Interview mit Mariangela Demurtas von Mariangela Demurtas
Ein Interview von des vom 24.04.2022 (18783 mal gelesen)
Mit Mariangela Demurtas, der Sängerin von TRISTANIA, sprachen wir über ihre Solo-EP, die Macht der Musik, Pizza und ihre Rolle als Mutter.
Hallo Mariangela, schöne Grüße nach Portugal! Wie geht es dir?
Mariangela Demurtas: Mir geht es gut, danke. Es sind seltsame Zeiten für jeden, aber wir versuchen, unser Leben normal zu leben und positiv zu bleiben. Es bleibt uns auch nichts anderes übrig.
Du hast eine nue EP draußen und im Begleitblatt steht "ehemalige Sängerin bei TRISTANIA". Hast Du bei Tristania aufgehört?
Mariangela Demurtas: Ich denke, da hat jemand falsche Schlüsse gezogen, dass ich nicht mehr mit TRISTANIA arbeite, aber das stimmt nicht. Die Band ist nur gerade in einer Ruhephase, das letzte Album stammt von 2013 und seither gab es nichts. Wir sind noch immer eine Band, bei der ich die Leadsängerin bin und im Dezember werden wir auf Tour gehen. Vielleicht rührt der Irrtum daher, weil ich so viele Projekte parallel am Laufen habe.
Vielleicht auch, weil die EP vom Stil her ganz anders ist?
Mariangela Demurtas: Wenn ich mit dem TRISTANIA-Stil gestempelt wäre, wäre das ein Fehler, weil ich völlig unterschiedliche Stile abdecke. Klar, ich kreiere immer Musik mit einer traurigen, melancholischen Atmosphäre, aber jetzt zu sagen, dass ich einen Schritt in eine Richtung gegangen bin, die nicht mehr ich selbst bin, das würde nicht stimmen. Vielleicht lernen mich die Leute jetzt auch besser kennen, wer weiß?
Die EP besteht aus vier Songs - wird ein komplettes Album folgen?
Mariangela Demurtas: Das wäre meine Idee, ich habe bereits Songs für das Album - ich arbeite immer an neuen Songs - was mir aber noch fehlt, ist die Unterstützung durch eine Plattenfirma. Die EP habe ich selbst finanziert, aber für das Album erhoffe ich mir Unterstützung, ansonsten mache ich es wieder independent. Ich mache keine Metal-Musik, was die Sache schwieriger macht, weil ich eher im Metal-Business bekannt bin. Aber eines ist sicher: Ich werde weiterhin Musik machen.
Die Songs sind sehr melancholisch, du strahlst aber keine Traurigkeit aus. Sind die Songs persönlich?
Mariangela Demurtas: Ich denke, musikalisch gesehen bin ich sehr melancholisch. Ich mag diese Vibes und Gefühle, vielleicht wegen all der Dinge in meinem Leben, die mir zugesetzt haben und mich traurig machen? Ich liebe dieses Gefühl der Melancholie und wann immer ich singe, will meine Stimme dahin gehen. Ich kann nichts dagegen tun, so bin ich einfach hinter der positiven Person.
Im Song 'Classic' singst du "where should I go?". Bist du auf einer Suche oder ist das nur ein Text?
Mariangela Demurtas: Ja, da gibt es einen Grund für diesen Song und diese Lyrics: Der Song wurde geboren ohne Text, ich lasse gerne die Musik treiben und warte auf eine Inspiration in Form einer Geschichte. Es geht um eine Person, die sich fragt, was soll ich tun, wo soll ich hin. Stell dir jemanden vor mit einer Behinderung oder Autismus. Das sind Personen innerhalb der Gesellschaft, die aber nicht integriert sind, weil die Leute sie seltsam finden. Und diese Personen fühlen das natürlich, dass andere einen Schritt von ihnen weg machen, weil sie nicht bei den Schwachen sein wollen, sondern bei den Starken. Dieses unkomfortable Gefühl haben viele Personen, von denen man es nicht weiß. "where shall I stay, where shall I go" bedeutet "kann ich bitte in meinem Körper einfach nur leben". Der Platz, an dem ich bin, lass mich mein Leben leben. Wie du siehst, gibt es viele Bilder in den Songs, die für sich sprechen. Ich denke, der Song für sich ist nicht leicht zu verstehen, weil er sich um ein komplexes Umfeld dreht.
In 'City' singst du von "die Stadt, die sieht nach Ärger aus" - aber wohnst du nicht eigentlich am Land? Von welcher Stadt singst du?
Mariangela Demurtas: Das ist ein imaginäres Ding. Ich weiß, auch das Video dazu spielt in der Stadt, aber eigentlich steht 'City' hier für den großen Traum, den jeder hat. Der Titel wird auf viele unterschiedliche Arten interpretiert, was ich eigentlich sehr cool finde, aber für mich selbst steht der Song für den großen Traum. Wir als Menschen und Gesellschaft machen gerne große Pläne, aber leider geht das Leben oft andere Wege und gibt dir Sh*t zurück und man muss dann damit umgehen und es akzeptieren können. Wie wenn man das ganze Leben auf ein Ziel hin arbeitet und sich am Ende wundert, warum das Leben eine andere Antwort parat hat, wie zum Beispiel eine Krankheit wie Multiple Sklerose. 'City' ist der Big Dream, man öffnet die Augen vor wunderschönen Lichtern, aber auch Risiken. Wenn ich singe "waiting in the fire" meine ich "komm nur, ich bin hier, mir wird es besser gehen". Es geht nicht um die wunderschöne Stadt Lissabon lacht
Lissabon ist wunderschön, aber du stammst aus Sizilien, oder?
