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Früher war (fast) alles besser: Teil 5 - Der Doom-Sampler |
Ein Artikel von Warlord vom 02.11.2012 (10758 mal gelesen) |
Leute ich sag's euch, Doom Metal ist der beste Metal. Gleichzeitig ein seltsames Geschöpf. Im Moment bin ich jedenfalls schwer begeistert von einer Stilart des harten Metalls, die ich bisher nur am Rande auf dem Schirm hatte. In dieser ganzen Euphorie entstand dieser "Doom-Sampler", das heißt: ich bespreche jeweils nur einen Track einer Doom(Metal)-Band. Der Vorteil: Doom-Songs sind in der Regel lang, Doom-Alben noch viel länger und das Ganze sollte anders als der vorgestellte Sound eben nicht zäh wie Lava werden.
Los geht's mit einer meiner heißesten Neuentdeckungen, nämlich den mächtigen GRIFTEGARD aus Norrköpping, Schweden. Ihr Album "Solemn Sacred Severe" startet GENAU SO mit der majestätisch und langsam dahinschreitenden Hymne (man muß es schon sagen!) 'Charles Taze Russel'. Der Hörer sieht förmlich das Volk Israel durch die Wüste ziehen und heilige Gesänge anstimmen, so ernsthaft ist die Stimmung. Der Gesang von Thomas Eriksson glänzt in allen seinen melodischen Facetten, eine tolle Stimme die NICHT nach OZZY klingt. Der Sound ist heavy und "natürlich". Nach guten neun Minuten klingt dieses Epos mit singenden Twin-Gitarren eindrucksvoll und langsam aus. Eine ideale Einleitung für einen Doom-Sampler.
Das ebenso lange 'The Psychopath' von SAINT VITUS' selbstbetiteltem Debüt ist nicht weniger Epos. Soundmäßig natürlich nicht so gut bestückt, klingt insbesondere Dave Chandlers Rhythmus-Gitarre manchmal unterirdisch tief, der Solo-Gitarren-Sound ist dagegen abgefahren, hippiehaft verspielt und mit schönen Flanger-Effekten angereichert. Mark Adams gibt ebenfalls eine großartige Vorstellung seiner einzigartigen Stimme ab. Hier zeigte sich früh (1984!) der eigene Stil der jeglichen Genussmitteln nie abgeneigten Grandfathers-Of-Doom-Combo. Keine pure SABBATH-Imitation (obwohl es davon einiges auf "Saint Vitus" zu entdecken gibt, weiterführender Tip: 'Zombie Hunger'!), zeitgleich mit TROUBLEs erstem Album veröffentlicht (S.V. hatten sich aber bereits 1979 im sonnigen Kalifornien gegründet), düster, dreckig, manchmal theatralisch und ein Klassiker, den man kennen sollte.
Das nennt man heutzutage "Classic-Doom": CANDLEMASS und ihren etwas unterschätzten Drittling "Ancient Dreams". Die Songs bieten fast durch die Bank fantastischen, Epic-Doom-Heavy-Metal mit oft großen Melodien. Wer mal hören möchte, wo z. B. NILE ihre "orientalischen" Melodien geklaut haben, darf sich ruhig mal durch die erste LP-Seite hören und stellt sich dabei ein bisschen Blast und Gegurgel/Gekreische statt majestätischem und manchmal auch auf den Zünder gehenden Heldentenor von Front-Kutte Messiah Marcolin vor. Enthalten ist auch ein identisch betiteltes BLACK SABBATH-Medley. Zu hören gibt es Ausschnitte aus 'Symptom Of The Universe', 'Sweet Leaf', 'Sabbath Bloody Sabbath', dem monolithischen Singlenote-Riff von 'Into The Void', 'Electric Funeral' (hier hört man deutlich, wie lieb CANDLEMASS diese Nummer haben, denn plötzlich singt der "Messias" mit seiner höheren "Haupt"-Stimme). Natürlich schließt das historische 'Black Sabbath'-Riff diese mehr als gelungene Hommage an die Helden aus Birmingham ab.
Öfter mal was Neues: ELECTRIC WIZARD waren mir bis vor kurzem nur vom Namen her bekannt. Also flugs mal in ihr schon sehr ordentliches Debüt (anständig altmodisch nur den Bandnamen tragend) reingehört. Einen klassischen SAINT VITUS-Sound würde ich das nennen, nur mit sehr viel besserem Klang und die Gitarren sind nicht heruntergestimmt. Natürlich hört man auch hier wie auf dem VITUS-Debüt die Großväter aus Birmingham durchscheinen, aber man glaubt eben auf wundersame Weise, verschollenes Material von 1973 zu hören - und das in amtlichem Sound! Dazu ein lockeres Jam-Rock-Feeling mit einem sehr agilen Bass im Hintergrund. Der Titel nennt sich 'Mourning Prayer' und genauso klingt's dann eben auch. Nur die Stimme, die ist nicht OZZY. Muss ja auch nicht. Auf dem Album gibt's sogar noch psychedelische Zwischenspiele in echter SABBATH-Tradition und natürlich noch viele schleichenden Horror-Riffs, die Meister Iommi sich nicht besser aus den zu kurzen Fingern hätte schälen können.
