Interview mit Chris von Grave Digger

Ein Interview von Eddieson vom 08.01.2016 (29553 mal gelesen)
35 Jahre GRAVE DIGGER. Zu diesem Anlass startete die Band eine kleine Reise zurück in die Achtziger und spielte auf ihren Shows zwischen Weihnachten und Neujahr nur Songs aus besagtem Jahrzehnt. Kurz vor der Show in der Bochumer Zeche trafen wir uns mit Sänger Chris, der uns etwas über die damalige Zeit erzählte, wie es heute um GRAVE DIGGER steht und ließ auch das berühmte Nähkästchen nicht aus.

Hi Chris! Vielen Dank, dass du dir kurz Zeit nimmst. Wie geht es dir?

Chris: Gut! Blendend! Wir waren ja jetzt lange in den USA. Mit BLIND GUARDIAN bis Anfang Dezember. 24 Shows in 5 Wochen. Das war ein super Trip. Nach 35 Jahren waren wir jetzt das erste Mal dort richtig auf Tour. Es war eine absolut neue Erfahrung. Wir sind dort super angekommen und haben super gerockt. Kann man nicht anders sagen. Dann haben wir geprobt und jetzt sind wir hier.

Glückwunsch erst mal zu 35 Jahren GRAVE DIGGER!

Chris: Danke!

Kannst du dir 35 Jahre mal kurz Revue passieren lassen?

Chris: Ich bin das einzige Ur-Mitglied und kann sagen, dass ich auf eine wirklich lange Karriere zurückblicke, bin froh, dass ich ein Kind der 80er bin, dass ich damals noch die Chance hatte, die ganze Metal-Szene mitzubekommen, wie sie gewachsen ist. Wir haben mit GRAVE DIGGER viele Fehler gemacht, wir haben daraus gelernt. Ich bereue auch keinen Fehler, aus dem einfachen Grunde, weil mich das zu dem Menschen und Musiker gemacht hat, der ich heute bin. Und ich kann sagen, ich bin absolut mit mir im Reinen, mir macht Musik weitaus mehr Spaß, als Anfang der Achtziger und weiß das zu schätzen, was die Leute uns entgegen bringen. Das war damals nicht so. Wir wollten immer Stars sein, Rock 'n' Roll, saufen und Girls. Was ja auch in dem Buch steht [er zeigt auf die GRAVE DIGGER-Biografie, die auf dem Tisch liegt]. So was gibt es heute nicht mehr. Andere Sachen sind in den Vordergrund getreten, die mein Leben auch wesentlich lebenswerter machen. Das ist so mein 35-Jahre-Resüme.

Das klingt doch super. Ich habe die Biografie erst vor ein paar Tagen bekommen und konnte bisher leider nur etwas drin schmökern. Da macht ihr ja gleich klar, was ihr wollt. Alkohol in rauen Mengen, Frauen bis zum Abwinken, ständig auf Tour sein und ihr wollt direkt in den Metal-Olymp. Du nennst dich in dem Buch ja auch selbst Metal-Gott.

Chris: Das Metal-Gott muss man aber immer mit so einem kleine Smiley versehen.

Ist schon klar und an Selbstbewusstsein hat es euch auch nicht gemangelt.

Chris: Nein, auf keinen Fall. Umso schlimmer war ja dann 1987 der Absturz. Nach dem DIGGER-Album, und der etwas längeren Pause, die wir teils kreativ, teils auch in Frustration verbracht haben. Aber wie ich eingangs schon sagte, das ist alles Lehrgeld gewesen und ich glaube, wenn das jetzt nicht gewesen wäre, dann würde es die Band wohl nicht mehr geben. Ich sag mal, wenn wir den Erfolg gehabt hätten, den wir uns irgendwann gewünscht haben, dann wären wir richtig abgestürzt. Wir sind ja so auch irgendwann abgestürzt, aber dann wären wir richtig abgestürzt und dann würde es die Band heute schon lange nicht mehr geben.

Hättest du Bock noch mal in die Achtziger zurückzureisen?

