FAQ - Whitechapel

Review von Elvis vom 13.09.2009 (7737 mal gelesen)
FAQ - Whitechapel Helvetien ist immer mal wieder für bemerkenswerte Kulturäußerungen gut. Das Trio FAQ aus den eidgenössischen Bergen, beheimatet im musikalischen Bereich des Electro, verbreitet jedoch alles andere als Alpenglühen, sondern hat mit "Whitechapel" einen ganz anderen Begriff von Romantik aus Background für das fünfte Album der Band gewählt. Wie der Name bereits vermuten läßt, geht es nämlich um jenen berühmt-berüchtigten Stadtteil Londons in dem der noch wesentlich berühmt-berüchtigtere Serienmörder, dessen wahre Identität nie enthüllt wurde, gegen Ende des 19. Jahrhunderts sein blutiges Werk verrichtete. Dieser - Achtung, Geschmacklosigkeit! - für seine Zeit geradezu progressive Killer schuf sich mit den mindestens fünf ihm offiziell zugeschriebenen Morden an Gelegenheitsprostituierten, die er vielfach grausam verstümmelte, ein schauriges Denkmal. Legionen von Autoren, Historikern und insbesondere Amateuere spekulieren, fabulieren und debattieren seit über 120 Jahren weiterhin über den legendären Schlitzer aus dem East End. Die Liste der Verdächtigen ist mittlerweile schier endlos und zählt über siebzig Männer, wobei die ins Visier geratenen Herren von einfachen Gestalten aus der Gosse des viktorianischen Englands und lokalen Schreckgestalten bis zum Mitgliedern des Königshauses allen Schichten entstammen. Eines der Trademarks dieser Todesserie, wenn man von so etwas sprechen will, war die aufkeimende Medienpräsenz des Falles, die über etliche Briefe (über deren Echtheit und Urheberschaft ebenso bis heute gestritten wird) des Rippers an die Presse eine wahre Hysterie nach sich zog. Der Mann, der vornehmlich in vier Monaten des Jahres 1888 unsterblichen Weltruhm erlangte, fasziniert noch heute die Massen und bot Stoff für so ziemlich alle Medien vom Comic bis Film. Auch musikalisch haben Generationen von Bands wie JUDAS PRIEST ('The Ripper'), MANILLA ROAD ('Whitechapel') oder MOTÖRHEAD ('Jack The Ripper').

FAQ wählen nun mit ihrem elektronischen Album mal einen anderen Ansatz als krachende Gitarren und sinistres Gefiedel, die meist Gegenstand dieser Songs waren. Stattdessen werden sphärische Klangwelten geboten, in denen teils die Texte der Briefe Jacks, teils eigene Gedanken und auch Fakten ihren Teil dazu beitragen, ein ganz eigenes Werk zu erschaffen. "Whitechapel", in welches Philip Noirjean, Thomas Daverio und Pille drei Jahre Arbeit als Nachfolger zum letzten kontroversen Longplayer "Is Pornography Art?" gesteckt haben, versprüht daher seinen eigenen düsteren Charme. Sicherlich wirkt es spaltend und ob dieses Album dem durchschnittlichen Metalfreund munden wird, sofern man einen solchen überhaupt ausmachen kann, ist sicher fraglich. Dennoch hat das Album einen Charme, den man nicht einmal unbedingt mit der nebelschwangeren Stimmung eines viktorianischen East End-Abends in Verbindung bringen will, und der unter den richtigen Umständen zweifelsohne wirkt. Ein Album für die düstere Jahreszeit sicherlich, keine Platte für den Sommer, und dafür jedoch wirklich interessant. Ob die 14 Tracks nun die häufig gestellten Fragen zu Jack beantworten mögen oder diesen Anspruch erst gar nicht erheben, das Thema ist fraglos faszinierend und regt zum Nachdenken an. Nicht umsonst hat der Schattenmann mit der scharfen Klinge auch heute noch einen derartigen Mass-Appeal zu bieten und beflügelt die Fantasie zahlreicher Zeitgenossen. Da man sich augenscheinlich und hörbar intensiv in den Jahren der Entstehung mit dem Mythos des schlitzenden Gaslampenfreundes beschäftigt, wer die Hintergründe kennt, wird daher nämlich viele vertraute Namen und Orte in den wabernden Schwaden der schweizerischen Electrovordenker finden, einschließlich einer Interlude des berüchtigten Songs 'Violets From Mother's Grave'. Dieses unschuldig-traurige kleine Lied erlangte ungewollt tragischen Ruhm durch die Tatsache, dass mit das letzte, was Zeitgenossen vom fünften Opfer Mary Jane Kelly hörten, eben dieser Song im dichten Nebel des East End war, kurz bevor ihr blutiges Schicksal sie ereilte. Ein ungewöhnliches Album, welches eine seltsame Faszination auszuüben vermag, wenn die Thematik einen anspricht.

Ein spannendes Album für musikalisch aufgeschlossene Gemüter, durchaus komplex und nichts für eine frohsinnige Hintergrundbeschallung, doch mit einiger Atmosphäre. Ein Probehören ist unter den genannten Umständen anzuraten, wer mit Electro und eigenwilliger Interpretation dieser faszinierenden historischen Gestalt nichts anzufangen weiß, macht besser einen großen Bogen um FAQ und "Whitechapel". Und zwar ganz unabhängig davon, ob er im Nebel eine dunkle Gestalt vermutet oder nicht, wobei Ripperanhänger deutlich im Vorteil sind. Helvetien ist manchmal eben ganz anders. Allerdings alles andere als schlecht - und nicht für jedermann. Eben ganz wie die Eidgenossenschaft selbst. Daumen hoch für FAQ!

Gesamtwertung: 8.0 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood dry dry
Trackliste Album-Info
01. Yours Truly (Introduction)
02. Absinthe And Laudanum
03. Birth Of The 20th Century
04. Grapes
05. Ten Bells
06. Dear Boss
07. The 4th Dimension
08. Leather Apron
09. From Hell
10. Merrick
11. Buck’s Row
12. A Violet From Mother’s Grave (Interlude)
13. Miller’s Court
14. In Memoriam (Outroduction)
Band Website: www.f-a-q.ch
Medium: CD
Spieldauer: 70:43 Minuten
VÖ: 20.05.2009

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten