Kleines Ungarnspecial

Ein Artikel von TadMekka vom 09.01.2010 (9887 mal gelesen)
Die Metalszene ist seit Beginn an geteilt in zwei große, sich teilweise natürlich überlappende Bereiche: diejenigen, die den traditionellen Teil der Szene bevorzugen, wobei sich 'traditionell' meist hauptsächlich auf den Teil der Szene bezieht, mit dem die Fans zuerst in Kontakt kamen, durch den sie qusai 'sozialisiert' wurden. Dieser Teil trägt die Fahne stolz voran und wehrt sich vehement gegen jeden neuen Einfluss. Je nach Alter wird etwas anderes für 'traditionell' gehalten, sei es 'True Metal' für die Ü40ger oder eben Black Metal für die Ü20er (als letzter weltweit durchschlagender Trend). Teilweise werden sogar nur Teilstile bevorzugt, die nur wenige nennenswerte Protagonisten hervorgebracht haben.

Und dann ist da die andere Seite, die sich letztlich aus allen Altergruppen rekrutiert, aber deutlich stärker unter den jüngsten (und neuesten) Fans auftritt. Diese Klientel ist immer auf die Suche nach neuen Extremen, nach neuen Stilen, Crossovers und Ideen und bringt auf diese fordernde Weise letztlich die Szene voran, sehr zum Leidwesen der Traditionalisten, die den Jungspunden jedes Gefühl für 'gute' Musik absprechen. Das Metalcore-Bashing zeigt das sehr deutlich. Ich sag's im Vertrauen: in 10 Jahren ist der Metalcore (und die verwandten Bereiche aus dem Cybermetal) sicherlich Teil der 'traditionellen' Szene, genauso wie es heute Thrash, Death, Black, ja sogar Grunge, Teile des Hardcore oder sogar New-Metalbereiches sind. Und die Neugierigen von heute werden zu den Traditionalisten von Morgen. Klar ist, dass Innovation ohne Wurzeln ins Leere läuft. Schon alleine deshalb haben beide Seiten ihre Berechtigung.

dass sich der Blick über den in diesem Falle vor allem kulturellen Tellerrand dennoch für beide Gruppen lohnen kann, wenn auch aus jeweils anderen Gründen, zeigt diese Sammlung von Werken aus dem Einzugsbereich der ungarischen Kultur. Neue Extreme sind weniger zu finden, aber qualitätsbewußte (Alsbald)-Traditionalisten, gleich welchen Stil sie bevorzugen, werden im Folgenden fündig werden. Denn die ungarische Szene schafft es hier in allen Beispielen mühelos, die dem jeweiligen Stil als traditionell zuzuordnenden Stilmittel gerade soviel mit Innovation anzureichern, dass both sides of the fence hundert prozentig zufrieden sein können.

So laßt das Fest beginnen!

Band: Cadaveres
CD/DVD: Evilution (CD)/Devil's Dozen (DVD)
Stil: New/Core/Alternative
Veröffentlichung: 2008 (D: 02/2009)
Label: Edge Records
www.cadaveres.hu
www.myspace.com/cadaveres

Sehr moderner, mal leicht progressiver ('Three Act: Decay', 'Vicious Game'), mal metalcoriger Stoff kommt unter dem Decknamen CADAVERES zu uns. 'Evilution/Devil'S Dozen' ist schwer kategorisierbar, die Linien des klaren Gesangs kommen machmal etwas nölig daher, manchmal erinnert man sich aber sogar an die Techno/Prog-Thrasher EXTOL, was im Albumverlauf sogar eher noch zunimmt. Ich glaube nicht, dass das tatsächlich so beabsichtig war, aber es kommt gut rüber und hält den Hörer bei der Stange. Allgemein kann man sagen, dass die Platte, wenn sie auch nicht wirklich Neues bietet, dennoch virtuos mit verschiedenesten Stilmitteln aus obiger Schnittmenge spielt. Es gibt den Hüpfcore genauso wie die eingängige Melodieführung, die tiefergelegten Gitarrensägen gepaart mit beinahe punkig-corigem Songaufbau zu hören. Was mir besonders gut reinläuft, sind a) der in Abwechslung zum Klaren Gesang äußerst aggressive Kreischer, der zu keinem Zeitpunkt nervt, sondern einen dazu bringt, mit ihm zusammen die imaginäre Faust gen Himmel zu recken. So soll es doch auch sein. B) sind viele überraschende Akustik-Parts, die mal nach south-west-USA klingen ('Three Act: Decay' again), mal einfach nur wie das typisch osteuropäische Klagelied, das von Lust und Verlust erzählt ('Oracle of Time'). Ich verstehe kein ungarisch, kann also nicht sagen, ob die Texte meinen Assoziationen entsprechen, aber das sind die Bilder, die mir einfallen. Alles in allem ein echtes Highlight in diesem Special, das sich Fans, die mit obigen Schlagworten etwas anfangen können, dringend mal geben sollten. Die CD und DVD (Life-Konzi, Budapest 2008 sowie Videos) sind separat erhältlich und am besten über die Bandhomepage zu beziehen.

Band: Neochrome
CD: Downfall/Collapse
Stil: Black/Thrash
Veröffentlichung: 2007 (D: 02/2009)
Label: Nail Records
www.neochrome.hu
www.myspace.com/neochrome

Oho, erstaunlich hochwertiger Black Metal mit Thrash-Schlagseite kommt von NEOCHROME auf ihrem Album Nr 2. Ich beschwere mich gerne über die Unsitte im Brutal-Metal-Bereich, den Opener des Albums mit einer halbminütigen Blastorgie zu beginnen, nur um danach in stumpfes Midtempo abzugleiten. NEOCHROME machen das genauso,leider. Aber sie lassen den sabbernd nach Gewalt verlangenden Hörer nicht all zu lange im Stich. Überhaupt ist es wohl diese Art von Tempo-Abwechslung, den NEOCHROME hier perfektioniert zelebieren, den viele andere Möchtegerns einfach nicht erreichen. Dazu kommen ein schön rauher, jedoch nicht allzu brutaler Gesang, saubere, fette und angenehm brutale bis bösartige Riffs sowie eine traditionell abgeschischt fette Produktion, die dafür sorgen, dass NEOCHROME jeden ehrlichen Black Metal Fan werden überzeugen können. Auch Melodien und passend eingesetzte Sound-FX kommen nicht zu kurz. Natürlich es ist klar und deutlich spürbar, dass hier nicht wirklich Hass und Verzweiflung intoniert werden, aber Wut und Zorn können ja auch mal ausreichen, vor allem wenn qualitativ und songwriterisch so herausragend und atmosphärisch dargebracht. Mich konnten NEOCHROME mit ihren teilweise superb und spannend arrangierten Songs voll überzeugen und deshalb will ich jedem Blackie, der Black Metal tatsächlich nicht wegen Ideologie oder Message (!?) sondern wegen der urgewaltigen Musik liebt, NEOCHROME ans Herz legen!

Band: Subscribe
CD: Stuck Progress to Moon
Stil: Hardcore/Punk/Progressive/Emo
Veröffentlichung: 2007
Label: Edge records
www.subscribe.hu
www.myspace.com/subscribe

Ein schönes, düster-inspirierendes Klavier-Intro leitet eine etwas unstete Scheibe an. Auf den ersten hör klingt das Ganze ein wenig nach frühen EXTOL und noch früheren LIFE ARTIST. Sehr old-school-proggig (sic!), leider entwickelt sich der Stil im Verlaufe des Albums eher in die Ami-Melocore-Richtung, dazu kommt noch viel sinnlos durch die Gegend gedudeltes Stilfremdes Musikkongolmerat, dem einen Sinn zuzugestehen kaum möglich scheint. Dennoch würde ich Subscribe in Summe in die Emo/Screamo-Ecke stellen. Alles in allem wenig innovativ aber für Genrefans sicherlich eine Bereicherung. Reinhören!

Band: Dalriada
CD: Szelek
Stil: Traditional/Folk/Rock
Veröffentlichung: 2008
Label: Nail records
www.dalriada.hu
www.myspace.com/dalriadahu

DALRIADA haben mit ihrem sehr folkigen, traditionellen Metal großen Erfolg in ihrer Heimat Ungarn. Außerhalb des Landes kann man "Szelek" tatsächlich vor allem den Metalfans empfehlen, die sich eine ernsthafte bzw. ernstnehmbare Version der finnischen Folk-Bands wünschen. DALRIADA machen nämlich nicht den Fehler, ihre Kultur auf Saufen und Feiern zu reduzieren. Stattdessen wird hochwertige Melodieführung kombiniert mit außergewöhnlichen Instrumenten, das ganze wird auch durchaus mal episch und mächtig (Hajnalpir) vorgetragen. Drei der Bandmitglieder teilen sich die Vocals, alle drei (zwei Männlein, ein Weiblein) wissen hierbei auch voll zu überzeugen. Die hierbei erzeugte Atmosphäre beinhaltet viel Tragik, gespeist wohl aus der wechselvollen und oft schmerzerfüllten finno-ugrischen Geschichte. Und owohl diese in Europa eine Sonderstellung innehat, muss man feststellen, dass keltisches, germanisches, römisches, nahöstliches, slawisches und eben auch finno-ugrisches Melodiegefühl viel Gemeinsamkeit hat. Wer kann schon die Jahrtausende überblicken, die dem zu Grunde liegen? Und wodurch eigentlich meinen die Spalter in Europa das Recht zu haben, sich darüber hinweg zu setzen? Ihr seht schon, "Szelek" berührt durchaus auch emotional mit seiner traurigen, dennoch trotzig-positiven Atmosphäre. Alles in allem, obwohl absolut nicht meine Baustelle, ist DALRIADA mit "Szelek" ein echtes Highlight gelungen, das auch außerhalb Ungarns sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Für mich in diesem Paket das Album, das ich am dringensten empfehle.

Band: Wackor
CD: Uncommon Ground
Stil: Modern/Rock
Veröffentlichung: 2008
Label: Edge records
www.wackor.hu
www.myspace.com/wackor

Stilistisch sehr schwer einzuordnen sind WACKOR, die seit 1996 aktiv sind und bereits mit Bands wie TESTAMENT auf Tour waren. Was WACKOR auszeichnet, sind traditionell True/Thrashige Arrangements, die immer wieder mit interessanter, fast proggiger Melodieführung in den Refrains überraschen. Der Gesang ist sauber, kommt aber manchmal etwas nölig rüber. Songs wie 'Sowl' oder 'Beyond' überzeugen mit schönen Refrains, während zum Beispiel 'Rancor' ein schönes Solo zu bieten hat. Die Scheibe wächst mit der Zeit und nach hinten raus werden die Songs immer besser und vor allem atmosphärischer. Es fällt mir sehr schwer, hier Vergleiche zu fahren. Manchmal muss ich an frühe OVERKILL denken, aber WACKOR haben das bessere Melodieverständnis. Hier ist deutlich zu spüren, dass man der Scheibe Zeit geben muss. Einige der Songs entwickeln sich plötzlich zu massiven Ohrwürmern, an die man sich oft und gerne erinnert. Wenn man die CD dann ein paar mal durch hatte, kann man es oft garnicht erwarten, sie ein weiteres Mal durchlaufen zu lassen, man freut sich immer wieder auf die clever arrangierten, melodiösen Passagen, die durch Vocals oder vor allem Gitarrenspielereien erarbeitet werden. Sehr schön zeigt das das hervorragende, tief in Herz und Bauch gehende 'Just This'. Alles in allem eine empfehlenswerte, interessante und überraschende Scheibe, die sich fast vorsichtig ins Hirn schleicht, dort aber festsetzt. Somit etwas für Leute, die sich gerne Zeit nehmen und mit solchem Material auseinandersetzen. Kann sich vielleicht jemand eine vollkommen straighte Variante der Extrem-Progger von ARCANE vorstellen? Ganz weit entfernt und ohne Gefrickel aber mit ähnlich intensiver, langsam aber massiv wachsender Atmosphäre klingt "Uncommon Ground". Interessanter Stoff, indeed!

Band: Replika
CD: Nem Hiszek/I don't belive
Stil: Hardcore/Modern Thrash
Veröffentlichung: 2007
Label: Edge Records
www.replikamusic.hu
www.myspace.com/replicacore

Von einer Band, die sich REPLICA nennt, hätte ich mir eigentlich ein wenig FEAR FACTORY erhofft. Aber weit gefehlt. REPLICA sind eher eine sehr corige Variante von späten SEPULTURA oder auch EKTOMORPH. Simpel strukturierte Banger, viel Hardcoregebrüll, das meiste im Midtempo veharrend, ab und zu auch durchaus mit Melodie verfeinert. Alles in allem für Fans von BORN FOM PAIN oder Hardcore der New Yorker Schule sehr attraktiv. Mit "Nem Hiszek/I don't belive" liegt das mittlerweile 8 Studioalbum der seit 1995 aktiven Band vor. Leider sind mir die früheren Werke nicht bekannt, aber wenn eine fast 15-jährige Entwicklung nichts Originelleres hervorbringt wie dieses Album, muss man davon ausgehen, dass REPLIKA ihre Passion gefunden haben. Und damit auch als authentisch gelten können. Ein schmackhaftes Häppchen also für Genrefans.

