Ein Interview von Eddieson vom 22.10.2019 (30283 mal gelesen)
Anfang November veröffentlichen die Death-Metal-Ägyptologen NILE ihr neues Album "Vile Nilotic Rites". Nach gerade abgeschlossener Europa-Tour, sitzt Karl Sanders schon wieder bereit, um mit mir über die neue Bandkonstellation und deren Auswirkung auf das neue Album zu reden. Er wirkt zu Recht sehr stolz auf die Band und ihr kommendes Album.
Hi Karl!
Karl:[auf Deutsch] Guten Tag!
Du sprichst Deutsch? Kannst du noch mehr?
Karl: Nein, für heute ist das genug. [wieder auf Deutsch] Meine deutsche Sprache ist grausam.
Also machen wir das Interview besser auf Englisch?
Karl: Ich denke, das wäre für uns alle am besten. [lacht]
Okay, ihr habt gerade eure Europa-Tour beendet. Wie lief es denn?
Karl:[ein letztes Mal auf Deutsch]Wunderbar! [lacht] Es war wirklich super. Wir hatten die Mission, etwas Werbung für das kommende Album zu machen und das Publikum hat es sehr gut aufgenommen. Wir hatten ein Menge Spaß dabei.
Das kann ich bestätigen. Ich habe euch gegen Ende der Tour in Bad Oeynhausen gesehen und es war ein fantastischer Abend mit all den Bands. Vor allem euch merkte man an, dass ihr eine Menge Spaß auf der Bühne habt.
Karl: Ja, wir lieben Metal. Wir lieben es einfach, Metal vor einem Metal-Publikum zu spielen. Das ist für mich ganz wichtig. Die Bands und natürlich auch das Publikum sollen das gemeinsam genießen.
Da bin ich absolut bei dir. Lass uns etwas über das kommende Album sprechen, "Vile Nilotic Rites" heißt es. Ich durfte es schon ein paar Mal hören und muss sagen, dass es ein absolutes Brett geworden ist. Genau das, was ich mir von NILE erhofft habe. Es ist unglaublich intensiv, massiv und klingt absolut frisch. Liegt die Frische, die das Album versprüht, an der neuen Konstellation in der Band?
Karl: Das glaube ich schon. Das neue Line-up fühlt sich an, wie NILE-Reborn, neu erfunden, wiederbelebt.
Genau so klingt es. Die Songs klingen aus einem Guss. Hat sich das Songwriting verändert? Waren alle daran beteiligt?
Karl: Auf jeden Fall. Dieses Album zeigt die größte Zusammenarbeit, das beste Teamwork, das wir schon seit Ewigkeiten so nicht mehr hatten. Ich glaube, das war das letzte Mal bei "The Catacombs Of Nephren-Ka" so.
Was mir vor allem gefällt, ist dieser "In Their Darkende Shrines"-Vibe, der die ganze Zeit so mitschwingt. Vor allem, weil "In Their Darkened Shrines" mein absolutes NILE-Lieblingsalbum ist.
Karl: Weißt du, auch bei mir hat "In Their Darkened Shrines" einen ganz besonderen Stellenwert. Ich denke, das Album repräsentiert den Höhepunkt der frühen NILE-Periode. Nachdem wir mit dem Songwriting und den Aufnahmen zu "In Their Darkened Shrines" fertig waren, wusste ich, dass wir den Gipfel erreicht haben. "Annihilation Of The Wicked" war da etwas anders. Das ging in eine etwas andere Richtung und wir konnten "In Their Darkened Shrines" nicht toppen. Produktionstechnisch war es besser, aber von den Songs war "In Their Darkened Shrines" der Gipfel. Jetzt, mit dem neuen Album fühle ich mich wie in einer frischen Band, mit einem neuen Start. Es fühlt sich an, wie, als wenn man das erste Album macht, vor allem haben wir immer im Dienste der Songs gearbeitet.
Was mir bei dem neuen Album extrem gut gefällt ist, dass es nicht so technisch ausgefallen ist, sondern es ist riffbetonter und die Songs kommen straighter auf den Punkt.
Karl: Das hast du sehr gut gesagt. Die Songs kommen auf den Punkt, so dass der Hörer die Message der Tracks schneller aufnehmen kann, was natürlich am Songwriting liegt. Es gab so viele Stunden, wo wir überlegt haben, wie man mit den Songs eine Verbindung zum Hörer aufbaut. Ich muss dir sagen, dass viele der Riffs auf dem Album uns vor eine der größten Herausforderungen gestellt haben, die wir jemals hatten. Das fängt damit an, dass man den Hörer mit den Riffs nicht vertreiben soll, sondern sie sollen ihn in ihren Bann ziehen. Natürlich sind sie auch schwierig zu spielen, aber wenn du die Songs hörst, dann merkst du, dass sie "hörbar" sind und der Song eben auf den Punkt kommt.
Da ist euch auf jeden Fall gelungen. Die Pre-Production hat ja auch nur ein Jahr gedauert.
Karl: Das stimmt, das hat wirklich lange gedauert. Wir haben wirklich für die Songs gearbeitet und alles, was den Songs nicht dienlich war, haben wir rausgeschnitten. Das konnte ein starkes Riff sein oder ein unglaublicher Drum-Part, aber wenn es dem Song nicht hilft, musste es halt raus.
'Revel In Their Suffering' ist ein gutes Beispiel dafür. Der Song ging ja eigentlich knapp vier Minuten länger, aber das Solo am Ende wurde rausgeschnitten.
Karl:[lacht] Ja, Brian hatte dieses unglaubliche Gitarrensolo, welches vier Minuten am Ende des Songs geht. Und das war so verdammt gut, dass er am Ende des Songs, den ersten Teil des Tracks schon wieder vergessen hat, weil das Solo eben so geil war. Dann haben wir überlegt, warum haben wir einen so guten Song geschrieben, wenn sich nach dem Solo niemand mehr an den Song erinnern kann? Das ist eben eines dieser Opfer, das man bringen muss, wenn man für den Song arbeitet.
Das klingt ziemlich hart. Vor allem für Brian in diesem Fall.
Karl: Klar, er war natürlich erst nicht begeistert davon, aber dann war er der Erste, der sagte, dass wenn es dem Song nicht hilft, muss es eben raus. Das war eben bei diesem Album eine schwere Disziplin für uns, immer nur an den Song denken.
NILE hat drei gleichberechtigte Sänger. Wonach entscheidet ihr, wer welchen Part singt?
Karl: Das machen wir nach Gefühl. Wir wissen es nicht wirklich. Wir setzen uns zusammen, reden miteinander und überlegen dann, wer bei welchem Part gut klingt. Wenn man als Team arbeitet und nicht einen hat, der der Leadsänger ist, dann klappt das gut. Wir haben Entscheidungen als Team getroffen, das macht es wesentlich leichter.
George Kollias hat mal wieder einen unglaublichen Job auf dem neuen Album abgeliefert. Wie wird er in das Songwriting involviert?
Karl: Die Songs wurden unzählige Male zwischen der Band und George hin- und hergeschickt. Es gibt einen Song, der hat sieben verschiedene Schlagzeug-Versionen. Wir haben Monate an der richtigen Drum-Version gesessen. George ist also voll dabei, er hat auch selbst einen Song auf dem Album geschrieben, und zwar 'Where Is The Wrathful Sky'. Natürlich ist das der Song, der mit einem Drumsolo beginnt. [lacht]
Auf der Bühne wirkt George wie ein absoluter Perfektionist.
Karl: Oh ja, das ist er! Der Typ ist ein wahnsinniger Perfektionist. Es gibt Abende, da spielen wir und es scheint alles perfekt, dann kommen wir völlig euphorisch in den Backstage-Bereich, reden über die geile Show und dann kommt George und sagt "Ja, aber meine Snare-Drum, blablabla! Diese Scheiß-Monitor-Box, ich konnte gar nicht hören, was ich spiele, und sowas". Er ist sehr kritisch mit sich selbst, halt ein sehr ehrgeiziger Mensch.
Bist du auch ein Perfektionist auf der Bühne oder im Studio?
Karl: Ich weiß nicht, ob ich ein Perfektionist bin. Ich möchte halt das Beste geben, was ich kann, damit der Hörer Spaß daran hat. Wenn du meinst, etwas Großartiges zu spielen, das Publikum aber nicht meint, dass es wirklich so großartig ist, dann ist es eine fehlerhafte Kommunikation zwischen Musiker und Publikum und dann haben wir als Musiker versagt. Ich weiß wirklich nicht, ob ich ein Perfektionist bin, aber ich nehme etwas wichtig und das treibt mich an.