Chris: Das mach ich ja heute [lacht]

Aber mitzuerleben, wie HELLOWEEN groß wurden, RAGE, DESTRUCTION, BLIND GUARDIAN usw. Das muss doch eine aufregende Zeit gewesen sein?!

Chris: Das war eine aufregende Zeit, aber ich lebe lieber heute, weil viele Sachen viel einfacher sind für mich. Ich habe ja alle Bands auf- und niedergehen sehen inkl. meiner eigenen und deshalb möchte ich lieber heute leben. Es ist eine schöne Erinnerung, die kann mir keiner mehr nehmen, daher bin ich sehr froh das erlebt zu haben, aber jetzt doch lieber heute. Damals gab es ja auch kein Internet, deshalb mussten wir ja immer saufen. Das war der einzige Grund, warum wir damals immer gesoffen haben. [lacht]

Vergleich doch mal bitte GRAVE DIGGER damals in den Achtzigern und GRAVE DIGGER heute in der Gegenwart.

Chris: Früher war es ein versoffener unkoordinierter Haufen. Heute ist es ein Haufen disziplinierter, nach Erfolg strebender Musiker. So einfach ist das! imgleft

Jetzt habt ihr 35 Jahre geschafft und ein Album aufgenommen, auf dem ihr alte Songs neu aufgenommen habt. Ihr musstet euch also etwas intensiver mit dem alten Material auseinandersetzten. Musstet ihr euch jetzt notgedrungen mit dem alten Kram auseinandersetzen oder hört ihr die alten Songs eh ständig?

Chris: Nee! [lacht etwas spöttisch] Mit dem Leistungsanspruch und der Perfektion, die wir heute haben, können wir das nicht mehr hören. Das hören wir ab und zu mal, wenn wir damit arbeiten müssen. Wir spielen die Songs ja auch schon so lange, gerade die, die regelmäßig im Programm sind, die hören wir uns dann auch nicht mehr an. Für die "Exhumation" mussten wir uns zwangsläufig damit beschäftigen, da kommen natürlich auch jede Menge Erinnerungen hoch, wenn man die alten Songs hört, aber eigentlich haben wir jetzt auch gesehen, was wir damals an Potenzial verschossen haben. Ich bin froh, dass ich die Chance hatte, mit der jetzigen Besetzung die Songs neu aufzunehmen, ich finde sie weitaus ansprechender. Ich krähe jetzt auch nicht mehr so, wie ein abgeschossener Hahn, meine Stimme ist tiefer geworden, sie ist wärmer, hat aber immer noch diesen Grundcharakter, dieses Dreckige und Kratzige. Aber heute habe ich viel mehr Power und es steckt wesentlich mehr Sinn dahinter. Viele sagen, dass man so was nicht machen muss, weil man den Charme von damals nicht wiederholen kann. Das hat natürlich seine Berechtigung, wenn die Leute das sagen. Aber ich wollte einfach mal wissen, wie die Stücke heute klingen, wie wir sie heute spielen würden und ich finde, es ist ein gelungenes Statement geworden. Wir werden jetzt aber nicht anfangen in 5 Jahren z. B. "Excalibur" neu aufzunehmen. Das dürfen die Leute auf keinen Fall denken. Es war für uns ein Statement zu finden, wie klingen die 80er heute. Ich finde, es ist gelungen und damit ist das Kapitel auch abgeschlossen. Genau so, wie diese 4 Shows. Vielleicht bei irgendwas Besonderem, Wacken oder so, werden wir das vielleicht noch mal machen. Wir werden jetzt aber nicht ständig in den Achtzigern schwelgen. Das Kapitel schließen wir nach diesen 4 Shows ab.

Also nicht, wie MAIDEN, eine History Tour usw.?

Chris: Nee, wir sind selbst History, da müssen wir nicht noch eine solche Tour machen.

Du hast ja eben schon drüber gesprochen. Ich finde auch, dass Neueinspielung von Songs immer ein Zwiespalt ist. Einerseits geht der Charme verloren, andererseits ist es natürlich interessant zu hören, wie die Songs heute klingen.

