Livebericht Devin Townsend (mit Alchemist )

Ein Livebericht von Opa Steve aus Baarlo (JC Sjiwa) - 02.10.2004 (24400 mal gelesen)

Eigentlich wollte ich ja gar nicht hin. Extra nach Holland, um mir von einem Festival gerade mal zwei Bands anzugucken? Aber in fröhlicher Runde war es dann doch zu spät, als wir dann noch die von mir verehrten Alchemist in den Player legten. Mein Widerstand war gebrochen, denn Devin ist ohnehin geil, und es war die erste Möglichkeit, Alchemist mal live zu erleben - wer weiß, wann sie wiederkommen?

Aber fangen wir vorne an. In Baarlo in den Niederlanden fand über zwei Tage das sogenannte ProgPower-Festival statt. Am ersten Abend war Devin Townsend Headliner, am zweiten The Gathering. Das Billing war ansonsten nicht gerade so prickelnd und ich hätte mir auch lieber noch Gathering am ersten Abend gewünscht, aber man kann ja nicht alles haben. Zum Glück gab's noch Tagestickets für uns, und so stand mein Freund und Überredungskünstler "Devinaddicted-Nils" (es soll wohl größere Devin-Maniacs als ihn geben, aber ich kenne keinen...) pünktlich um 17 Uhr mit warmgelaufenem Motor vor der Bude.

Baarlo fanden wir perfekt wie Pfadfinder, nur wie weiter? Vom Jugendzentrum Sjiwa wussten wir keinen Straßennamen und schlängelten durch kleine Einbahnstraßen, von denen jede irgendwie gleich aussah. Mitten im Ort stand dann das Sijwa und entpuppte sich als hervorragend ausgestatteter Liveclub. Die Halle fasst ca. 400 Leute, es gibt gemütliche Tische und einen Tresen, wo man das frisch Gezapfte ohne lange Anstehzeiten ergattern konnte. Halle und Bühne waren mit Ventilation und professionellen Akustikbaumaßnahmen verkleidet und für besondere Anlässe gibt es noch einen großen Balkon. Im Basement fanden wir dann noch einen urgemütlichen Kneipenraum mit Tresen, Metal-Mucke, und nebendran gab's noch Merchandising. Tolle Location, die liebevoll hergerichtet ist und sich durchaus zum gehobeneren Standard für Clubgigs zählen darf.

Bei kurzem Hallo draußen begrüßten wir noch ein paar andere Devin-Fans aus dem Hevydevy-Forum, die wahlweise aus England oder Frankreich kamen. Den Vogel schoss aber ein Finne ab, der beruflich z.Zt. in Prag weilt und von dort 12 Stunden per Bus (!!) anreiste. Kaum zu glauben, aber wir hatten eigentlich noch den kürzesten Weg... In der Zwischenzeit stiefelte Devin schon durch die Leute zum Smalltalk und sah natürlich scheiße wie immer aus. Aber Genies dürfen das.

Endlich ging der Vorhang auf für Alchemist, die sich gerade mit Cult Of Luna auf UK-Tour befinden. Die Australier starten mit First Contact etwas schüchtern in den Set, aber schon zu Beginn fällt der verdammt gute Sound auf. Die Drohungen anderer Besucher bezüglich des Sounds der Vorbands hatten sich gottseidank in Luft aufgelöst. Gewohnt effektlastig startete die Instrumentalfraktion mit verdammt klar bratenden Gitarren sowie den üblichen Samples, die geschickt vom Controller Nick (Keyboarder wäre angesichts der Pads der falsche Ausdruck gewesen) bedient wurden. Frontmann Adam Agius bediente neben Gitarre und Gesang dann noch den richtigen Synthie für die Melodieparts, und bis auf etwas trockenen Gesang präsentierte sich das Quintett in einem klasse Soundgewand, welches man aufgrund der sehr effektreich produzierten CDs Live kaum für möglich gehalten hätte. Dabei verzichteten sie auf Sequenzer-Playback, sondern bedienten wirklich alles komplett selbst.

Die Songauswahl lastete stark auf den hierzulande mit etwas Glück erhältlichen Outputs "Organasm" und "Austral Alien". Ganz selten wurde mal ein älterer Titel eingestreut, aber diese Scheiben in Europa zu bekommen ist schon beinahe unmöglich. Nach dem Festival erzählte mir Klampfer Roy noch, dass Alchemist nach der nächsten Scheibe (Mitte 2005) ein Re-Release der alten Titel planen. Also doch noch eine Chance, die Sammlung zu vervollständigen.

Das Publikum ließ sich dann auch schnell von den magischen Rhythmen und den hypnotischen Melodien der Australier einfangen und wiegte sich mal relaxt, mal headbangend zu den Takten, die von Rodney an den Drums ständig mit interessanten Figuren auf dem recht kleinen Kit vorangetrieben wurden. Zu den spacigen Metal-Klängen tanzte in den vorderen Reihen ein kleiner dicker Zwerg mit Hotzenplotz-Bart und Evil Dead Shirt auf seine ganz eigenwillige Weise: in der Hocke wie die Kosaken beim Tanz raste er drehend wie eine Flipperkugel durch die Leute, sprang ab und zu mitsingend an den Bühnenrand, um dann wieder wie ein wildgewordener Kugelblitz seinen Weg zwischen den Beinen der anderen Zuschauer zu suchen. Kult!! Aber im Land der geduldeten süßen Rauchwaren wundert man sich weder über solche Derwische, noch über Landsleute, die einen auf dem Parkplatz bleich und mit einem Grinsen, welches nur noch von den Ohren gebremst wurde, nach dem nächsten Coffieshop fragen. Die Atmosphäre ist insgesamt auf jeden Fall stressfreier und cooler als auf manchen Gigs hierzulande. Toleranz rules.

