Livebericht Spinal Tap (mit The Folksmen ) |
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Ein Livebericht von Elvis aus London (Wembley Arena) - 30.06.2009 (15970 mal gelesen) |
Es gibt Bands, die kann man gefühlt an jeder Ecke live sehen, man nehme nur einmal die üblichen Verdächtigen, die jedes Jahr fast jedes Festival beehren. Es gibt jedoch ebenso Bands, die kann man gefühlt überhaupt nicht sehen und wenn sich diese seltene Gelegenheit dann doch einmal bietet, bleibt einem nichts anderes, als die Gelegenheit beim Schopf zu packen und entgegen aller Widrigkeiten einfach dabei zu sein. Die geheimnisumwitterten britischen Heavy Metal-Ikonen SPINAL TAP gehören klar zu zweiten Kategorie und die Ankündigung einer ein Konzert umspannenden Welttournee zur Promotion der neuen CD "Back From The Dead" lässt dem TAP-aholic keine andere Wahl als dabei zu sein. SPINAL TAP genießen aus verschiedensten Gründen in USA und UK Kultstatus, während dieses Phänomen der Metalhistorie in Kontinentaleuropa nicht ganz so viel Präsenz oder Aufmerksamkeit genießen kann. Vielleicht liegt es daran, dass die Zugänglichkeit des legendären Kinofilms "This Is SPINAL TAP" von 1984 ohne eine Synchronisation für viele Kontinentaleuropäer nicht gegegeben ist (andererseits, die "Rocky Horror Picture Show" genießt trotz ähnlicher Umstände allgemein Kultstatus). Vielleicht sind manchmal auch Festländer einfach bloß Musikkulturbanausen, die lieber Eintagsfliegen aus dem Fernsehcastinggeschäft sehen wollen oder wissen nicht, was ihnen damit entgeht. Sei's drum, etlichen tausend Jüngern der reinen Lehre des Rock 'N' Roll fiel die Wahl an diesem warmen Juni-Abend im Jahr 2009 trotz Ticketpreisen von immerhin bis zu 55 Pfund nicht schwer. Die Wembley Arena in London - direkt neben dem allseits bekannten Stadion gelegen und eine der ehrwürdigsten Konzerthallen der britischen Hauptstadt - ist heute Abend nämlich nahezu ausverkauft. Kurz vor dem Einlass um 18.30 Uhr drängt sich bereits ein bunt gemischtes Publikum vor dem Eingang, welches von alt bis jung und männlich bis weiblich nahezu alles bietet, neben Altrockern und Geschäftsmännern finden sich ebenso Jungspunde wie die Masse im Niemandsland dazwischen. Bereits kurz nach der Öffnung der Türen bietet sich ein erstes Highlight in Gestalt des Merchandisestandes. Neben der vorbildlichen Idee, auch Kartenzahlung anzubieten (zugegeben: in der Arena wohl üblich und eine exzellente Möglichkeit, sich finanziell zu ruinieren) gibt es insgesamt vier T-Shirts, ein Sleeveless sowie ein Girlieshirt als auch die aktuelle CD im Angebot. Die Preise sind mit 20 Pfund moderat angesetzt und so findet der Merchandisestand regen Zuspruch unter den Konzertbesuchern. Der absolute Renner ist das bereits aus "This Is SPINAL TAP" bekannte Shirt mit dem neonfarbenen Brustkorb darauf, mit dem Nigel Tufnel über weite Teile des Films visuell überzeugt. Es verkauft sich sowohl ärmellos als auch als normales T-Shirt derart gut, dass nach dem Konzert keine mehr erhältlich sind - ein Umstand, den man sicherlich nicht alle Tage bei einem Konzert erlebt (und der Stand war gut bestückt mit Shirts!). Gegen 19.30 Uhr geht das Licht aus und zwei ältere Herren sowie eine Dame (oder vielleicht doch eher ein Herr, der beschlossen hat, optisch als Dame zu leben) mit Akustikinstrumenten betreten die Bühne. Mark Shubb (Bass & Bass-Gesang - der Herr mit blonder Perücke im Damengewand), Alan Barrows (Tenor-Gesang, Mandoline, Gitarre & Banjo) sowie Jerry Palter (Bariton-Gesang, Gitarre & Mandoline) sind die legendären THE FOLKSMEN, die bereits seit langer Zeit mit SPINAL TAP freundschaftlich verbunden sind und bei näherem Hinsehen sogar mittlerweile eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Starkstrommetallern aufweisen (die Gesichter - nicht die Kleidung natürlich). Die drei freundlichen älteren Herrschaften bieten ein buntes Potpourri ihrer größten Erfolge garniert mit kleinen Anekdoten. Das Publikum hat seinen Spaß daran, mit den gekonnt dargebotenen Folk-Songs einen deutlichen Kontrast zum Main-Act des Abends geboten zu bekommen und spendet einen kräftigen Applaus. Neben 'Skeletons Of Quinto' (der spanische Bürgerkrieg als dramatisches Thema) gibt es u.a. auch eine bemerkenswerte Cover-Version von 'Start Me Up' im Folk-Stil, die für Begeisterungstürme sorgt und dem ROLLING STONES-Klassiker ganz neue Seiten abgewinnen kann. Wer