Harpyie - Aurora

Review von Zephir vom 30.06.2019 (10690 mal gelesen)
Harpyie - Aurora Politisch, religiös und autobiografisch soll "Aurora" sein, das neue Album der Folk Metaller HARPYIE - und dafür fahren die fünf allerhand gotisch-melodische Wucht, orchestralen Bombast und vor allem eine ordentliche Portion Lebensschwere auf. War der Vorgänger "Anima" (2017) schon ein dichtes, von deutlichem Ernst geprägtes Werk, so setzen HARPYIE mit dem neuen Output noch einmal einen drauf.

Religiös oder autobiografisch? Eines der beiden Attribute zeigt sich gleich im düster-gewaltigen Opener 'Morgenstern', dessen Refrain lautet: Vater, Vater, warum hast du mich verlassen? Hier offenbart sich schon zu Anfang eine das ganze Album durchziehende, für das folkige Genre ganz und gar ungewöhnliche Traurigkeit, die man kaum noch Melancholie nennen kann. Und so folkig ist "Aurora" denn auch gar nicht, wenngleich die Geige (virtuos gespielt von Mechthild) und das metaphorisch Erzählerische, wie wir es beispielsweise von NACHTGESCHREI oder SCHANDMAUL kennen, wichtige Einheizer der allgemeinen Stimmung sind. (Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Stimme und Gesangsstil von Frontmann Aello an Thomas Lindner erinnern, vor allem im Track 'Atlantis', der sich in seinen Gesangslines stark an die Mittelalter-Rocker anlehnt.) Insgesamt hat das Album eher Züge von folkig oder Mittelalter-mäßig angehauchtem Gothic Metal, der sich zuweilen lyrisch-schwarzromantisch gibt ('Kompassrosen Welken Nicht'), zuweilen in zorngetriebenen Donner ausbricht ('Nichts Mehr', 'Blut Und Spiele'), mitunter aber auch einen richtig rockigen Drive fährt ('Vendetta'). Die Brachialgewalt in der Saitenfraktion und hinter den Drums erinnert mitunter an alte IN EXTREMO. Dabei wird die Musik immer getragen von dominanter Melodiosität und eingängigen, epischen Refrains, die mit ihrer Bildersprache die ganz großen Emotionen hervorrufen.

HARPYIE spielen auf "Aurora" mit nautischen, astronomischen und mythologischen Metaphern, die man sicher kitschig finden kann; mir persönlich gefallen sie. Der Titel 'Ikarus' erklärt das Coverart, bei dem ich anfänglich gestutzt hatte. Der Song lässt zunächst noch Positives hoffen, aber wir kennen die Geschichte von jenem, der aus Übermut zu hoch und zu nah an die Sonne flog, und dies bestimmt auch den Verlauf des Liedes. Manche wutentbrannten Momente, wie etwa in 'Blut Und Spiele', lassen versteckt das politische Moment vermuten (so lautet der Text: Wenn ihr laut nach Wasser schreit / geb ich euch Blut zu trinken). Nicht einmal das in Dur gehaltene, etwas Musical-mäßige 'Inferno' ist ein richtiger Lichtblick in der Schwere, weil auch hier die Lyrics sich in viel zu tragischer Weise interpretieren lassen.

Bei allen märchenhaften Instrumental-Passagen, bei aller Violinenkunst, bei allen sinfonischen Keyboard-Einlagen und bei allen mitsing- und vielleicht sogar mittanzbaren Kehrversen lastet mir "Aurora" schwer und traurig auf der Seele. Was mag die Musiker getrieben haben, ein derart düsteres, schier hoffnungsloses Werk zu schreiben? Das Opus ist ein Prodepressivum für schwermütige Welt- und Lebensschmerztage.

Anspieltipps wären beispielsweise 'Morgenstern', 'Vendetta' und allen voran mein persönlicher Lieblingssong 'Seemann Ahoi', der am Ende mit einer russischen (?) Gesangspassage garniert wird.

Kurz erwähnen sollte ich noch, dass der auf der CD-Hülle vermerkte Track 'Harpyie' nicht Bestandteil des Albums ist.


Gesamtwertung: 9.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Morgenstern
02. Sternenfeuer
03. Nichts Mehr
04. Kompassrosen Welken Nicht
05. Seemann Ahoi
06. Kaleidoskop
07. Ikarus
08. Atlantis
09. Inferno
10. Vendetta
11. Blut Und Spiele
12. Winternachtstraum
Band Website: www.harpyien.de
Medium: CD
Spieldauer: 55:00 Minuten
VÖ: 28.06.2019

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