waters: Ich bin ziemlich sicher, dass auch dann noch große Bands folgen werden, das wird aber ein wenig dauern, denke ich. OVERKILL, EXODUS oder ANNIHILATOR sind eben Bands, die nicht so groß sind. Klar wird das ein Schlag sein, wenn die ganze große alte Garde abtritt, sowohl für die Fans als auch die anderen Musiker. Es wird aber dafür sorgen, dass die nächste Generation dann umso härter arbeiten wird, um dieses Vakuum zu füllen. Die letzten 50 Jahre gab es so viele Bands wo man sagte, oh, die werden bestimmt das nächste große Ding - nimm zum Beispiel mal TRIVIUM. SLIPKNOT zum Beispiel sind groß, aber ein ganze andere Richtung. Kronprinzen gab es sozusagen einige, aber bislang ist da noch niemand in die Fußstapfen getreten. In den nächsten zehn Jahren werden wir wohl mehr herausfinden.

Okay, vielen Dank für das Interview Jeff - noch ein paar letzte Worte für unsere Leser?

Jeff Waters: Danke, dass Ihr ANNIHILATOR weiterhin die Treue haltet, wir sehen uns bestimmt im Sommer bei den Festivals!

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