Offener Brief an Nuclear Blast

Ein Artikel von Odin vom 06.03.2003 (13890 mal gelesen)
Lex schreibt:

"Liebe Kopierschützer von Nuclear Blast,
die Ihr hier von mir stellvertretend auch für alle anderen Hüter digitalen Klangeigentums angeschrieben werdet:
Ihr habt sicherlich zu keinem Zeitpunkt erwartet, dass Eure Kopierschutzpolitik auf der neuen Stratovarius-CD in Begeisterungsstürme ausarten wird. Warum auch, schließlich verwehrt Ihr ja nur diversen Fans die Möglichkeit, legal erworbene Musik auf ihrem PC zu hören. Jeder, der die CD hören will, kann sich ja eine Stereoanlage oder einen Discman kaufen. Denn alle, die Musik am PC hören, sind nur Kriminelle und Schwerverbrecher, die nichts anderes zu tun haben, als das Album im mp3-Format in einschlägigen Tauschbörsen zur Verfügung zu stellen. Meine zentrale Musikstation ist und bleibt nun mal mein Computer. Wozu einen separaten CD-Spieler kaufen, wenn im Rechner das Laufwerk mindestens das Gleiche bringt? Ihr seit ja nicht mal auf die Idee gekommen, alle CDs mit einem separaten Software-Player auszustatten, der die CD zumindest am PC hörbar macht. Nein, beide CDs der Special Edition werden erst gar nicht vom Laufwerk erkannt. Da habt Ihr ganze Arbeit geleistet. Leider wurde die CD auch nicht von meinem Tapedeck angenommen, so dass ich letztendlich 20 Euro in den Wind geschossen habe. Schlimm, dass Ihr nicht mal einen Hinweis auf der CD anbringt. Warum eigentlich? Birgt das die Gefahr, dass der potentielle Käufer die CD liegen lässt und eher auf ein anderes Produkt zurückgreift? Das ist in meinen Augen Verbrauchertäuschung und Ihr könnt froh sein, wenn es nicht Klagen gegen Euch hagelt. Vielleicht wollt Ihr dies ja und nutzt es dann aber auch als neuen Vorwand, die Preise weiter zu erhöhen.
Euer Ziel ist es doch nicht mehr dem Fan eine CD und die Leistung der Künstler näher zu bringen, sondern nur den Jahresabschluss besser aussehen zu lassen. Da interessiert es Euch auch nicht, dass es einen Red-Book-Standard gibt. Ganz im Stile einer großen US-Softwarefirma werden Standards ignoriert und von Euch eigenmächtig neu definiert. Und das wahrscheinlich auch nur zur Selbstbeweihräucherung, weil die Industrie weiß, dass sie sich nach Belieben darüber hinwegsetzen kann.
Ihr macht dies selbstverständlich in der edlen Absicht, die Interessen Eurer Künstler zu schützen. Eine Tradition der Musikindustrie, für die besonders die Industrie-Multis geschätzt werden, von der die Metal-Szene allerdings weitestgehend vorschont geblieben ist - bis jetzt.
Ihr geht durch harte Zeiten: Umsätze brechen weg (wie übrigens in der gesamten bundesdeutschen Wirtschaft), Labels werden neu strukturiert und manche verkalkulieren sich vielleicht bei monatlichen Neuveröffentlichen von Manowar- und Hammerfall-Special-Editions. Erlaubt mir bitte, nicht mit Euch in Tränen auszubrechen, schließlich habe ich ja durch den massiven Kauf von CDs Eueres Labels an dem Wachstums Eures Labels und Eurer Bands mitgeholfen.
Das Jammern um CD-Brenner und Internettauschbörsen ist doch lediglich ein Vorwand, um schlussendlich in ein "Pay-per-listen" - Eueren Wunschtraum - überzugehen. Jede Abspielung kostet ein paar Microcent und am Monatsende muss ich die Lizenz zum Hören erneuern. Kostensparend über das Internet natürlich. Die Industrie scannt die Festplatte und wenn nur eine nicht lizenzierte Datei auf dem Rechner liegt, ziehen Künstler und ihr Label mit Kanonendonner vor die Gerichte. Eine Unterstellung, die die Statements von Timo Tolkki im Metal-Germany Forum nachhaltig unterstreichen. Dessen Arroganz kann jeder unter http://8090.rapidforum.com/topic=104085881742 nachlesen.
Dort wurden seine Aussagen ausgiebig kommentiert. An dieser Stelle möchte ich allerdings auch noch ein paar persönliche Worte an Timo richten über die sich vielleicht auch andere Bands ihre Gedanken machen sollten:
Ich habe innerhalb der letzten Jahre dreistellige Euro-Beträge für CDs und Merchandise Deiner Band ausgegeben und bin unzählige Kilometer gefahren, um Stratovarius live zu erleben. Weißt Du was das Verrückte daran ist?: Ich bin durch ein Tape – ein kopiertes Tape – auf Euch aufmerksam geworden. Die Freunde und Bekannten, die ich auf die Konzerte mitgeschleppt habe, sind mitgekommen, weil sie mit einem kopierten Tape bzw. einer zusammengestellten CD-R die Möglichkeit hatten, sich Eure Musik anzuhören und Fans zu werden. Da waren Leute dabei, die Metal nicht mal als Musik, sondern als Geschrei bezeichnet haben und somit bestimmt nicht die potentielle Käufergruppe von Stratovarius-Artikeln darstellen. Aber scheinbar könnt Ihr ja auf solche Fans (und das sind höchstwahrscheinlich mehr als nur eine Handvoll) verzichten, denn Ihr habt ein Plattenlabel, das mit seiner Markt-Strategie sicherlich um einiges erfolgreicher ist und durch den Kopierschutz mehr Fans anziehen kann. Außerdem kannst Du nicht ausschließen, dass jeder treue Fan sich nach 2 Jahren Pause Deiner Band die Finger nach neuem Material wund leckt und die mp3s aus dem Netz lädt, nur um die Zeit bis zum Release zu verkürzen. Nimm Dir ein Beispiel an Anthrax, die mit diesem Thema erheblich geschickter agieren, indem sie sehr emotional an die Ehrlichkeit der Fans appellieren und sie nicht als Kriminelle beleidigen.
In einem Punkt stimme ich Dir allerdings zu: Das geistige Eigentum an der Musik gehört Dir und es gibt schwarze Schafe, die das Internet nutzen, um sich kostenlos Berge an Musik anzuhäufen. Aber das rechtfertigt in keiner Weise alle über einen Kamm zu scheren und zu beleidigen.

Kommen wir zurück zur Krise der Musikindustrie. Sie ist hausgemacht und hat mit Emma und Otto Normalbrenner oder Netztauschern sicherlich nicht in diesem Ausmaß zu tun, wie Ihr und Stratovarius es gerne darstellen wollt. Jahrelang habt Ihr Euch durch steigende Umsatz- und Absatzzahlen blenden lassen. Jeder Schrott wurde nach der Krise des Metals Anfang der 90er auf den Markt geworfen und vom ausgehungerten Fan gekauft. Ihr habt Euch durch die Euphorie blenden lassen und die Strömungen im Markt nicht erkannt oder nicht erkennen wollen.
Früher gab es keine Online-Auktionen, in denen Euere Promos verscheuert werden, die Ihr einer inflationären Schar von Musikmagazinen und Webzines nachwerft. Diese ehrlichen "Kunden" würden natürlich nie auf die Idee kommen, mp3 zu rippen, in Tauschbörsen zu stellen oder gewinnbringend zu verkaufen.
Das erklärt auch die Massen an Musikdateien, die ich Wochen VOR der offiziellen Veröffentlichung hätte downloaden können. Ihr solltet vielleicht die Promos mit Kopierschutz versehen und nicht die Versionen der Endverbraucher, die Euch finanzieren. Ich kaufe die CD, beweise meine Ehrlichkeit, zolle dem Künstler Respekt für seine Leistung und werde dafür bestraft, indem ich die CD nicht mal anhören kann. Und die echten "Fans", die CDs von Euch „geschenkt“ bekommen haben und von denen - einige wenige - sie illegal verbreiten, werden mit keinem Wort in die Verantwortung genommen. Lauft Ihr dann eventuell Gefahr, dass Euch die Magazine wegen dieses unsinnigen Kopierschutzes boykottieren? Erklärt mir, dem Endverbraucher, doch mal den Sinn eines Kopierschutzes, wenn die CD schon Wochen vor Veröffentlichung im Netz zu finden ist!
Ihr habt verpasst mp3 als gewinnbringendes Geschäftsfeld wahrzunehmen. Nur als Beispiel: In Russland gibt es teilweise den gesamten Backkatalog von Bands als lizenzierte mp3 auf einer CD. Seit Euch sicher, dass die Fans eher 25 Euro für solch eine CD ausgeben als für Re-Releases, die als Deluxe-Edition mit 2 Extra-Seiten im Booklet, dafür aber zum Normalpreis kommen und jeden Sammler und Die-Hard-Fan der Band den letzten Cent aus der Tasche ziehen. Sind dies nicht unnötige Veröffentlichungen, die jeden Monat auf den Markt kommen? Wie soll sich ein Fan von Hammerfall und Manowar denn die Flut an Sammlerstücken finanzieren. Soll er wegen 4 Minuten Extra-Material oder wegen eines mysteriösen zuvor unveröffentlichten Live-Fotos gleich 15 Euro oder mehr hinblättern? Welche von Eueren Mitarbeitern würde dies denn machen?
Auffallend ist auch, dass sich die Spielzeit von CDs immer weiter verkürzt. Eine CD mit 45 Minuten erfordert ja fast schon einen Überlängen-Zuschlag und für eine CD mit 3D-Cover und Aufkleber verlangt Ihr gleich mal 5 Euro mehr. Hier stimmt
doch das Verhältnis nicht mehr. Als Rechtfertigung für die hohen Preise werden (angeblich) astronomische Beträge in die Entwicklung von Kopierschutzmechanismen investiert, die u.a. elegant mit einem Filzstift ausgehebelt werden können. Und was bewirkt der Kopierschutz? Nichts, denn es gab und es wird nie eine CD geben, deren Schutz man nicht knacken kann und deren Lösung nicht irgendwie durch elektronische Medien verbreitet wird. Es reicht für die Kopie einer Audio-CD bis heute immer noch ein Discman, eine Soundkarte und ein Line-In am PC.
Besonders überraschend finde ich außerdem die Tatsache, dass in Länder wie Russland und China, deren Bevölkerung Euerer Meinung nach überwiegend aus professionellen Raubkopierbanden besteht, die Original-CDs ohne Kopierschutz zu kaufen sind. Warum wohl? Weil dort genau eine Situation entstanden ist, wie sie bei uns auch bald sein wird. Die Musik ist zu teuer geworden und kaum jemand kann sich Original-CDs finanziell leisten. Und trotzdem sind Konzerte immer gut besucht. Glaubt Ihr auf den Russlandtouren von U.D.O. und Rage - beide Bands wurden abgefeiert - hat jeder Besucher eine Original-CD gehabt? Mit Sicherheit nicht. Und obwohl der Fan die Musik geklaut hat, hat sich dieses Bauernopfer gelohnt. Ihr verzichtet auf einen Bruchteil Euerer angeblich mickrigen Erlöse beim CD-Verkauf und im Gegenzug belohnt der Fan Eure Investition, indem er aufs Konzert geht, begeistert ist und sich vielleicht das nächste Album als Original zulegt. Vielleicht kauft er sich auch nur ein T-Shirt oder einen Aufnäher. Aber er kauft immerhin etwas. Deswegen ist der Einäugige unter Blinden auch der König. Mir persönlichen sind 5 Euro Einkommen auch lieber als gar nichts.
Früher wurde ja Gott sei Dank nicht auf Tape kopiert (speziell zu diesem Punkt ist sich die Industrie ja zu stolz, ein Statement abzugeben) und gerade dadurch sind weniger auf Konzerte von Bands gegangen, deren Musik sie nicht als Original im Schrank stehen hatten. Zu Zeiten als Metal noch im Fernsehen und Radio präsent war, konnten diese Sendungen ja auch nicht aufgezeichnet werden. Das ist doch auch die Altersklasse Eurer Mannschaft in Donzdorf. Macht nur keine Mitarbeiterbefragung, sonst stellt sich heraus, dass Ihr ja selbst mal kriminell wart und Künstler um ihren Lohn betrogen habt. Werft den ersten Stein, wenn Ihr frei von Sünde seit.
Und gerade weil Ihr diese Zeiten miterlebt habt, müsstet Ihr wissen, dass sich die Konsumgewohnheiten verlagert haben: Das Leben ist teurer geworden. Und was ich mehr an Ausgaben für Grundbedarf habe, wird an Luxusgütern gespart. Genau: Luxusgüter. So habt Ihr, die Industrie die CD immer bezeichnet. Klassischer Fall von einem Eigentor. Früher hatten wir kein Handy und keinen PC. Formen wie Computersoftware, Mobiltelefone und Trendsportarten konkurrieren jetzt mit Eurer Branche. Auf großkotzigen Tourneen verlangen Künstler mittlerweile das Doppelte und die Merchandise-Artikel erreichen Versace-Preise. Und doch gibt es Fans, die Ihre Band sehen wollen und als Erinnerung an das Konzert auch mal ein Tour-Shirt kaufen. Und die Kohle, die hier abgezockt wird, fehlt dann am Monatsende, um eine neue CD zu kaufen. Warum erwartet Ihr dann allen Ernstes, dass in Zeiten in denen die Wirtschaft lahmt und fast jeder Angst um seinen Job haben muss, ausgerechnet die Luxusgüter stärker konsumiert werden? So naiv kann niemand sein.
Aber es gibt auch Ausnahmen: Schuld daran sind kurioserweise wieder die Tauschbörsen und mp3. Seit ich mp3s aus dem Netz klauen darf, kaufe ich erheblich mehr CDs, weil ich mir das Album intensiv anhören kann und nicht durch 10-Minuten-Reinhören ein Urteil bilden muss. Wenn die Qualität stimmt und diese Künstler den Support verdienen, kaufe ich die CD. Weder Primal Fear noch Kataklysm (um bei Eueren Bands zu bleiben) hätte ich mir ohne mp3 gekauft, weil sie nur durch Euere Promotion und die Rezensionen kein Bedürfnis geschaffen haben. In den letzten zwei Jahren habe ich so viele Original-CDs von Nuclear Blast angeschafft wie im ganzen vorhergehenden Lebensabschnitt zusammen. Und die mp3s von denen ich mir am Ende doch nicht das Original geholt habe? Die lagerten eine paar Tage ungehört auf der Festplatte, um gelöscht zu werden. Wo ist also das Problem? Hier bricht Euch nur ein Umsatz weg, den es gar nicht gibt.
Entscheidend beim Kauf ist die Qualität. Tauschbörsen und intensives pre-listening verhindern auf Seite der Endverbraucher Fehlkäufe, nehmen aber auch Euch wieder in die Vorantwortung mehr auf Klasse als auf Masse zu achten. In diesen Bereich müsst Ihr verstärkt investieren, nicht in den Kopierschutz.

