Ein Artikel von des vom 04.09.2010 (24802 mal gelesen)
Was das Leben lebenswert macht
In den letzten Jahren und über mittlerweile drei Alben konnten sich die deutschen Gothic-Metaller CORONATUS einen respektablen Bekanntheitsgrad erspielen. Vor allem der zweistimmige weibliche Gesang hebt die Band von anderen des Genres ab. Nun musste Carmen R. Lorch, die die Geschichte der Band als Sopranistin begleitete und maßgeblich mitgestaltete, aus aus familiärem Anlass ihre Karriere bei CORONATUS beenden; auch wenn der Anlass ein sehr freudiger ist: es steht weiterer Nachwuchs ins Haus. Für bleeding4metal.de lässt sie ihre Zeit bei CORONATUS Revue passieren, erzählt über ihre Anfänge bei der Band, ihre Erfahrungen im Musikbusiness, wie man Band und Familie unter einen Hut bringt und über die Verschiebungen von Wertigkeiten im Leben.
Der Einstieg bei CORONATUS
Wie es zu meinem Gesang bei CORONATUS kam, ist einfach: Ich erzählte 2004 so vielen Leuten wie möglich, dass ich eine neue Band suche. Witzigerweise erzählten diese das dann weiteren Leuten, so dass ich eines Tages einen Handyanruf von Mats erhielt. Wer da alles in der Telefonkette zwischendrin war, wissen wir bis heute noch nicht! Mats erzählte, dass er eine Gothic Metal-Band habe, wobei sich der Stil der Band in den Jahren noch weiter entwickelt hat, und fragte, wie alt ich sei. Das fand ich lustig, weil ich ja immerhin schon 25 Jahre alt war. Also, in ca. zwei Wochen stand ein Konzert an und dafür lernte ich dann mit einer anderen Sängerin zusammen mal schnell die Lieder. Zwischendrin hatte ich noch Angina und konnte nicht zur Generalprobe gehen, aber der Auftritt war dann trotzdem in Ordnung! Die andere Sängerin war nach dem Konzert nicht mehr dabei, aber das Konzept, mit zwei Sängerinnen aufzutreten, gefiel allen so gut, dass es fortan prinzipiell beibehalten wurde.
Die erste Konzertreise mit CORONATUS
Bis man mal als Vorgruppe von WITHIN TEMPTATION etc. oder auf ausländischen Festivals wie dem Rockmaraton in Ungarn und Rumänien oder dem Metal Female Voices Fest in Belgien spielt, ist es ein weiter Weg. Meine ersten Auftritte mit CORONATUS waren zunächst im Stuttgarter Raum, wie z.B. im LKA Longhorn vor DEBAUCHERY. Ich erinnere mich daran, dass wir mächtig stolz waren, dass bei uns immer nach Zugaben gerufen wurde, auch wenn die Leute wegen einer ganz anderen Band zu dem jeweiligen Konzert gekommen waren, weil wir damals ja noch unbekannt waren. Nachdem ich im April 2005 allerdings Gastsängerin auf dem BRAINSTORM-Album "Liquid Monster" war und dessen Single 'All Those Words' - wenn ich mich recht erinnere - auf Platz 6 der ungarischen Charts kam, war meine Stimme in Ungarn bekannt und ich wurde mit CORONATUS im November 2005 eingeladen, auf dem Gothica V.-Festival in Budapest zu spielen. Jedesmal, wenn man einmal wieder vor ca. 1000 Leuten auf der Bühne steht und die Meute zum Mitmachen animiert, hat man das Gefühl zu wissen, wozu man geboren wurde!
Doch zwischen all den großartigen Erlebnissen gelten auch einige negativen Erinnerungen einigen Veranstaltern, die zu wenig Werbung für Konzerte machen, so wenig Eintrittsgeld verlangen, dass sich davon keine Kosten decken lassen und den Bands kein Essen bereitstellen oder bezahlen, obwohl diese für ein einziges Konzert inklusive An- und Abreise, Auf- und Abbau meist mehr als zwölf Stunden unterwegs sind. Ob einem das Musizieren auf eigene Kosten Spaß macht, muss jeder selbst entscheiden, aber nach über fünfzehn Jahren im Musikbusiness ist mein Weg ein anderer. Wenn ich mich nicht gerade um mein Kind bzw. zukünftig meine Kinder kümmere, biete ich den Leuten Musik auf professioneller Basis und dazu gehören nun einmal faire Bedingungen wie in anderen Berufen auch.