Mariangela Demurtas: Nein, aus Sardinien
Also bringst du italienisches Temperament in die melancholische portugiesische Familie?
Mariangela Demurtas: Ich kann dir sagen, ich bin schon viel smoother als früher. Ich bin nicht mehr die wilde Italienerin von früher, sondern eine Bewohnerin der Welt, weil ich schon in so vielen unterschiedlichen Ländern gelebt habe. Natürliche habe ich noch etwas italienisches Naturell in mir, aber es ist nicht mehr so stark wie früher, als ich noch in Italien gelebt hatte. Ich habe so viel Zeit mit den Norwegern verbracht und jetzt mit den Portugiesen und Freunden weltweit, also habe ich alle Arten zu leben gelernt. Wir sind eine Hybrid-Generation, weil wir nicht mehr das sind, was wir vor fünfzig Jahren waren.
Aber kochst du Pizza oder Pasta?
Mariangela Demurtas: Ok, ja, das mache ich. Aber jetzt weniger, weil mein Mann [Anm: Ricardo Amorim von MOONSPELL] gerade auf Diät ist. Aber ich mache Pizze für unseren Sohn. Gerade heute ist Pizza-Tag: Wir holen ihn ab, unternehmen etwas und anschließend gibt es Pizza. Das ist auch die schnellste Art zu Kochen, eine Pizza in den Ofen zu schieben. Aber ich mache den Teig selbst, mit allen Zutaten, rein in den Ofen und er ist glücklich. lacht Und heute habe ich fürs Wochenende Franziskaner Weißbier gekauft.
Warum kooperierst du eigentlich nicht noch mehr mit MOONSPELL, bis auf deine Gastauftritte bei 'Raven Claws'?
Mariangela Demurtas: MOONSPELL muss sich seine Identität bewahren. Wenn ich immer da wäre, dann wäre ich immer die zweite Sängerin der Band, und ich denke, dass MOONSPELL das selbst nicht wollen. Ich will das auch nicht. Ich glaube, wir hatten immer diesen netten Moment, an dem wir zusammen kommen und gemeinsam Musik machen. Auch sind die weiblichen Stimmen, die MOONSPELL manchmal als Gastauftritte hatten, eher opernhaft oder sanft, wie zum Beispiel Anneke. Meine Stimme passt glaube ich am besten zu 'Raven Claws'. Außerdem will ich - nachdem ich mit einem der Musiker verheiratet bin - die Familie bei der Familie lassen. Und ich hätte im Moment auch keine Zeit dafür. Vielleicht mache ich später einmal Musik mit meinem Mann, der großes Talent hat, aber das würden wir rein für uns selbst machen und nicht für MOONSPELL, denke ich.
Als Musiker ist Leben in einer Pandemie schwierig, oder?
Mariangela Demurtas: Ja, es ist Sh#t. Wir sind als Luxusgut kategorisiert und nicht lebensnotwendig. Aber wenn man gute Menschen in einer guten Gesellschaft will, dann gehört Kultur einfach dazu. Wenn man mehr Liebe und Musik und weniger Krieg will, kann man sich auf Musiker verlassen. Es ist die einzige Therapie, die auch die Seele heilt - es geht oft nicht nur um Medizin, sondern darum, von innen aufzuräumen und sich zu reinigen. Musik hat eine große Macht diesbezüglich. Auch wenn eine Person, die sich nach dem Anhören eines guten Albums besser fühlt, nicht abschätzen kann, wie viel Arbeit darin steckt - Stunden an Proben und Arbeit. Es steckt viel Energie auf Aufwand darin und es wäre schön, wenn die Kunst auch von den Politikern wert geschätzt würde und nicht als das letzte Ding, an das man denkt. Ausbildung ist natürlich immens wichtig und Musik sollte ein Teil davon sein.
Mittlerweile ist jeder hungrig nach Livemusik. Wirst du auch auf Tour gehen? Du hast ja auch auf deiner Patrion-Seite eine Menge Songs.
Mariangela Demurtas: Ja, ich werde im April ein volles Set an Songs spielen. Das wird das erste Mal sein, dass ich alleine vorne stehe mit einer Gitarre und vielleicht einem Piano. Und wahrscheinlich habe ich meine erste Release-Show im Juni. Und dann würde ich gerne meine Musik weiter nach draußen bringen, aber ich muss erst die richtige Situation finden und in meinem Umfeld herausfinden, welche anderen Künstler mit mir die Bühne teilen möchten, aber nachdem mein Mann bis November sehr beschäftigt ist wird es erst danach statt finden, weil einer von uns beiden bei unserem Kind bleiben muss, was ich aber gerne mache. Ich muss da an die letzten Wochen meiner Schwangerschaft denken, als viele sagten "du kannst doch nicht mehr auftreten" und ich sagte "warum nicht?". Ich habe ein paar tolle Angebote bekommen, die ich wegen des Babys ausschlagen musste. Da denkt man sich schon, warum das gerade zu dieser Zeit passieren muss. Ich musste mich schon daran gewöhnen, die Musik etwas zur Seite zu schieben. Aber wenn man sein Kind heranwachsen sieht, wird es der wichtigste Teil deines Lebens.
Danke für die Zeit, die du dir genommen hast!
Mariangela Demurtas: Danke auch an dich und ich wünsche dir ein schönes Wochenende!