möchte, zieht auch noch Erkenntnisse tiefschürfenderer Natur aus dem Auftritt, denn wie der Fan von Mr(s). Shubb lernt: die meisten Folk-Songs handeln entweder von schweren oder mittleren Katastrophen aus dem Bahn oder Minenbereich, weswegen es natürlich Sinn macht, beides im Song 'Blood On The Coal' zu verarbeiten. Dieser handelt entsprechend vom Unglück eines Zuges, der mit schrecklichen Folgen in eine Mine rast - ganz großer Folk, zweifelsohne. Der größte Erfolg des Trios in Gestalt von 'Old Joe's Place' darf natürlich auch nicht fehlen. Dennoch verabschiedet der Support-Act sich nach gut 20 Minuten und macht die Bühne frei für die wahren Protagonisten des Abends. Wer mehr über THE FOLKSMEN erfahren möchte, dem sei im übrigen an dieser Stelle der Film "A Mighty Wind" an's Herz gelegt, der einen guten Überblick über diese beachtliche Combo verschafft. Insgesamt ein guter Auftakt für den Abend, den die gesetzteren Folk-Freunde hier hingelegt haben. Nachdem die Lichter wieder angegangen sind, wird alles für die Legenden des Heavy Metal vorbereitet. Nach gut einer halben Stunde erlöschen die Lichter gegen 20.30 Uhr dann wieder... und nichts passiert. Mehrere Durchsagen, dass SPINAL TAP doch bitte zur Bühne kommen mögen, fruchten ebenfalls nicht. Die Band bleibt vorerst verschwunden, bis auf dem großzügig dimensionierten Bildschirm in der Bühnenmitte tonlose Aufnahmen zu sehen sind, die die Erklärung liefern: offenbar sind Sänger David St. Hubbins und Bassist Derek Smalls backstage derart in einen Ego-Shooter auf der X-Box 360 vertieft, dass sie den eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit in der Wembley Arena völlig vergessen haben! Der Mann am Mischpult klingt bei seinen daraufhin nochmals wiederholten Aufforderungen an die Band zunehmend genervter, als letztlich doch wieder die Lichter verlöschen und zunächst immerhin das 'The Majesty Of Rock'-Video von 1992 zu sehen ist. Der Song ist ebenso wie der zugehörige Clip die quasi perfekte Zusammenfassung dessen, was SPINAL TAP musikalisch und optisch ausmacht und daher die optimale Einstimmung auf das nun folgende Spektakel... denn gegen 20.40 Uhr betreten die britischen Titanen dann tatsächlich unter donnerndem Applaus die Bühne der Wembley Arena. Es geht ohne Umschweife los mit 'Tonight I'm Gonna Rock You Tonight' und gleich ist klar: diese Band hat die Verstärker wirklich auf 11 stehen, denn es ist laut und wird im Verlauf des Auftritts nur noch lauter, darüber kann auch das klare und schnörkellose Bühnenbild nicht hinwegtäuschen. Die Zeit ist milde mit SPINAL TAP gewesen und man merkt der Performance nicht an, dass der Kinofilm anno 2009 tatsächlich bereits ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat und die Bandmitglieder mittlerweile zusammen hart in Richtung der 200 Jahre gehen. Geboten wird nämlich eine energiegeladene Darbietung aller Hits und auch vieler Raritäten, in der sich Klassiker an Klassiker reiht, alle möglichen Stile einbezogen werden und vor allem brutalst gerockt wird. SPINAL TAP machen keine Gefangenen, schließlich handelt es sich um das Jubiläumskonzert der Veteranen des Heavy Metal, die als einzige in der Lage sind, dabei Reggae, Flower Power und Funk einzubinden und dabei alles zu einer erklecklichen Symphonie des Stahls aus einem Guß zu schmieden. Derek Smalls mag mittlerweile grauer geworden sein, eine deutlich weitere Hose (immerhin jedoch mit Flammen) tragen und die Gurkengewächse gelegentlich ins Publikum schleudern, anstatt seine ohnehin schon überreiche Maskulinität damit noch weiter unterstreichen zu müssen. Nigel Tufnel und David St. Hubbins scheinen bis auf ein paar kleine Falten hier und da nicht ersichtlich altern und tragen immer noch mehr als enge Kleidung und doch so oder so haben wir hier einfach eine Band vor uns, die zeitlos agiert. Bei allen Mythen, die diese drei Männer (heute Abend unterstützt von C.J. Vanston an den Keyboards sowie Greg Bissonette an den Drums plus einer drallen Dame zur... na ja, Optik vermutlich) umgeben, so steht mittlerweile einfach die Musik aus einer reichhaltigen Historie im Vordergrund. Trotz aller Schauwerte ordnet sich jeder der drei Protagonisten der Musik unter. Smalls reckt immer wieder seine legendär pumpende Faust zur Animation des Publikums in die Höhe, Tufnel streckt dem Kameramann in bekannter Manier die Zunge entgegen und St. Hubbins tänzelt wie zu seinen besten Zeiten - diese Band hat heute wie ihr Publikum ebenso einfach nur ihren Spaß. Dementsprechend wirkt der ganze Auftritt stets leichtfüßig und souverän, die Erfahrung und Professionalität der Musiker ist jederzeit zu spüren: (fast) jeder Handgriff sitzt und wirkt dennoch nicht einstudiert, Legenden rocken vor den Augen einer jubelnden Masse und bleiben dabei dennoch menschlicher als man es derartigen Ikonen zutrauen würde. Zwischen den Songs werden immer mal wieder kleine Anmerkungen und Hinweise zum Background einzelner Hits eingestreut, dennoch haut man eben einen Reißer nach dem nächsten raus: ob nun 'Hell Hole', 'Bitch School', 'Rock And Roll Creation' über ältere Songs wie 'All The Way Home' oder 'Gimme Some Money' bis zu neuem Material wie 'Back From The Dead' oder 'Rock And Roll Nightmare', es ist nahezu alles vertreten, was die derzeit offiziell erhältliche SPINAL TAP-Diskographie hergibt. Auch Soloprojekte wie der Nigel Tufnel-Song 'Clam Caravan' (der lediglich aufgrund eines Schreibfehlers auf dem Cover diesen Titel trägt und eigentlich 'Calm Caravan' hießen sollte, was auch dem Text entspricht... so Tufnels charmant vorgetragene Erläuterung) kommen zu ihrem Recht, ebenso singt Derek Smalls furios "seinen" Song 'Cash On Delivery', eine Kampfheterokomposition der Extraklasse. Auch 'Saucy Jack', Teil des immer noch nicht vollendeten "Jack The Ripper" Musicals von St. Hubbins/Smalls, wird live gespielt. Keiner der drei Testosteronhelden versucht ernstlich, sich in den Vordergrund zu spielen und die Chemie zwischen den Bandmitgliedern stimmt offenbar nach all den Jahren noch oder wieder. Der Sound ist trotz der Lautstärke gut und doch klar verständlich. Bei einem Jubiläumskonzert, gerade in der Heimatstadt der Band, dürfen natürlich Gaststars nicht fehlen und so wird die Band bei mehreren Songs an den Keyboards von Keith Emerson (EMERSON, LAKE & PALMER) unterstützt. Bei 'Big Bottom' kommen Justin Hawkins (ehemals THE DARKNESS, jetzt HOT LEG) und Steve Priest (THE SWEET) zur Verstärkung hinzu (ebenso ungefähr 30 tanzende weibliche Fans), der Song wird also ordnungsgemäß mit 3x Bass gespielt und zeigt live auf der Bühne, vor wem und was die Band sich mit diesem Song verneigt: Frauen mit Kurven! Die Gaststars genießen dabei sichtlich, die Bühne mit den Metal-Titanen zu teilen. 'Sex Farm' wird in der 2009er Funk-Version gespielt, die auch live erstaunlich gut funktioniert. Auch Songs wie 'The Majesty Of Rock' werden mit der nötigen Größe performt, die es für den Bombast des Songs benötigt und kommen grandios und mit einem leichten Pathos, jedoch nie preinlich rüber. Eines der definitiven Highlights stellt natürlich wie immer bei SPINAL TAP 'Stonehenge' dar. Wie gewohnt, funktioniert das Bühnenbild nur eingeschränkt, diesmal ist es die sich nur widerwillig aufblasende Steinformation, die Probleme bereitet und der Band nach den Jahren nur noch leichte Seufzer und ein Achselzucken abringen kann. Dennoch klappt es letztlich noch und sogar die kleinwüchsigen Tänzer finden sich auf der Bühne ein, um ihre Performance im Mittelteil abzuliefern - ganz große Unterhaltung! Nach knapp hundert Minuten ist dann doch vorerst einmal Schluss, bevor es zu zwei ausgedehnten Zugabeblöcken kommt, die u.a. neben dem Favoriten 'Heavy Duty' und neueren Material wie 'Short And Sweet' als allerletzten Song des Abends das mystisch-rockende Soli-Monstrum 'Break Like The Wind' bieten, bei dem die Gaststars nochmals auf die Bühne kommen. Nach knapp zwei Stunden Spielzeit verabschiedet sich die Band dann unter dem tosenden Applaus des Publikums nochmal standesgemäß von den Fans mit dem zweiten (nach Glastonbury ein paar Tage vorher) und letzten Konzert der "One Night Only World Tour". Ein triumphaler Auftritt, der einer Legende absolut würdig war - allen TAP-aholics, die nicht dabei waren, sei versichert, dass hier ganz großes Kino geboten wurde und die Anreise nach London vollkommen gerechtfertigt war. Dass die britische Hauptstadt nach diesem Gig nicht - wie bereits befürchtet - in Schutt und Asche liegt, ist wohl nur der Gnade der Herren St. Hubbins, Tufnel und Smalls zu verdanken. Die Auferstehung der Toten hat seit George Romeros Zombiefilmen selten so viel Spaß gemacht, SPINAL TAP überzeugen auch 2009 durchgehend - hoffen und sparen wir schon einmal auf das fünzigjährige Jubiläum 2034... |
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