Devin Townsend - Deconstruction

Review von Opa Steve vom 25.06.2011 (13611 mal gelesen)
Devin Townsend - Deconstruction Genialität oder pure Provokation? Oder geniale Provokation? Ganz sicher sein kann man sich nie, wenn Devin seiner Kreativität freien Lauf lässt. Und das tut er auf "Deconstruction" gewaltig. Als Teil einer Tetralogie, die im Rahmen des DEVIN TOWNSEND PROJECT eins von eben vier für Devin wichtigen Gefühlen vertonen soll, vereinigt "Deconstruction" wohl die ganze musikalische Welt des durchgeknallten (aber mittlerweile immerhin cleanen) Synästhetikers.

Auf "Deconstruction" finden sich tolle Rock-Parts, Spacige 60er-Keyboards, brutalste Riffs der späteren STRAPPING YOUNG LAD Ausprägung genauso wieder wie unglaublich hoch gestapelte Harmoniegebilde der ruhigen DEVIN TOWNSEND BAND Alben und zuckersüße Falsettstimmen. Es ist also irgendwie schon die Zusammenfassung seines musikalischen Lebens, während das gleichzeitig erscheinende, sehr ruhige, "Ghost"-Album eine Art "Reset" für ihn bedeutet. Es ist einerseits beruhigend, dass Devin nun ohne Drogen 70 Minuten voller komplexester Kreativität packen kann. Andererseits auch beängstigend, dass er ohne irgendeine Chemie in den Adern das wohl undurchdringlichste akustische Labyrinth seiner Schaffenslaufbahn abgeworfen hat. Zusätzlich arbeitete er mit Orchester und diversen Gastbeiträgen, die er aber bei "Deconstruction" nicht an die große Glocke hängen möchte.

Über das Album selbst ist damit so ziemlich das große Fazit gesagt, was man in der Schnittmenge benennen kann. Allerdings sind die 9 Songs, die auch mal über 10 Minuten lang sein dürfen, so unterschiedlich und komplex, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als das Review mit einer Song-By-Song-Besprechung zu vervollständigen:

'Praise The Lowered': ein ganzer Song als Intro, der einlullend beginnt. Hatte Devin auf "Terria" noch eine Olive angeboten, bittet er hier zu leisen Loops den Hörer, sich bereit zu machen, und feiert erst einmal seine Abstinenz.

'Stand': Hier wird schon deutlich, dass es Devin ganz gemächlich angehen lässt. Minimalistische Plugin-Gitarren, die sich immer weiter steigern, und ab 3 Minuten erst die volle Intensität erreichen. Ein Song, der auch unter den komplexeren 'Accelerated Evolution'-Titeln nicht großartig aufgefallen wäre. Sehr typisch.

'Juular': Speed-Swing mit Doublebass-Dauerfeuer. Dabei eigentlich so flockig, dass man glatt einen Twist dazu tanzen müsste. Ein extrem schizophrener, aber unglaublich mitreißender Titel, der immer wieder in enormen STRAPPING YOUNG LAD Radau ausbricht, ohne sein Feeling zu verlieren.

'Planet Of Apes': altbewährte "Addicted"-Klampfen, aber statt Pop-Zuckerguss wartet der Titel mit einem Wechsel aus sehr komplexen Passagen und totalem Bombast auf. Zum Ende hin kaum noch nachvollziehbar - andere Bands hätten hieraus mindestens 4 Songs gemacht.

'Sumeria': erwähnte ich eigentlich schon, dass Devins Texte mittlerweile komplett sinnlos sind? Ungefähr so wie David Lynch Filme. Man erkennt eine Intention, genießt die Atmosphäre, aber nichts ergibt ein sinnvolles Ganzes. 'Sumeria' ist dazu noch die passende Vertonung. Unterschwellig bedrohlich, voller imposanter Chöre und dem Pathos großer Historienspektakel auf Breitleinwand. Ein höllischer Trip - inkl. Happy End auf der suggestiven Blumenwiese mit Schmetterlingen.

