Interview mit Matthias von Thränenkind

Ein Interview von Zephir vom 12.06.2016 (18383 mal gelesen)
THRÄNENKIND, die seit einigen Jahren mit ihrer Musikbezeichnung vegan straight edge Post Metal die Szene polarisieren, haben nun ihr zweites Album auf den Markt gefluppt. Auf einer gemeinsam mit den Kollegen ANCST bestrittenen Tour im Mai präsentierten sie "King Apathy" unter anderem im Stuttgarter Jugendhaus West (zum Live-Bericht geht's hier). Als sich nach dem Gig so langsam alles lichtete und löste, hatte ich erfreulicherweise noch Gelegenheit, mit Mastermind Matthias ein wenig zu plaudern.

Ich finde, ihr klangt bei eurem Auftritt im Vergleich zum Album Post-Black-metallischer. Ist das Zufall, oder war das gewollt?

Matthias: Im Vergleich zum aktuellen oder zum ersten Album?

Zum aktuellen.

Matthias: (überrascht) Okay …?

Den Eindruck hatte ich jedenfalls.

Matthias: Das war nicht geplant. Wenn es so rüberkam, kam das so rüber - aber eigentlich war das nicht unsere Intention.

Ihr hattet euch eigentlich eher entfernt von dem atmosphärischen Post-Black à la HERETOIR, oder? Ich kenne euch übrigens über HERETOIR, deswegen habe ich am Anfang den Vergleich gezogen - als ich "The Elk" gehört habe. So ist das wohl immer, wenn man eine Band über die andere kennenlernt.

Matthias: Klar, es ist natürlich eine Entwicklung vom "Elk" zum neuen Album. Aber dass es live metallischer oder Post-Black-metalliger wirkt als auf Platte, das war so nicht geplant. Das liegt vielleicht einfach an der Live-Umsetzung - vielleicht wirkt das ein bisschen roher.

Es kam jedenfalls gut, atmosphärisch. Ich weiß nicht, ob es an den Gitarren gelegen hat … vielleicht habe ich auch das neue Album anders wahrgenommen, als ich es durchgehört habe. Manchmal frisst man sich an bestimmten Details fest und überhört dann andere …

Matthias: Vielleicht. Was die sphärischen Zwischenparts betrifft, versuchen wir live schon, dass man sich hineinfühlen kann. Vielleicht hat es mit dem zu tun, was das Außenherum erzeugt. Das passiert so oft bei Post-Black-Metal-Sachen, dass einfach mehr Stimmung oder Atmosphäre da ist. Die Sounds sind natürlich auch ein bisschen anders, da kann es schon mal sein, dass zum Beispiel eine Gitarre ein bisschen flächiger kommt - aber das ist keine Intention von uns.

Habt ihr denn, wenn ihr auftretet, Erwartungen an euer Publikum? Ich frage deswegen, weil ANCST vorab eine kleine politische Ansage gemacht hat. (siehe Live-Bericht) Weißt du übrigens, auf welche Patches er sich bezogen hat? Ich hab mal Ausschau gehalten …

Matthias: Ja.

Von welchen Bands?

Matthias: BURZUM und TAAKE.

Ah.

Matthias: Ich mein, TAAKE sind mit nem Hakenkreuz rumgelaufen …

… was ja keine Grauzone mehr ist …

Matthias: … über BURZUM brauchen wir nicht zu reden …

… nee nee. Okay, die hatte ich gar nicht gesehen. Wollt ihr solches Publikum nicht?

Matthias: Also, wir haben so im Speziellen keine Anforderungen an unser Publikum. Unsere einzige Anforderung ist: Wir haben keine Lust vor Nazis zu spielen, und wir haben eigentlich auch keine Lust vor Leuten zu spielen, die Nazi-Bands gut finden. Musik hören ist eine Sache, aber es gibt so viele gute Bands, da muss ich nicht die Leute hören, die menschenverachtende Messages verbreiten. Wir gucken halt, dass wir, wenn uns so was auffällt, nicht zu den Leuten hingehen und sagen 'verpiss dich'. Sondern soweit es uns möglich ist, gehen wir hin und fangen ein Gespräch an. Um herauszufinden, was das eigentlich für eine Person ist. Denn ganz oft sind es ja keine Neonazis, sondern das sind Leute, die einfach die Mucke geil finden. Und wenn man dann feststellt, dass die Person kein Nazi ist und die Problematik irgendwie versteht, dann sagt man: Hey, tu vielleicht die Kutte runter, oder dreh dein Shirt um und mach dir nen schönen Abend. Aber wenn man feststellt, dass die Leute da keinen Bock drauf haben, dass sie mit ihrem SATANIC WARMASTER-Shirts da sein wollen … das kommt eh kaum vor bei uns. Aber wenn dem so sein sollte …

Soll Musik denn politisch sein? Weil der Kollege von ANCST sagte, 'unpolitisch gibt's nicht'?