Diesmal sind die Texte auf dem neuen Album auch etwas anders.
Karl: Das sind neue Songs und es gibt eine neue Herangehensweise. Ich wollte weg von dem, was die Lyrics sein müssen und wurde dabei von einem letztjährigen Trip, den ich gemacht habe, sehr beeinflusst.
Eure Texte behandeln ja oft die Vergangenheit, vor allem natürlich im geschichtlichen Sinne. Aber was ist mit der Person Kal Sanders? Ist er eine nostalgische Person, die ab und zu in die Vergangenheit blickt und über Fehler et cetera nachdenkt?
Karl: Natürlich, denn mal auf die vergangenen Fehler zu schauen, ist hilfreich, um in die Zukunft zu blicken. Wenn du nicht verstehst, was du falsch gemacht hast, dann kannst du es zukünftig auch nicht besser machen. Mich interessiert aber vor allem, was ich heute machen kann. Was kann die Band jetzt machen? Die Vergangenheit liegt hinter uns. Ich möchte headbangen, heute, genau jetzt.
Wir müssen aber trotzdem noch mal kurz in die Vergangenheit schauen, denn dein letztes Soloalbum ist vor über zehn Jahren erschienen.
Karl:[lacht]
Wird da noch was kommen?
Karl: Ich hoffe es. Wie du schon sagtest, es ist zehn Jahre her. Zeit also, mal langsam aktiv zu werden.
Eins noch: Ist es nicht seltsam, eine Tour für ein Album zu fahren, das noch gar nicht veröffentlicht wurde?
Karl: Das habe ich mich auch gefragt. Die Tour wurde geplant. Wir haben Nuclear Blast im Juni das Album gegeben. Wir haben gedacht, dass, wenn wir also im September/Oktober touren, würde das Album schon raus sein. Nuclear Blast sagte aber, dass das Album erst im November erscheinen wird. Okay, dachte ich, also canceln wir die Tour oder nehmen es, wie es ist, und machen schon mal ordentlich Werbung für das Album. Das war natürlich ein gute Möglichkeit, die neuen Songs den Fans zu präsentieren.
Also werdet ihr nach der Veröffentlichung noch mal nach Europa kommen?
Karl: Auf jeden Fall, ist alles bereits in Arbeit. In der Herbstzeit werden wir Europa und USA spielen, dann im Sommer so viele Festivals, wie möglich. Denn nochmal: Wir glauben, dass das Album so stark ist, dass die Leute die Möglichkeit haben sollen es zu hören.
Dem kann ich mich nur anschließen. Ich gebe dem Album 9 von 10 Punkten.
Karl: Vielen Dank, mein Freund! Neulich sagte mir jemand, dass er auch 9 von 10 Punkten geben wird. Warum denn "nur" 9? Was könnten wir besser machen?
Ich würde nicht sagen, dass es darum geht, etwas besser zu machen, sondern einfach darum noch etwas Platz zu lassen.
Karl: Das sagte auch mal Rudolf Schenker. Er sagte, wenn man ein 100%iges Album hat, warum sollte man dann noch ein weiteres aufnehmen?
Da hat er Recht!
Karl: Es ist besser ein 9-von-10-Punkte Album zu machen, als ein 10-Punkte-Album, denn dann hat man einen Grund wiederzukommen, und es vielleicht besser zu machen.
Ist die Veröffentlichung von "Vile Nilotic Rites" diesmal besonders spannend für dich?
Karl: Ja, das ist es. Es ist wie eine Neugeburt von NILE. Es ist neu und frisch. Für mich persönlich ist es besonders spannend, aber, und das muss ich auch sagen, ich habe mich mit einem Album lange nicht so wohlgefühlt, wie mit diesem Album. Bei vielen Alben, die wir veröffentlicht haben, war ich froh, weil es eben das neue Album war. Mit diesem Album aber fühle ich mich extrem selbstsicher. Es ist ein neues Gefühl.
Das ist doch ein schönes Schlusswort. Ich gehe mal nicht davon aus, dass du von den Fans enttäuscht wirst ob ihrer Reaktionen auf das Album.