Band: Ideas
CD : Fönix/Phoenix
Stil: Gothic/Opera
Veröffentlichung: 2008 (D: 02/2009)
Label: Nail Records
www.ideasband.com
www.myspace.com/ideasband
www.youtube.com/ideasmusic

Hochwertiges Futter für alle Fans von NIGHTWISH und WITHIN TEMPTATION bieten IDEAS auf ihrem Ende 2008 veröffentlichtem 'Phoenix', das im Februar diesen Jahres nach Deutschland kam. Natürlich erreicht die seit 1995 aktive Band nicht ganz das songwriterische Niveau, vor allem in Sachen Melodie und Arrangements wie die beiden vorgenannten Bands. Weiterhin ist Sängerin Anita Kun vor allem in höheren lagen auch nicht ganz so tonfest wie ihre Vorbilder, was aber nur Leuten mit absolutem Gehör tatsächlich negativ auffallen dürfte. Dennoch kann 'Phoenix' Wohlwollen wecken, vor allem in den klassischem Metal sehr nahen Passagen, in denen vielstimmige Chöre der Grundmelodie Vortrieb leisten, können voll überzeugen. Die Scheibe läuft auf gleichbleibend angenehm hohem Niveau und wächst über die Zeit stark, dennoch möchte ich mal die schönen Hymnen 'Just remember' oder den 10-Punkte-Hammer 'Wake me up' (!) hervorheben, die den Einstieg in die Scheibe erleichtern sollten. IDEAS sind besser als die meisten pseudo-originellen Genre-Clone, die die Szene verpesten, obwohl sie sich nicht all zu sehr von ihren Vorbildern entfernen. Stattdessen bereichern sie einfach den Ideen-Pool des Genres innerhalb seiner engen Grenzen und wenn das auf diesem Niveau gelingt, in einem Genre, in dem man eigentlich davon aus gehen kann, das alles gesagt ist, verdient das Respekt und eure Aufmerksamkeit.

Band: Iron Maiden Tribute Band
CD: 10 Wasted Years
Stil: traditional
Veröffentlichung: 2008
Label: Nail Records

Eine ganz erstaunliche Platte ist diese Tribute-Sammlung von Maiden-Classics aus allen Phasen der Band geworden. Die Jungs um Sänger Zoltan Kiss feuern hier ein Feuerwerk der besten Maiden - Songs überhaupt ab. Das wage ich zu behaupten, weil ich wohl an derer Statt die gleiche Wahl getroffen hätte. Knackpunkt ist jedoch die über jeden Zweifel erhabene Qualität der Darbringung, die hier geboten wird. Am auffälligsten ist für mich als IRON MAIDEN - Fan vor allem der Gesang. Klar, Zoltan klingt nicht genau wie Dickinson, hat nicht seine Einzig- und Eigenartigkeit. Aber er macht etwas deutlich besser als das Original: er trifft die Töne! Blasphemie? Kann ich mit leben, denn Ehrlichkeit ist Trumpf, nicht wahr? Klar, die Intensität, die Dickinson verkörpert, wird nicht ganz erreicht, aber dennoch macht es mir beinahe mehr Spass, die Songs in dieser Version zu genießen, bei der ich eben nicht über all zu viele Unebenheiten hinweghören muss. Mir ist klar, dass der Die-Hard-Fan diese Unebenheiten nicht missen möchte, da er sich daran gewöhnt hat. Dennoch glaube ich, dass Zoltan's Band unwillkürlich die Messlate für die Qualität der vor allem auch instrumentalen Lifeperfomance des Originals höher gehängt hat als Harris und seine Mannen das die letzten Jahre getan haben. Vor dieser Leistung ziehe ich meinen Hut! Darüberhinaus, und das ist das Wertvollste, erinnert man sich mal wieder daran, wieviele großartige Songs eine der größten Legenden der Szene geschrieben hat, die vor allem von der deutschen Presse zu Unrecht immer und immer wieder angefeindet wurde. Es ist dies eben das Problem des Zuhörens und Akzeptierens von Entwicklung, das die deutsche Szene zur am stärksten stagnierenden der Welt herabgewürdigt hat. Anyway, ich kann empfehlen, dieser Tribute-Truppe, so sie mal in der Nähe aufschlagen sollte, eine Chance zu geben. Es wird sich für euch lohnen!

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