Man hört und liest im Doom-Genre oft den Namen BLACK...WIDOW. Diese galten immerhin schon zu Lebzeiten als SABBATH-Klone, ein kurzer Höreindruck bestätigt dieses Vorurteil. Denn für BLACK WIDOW gilt das gleiche wie für zahlreiche andere, mit dem "Retro"-Revival wieder an die Oberfläche gespülte, Kapellen: es gibt manchmal einen (guten) Grund, warum die betreffende Band in Vergessenheit geraten ist! Das Hippie-Beat-Gedudel zu gepflegten Orgel-Riffs hat jedenfalls mit BLACK SABBATH so viel zu tun, wie BLUE ÖYSTER CULT mit BLUE SYSTEM. Gar nix. Manchmal erinnert die Soße übrigens auch etwas an Andrew Lloyd Webber mit Saxophon. Für "Sixties"- und EAGLES-Fans geeignet, der wissende Metaller macht einen großen Bogen drum.
Lieber mal wieder ein bisschen Doom-METAL und damit zu THE GATES OF SLUMBER. Dieses im Jahr 2004 mit seinem Debüt "The Awakening" in Erscheinung getretene Trio startet nach kurzem Getümmel und Geschrei mit einem kräftigen "Uhhhhh", swingt aber schon während des Intros ungemein (insbesondere das klingelnde Schlagzeug), bevor eine im Tempo sehr verzögerte und mit eigensinnigem Gesang sich hinschleppende Strophe allmählich an Fahrt gewinnt. Dieser Titeltrack, genannt 'The Awakening (Interpolating The Wrath Of The Undead)' ist, wie könnte es anders sein, ein gut neunminütiges Epos, das am Schluss sogar noch eine Speed-Metal-Abfahrt der natürlich etwas verschrobeneren Art inklusive "SLAYER-Soli für Doom-Köpfe" zu bieten hat. SEHR empfehlenswert, nicht nur dieser eine Song!
Das Doom-Fieber lässt mich natürlich auch immer wieder zu den Großvätern zurückkehren. WITCHFINDER GENERAL waren Teil der NWoBHM und gelten mit SABBATH als Haupteinfluss für TROUBLE, CELTIC FROST oder CANDLEMASS, die den Doom Sound ihrerseits weiter definieren sollten. Schreck lass nach, deren oft gelobtes Debüt "Death Penalty" geht gleich wieder mit Akustik-Gitarren los - bahnt sich die nächste Katastrophe an? Nein, die (allerdings nicht zu) harten Gitarren lassen nicht lange auf sich warten und der klassische "Schweinerock"-Sound ist klar erkennbar. Dann meint man für Momente, SABBATH auf "Vol. 4" zu hören. 'Invisible Hate' ist der längste Track des Debüts und die Klasse dieses Songs, der sogar noch ein paar LYNYRD SKYNYRD-Licks auffährt, ist wirklich nicht zu leugnen. Bis zum glorreichen Abschluss 'R.I.P.' (doomiger und schrulliger geht's nimmer) wird noch einiges an Traumstoff für Doom-Jünger geboten. Wenn also noch nicht gehört, dann unbedingt nachholen!
ESOTERIC sind eine britische Doom Metal Band und zwar (wen wundert's!) aus Birmingham, der famosen Geburtsstätte von (ich wiederhole mich gerne) SABBATH und PRIEST, um nur zwei Legenden aus der schönen Industriestadt (übrigens die zweitgrößte im Vereinigten Königreich) zu nennen. Diese Zentrale der West Midlands mit ihren weit über eine Million Einwohnern hat so manche Legende der Rock und Popmusik hervorgebracht, neben Robert Plant glänzt die Stadt doch auch mit den netten Jungs von NAPALM DEATH, tempomäßig natürlich eine ganz andere Geschichte. Das Debütalbum der Band entstand 1995, als der Death Metal seine Blüte schon etwas überschritten und Black Metal neben der größer werdenden "Alternative"-Bewegung die Überhand in der Rock- und Metal-Avantgarde gewannen. Dementsprechend trendfrei musste dieses überdimensionale, den normalen CD-Rahmen sprengende Monument des Genres gewirkt haben, zudem angereichert durch Death-Metal-Zutaten wie melodiefreien Grunzgesang in der tiefsten Basslage und gelegentliche Tempoausbrüche, die wie zu langsam gespielte MORTICIAN klingen. Dazu gibt es exotische, nach Sitar klingende Zupfeinlagen und Geräuscheffekte, oder die Drums geben mal Doublebass-Vollgas zu willenlosen Gitarrensoli und Schreien wie am Ende des siebenminütigen 'Eradification (Of Thorns)', den ich als repräsentatives Hörbeispiel einfach mal herauspicke. Das gesamte Album erfordert natürlich noch viel mehr Geduld und Toleranz gegenüber gigantonomischen Ambitionen. Die insgesamt sechs Titel haben Laufzeiten zwischen zwei und sechsundzwanzig Minuten, die Gitarren dröhnen auf bassigem Death-Metal-Niveau, das Schlagzeug tänzelt dagegen erstaunlich grazil mit, zwischendurch unterbrechen auch ein paar Speed-Passagen das träge Treiben und die Vocals könnten in ihrem permanenten Gegurgel nicht grottiger sein. Die Musik ist aber trotzdem bezaubernd und aufgenommen wurde natürlich im traditionsreichen "Rich Bich"-Studio von "Earache"-Records. Bemerkenswert ist auch, dass die Band zu der Zeit aus für Doom-Verhältnisse doch stattlichen sechs Mitgliedern bestand, von denen gleich drei für die Gitarren und alle außer dem Drummer für die Effekte zuständig waren. Ein Füllhorn an Ideen in Spielfilm-Länge, das bedeutet: fast 90 Minuten (mehr oder weniger) essentieller Stoff für Doom-Köppe!