Ich fühle mich bestraft von Euch, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und reformunwillig sind und von einer Band, der ich über Jahre geholfen haben, überhaupt so groß zu werden.
Was sollen wir – die Fans und Euere Kunden - in Zukunft tun? Ehrlich sein und weiterhin CDs kaufen, wenn wir Künstler mögen, aus Protest aber die CDs im Regal liegen lassen, die kopiergeschützt sind. Vielleicht schließen sich andere diesem Boykott an und dann habt Ihr endlich den richtigen Schuldigen für das rückläufige Geschäft: Euch selbst, die Musik-Industrie.
Wir könnten auch Crackprogramme aus dem Internet beschaffen, die den Kopierschutz ignorieren. Oder ganze Alben grundsätzlich aus dem Netz ziehen und dabei mit dem Risiko leben von überheblichen Musikern und arroganten Label-Chefs als Krimineller vor Gericht bestraft zu werden. Nur weil wir das anhören wollen, was wir für teures Geld erworben haben?
Ihr führt einen Krieg ohne Schlachtplan gegen einen Phantomfeind. Damit sorgt Ihr dafür, dass Musik noch weniger zum Thema wird als ohnehin schon und Euer verkaufsfördernder Kopierschutz auch aus Bagatellen einen Totalschaden macht.

Ihr werdet einsehen, dass ich - wie Eure Künstler - einen angemessenen Lohn für meine Arbeit, die in diesem kleinen offenen Brief steckt, erwarte.
Ich gehe mit gutem Beispiel voran und werde ihn kostenlos an die einschlägigen Magazine senden und in gut frequentierten Foren veröffentlichen. Von mir aus kann mir jetzt Timo Tolkki drohen, nicht mehr mit mir zu sprechen und mich nicht mit News zu versorgen. Ihr könnt mir drohen, keine Bestellungen von mir mehr anzunehmen und mich aus Euerer Kundenkartei zu löschen. Das ist mir egal. Stratovarius sind für mich gestorben und statt in Eueren CDs werde ich bei Euerer kopierschutzfreien Konkurrenz und im Underground investieren oder lizenzierte CDs aus dem Ausland bestellen. Damit habt Ihr Euch und Eueren Bands einen Bärendienst erwiesen.
Ein enttäuschter Fan.

P.S:
Sachliche Anmerkungen und fundierte Kritik nehme ich unter GegendenKopierschutzvonNB@firemail.de gerne entgegen.
Die Aussagen im Artikel stellen lediglich meine persönliche Meinung als Konsument dar und stehen in keinerlei Zusammenhang zu meiner Autorentätigkeit. Ich symbolisiere damit lediglich, dass ich mich nicht unter der Anonymität des Internets verstecken will und offen zu meiner Meinung stehe."

Anmerkungen:
Ein Vorschlag für die Promos wäre, statt einen Kopierschutz zu verwenden (denn auch unter uns gibt es einige Leute, die die CDs am Rechner anhören, wo sie u.a. auch direkt das Review tippen können) einige oder alle Stücke des Albums sekundenweise zu zerstören, d.h. mit nicht zu vielen halbsekündigen Piepstönen o.ä. zu versehen, die sie als Download uninteressant machen, die objektive Bewertung aber nicht verhindern (Versuche mit stark gekürzten Songs gab es ja schon, aber da wird dann auch die Bewertung des Gesamtwerkes sehr schwer).

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