Chris: Wir haben ja die Arrangements etwas gerafft. Damals hatten wir etwas ausladendere Arrangements, da wurde mal das probiert, mal das. Das haben wir jetzt einfach mal aus den Songs rausgeschnitten, so dass sie besser auf den Punkt kommen. Die Songs von damals klingen heute, wie GRAVE DIGGER heute klingen. Sie klingen anders, aber im Endeffekt haben sie den Spirit der Achtziger. Wir werden bestimmt so 4-5 Songs nächstes Jahr im Set behalten. Gerade das Ding von der DIGGER, was wir sehr gelungen finden 'Stand Up And Rock' und dann schauen wir einfach mal weiter. Wir arbeiten dann Februar/März an unserem neuen Album. Da haben wir schon einiges an Ideen und die Songs wollen dann ja auch mal irgendwann live gespielt werden.

Wonach habt ihr die Songs ausgesucht, die dann auf der "Exhumation" gelandet sind?

Chris: Eigentlich suchen wir Songs immer danach aus, ob sie live funktionieren können. Wir sind jetzt nicht OPETH oder so, wo die Leute 15 Minuten einem Song zuhören oder so. Das ist nicht unser Metier. Bei uns ist auch alles pur, da kommt nichts vom Band, sondern nur auf die Fresse, Rock 'n' Roll und so. Das sollen die Leute spüren, deshalb haben wir die Stücke auch entsprechend ausgewählt.

Passend dazu habt ihr die Fans im Vorfeld dazu aufgerufen im 80er-Look zu dem Shows zu kommen.

Chris: Das war leider noch nicht so erfolgreich. Ich glaube, die Leute trauen sich nicht. Schauen wir mal, wie es heute wird. Auf den letzten 2 Konzerten haben wir mit Mühe und Not Leute finden können, aber ich glaube, da bin ich noch mehr 80er angezogen, als die Leute im Publikum.

Freiwillig oder unfreiwillig?

Chris: Freiwillig. Ich find das einfach geil, wenn ich die alten Songs präsentiere, dann möchte ich auch in dem Look auftreten.

Ich glaube, einige kommen auch unbewusst oder unfreiwillig im 80er-Look.

Chris: Jaja! [lacht] Die sind dann ganz erstaunt, wenn ich sie dann rauspicke [auf jeder Show findet ein Bester-80er-Look-Contest auf der Bühne statt; Anm. d. Verf.]

Du hast ja eben selbst schon gesagt, dass es bei GRAVE DIGGER viel Aufs und Abs gab, ihr Entscheidungen getroffen habt, die nicht so glücklich waren, Fehler gemacht wurden.

Chris: Ja, ich habe sie zu einem Zeitpunkt getroffen, wo ich immer so entschieden hätte. Ich habe damals die Entscheidung nicht infrage gestellt und diese Entscheidungen haben natürlich auch wieder Folgeentscheidungen für meine Karriere und mein Leben gehabt. Aber heute bin ich in mir. Ich habe alles. Ich habe eine tolle Frau, hab einen tollen Sohn, eine tolle Band und ein erfülltes Leben. Wenn ich heute einen Herzinfarkt auf der Bühne kriege und dann irgendwann im Himmel bin, kann ich sagen, dass ich geil gelebt habe. Das gibt halt unheimlich viel Ruhe, innere Ruhe. Und wenn man das einmal erreicht hat, kann dir das kein Mensch mehr nehmen. Hach, schimpfe ich heute über Walterbach [Karl-Ulrich, Gründer von Noise Records, Anm. d. Verf.], dieses Arschloch hat uns abgezogen, ich hätte auch 100.000 oder 150.000 € mehr auf dem Konto, wenn ich nicht bestimmten Leuten zusammengearbeitet hätte, aber dann wäre ich auch vielleicht wieder ein anderer Mensch geworden. Auch gegen alte Musiker, die da hinter meinem Rücken über mich schimpfen, da denke ich mir, wenn sie das machen müssen, dann sollen sie es tun. Ist deren Ding. Ich bin da auch nicht sauer. Die müssen auch ihr Statement abgeben. Wenn das ihre Art ist, dann ist das halt so. Ich fühle mich da nicht missmutig oder so, das habe ich einfach abgelegt. imgright

Ist dann wohl auch eine gewisse Altersgelassenheit, die da eintritt?!

