Hacride - Lazarus

Review von TadMekka vom 15.05.2009 (8772 mal gelesen)
Hacride - Lazarus Das wird jetzt wohl eine Weltpremiere: das erste Plus-Minus-Review aus einer Hand. Meiner Hand.

Zunächst, so wie es sich gehört, die schlechte Nachricht bzw. das Minus-Review. Diesem liegt etwas zu Grunde, was man gemeinhin als die 'Erwartungshaltung' bezeichnet. Diese wiederum entsteht, wie sollte es anders sein, durch die bisherigen Alben einer Band und der Rezeption derselben durch den Rezensenten.
Ja, es ist jeder Band erlaubt, neue Wege zu gehen.
Nein, das Ergebnis muß niemand gut finden.
Dennoch: Ich habe mir nach dem urgewaltigen, göttlichen und stellenweise unglaublich atmosphärischen, abwechslungsreichen und mitreißend arrangierten "Amoeba", naja, was eigentlich... mehr oder weniger halt eine STEIGERUNG all dieser Punkte erwartet, einfach das berühmte Quentchen 'Mehr' von allem.

Und, ach und weh, "Lazarus" ist nun leider so dermaßen das Gegenteil dessen, was ich mir erwartet und erhofft hatte, dass ich die Scheibe erstmal an die Wand gepfeffert habe. Und die Götter des Metal anheulte ob der Tatsache, dass sich nun auch im Bereich 'Modern/Cyber/Whatever - Metal' das Seichte durchsetzt. Diese Entwicklung hat bisher alljener Szeneausblühung das Genick gebrochen, deren Hauptpfund mit dem sich wuchern ließ: nämlich ein neuer Level an Urgewalt, Brutalität, Atmosphäre, Kompromisslosigkeit, Virtuosität etc. unter dem ewiggleichen Deckmäntelchen verwässert wurde, dass man nun eben erwachsen geworden sei. Und Thrash, Death, Black und nun auch Modern - Metal verfiel in pseudo-intellektuelle Seichtigkeit und, bestenfalls!, Selbstzitate. Warum?

Nun also auch HACRIDE. Wer "Amoeba" kennen und lieben gelernt hat, wird "Lazarus" genau wie ich nicht wirklich als Nachfolger akzeptieren können. Ganz einfach deswegen, weil "Lazarus" einfach nicht mehr wie HACRIDE klingt. "Amoeba" stand in Summe meist für rasende Gewalt, extreme Abwechslung, hochkomplexe, stellenweise ultragroovige Arrangements und viel, sehr viel Zorn. "Amoeba" enthielt für viele Hörer das, was einem die Spät-Werke einer dennoch großartigen Band wie MESHUGGAH wohl doch nur versprechen konnten, nämlich Inspiration, Schmerz und Phantasie. Intensität. Alles das eingepackt in eine faszinierende fesselnde Atmosphäre. Ununterbrochener Artillerie-Beschuss eben.

"Lazarus" nun ist im direkten Vergleich erschreckend simpel und vorhersehbar ausgefallen, ergeht sich in teilweise viertelstündigen Endloskompositionen, die überhaupt nie wirklich auf den Punkt kommen. Teile der Songs werden einfach zu sehr ausgewalzt, endlose Wiederholungen, kaum variierte Weiterentwicklung der Motive und Melodien, sowie häufig nöliger Klargesang tun ein übriges dazu, dass man sich nicht mal mehr langweilt. Sondern einfach nur ärgert. Kurz: es PASSIERT nichts auf dieser Scheibe. Daran können auch weder einzelne Atmosphäreneinsprengsel, noch die paar zusammen etwa 10 Sekunden an Albumspielzeit (von fast 1 Stunde!) einnehmenden Blasts was ändern. Zusätzlich ist "Lazarus" auch noch erschreckend dumpf produziert. Nichts mehr zu hören von glasklarer Härte, stattdessen kommt der Sound irgendwie von 'weit weg'... Alles in allem eine herbe Enttäuschung. Enttäuschung, ja.