Das Debüt "Lux Noctis"
Um einen Plattenvertrag für ein Metal-Album zu bekommen, reicht es heutzutage nicht aus, sich mit zwei, drei Demosongs bei einem Label zu bewerben. Es ist wesentlich aussichtsreicher, wenn man der Plattenfirma schon das tiptop aufgenommene Album inklusive Cover vorlegen kann und sie es dann nur noch pressen und vertreiben muss. Deswegen nahmen wir im Sommer 2006 unser erstes Album "Lux Noctis" im Klangschmiede Studio E in Mellrichstadt auf und ließen es im selben Herbst von Mika Jussila im Finnvox Studio in Helsinki mastern.
Wenn man mit diesem Ziel ein Album aufnimmt, muss alles 100%ig sein. Plötzlich ist man nicht mehr zwei Wochen, sondern einen guten Monat im Studio und die Kosten sind um ein Vielfaches so hoch. Aber es sollte an nichts gespart werden, was das Ergebnis beeinträchtigen könnte, und so wurden die Sparschweine geknackt.
Helsinki war also unsere zweite Flugreise mit der Band. Studioaufenthalte und Touren waren für mich immer die schönsten Wochen des Jahres. Dass Mika Jussila, der ja schon die NIGHTWISH-Platten gemastert hatte, unsere "Lux Noctis" persönlich bearbeitete, war eine riesige Ehre für uns. Wir fühlten uns ganz klein und andererseits so groß, in diesem bedeutenden Studio zu sein! Die Atmosphäre war ganz entspannt und Mika plauderte ganz ausgelassen mit uns. Dass wir dort auch noch Marco Hietala von NIGHTWISH trafen, war dann der Oberhammer! Er ist viel kleiner als er auf der Bühne oder auf Fotos wirkt und deshalb könnte ich bis heute in den Boden versinken vor Scham, dass ich ihn nicht gleich erkannt habe und mir meine Bandkollegen eingeredet haben, der sei von einer ganz anderen Band! Trotzdem nahm er sich Zeit, in unser Album reinzuhören und fand es gut. Er war besonders beeindruckt von der Tatsache, dass wir zwei Sängerinnen hatten und NIGHTWISH zu dem Zeitpunkt gar keine, haha! Glück hatten wir dann auch, dass Massacre Recods uns den Plattenvertrag, den wir heute noch haben, angeboten und "Lux Noctis" im Herbst 2007 veröffentlicht haben. Genaue Verkaufszahlen kann ich nicht nennen - das ist heutzutage nicht mehr üblich, auch weil keiner weiß, wie viele Alben durch legale und illegale Downloads verbreitet werden. Auf jeden Fall reichten die Verkäufe aus, um Newcomer des Jahres bei Massacre Records zu werden!
Was die Lieder des Albums betrifft, so bin ich erst langsam ins Songwriting hineingewachsen und hatte am Songwriting von "Lux Noctis" folgedessen noch nicht so einen hohen Anteil wie an den nachfolgenden Alben "Porta Obscura" und "Fabula Magna". Dennoch bin ich sehr stolz auf den kraftvollen Gesang, insbesondere bei 'Scream Of The Butterfly' und die gefühlvollen Solo- und Chorgesänge bei 'Ich Atme Zeit' - dieses Lied stammt hauptsächlich aus meiner Feder. 'Volles Leben' mag ich auch sehr gern, obwohl unsere Live-Versionen immer besser waren als die Studio-Version; aber es war nun einmal das Lied, das ich beim Casting in 2004 vorgesungen hatte und mich so froh gemacht hat, endlich einmal solche Musik singen zu dürfen!
Die Folgealben Porta Obscura, Fabula Magna
Wenn man bedenkt, dass wir schon Anfang 2008, also nur mit den Liedern der "Lux Noctis", vor WITHIN TEMPTATION vor etwa 1000 Leuten spielen konnten, konnten die Auftritte danach nicht mehr viel größer werden :-) Das konnte nur noch das Metal Female Voices Fest 2009 in Belgien toppen - ich weiß nicht, wie viele Zuschauer zum Zeitpunkt unseres Auftritts in der Halle waren; ich denke, etwa 2000. Aber das Rockmaraton in Rumänien mit 500 Zuschauern, früher im Jahr 2009, war meiner Meinung nach unser bestes Konzert, weil wir dort am besten aufeinander eingespielt waren, bevor uns wieder einmal Besetzungswechsel bevorstanden. Trotzdem habe ich in unseren Line-Up-Wechseln bis kurz vor meinem Ausstieg immer eine Chance gesehen, frischen Wind in die Band zu bekommen.