'The Mighty Masturbator': ja, richtig gelesen. Wie charakterisiert man einen Song, der 16 Minuten geht? Er beginnt wie ein Kunstlied, steigert sich über "Terria"-typische Riffs, wird immer komplexer, bis er nach 6 Minuten in völlig unstrukturierten "Zufallsläufen" endet. Nach diesem ersten Devin'schen Erregungsplateau geht die Nummer etwas geradliniger weiter und steigert seine Power immer mehr. Doch der Höhepunkt ist: Schunkel-Karneval, und ein fettes "Aaaaaaaaaaaaaaamen". Nicht, dass da jemand 'nen Sexualtherapeuten bräuchte....?

'Pandemic': Herrlich! Einfach mal 3 Minuten durchgehendes Geknüppel! Sehr bombastisch und mit Gekeife sowie erhabenen Alt-Stimmen unterlegt. STRAPPING lassen wieder grüßen, dieser Titel hätte selbst auf der legendären "City" einen Platz verdient gehabt!

'Deconstruction': die Theorie des Titels: alles lässt sich in seine Bestandteile zerlegen. Erstes Objekt: ein Cheeseburger. Was am 'Mighty Masturbator' schon verwirrend war, wird hier auf die Spitze getrieben. Kein Riff hält länger als 4 Takte durch, das vermeintliche Chaos nimmt überhand, und es ist bewundernswert, wie man bei solch einem Titel noch die Kontrolle bewahren kann. Und zu einem kompletten Filmorchester staunt das Publikum irgendwann: 'Woooah! Good lord, it's a cheeseburger!!! A double!'. Doch dann motzt einer aus der letzten Reihe: 'But I don't eat cheeseburgers, I'm a vegetarian!' - also muss der wütende Professor erst einmal alles wieder zerschroten, aber da steht schon der nächste Vorschlag im Raum: 'Beer!!!!'. (An dieser Stelle grüßt der Rezensent alle Bleeding4Metal-Leser, die bis hierhin durchgehalten haben!).

'Poltergeist': der Headbanger-kompatibelste Song. Aggressive Metal-Riffs, gehörig lärmig produziert. Er geht nicht ganz so auf die Fresse wie 'Pandemic', ist dafür aber unglaublich mitreißend und strukturiert. Mit echten Gangshouts und Midtempo-Parts zum Matteschwingen!

Fazit: nach einem solchen Album muss sich der Songwriter eigentlich unheimlich leer fühlen. Und der Zuhörer erst einmal überlastet. Obwohl irgendwie schon in der ersten Runde klar wird, dass dieses Ding ziemlich groß ist. Man kann die schrägen Momente aber nicht richtig einsortieren - das Lachen will nicht so recht raus (auch wenn mal als Intro gefurzt wird), und manche Prog-Parts sind dermaßen kompliziert, dass selbst eingefleischten Mathcore-Liebhabern die Kinnlade runterklappen wird. Ich vermute, "Deconstruction" ist eine Art Generalreinigung in Devins Messie-Rübe - alles muss raus, selbst wenn es keinen Sinn ergibt. Aber für Abfall ist das hier ganz großes Kino, und da steckt mehr drin, als andere Songwriter in ihrem ganzen Leben zustande bringen! Und man darf nun schon gespannt sein, wie Devin nun bei Null wieder anfangen wird, und was er als nächstes plant. Jetzt, wo das DEVIN TOWNSEND PROJECT vollendet ist.

Gesamtwertung: 8.0 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood dry dry
Trackliste Album-Info
1 Praise The Lowered
2 Stand
3 Juular
4 Planet Of The Apes
5 Sumeria
6 The Mighty Masturbator
7 Pandemic
8 Deconstruction
9 Poltergeist
Band Website: www.hevydevy.com
Medium: CD
Spieldauer: 70:40 Minuten
VÖ: 20.06.2011

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