Avatar - Black Waltz

Review von Contra vom 26.11.2012 (8125 mal gelesen)
Avatar - Black Waltz Ich weiß nicht, wann ich zuletzt ein derart kontrovers gesehenes Album in den Händen hielt. Als mir "Black Waltz", das vierte Studioalbum der Schweden von AVATAR auf den Tisch gelegt wurde, stand natürlich erstmal eine gründliche Recherche an. Während die ersten drei Alben relativ konstant im mittleren bis anständigen Bereich bewertet wurden, gibt es zu "Black Waltz" nach erster Einschätzung mehr Meinungen als Menschen. Von "Radioaktiv verseuchter Kernschrott, den man ins tonlose Vakuum des Weltalls schießen sollte" bis "Wegweisendes Meisterwerk" war alles dabei. Und was mir den Job dezent schwierig macht: alle haben Recht.

AVATAR spielen seit 2001 (damals noch unter dem Namen LOST SOUL) zwar etwas unkonventionellen, aber soliden Melodic Death Metal. "Unkonventionell" ist im Falle von "Black Waltz" eine heftige Untertreibung, und "Melodic Death Metal" schlicht und einfach eine Lüge. Ehrlich gesagt wäre es schon eine stramme Verkennung der Sachlage, dieses Album als Metal zu titulieren. Also eine Warnung vorneweg: denjenigen, für die "Warriors Of The World" den Gipfelpunkt musikalischen Einfallsreichtums darstellt, die Zeter und Mordio schrien, als METALLICA das erste Mal ein Video veröffentlichten und die den Tellerrand schon gar nicht mehr sehen können, denen sage ich: Rennet, rennet, flüchtet! Alle anderen: Willkommen zu einer ziemlich kranken Achterbahnfahrt.

Zugegeben: Ich habe dieses Album einzig und allein ausgewählt, weil ich das Cover geil fand. Und im Nachhinein beschreibt es den Inhalt von "Black Waltz" recht akkurat. Es ist, kurz gesagt, gottverdammt geisteskrank. Wenn man SLIPKNOT zu einer Studienreise in das Freakshowzelt eines rumänischen Jahrmarktes schicken, und das Ergebnis von SKRILLEX mixen lassen würde, würde man etwas in Richtung "Black Waltz" herausbekommen. Die Riffs sind sehr Gipsy-lastig, manchmal könnte man sie mit etwas Wohlwollen experimentell und progressiv nennen. Meistens sind sie allerdings viel zu stark verzerrt oder mit irgendwelchen Soundeffekten belegt. Ähnliches gilt für den Gesang von Johannes Eckerström, der schon immer ordentlich in die Kante Core schlug, aber auf diesem Album, auch durch die Produktion, jeglichen Death Metal-Ansatz verloren hat und vollends zu Gekeife degeneriert ist. Zur Musik passt das meistens ganz gut, da immer noch erstaunlich viel Druck dahinter ist, aber man muss es mögen. Selbiges gilt für die Drums, die streckenweise auch als Electro-Beat durchgehen könnten. Überhaupt ist die Nähe zur Diskomusik gleichzeitig die große Stärke und die Schwäche von "Black Waltz". Viele Songs sind eigentlich recht ansprechend, voll mit interessanten Ideen und könnten live richtig gut kommen, sind aber dermaßen überproduziert, dass man den Eindruck bekommen könnte, AVATAR würden nach Einsatzzeit des Synthesizers bezahlt. Beispiel: 'Ready For The Ride' ist prinzipiell ein ziemlich fettes Lied, das zwar nur aus einem einzigen, dafür aber richtig abgefahrenem Riff besteht. Es wäre zumindest ein ziemlich fettes Lied, wenn es gen Ende nicht in klumpigem Soundbrei versinken würde. Dieses Muster zieht sich durch das gesamte Album. Mit zumindest ein bisschen Toleranz könnte man einigen Spaß an "Black Waltz" haben, wenn der Elektronikanteil viel, viel, viel, viel, viel niedriger wäre. So muss man die Zähne knirschend aufeinanderhämmern, um die guten Ideen, die hinter der ganzen Elektromelange stecken, würdigen zu können.

Es ist tatsächlich abgrundtief schwierig, "Black Waltz" adäquat zu bewerten. Deswegen lasse ich es. Mehr als einmal hatte ich das dringende Bedürfnis, das Album zum Fenster raus zu werfen, und mehr als einmal fand ich es eigentlich ziemlich geil. Der erzkonservative Schwerstmetaller in mir schreit: "Das ist Dreck! Schmeiß es in den Müll und mach AMON AMARTH an", der liberale Freigeist, der SLIPKNOT und SYSTEM OF A DOWN für immer noch ziemlich dufte hält, schreit: "Das ist ein Experiment! Es will doch gar nicht in den Mainstream, es will frei sein! Lass es frei sein!" Und beide haben recht. "Black Waltz" unvoreingenommen und reflektiert eine Zahl aufdrücken zu wollen, ohne es einseitig zu begutachten, ist nahezu unmöglich. Wer sich auf experimentellen, elektroniklastigen Nu-Melodic-Gipsy-Core einstellen will, der darf "Black Waltz" gerne eine Chance geben. Wer es nicht kann, der sollte es bloß nicht versuchen. Er wird es hassen.

Anspielen: 'Ready For The Ride', 'Blod'

- ohne Wertung -
Trackliste Album-Info
01. Let Us Die
02. Torn Apart
03. Ready For The Ride
04. In Napalm
05. Black Waltz
06. Blod
07. Let It Burn
08. One Touch
9. Paint Me Red
10. Smells Like A Freakshow
11. Use Your Tongue
Band Website: www.avatar.net
Medium: CD
Spieldauer: 55:41 Minuten
VÖ: 19.11.2012

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