Ins Studio zu gehen und die Musik, an der man über ein Jahr lang praktisch jeden Tag gearbeitet hat, aufzunehmen, ist immer aufregend. Dabei empfinde ich es als sehr hilfreich, das Prozedere im Studio schon zu kennen, weil ich dadurch auf viele Kleinigkeiten achten kann. Wenn ich einen Song im Studio einsinge, weiß ich vorher von jeder einzelnen Silbe genau, wie ich sie singen will. Ausdrucksvoll zu singen, ist mir besonders wichtig, deshalb lege ich darauf schon in der Übungsphase vor dem Studio besonderen Wert. Das habe ich auch bei der "Porta Obscura" in 2008 so gemacht, obwohl zum Studiotermin im Sommer meine Tochter gerade einmal drei Monate alt war. Da ich wegen ihrer Geburt ein paar Wochen die Proben ausgesetzt hatte, war ich bei einigen Songs im Studio überrascht, wie sie dann klangen. Am besten gelungen finde ich persönlich 'Fallen' - auch weil der Text, der mir sehr am Herz lag, und die Gesangsmelodien einschließlich der Chöre von mir stammen - und 'Mein Herz'. Wegen dieses Liedes fand ich es immer bedauerlich, dass wir nicht bekannter waren, so dass mehr Leute diesen Ohrwurm hätten hören können.
"Fabula Magna" ist für mich zweifellos das beste Album, das wir gemacht haben. Es steckt auch am meisten Arbeit von uns drin, und die Routine und das System, das wir uns im Songwriting über die Jahre hinweg erarbeitet hatten, haben sich absolut bezahlt gemacht. Insbesondere war uns hierbei wichtig, ein möglichst abwechslungsreiches Album mit vielen Hooklines zu schaffen. Deshalb ist es für mich unmöglich zu sagen, welches Lied davon mein persönlicher Favorit ist.
Obwohl "Fabula Magna" für mich ein perfektes Album ist, höre ich die Lieder praktisch nur noch an, wenn ich etwas Bestimmtes davon noch einmal raushören möchte. Ich denke, dass das den meisten Musikern so geht und die wenigsten ihre eigene Musik auf die gleiche Art und Weise anhören, wie sie andere Bands hören. Aber wenn ich einige der Live-Videos unserer großen Auftritte sehe, kann ich schon nostalgisch werden.
Familie, Job und Band, neue Wertigkeiten im Leben
Wie man dann Familie, Job und Band unter einen Hut bekommt? Also, ich hab's nicht rausgekriegt! Zumindest, sobald die Band einen anständigen Plattenvertrag hat. Mit meinen Bands vor CORONATUS hatte ich auch Plattenverträge und dachte deshalb, dass so ein Plattenvertrag das Leben nicht wesentlich ändern würde. Im Falle von CORONATUS bei Massacre Records hatte ich mich aber gewaltig geirrt, das war eine andere Liga! Ich meine, es gibt diverse Möglichkeiten, dann noch Familie, Job und Band unter einen Hut zu bekommen, aber man braucht sich nichts vorzumachen, eins davon leidet immer massiv! In meinem Falle war es so, dass ich zwei Jahre lang nicht gearbeitet habe und die Band davon massiv profitiert hat. Unser Schlagzeuger Mats konnte auch in zwei Bereichen kürzer treten und die Band managen. Aber sobald man zwischen Familie und Band unterscheiden muss, hat man im Prinzip schon verloren. Meiner Einschätzung nach funktioniert eine semiprofessionelle Band nur dann, wenn diverse Familienmitglieder mit einbezogen werden, sei es organisatorisch, als Crewmitglied für Licht-/Tontechnik oder Merchandise und nicht zuletzt für die Kinderbetreuung. Dazu gehört, dass die Band die Leistungen der Angehörigen, die diese ja in ihrer Freizeit erbringen, nicht als selbstverständlich betrachten darf. Also meine ich gegenseitige Wertschätzung und außerdem volle Akzeptanz der Menschen auf beiden Seiten. Das ist eine fast unmöglich erreichbare Balance.
Man sollte sich im Klaren darüber werden, was man will und was man kann, d.h. welche Stärken man hat und was man damit erreichen will; außerdem, welche Möglichkeiten man damit tatsächlich hat bzw. welche Konsequenzen die Wahl mit sich bringt. Ich für meinen Teil habe CORONATUS vorwärts getrieben, solange ich die Kraft dazu hatte, und es war eine schöne Zeit. Und jetzt ist es schön, dass sie vorbei ist. Das Sprichwort besagt, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, nicht wahr?
Und wenn man eines Abends diese winzig kleinen Klamotten auf den Wäscheständer hängt und sein schlafendes Kind wie einen Engel bewundert, hat die Frage, was das Leben lebenswert macht, eine neue Antwort.