Matthias: Tja, das ist so eine Frage. Menschen haben Meinungen und dementsprechend ist im Endeffekt alles politisch. Ob jetzt Musik immer politisch sein muss, weiß ich nicht. Ich kann mich zum Beispiel auch mal an einer Post-Rock-Band erfreuen, die keine Lyrics hat und einfach nur Atmosphäre vermittelt. Find ich super, hör ich selber sehr gerne, MOGWAI oder ähnliche Sachen, EXPLOSIONS IN THE SKY. Aber ich find's spannend, wenn Musik mehr ist als einfach nur hörbar. Und mein Anspruch ist, jetzt nicht unbedingt den Leuten in die Fresse zu brüllen 'pass auf, die und die Sachen sind uns wichtig, mach das auch so' - sondern anzubieten, welche Dinge uns beschäftigen. Deswegen müssen wir das in unserer Musik verarbeiten. Das ist die Substanz, die dahinter steckt. Wenn das Leute zum Nachdenken anregt, ist das cool und dann haben wir erreicht, was wir wollten.

Seid ihr seit "The Elk" sozialkritischer geworden?

Matthias: Wir sind es nicht geworden, wir waren es so menschlich vorher genauso wie jetzt. Aber auf "Elk" war das Ganze noch anders verpackt, vielleicht mit etwas metaphorischeren Texten … und alles weniger angepisst, sage ich mal. Als Menschen haben wir uns in der Hinsicht nicht so entwickelt, dass wir jetzt sozialkritischer wären - das war eigentlich schon immer so. Nur in der Musik kommt es jetzt anders zum Tragen.

Ihr habt auch ein Video gemacht, zu 'Ghosts' …

Matthias: Mhm.

Ähm … magst du dazu etwas sagen? Ich hab's angeguckt … und, es hat mich ziemlich berührt.

Matthias: (lacht ein bisschen) Dann haben wir alles erreicht, was wir wollten!

Kannst du die Story kurz erklären? Oder macht das was kaputt?

Matthias: Nö, ich kann das schon erklären. Es kommt halt immer auf den Betrachter an, was er darin sieht und sehen will. Es geht um einen Walfänger, um einen Menschen, der früher auf Walfang war, und der sozusagen von seinen alten Geistern eingeholt wird. Er schnitzt aus Holz einen Wal, und mit jedem weiteren Schnitzer, durch den aus dem Holz der wirkliche Wal wird, tun sich Wunden an seinem Körper auf - eben alte Wunden von früher. Und letztendlich läuft es darauf hinaus, dass er den Wal fertig schnitzt und dann stirbt. Das soll symbolisch dafür stehen, dass sich der Mensch am Ende selbst umbringt, wenn er nicht achtsam mit anderen Lebewesen umgeht, wenn er die Welt, die natürliche Welt zerstört. Dass er damit auch sich selbst zerstört.

Dazu fällt mir ein: Stichwort 'Walden'. (Gemeint ist Henry David Thoreaus 'Walden; or, Life in the Woods' von 1854, das als Aussteiger-Klassiker der Literatur gilt und am Merch-Stand verkauft worden war. Ich habe mir das Exemplar geschnappt. - d. A.)

Matthias: Das ist mein Lieblingsbuch. Es hat mich extrem geprägt, ich finde es großartig und es bedeutet mir sehr viel. Ich würde jedem Menschen empfehlen, dieses Buch zu lesen, deswegen hab ich's auch dabei und deswegen verkaufen wir es auch. Da steht extrem viel Wichtiges drin, das Ganze sprachlich schön verpackt … und das auch noch in einer Zeit geschrieben, wo viele Leute ganz anders drauf waren. Ich sag nur Sklaverei und sonstiges. Tja, ich hab das Buch gelesen und es hat mich umgehauen. Das ist natürlich auch etwas, was in die Musik mit einfließt.

Wie alt warst du, als du es gelesen hast?

Matthias: Puuh … ich weiß nicht. Ich schätz mal, irgendwas Anfang Zwanzig.

Ihr habt, wenn man eure Webseite anguckt und auch wenn man eure CDs anguckt, ein Artwork, das eher urbanisierte Szenen zeigt, sehr ästhetisch. Ich finde sie schön. Aber steckt da nicht auch Kritik drin an der Urbanisierung?

Matthias: Auf jeden Fall, ja. Der ganze urbane Raum ist natürlich ein Thema, das uns sehr beschäftigt - aber auf jeden Fall in kritischer Betrachtung. Klar kann man das im Artwork immer ästhetisch ansprechend machen und vieles ist natürlich auch beeindruckend - Hochhaus-Fronten oder solche Sachen eben. Aber für mich gilt es zu hinterfragen, ob dieses Konzept der Stadt als Wohn- oder Lebensraum nicht selbstzerstörerisch ist. Man muss reflektieren, was eine Stadt ist - eine Stadt ist eine Ansammlung von Lebewesen, die auf zu wenig Raum wohnen. Und dieser Raum, den die Stadt bietet, dieses Gebiet, kann die Lebewesen, die dort leben, nicht ernähren. Deswegen muss Nahrung von außerhalb herangekarrt werden … und ich meine, alle Tiere leben in Lebensräumen, die in sich geschlossene Systeme sind. Die erhalten sich selbst. Das funktioniert in der Stadt nicht. Deswegen halte ich das Konzept von so viel Bevölkerung auf so kleinem Raum gebündelt für schwierig. Das spielt in unser ganzes urbanes Bild mit rein.

