Nachtmystium - Blight Privilege

Review von Damage Case vom 10.11.2024 (1569 mal gelesen)
Nachtmystium - Blight Privilege Der Stern von NACHTMYSTIUM ging um 2008/10 auf, als ihnen mit den beiden "Black Meddle"-Alben parallel zu ähnlich gelagerten Acts wie COBALT, KRIEG, WOLVES IN THE THRONE ROOM oder LEVIATHAN der Sprung aus der schattigen Verborgenheit des USBM an die breite Metal-Öffentlichkeit gelang. Die mit psychedelischen Einflüssen versehene Raserei, die schwarzen Griffel dabei stets an der Handbremse, konnte viele Fans überzeugen und bescherte Bandleader und (zumindest medial) Quasi-Alleinunterhalter Blake Judd Bekanntheit und Anerkennung. Diese hat er im Rückblick scheinbar nicht wirklich verkraftet. Auf späteren Alben versuchte er seinen Stil mit Einflüssen der zweiten Black Metal-Welle, MINISTRY aus ihrer tiefsten Drogenhöllenphase sowie Sprenkeln aus Gothic, Post-Punk und Wave weiterzuentwickeln. Allerdings kamen ihm stets private Probleme in die Quere: Heroin, Obdachlosigkeit, Lügen, Fan-Betrug, massiver Verschleiß an Bandmitgliedern - der gefallene Engel tat in den 2010ern vieles, um bei Fans, Geschäftspartnern und Kollegen in Misskredit zu geraten und selbst das letzte Fünkchen Vertrauen zu verspielen. All diese Themen sind Kennern der Szene natürlich bekannt und darum soll es in diesem Review auch nicht gehen, auch wenn man diese Aspekte, die die Persönlichkeit Blake Judd und ihr Handeln ausmachen, nicht zu 100 Prozent vom künstlerischen Schaffens lösen kann. Und ein solches liegt nun in Form des neunten Albums "Blight Privilege" vor. Kurzfristig und wahrlich unerwartet von Prophecy angekündigt und von Blake selbst kryptisch als möglicher Bandschwanengesang bezeichnet, ist bereits der Titel des Werks ein weiteres gefundenes Fressen für Hater, bezieht er sich doch auf den rassistischen Begriff "White Privilege". Judd selbst kommentiert den abgewandelten Titel mit der Erfahrung aus seiner eigenen Zeit als Obdachloser, dass Armut nämlich vor keiner Hautfarbe Halt machen würde. Quasi eine Variation des Spruchs "All Lives Matter", vielleicht auf ähnlich niedrigem Gedankenniveau wie Tom Arayas Ausruf "Guilty Of Being Right!" auf der Coverplatte "Undisputed Attitude" von SLAYER anno 1996. Soll sich ein jeder selbst einen Reim darauf machen und für sich entscheiden, ob die Haltung des Künstlers Azentrius die eigene gesellschaftspolitische Grenze überschreitet.

Nach über zehn einleitenden Sätzen soll es in dieser Rezension nun endlich um die Musik gehen. Und diese stellt profan beschrieben eine qualitativ ordentliche Mixtur des Psychedelic Black Metal dar, den man von NACHTMYSTIUM aus den Jahren 2006 bis 2012 lieben gelernt hat - wobei die PINK-FLOYD-Referenzen nicht so präsent ist, wie während der "Black Meddle"-Phase. Die Musik bleibt im Großen und Ganzen gefällig unspektakulär, gefällt aber wieder besser als das bis dato letzte Lebenszeichen der Band, die kraftlose Standard-Black-Metal-EP "Resilient" aus dem Jahr 2018. Ein bisschen wenig mehr Mut zum unkalkulierten musikalischen Risiko (Albumtitel und Songtexte zeugen ja weiterhin hiervon!) und neuen schwarzmetallischen Ufern hätte man sich von Judd vielleicht gewünscht. Doch der Umzug von Chicago nach Kalifornien scheint seinem inzwischen nüchternen Körper und seiner aufgeräumten Seele derart gutzutun, dass seine Musik ein wenig zu sehr nach innerem Sonnenschein ohne unnötige Kriegserklärungen klingt - sofern man das im Black Metal behaupten kann. Die ersten vier Songs repräsentieren "Blight", eine subjektive Beschreibung der Veränderungen in den westlichen Gesellschaften in den vergangenen Jahren. Die Songs fünf bis sieben stellen den Teil "Privilege" dar. In ihnen beschreibt Judd die Hölle seiner eigenen Obdachlosigkeit und wie er ihr entkam, um endlich ein normales geregeltes Leben zu führen. Auch zur musikalischen Begleitband an der Seite des Masterminds gibt es Bemerkenswerters zu vermelden: Beim Einspielen von "Blight Privilege" unterstützten Matt Thomas an der Gitarre, Ken Sorceron am Bass und Francesco Miatto am Schlagzeug und zuständig für Mastering und Mix - alle sind erstmals an einem NACHTMYSTIUM-Werk beteiligt. Die Produktion im House in the Desert in Borrego(CA) übernahm Blake Judd selbst. Das genreuntypisch warm und dicht klingende Ergebnis spricht für sich.

Fazit: Hatte man das Gefühl, Blake Judd anhand seines musikalischen Schaffens über die Jahre hinweg Stück für Stück beim Sterben zuzusehen, scheint sich der US-Amerikaner inzwischen aufgerappelt und in seiner Wahlheimat Kalifornien zu sich selbst gefunden zu haben. Inwiefern die Angaben im Promoinfo und seinen aktuellen Interviews stimmen, dass er sein Leben nun im Griff habe, bleibt der Fanschar natürlich größtenteils verborgen. "Blight Privilege" ist jedoch hörbar Zeugnis einer Fokussierung auf die eigenen Stärken und somit das beste Bandalbum seit dem letzten durchgängig überzeugenden Werk "Silencing Maschine" von 2012. Ob es tatsächlich das finale Album von Blake & Co. sein wird, oder die beiden parallel zu "Blight Privilege" geschriebenen und aufgenommenen Werke, das Album "Street Sweeper" und die EP "Hidden And Forbidden", zeitnah oder überhaupt jemals erscheinen werden, bleibt abzuwarten. Den eins war das Handeln von NACHTMYSTIUM noch nie: vorhersehbar.

Anspieltipps: Der Opener 'Survivors Remorse' fesselt mit seiner hypnotischen Melodie, unterstützt durch einen rockigen Groove, der, wenn es sich hier nicht um Black Metal handeln würde, beinahe Disco-tauglich wäre. 'Predator Phoenix' ist ein unaufgeregter und doch aufwühlender Black'n'Roller, dem Prophecy ein seltsames Video spendierten, in welchem Social-Media Hass-Kommentare zu Blake/NACHTMYSTIUM eingeblendet werden. Der Künstler war hiermit nicht einverstanden, möchte er doch das Vergangene hinter sich lassen und beschäftigt sich laut eigener Aussage auch nicht (mehr) mit ihm immer noch feindlich gesinnten Internetkriegern. Der das Album abschließende Titelsong steht symbolisch für die melodische Raserei, durch die sich Blakes dunkle Seele auszudrücken vermag - heute ist das nichts Weltbewegendes mehr, aber dennoch alles andere als schlecht oder langweilig, gerade weil es von einem der Originale mit entsprechender Biografie stammt. 'The Ardurous March' ist ein im besten Sinne klassischer USBM-Song, wirklich sehr gelungene Mischung aus Raserei und schleppender Schwere - dennoch gibt's für das bereits zu oft gehörte Blade-Runner-Sample im Intro Abzüge.

Gesamtwertung: 7.5 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Survivors Remorse
02. Predator Phoenix
03. A Slow Decay
04. Conquistador
05. Blind Spot
06. The Arduous March
07. Blight Privilege
Band Website: www.myspace.com/nachtmystium
Medium: CD, LP, CD-Artb
Spieldauer: 44:20 Minuten
VÖ: 01.11.2024

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