SEHR heavy sind auch die famosen REVEREND BIZARRE. 'The Devil Rides Out' auf "II-Crush The Insects" ist ein fies schleichender Hardrock-Doomer, eingeleitet von einem Schlagzeugwirbel und absolut "Stoner"-primitiv. Sänger Albert Witchfinder trägt mit bedächtiger Stimme seine Linien vor..."all come to the Sabbath...to raise the demons, in the old fashion, look out!"...und das stumpfe Riffgeschrubbe kann man auch als Referenz an 'Sweet Leaf' empfinden. In der Durchführung wird ein majestätisch strenger Riffteil zu Schlagzeugkapriolen langsam aufgezogen um dann in ein tolles (noch langsameres) Gitarrensolo zu münden. Der schwere Sound macht hier den Druck, wirklich sehr geschmackvoll! Dann die verkürzte Reprise samt längerer Coda und mit einem neuen Thema klingt die 6-minütige Doom-Symphonie aus. Jedem Einsteiger in das grandiose Reich des Doom-Metal wärmstens zu empfehlen!
Kein Doom-Sampler darf natürlich enden, ohne alle Großen des Genres erwähnt zu haben. Ein (fast) vergessenes Juwel des Genres ist das grandiose "Turn Back Trilobite" der englischen SACRILEGE. Natürlich aus Birmingham. Den meisten heute wie damals unbekannt, fristet dieser kleine Diamant ein Schattendasein, das hier nun ein für allemal beendet werden soll. Angefangen mit der epochal feisten Doom-Gitarre von Damian Thompson über die manchmal vielleicht etwas nervenden aber doch größtenteils extraordinären Vocals von Sängerin Lynda "Tam" Simpson bis zu den facetten- und abwechslungsreichen Songs, die kaum noch etwas von der Hardcore-Punk-Thrash-Vergangenheit der Band offenbaren. Ihr letztes Album ist sicher ihr bestes, wenngleich nicht das typischste, sondern Ergebnis einer (nicht ganz abrupten) Stiländerung. Drums und Bass (Frank Healy, später mit BENEDICTION ebenfalls mäßig erfolgreich) sind unauffällig und songdienlich. Besonders gelungen auf 'Silent Dark', das mit tollem langsam und mit messerscharfen Twin-Guitars beginnt und in ein lässiges Uptempo-Riff umschlägt. Es gibt noch größer Epen auf dem Album, zum Beispiel 'Into The Sea Of Tranquility (Part 1, 2, & 3)' mit fast 12 Minuten, aber uch in jedem anderen Stück ist immer ein Großteil dessen enthalten, was dieses Abschiedsalbum einer heute leider vergessenen Band so hörenswert macht. Zum Schluß hört man noch einmal, wie schön und geheimnisvoll weiblicher Doom-Gesang sein kann, bevor Thompsons Gitarrenwand den den Rest besorgt. Hab' ich noch was vergessen? Ich kenne noch das Vorgängeralbum "Within The Prophecy", das schon Doom-Elemente aufwies, weitestgehend aber noch etwas holprigen Thrash-Metal bot. Alles weitere entnehme der interessierte Leser den Metal-Archiven. "Turn Back Trilobite" ist auf einem durchgehend hohen Niveau, wer immer mal hören wollte wie METALLICA auf Doom und mit Sängerin klingen würden, hat hier die Chance. "Buy Ör Die", auch wenn's schwierig werden dürfte mit der CD, ein Fall für Boris Kaiser, aber dazu ein andermal mehr. Ich zitiere zum Abschluß noch einmal Meister Witchfinder: "all come to the Sabbath...in the old fashion, look out!"
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