Chris: Ich werde nächste Woche 54 von daher. Jeder soll tun, was er meint. Uwe hat jahrelang über GRAVE DIGGER abgedröhnt und jetzt spielt er bei ACCEPT. Ich bin auch nicht neidisch, weil er bei ACCEPT spielt. Ich spiele heute die Songs, die er mit mir komponiert hat, die spielt er dann nicht mehr. Er spielt heute Songs, die andere komponiert haben und wenn er glücklich damit ist, ist es doch schön.

In Sachen Alkohol habt ihr es ordentlich krachen lassen, wie ich das aus deinem Buch entnehme.

Chris: Das auf jeden Fall.

Du hast auch Songs betrunken eingesungen.

Chris: Auch das.

Das war schon sehr interessant zu lesen. Doch dann hast du irgendwann gesagt, dass jetzt komplett Schluss ist mit dem Alkohol.

Chris: Dieses Jahr 15 Jahre.

Wie kam es dazu?

Chris: Es war von allem zu viel. Dann kamen Depressionen dazu, was man halt kriegt, wenn man nur noch säuft. Die Beziehung steht vor dem Abgrund usw, das Übliche halt. Da konnte ich mir es dann aussuchen, entweder ich mache so weiter, aber auch dann würde es GRAVE DIGGER mit Sicherheit nicht mehr geben oder ich gehe jetzt mal einen Schritt zurück, entsage allem und strukturier mein Leben neu. Also hab ich mein Leben neu strukturiert, auch die Band neu strukturiert damals, was dann auch für mich dazugehörte und habe diese Entscheidung nie, nie, nie wieder bereut.

Obwohl es war doch bestimmt nicht leicht, oder?

Chris: Das erste Jahr, wo wir die erste Tour gemacht haben, wo Manni dabei war, die Grave-Digger-Tour, auch für Manni war es die erste große Tour mit GRAVE DIGGER, da ging es dann richtig ab im Bus. Hab mich dann teilweise etwas unwohl gefühlt, aber nach eineinhalb Jahren war das dann komplett gegessen. Die Qualität, die ich im Leben dazugewonnen habe, möchte ich nicht wieder verlieren, in dem ich wieder anfange Alkohol zu trinken. Das Gefühl, wenn ich mir die Jungs am nächsten Tage angucke, [lacht hämisch] selbst Schuld.

Du hast das Thema neue Songs ja eben schon angesprochen. Zur Listening-Session zur "Return Of The Reaper" hattet ihr schon Ideen für neue Stücke.

Chris: Wir sind gerade superkreativ. Das ist wirklich ein laufender Prozess. Ich glaube, das nächste Album wird der Hammer. Es wird stilistisch, wie "Return Of The Reaper" und noch mal eine Schippe drauf. Die Ideen, die wir haben sind sehr geil. Ich glaube, da können die Leute sich auf jeden Fall drauf freuen. Ich denke im Juli/August gehen wir ins Studio und im Januar wird das Album dann rauskommen.

Was wird 2016 dann noch für GRAVE DIGGER bringen?

Chris: Im Januar sind wir erst mal in Russland. Für 2 Shows, dann geht es nach Italien für 3 Shows. Dann fangen wir an mit neuen Songs, dann kommen die Festivals im Sommer, evtl. noch mal eine USA-Geschichte im Herbst, ist aber noch nicht ganz klar, dann kommt das neue Album und dann geht es wieder von vorne los.

Schön! Damit sind wir auch schon am Ende angekommen, vielen Dank noch mal für deine Zeit und die letzten Worte gehören dir.

Chris: Ja, ich freue mich, dass wir die Chance haben diese Achtziger-Geschichte noch mal aufs Tablett zu bringen, ist eine witzige Angelegenheit, mit viel Erzählen, guter Musik dazu und ich hoffe, dass die Leute einfach Spaß haben und sie sollen sich demnächst von neuen Songs überraschen lassen.

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