6.5 Punkte und das ist noch nett.

Jedoch... Enttäuschung kommt von Täuschung. Meist ist das ... Selbsttäuschung? Fehlt es mir an Geduld? Hat der Metal-Weihnachtsmann dem Kind im Manne mal wieder nicht gebracht, was es wollte? Wer ist schuld daran? Die Band? Der Rezensent? Oder einfach die allgegenwärtige, subjektive, egozentrische und letztlich vollkommen irrelevante 'Erwartungshaltung' des Fans?

Wenn ich mich nämlich einfach sämtlicher Erwartungen entledige, vergesse, dass "Lazarus" die neue Scheibe von HACRIDE ist und einfach mal objektiv zuhöre, passiert etwas Interessantes: zwar ist keiner der obigen Punkte sachlich falsch. Aber mein Blickwinkel ändert sich dadurch so massiv, dass ich diese Scheibe anhören, genießen und sogar lieben lernen könnte. Kann. Der Gesang gewinnt an Authentizität, das Songwriting an Spannung und Atmosphäre, wirkt plötzlich nicht nur schlüssig sondern sogar ausgefeilt. Spannende Crescendi, sauber umge- und in verschiedene Songparts über-setzte Melodielinien und doch ein erstaunlich hohes Maß an Aggressivität sind plötzlich erkennbar.

Ja, "Lazarus" ist ruhiger. Ja, "Lazarus" erzeugt ein zunächst unangenehmes Wechselbad der Gefühle mit seinen plötzlichen Wechseln aus Zorn und Verzweiflung, aus Wut und Angst, aus 'Hör mir doch zu!!' und 'Geh einfach weg...' Erstaunlich. Schmerzhaft. Und ja: verdammt intensiv. Es ist richtig, die Songs sind lang, sehr lang. Aber sie sind nicht langweilig. Man muß etwas genauer und konzentrierter hinhören, um die Struktur und Ausarbeitung, die Weiterentwicklung der vielen verschiedenen Motive nachvollziehen zu können. Und ja, es ist einfach notwendig, diese Scheibe öfter anzuhören, um Zugang zu gewinnen. Stellenweise erinnert "Lazarus" sogar an OPETH oder das letzte THE OCEAN-Werk, das hier sogar meist massiv übertroffen wird, denn hier gibt es keinen einzigen 'leeren' Moment. Es passiert immer etwas. Nur eben nicht so penetrant, wie das heute nötig zu sein scheint, will man noch irgendwie Aufmerksamkeit wecken...

Und dann, nachdem der Zugang gefunden ist und man zu jeder Sekunde voller Vorfreude auf das nächste kleine Highlight der Scheibe da sitzt, kommt man am Ende zum 10-Punkte-Track 'My Enemy'. Und diese letzten paar Minuten, schliesslich die letzten 3 Sekunden beinhalten mehr Atmosphäre, Schmerz und Lust am Verlust als das Meiste, was ich je gehört habe. Perfekt in Szene gesetzt und so schmerzhaft wie einen sterbenden Freund in den Armen zu halten. Groß!

Übertrieben? Lasst euch einfach mal drauf ein.

In Summe also 8.5 Punkte.

Und bevor das Genöle losgeht: der Unterschied zwischen 6.5 und 8.5 ist so groß wie Tag und Nacht. Die Chance, dass ich ein 6.5-Punkte Album in diesem Leben freiwillig nochmal anhöre ist nahe 0. Einer 8.5 jedoch gebe ich gerne noch die Chance zu wachsen, denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich das lohnt.

Nun liegt es an euch, den Fans. Erwartungshaltung vor Open-Mindedness? Oder umgekehrt?


Gesamtwertung: 8.5 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood dry dry
Trackliste Album-Info
01. To walk among them
02. Act of God
03. Lazarus
04. Phenomenon
05. A world of Lies
06. Awakening
07. My enemy
Band Website: www.hacride.com
Medium: CD
Spieldauer: 60:00 Minuten
VÖ: 24.04.2009

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