Alchemist waren für meinen Geschmack irgendwie viel zu schnell vorbei. Das grandiose Solarburn wurde als Zugabe instrumental bis zum Ohrgasmus gesteigert, und nach diesem akustischen Rausch hieß es leider Abschied nehmen. Eine Wahnsinnsshow, perfekt in jeder Beziehung.

Bühne frei für den verrückten Professor aus Kanada. Das Publikum wurde noch während des Soundchecks vor verschlossenem Vorhang ungeduldig und dichter, und hier und da sah man schon vereinzelt die Köpfe zu den im Soundcheck angespielten Songs bangen. Devin, der mitten aus der nächsten Strapping-Produktion extra für dieses Festival nach Europa kam, stellte die "DTB" dann als demokratisch abstimmende Band mit ihm als Prime-Minister vor und kündigte etwas "guitar noise and such shit" an. Noise? Nee. Es gab ausschließlich die feinen ruhigen Titel, die dahinfließen wie eine Landschaftsaussicht bis zum Horizont und zum Eintauchen einladen. Keine SYL-Titel, nichts von der ebenfalls recht harten Physicist. Stattdessen startete man bombastisch mit Truth in den Set. Devin wirkte im Vergleich zur letzten Tour (im Kölner Prime Club - Review hier auf Bleeding) recht klar und pflegte die üblich wirre Kommunikation mit dem Publikum (die genaue Erklärung seiner "Haarpflege" war allerdings etwas zu hoch für mich). Dafür hob er bei seinen Soli mit den typisch megagroßen Intervallen mit geschlossenen Augen immer derart in höhere Sphären ab, dass man dachte, er solle sich besser am Boden anbinden, bevor er schwebend wie ein Kirmesballon an der Hallendecke hängt... Wahrscheinlich um Kosten zu sparen war die DTB mit minimalem Equipment angereist. Einige Chorparts kamen komplett vom Sequenzer, und als Devin eine Saite riss ("I destroyed my wanker machine"), musste er auf Alchemist-Equipment ausweichen. Ebenfalls nicht so recht zufrieden war Ryan mit dem zur Verfügung stehenden Drumkit, welches rasch aufgebaut und mit getriggerter Bassdrum sicher nicht die spielerische Vielfalt erlaubt, wie die gewohnte Schießbude von daheim.

Die Setlist bot für denjenigen, der die letzte Tour gesehen hat, wenig Überraschungen. Meine persönlichen Höhepunkte waren das epische Earthday sowie Away und natürlich Devins magischer Solopart. Den einzigen Moshpit des Tages erzeugte die Devin Townsend Band mit "Bad Devil", wo auch die ansonsten recht zurückhaltenden Begleitmusiker endlich mal etwas aus sich rausgingen. Vor allem Basser Mike poste mit seinem Edel-Designer-Iro was das Zeug hielt. Selbstverständlich wollte das Publikum mehr, und so kehrten die Kanadier wieder auf die Bretter zurück und boten uns nach zwei Zugaben am Ende von "Slow Me Down" noch eine genial-verrückte Verabschiedung in Form einer Powermetal-Verarsche, die zum Höhepunkt mit einer witzigen Kindermelodie endete.

Eine klasse, aber bis auf Devin schon fast zu routinierte Vorstellung, die auch soundtechnisch im Gegensatz zu Alchemist etwas zurückstecken musste. Nichtsdestotrotz ist die Musik über jeden Zweifel erhaben, und auch die Aktion, extra für dieses kleine Non-Profit-Festival nach Europa rüberzukommen, hat der Band mächtig Sympathiepunkte eingebracht. Band glücklich, Publikum glücklich, was will man mehr?

Kurios war dann auch das Ende dieses Tages. In gemütlicher Runde traf man sich noch draußen auf dem Clubhof, Alchemist hatten sich zum Entsetzen des anwesenden klassisch-niederländischen Imbissangebots ein Pizzataxi kommen lassen und hingen quietschvergnügt mit Fans ab. Den Vogel aber schoss eine Göre ab, die hackedicht dort mit anderen rumstand und einen Fluch nach dem anderen brüllte. Roy von Alchemist gesellte sich belustigt dazu, als besagtes Mädel in ihre Handtasche griff und eine kleine S/M-Peitsche hervorkramte und dem sich kaputtlachenden Musiker kräftig eins über den Arsch zog. Kult waren auch die zwei Holländer, die sich mit einem Pappschild "Utrecht" an die Straße zum Trampen stellten. Das Dumme war nur, dass Baarlo nachts ungefähr so verkehrsreich ist wie der Südpol.... Unser "Finne aus Prag" suchte dann noch ein Mädel für die Nacht und zeltete allen Ernstes auf dem beinahe komplett leeren Campingplatz von Baarlo, und wir traten die - gottseidank kurze - Heimreise auf freier Autobahn an.

Insgessamt eine coole Aktion mit geilen Bands in einer coolen Location. Eigentlich wollte ich ja gar nicht hin.... aber bereut hab ich keine Minute des Abends.

Location Details
JC Sjiwa in Baarlo (Netherlands)
Anfahrt:Just drive into Baarlo and look for the church

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten