Livebericht Lacuna Coil (mit Genus Ordinis Dei und Forever Still) |
---|
Ein Livebericht von Opa Steve aus Köln (Underground) - 24.10.2016 (36946 mal gelesen) |
An der gewählten Location, dem Underground in Köln, ist allein schon zu erkennen, dass LACUNA COIL nach den Besetzungswechseln der letzten zwei Jahre an einem Neustart stehen. Nachdem sie vor zehn Jahren auf dem Höhepunkt der Nachfrage in Deutschland das Summer Breeze Festival headlinen konnten und nach einigen recht poppigen Alben auf der letzten Headliner-Tour immerhin noch Hallen wie die Frankfurter Batschkapp füllten, sind wir gespannt auf die Präsentation in einem etwas kleinerem Club. Mit einem deutlich aggressiveren Album im Gepäck und einem Session-Gitarristen im Line-up erspielen sie sich wieder die Basics vor den Fans, von denen an diesem Abend ca. 300-350 das Underground gut füllen, aber längst nicht ausverkaufen. Hieran könnte auch der happige Preis von 35 Euro schuld sein, den man im Underground nur selten auf die Theke legen muss. Man muss der Band aber zugutehalten, dass sie keine Mühen scheuen und auch in Deutschland die Fans nicht im Regen stehen lassen und sich auch für Europa neben ihrem Hauptmarkt USA ins Zeug legen. Sänger Andrea bestätigt uns im Plausch im Vorfeld die Intentionen, für den europäischen Markt keine Abstriche zu machen. So kam die Band auch gerade erst aus Australien zurück, um nach einem (!) Day Off wieder nebst Jetlag in den Nightliner zu steigen und Europa zu bereisen. Respekt. Doch vor LACUNA COIL macht es sich eine ebenfalls aus Italien stammende Band auf der Bühne bequem. GENUS ORDINIS DEI eröffnen den Abend mit einer düsteren und rauen Interpretation des Dark Metals, wie man ihn in den 90ern oft gehört hat. Leichte Death-Einflüsse machen das Material, welches durch Sample-Einspieler ergänzt wird, zum aggressivsten Stoff des Abends, ohne jedoch überbetont zu wirken. Im Gegenteil. Das stilsichere Posen der Saitenfraktion und das ständige Anfeuern von Frontmann Niccolo sorgen dafür, dass das Publikum schnell auf der Seite der vier Jungs ist. Von Vorteil ist auch, dass die Songs schnell ins Ohr gehen und das Quartett sehr selbstbewusst rüberkommt. Extra in schwarze Schale und bisschen Endzeit-Look geworfen machen die auch bei der Puffbeleuchtung des Undergrounds was her. Die Band spielt einen Querschnitt ihrer bisherigen EP und des Longplayers "The Middle". Besonders geil wird der Gig zum Ende, als schon 80% des Publikums interessiert bis euphorisch die nötige Grundlage für ein gelungenes Konzert bilden. Der ultimative Hammersong an dem Abend ist 'Red Snake', welches mit Melodie, Groove und auch mächtigen Blastbeats alle Facetten des Dark Metals abdeckt. Der Drummer an der Bühnenseite geht steil, die Matten im Publikum kreisen. GENUS ORDINIS DEI liefern solide Kost und sind nach dem Gig völlig geflasht von dem Zuspruch der vielen Fans, für die diese Band vor dem Gig lediglich ein unbekannter Name war. Fun-Fact am Rande: im Publikum zückte jemand sein Tablett, um auf Google ein paar italienische Vokabeln zu suchen, die er der Band zurufen konnte. Auf den zweiten Opener-Slot stehen FOREVER STILL, die aktuell unter Vertrag bei Nuclear Blast ihren ersten richtigen Longplayer vermarkten. Die männlichen Besucher erfreuen sich der paritätischen Besetzung aus jungen Damen und Herren dieser Band, wobei die Dänen nicht gerade durch gute Kinderstube glänzen. Während die zierliche Sängerin vergeblich versucht, das Backdrop oben an die Gerüste zu heften, dauert es geschlagene zwei Minuten, bis sich der riesige Bassist mal erbarmt, mit anzupacken. Der moderne Metal der Band schreibt Gleichberechtigung groß. In einer kunterbunten Mischung werden poppige Melodien, kalter Aggro-Metal und ein bisschen bemühte Düsterheit zusammengeworfen. 'The Last Day' von ihrer 2013er EP ist in der Studio-Version ein gar nicht mal übler Titel, aber als Opener ist die Band einfach noch nicht warm genug, um sich richtig einzugrooven. Der Rest des Abends gehört dem aktuellen Album, was vielleicht ein wenig zu früh ist, da es kaum jemand kennt. 'Awake The Fire' schafft es leider auch noch nicht, die Leute zum Toben zu bringen. Dabei legt sich die Band richtig ins Zeug, auch wenn es insgesamt doch nicht wirklich authentisch wirkt. So springt der Bassist ständig wie ein Flummi über die Bühne, während sich Sängerin Maja zwar mit Power und überladenem Gefühl in der Stimme abmüht, aber doch große tonale Unerfahrenheit unter Bühnenbedingungen zeigt. Gerade, wenn man so viele Tonfarben unterbringen will, muss das zwingend sitzen - es gibt schlechtere Vocals im Metal, aber leider ist die Präsentation an diesem Abend noch eher C-Liga und die Gestik besteht aus augenscheinlich einstudierten Standards. Dabei schafft es die Band doch hin und wieder mit eingängigen und straighten Songs, einen schönen Drive vorzulegen. 'Breathe In' und 'Save Me' gegen Ende des Gigs haben durchaus Potenzial, wohingegen das bemüht aufgeblasene 'Scars' als Rausschmeißer leider wieder an den gesanglichen Ambitionen Schiffbruch erleidet. FOREVER STILL müssen noch stark an musikalischer Persönlichkeit gewinnen und vor allem live technisch besser werden. Wenigstens bleibt ihr Name doch bei vielen Besuchern im Gedächtnis, denn die Nachfrage der Herren im Publikum war recht groß, sich mit den beiden Mädels später am Merch fotografieren zu lassen ... Wie oben schon geschrieben wollen sich LACUNA COIL auch im kleinen Club nicht lumpen lassen und richtig Gas geben. Wieder ist der visuelle Aspekt sehr wichtig und die Band betritt in einer Art Zwangsjacke die Bühne. Der Opener 'Ultima Ratio' ist nicht der beste Song der Band, eignet sich aber aufgrund seiner Einfachheit zum Warmspielen perfekt. Cristina hat nur wenige Einsätze, während Andrea sich die Seele aus dem Leib brüllt und über die Bühne stapfend jeden Meter ausnutzt. Wundern tut man sich über das crazy Make-up von Basser Marco, der in einer Mischung aus "Dia De Muertos"-Schminke, Corpsepaint und umgeworfenen Farbeimer die Bühne betritt. Wie gewohnt muss sich Cristina für ihre perfekten Einsätze noch etwas warm singen, um dann aber zur Höchstform aufzulaufen. Nach dem schwachen 'Spellbound' vom relativ uninspirierten Album "Shallow Life" gibt die Band mit einer mächtigen Version von 'Die & Rise' nun vollends Gas. Der Refrain wird vom ganzen Club mitgebrüllt und die ersten Matten fliegen. Die Band ist jetzt so richtig warm und Ryan lässt das Tier hinter den Kesseln raus, steigt immer wieder während der Ansagen oder Pausen auf sein Kit und feuert die Menge bedenklich knapp unter der Hallendecke an. Cristina (nun mit roten kürzeren Haaren) strahlt mit dem Publikum um die Wette und geht am Bühnenrand auf Tuchfühlung mit der ersten Reihe, während sie einen Gesang raushaut, den man nur noch als brillant bezeichnen kann. Ihr Part bei 'Blood, Tears, Dust' sitzt so perfekt und glockenklar, dass sich einem die Armhaare aufstellen. Und so soll es für den ganzen Abend bleiben. Wir haben LACUNA COIL nun schon mehrfach live gesehen und die Entwicklung verfolgt, aber man muss feststellen, dass sich Cristina in dieser Zeit wirklich zu einer erstklassigen Sängerin entwickelt hat, die sich auf der Bühne regelrecht zu Hause fühlt. Ihr Umgang mit dem Publikum ist dabei enorm sympathisch. Sie begleitet einen vorbeizappelnden Crowdsurfer über die ganze Bühnenbreite, fragt ein Mädchen in der ersten Reihe, ob sie OK ist und bietet ihr eine Flasche Wasser an. Das kann man mittlerweile auch gebrauchen, denn die Halle kocht. Andrea hingegen ist für die brutale Power zuständig und bleibt ständig in Bewegung. Auffällig ist auch der enorm fette Sound, den die Band unter Verzicht auf den zweiten Gitarristen auffährt. Glasklar und druckvoll ist die Band heute Abend und der Session-Gitarrist liefert eine solide Leistung, die ihm vermutlich auch den Weg ins feste Line-up ebnen wird. Ihren düsteren Song 'The Ghost Woman And The Hunter' haben sie für die erstmalige Live-Präsentation neu arrangiert und spielen diese so packend, dass einem weiblichen Fan direkt vor uns beim Tanzen die Tränen runterlaufen. Im Mittelteil des Sets überwiegen dann die modernen Songs, die für meine Begriffe ein wenig austauschbar sind und auch oft Gegenstand des Vorwurfs der "Amerikanisierung" der Band. Auch ein angedeutetes Drumsolo wird noch kurz in die Songblöcke eingebaut, was man sich hätte in diesem Rahmen sparen können. Die Setlist leidet aber nicht wirklich darunter, denn die Band spielt noch genügend Klassiker der letzten zehn Jahre - was leider auch bedeutet, dass die ersten beiden Scheiben nicht berücksichtigt werden (dabei hoffe ich seit zehn Jahren schon vergeblich darauf, dass sie mal wieder 'My Wings' spielen werden). Natürlich darf auch das Cover von 'Enjoy The Silence' nicht fehlen, welches wiederum aus vollem Hals von jedermensch mitgesungen wird und die Stimmung für das finale Drittel nochmal deutlich anhebt. Ebenso ergeht es 'Nothing Stands In Our Way', welches live überraschenderweise neben der eher harmlosen Studioversion zu einem echten Kracher mutiert. Andrea pusht schon bei der Ansage das Publikum zu lauten Chören der Zeile "We fear nothing!" und der Song selbst reißt dann den ganzen Club zu einer nicht zu bremsenden Hochstimmung mit. Hätte ich von diesem Titel wirklich nicht erwartet. Die beiden letzten Alben kommen auch im Zugabenblock nochmal zur Geltung, wobei 'Zombies' neben 'Spellbound' eigentlich nochmal einen kleinen Stimmungsabsacker darstellt. 'Delirium' und das mächtige 'The House Of Shame' hingegen lassen die Temperaturen nochmal mächtig ansteigen und die hintere Wandverkleidung des Clubs vibriert bedenklich, als Marco die mächtigen Tieftöne zu der Doublebass rausholt. So schlecht es menschlich für eine Band ist, wenn ein beinahe familiäres Line-up Risse bekommt: Der Neustart ist ein gewaltiger Arschtritt und die Mailänder nebst US-Drummer haben bewiesen, dass sie sich auf ihren Lorbeeren nicht ausruhen, sondern bereit sind, für ihren Status hart zu arbeiten und auch auf der kleinen Bühne ein gutes Bild abzugeben. Es ist eine Wohltat, sie auf dem begrenzten Raum und mit reduzierter Show zu sehen, weil einstudierte Choreografien hier nicht funktionieren und die Band hautnahen Kontakt zum Publikum hat. Sie haben hier zu 100% abgeliefert und fehlende Hallengröße durch Schweiß und eine professionelle Einstellung mehr als wettgemacht. Die Kritik an stilistischer Bequemlichkeit während ihrer Wohlstandsphase mag hier und da gerechtfertigt sein (nicht umsonst haben sie "Shallow Life" in der Setlist fast völlig gemieden), aber an solchen Gigs wie heute Abend prallt sie ab, ohne auch nur einen Kratzer zu hinterlassen. Live sind sie unbestritten eine Macht und das neue Album weist einen guten Kurs. |
Alle Artikel