Dazu nenne ich dir jetzt einmal vier Stichworte, die ihr auf eurer Webseite verwendet. Das erste, was mir dazu einfällt: Freedom, Freiheit. Was bedeutet das für dich?

Matthias: Es ist schwierig, das so runterzubrechen. Auf jeden Fall etwas, wovon ich behaupten möchte, dass wir es in unserer Gesellschaft eigentlich nicht kennen. Weil wir in jeder Lebenssituation vom anderen eingeschlossen und dominiert werden und eigentlich selten Momente da sind, in denen wir wirklich frei sind. Sei es jetzt durch Arbeit, durch Mechanismen in der Gesellschaft, die es uns nicht ermöglichen, frei zu sein. Also frei sein heißt, in jeder Situation tun und lassen zu können, was man selbst wirklich möchte, ohne dabei andere Tiere, Menschen, die Natur zu schädigen oder in ihrer Freiheit einzuschränken. Ich für meinen Teil kenne nur selten solche Momente. Da setzt auch so ein Kritikpunkt an: Wie kann das sein, dass viele sich selbst als freie Menschen wahrnehmen, aber im Endeffekt nicht frei sind?

Modern human society - ist es das?

Matthias: Ja.

Wahrscheinlich ist das Stichwort damit schon auf den Punkt gebracht?

Matthias: Genau. Ich betrachte es kritisch, wie sich die Menschheit entwickelt hat. In welchem Ausmaß man in den Planeten und seine Zusammenhänge eingreift, die vielleicht für Menschen irgendwo sinnvoll sind, oder, sage ich mal, das Leben erleichtern - aber für andere Tiere, Pflanzen, Ökosysteme am Ende zerstörerisch sind. Das ist selbstzerstörerisch, weil der Mensch ohne einen funktionierenden Planeten auch selbst zum Untergang verurteilt ist. Da geht's eben hin mit der modern human society, und der Mensch macht immer weiter. Die Ressourcen werden ausgebeutet, dabei geht man immer davon aus, dass das alles bis ins Unendliche wachsen kann, dass die Ressourcen unendlich vorhanden sind. Das ist aber halt nicht der Fall, weil die Erde ein endlicher Planet ist. Es gibt bei uns so viele Formen verschiedenster Ressourcen, die die moderne Zivilisation zum Überleben braucht, zum Beispiel Öl, und wenn es weg ist, dann ist es halt weg … und was passiert dann? Wo geht diese moderne Menschheit hin, wo soll das hinführen, wenn man nicht irgendwann mal versteht, dass es nicht ewig so weitergehen kann?

Eine Zwischenfrage: Könntest du dir vorstellen, dass die Menschheit irgendwann so weit ist, dass es tatsächlich alle kapieren und sich wirklich etwas verbessert?

Matthias: Glaub ich nicht. Also, ich glaube, dass es vereinzelte Menschen schon verstehen, und ich glaube, dass es sicher auch einmal mehr Menschen verstehen werden, als es jetzt der Fall ist. Aber ein Problem wahrnehmen, verstehen und dann so handeln, dass das Problem bekämpft wird oder wirklich verschwindet, ist halt noch mal ein ganz anderer Move. Und ich glaube auch, dass einfach viel zu viele mächtige Interessen reinspielen, die eine wirkliche Verbesserung verhindern. Wenn ich beispielsweise Geld machen kann mit keine Ahnung was … Öl … da gibt es eben andere Mechanismen, nach denen die Welt läuft.

Stichwort Melancholie. Was ist das? Ein Zustand? Eine Ästhetik? Resignation?

Matthias: Also für mich ist es ein Gefühlszustand, und zwar eine Form von Traurigkeit. Aber nicht die extreme Traurigkeit, die das Wort 'Trauer' umschreibt, sondern irgendwas zwischen eigentlich ganz gut gelaunt sein und traurig sein … es ist dieser Moment dazwischen, den ich spannend finde. Vielleicht dieser Moment, in dem man das Traurigsein genießen kann. Trauer ist ein Gefühl, das für mich nicht immer negativ sein muss - für mich ist negativ, gar nichts zu fühlen. Deswegen versuche ich, auch traurigen Momenten etwas abzugewinnen. Die Melancholie ist für mich ein Moment, in dem eben das gelingt - dass man der Traurigkeit einen gewissen positiven Aspekt abgewinnt.

Was ist Diversity – Vielfalt, Diversität? Im gesellschaftlichen Zusammenhang?

Matthias: Es steht zum Beispiel in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Das ist schwierig, weil es so ein offenes, riesiges Wort ist. Biodiversität, gesellschaftliche Diversität … meiner Meinung nach ist es wichtig, Unterschiede zu akzeptieren und zuzulassen. Ich muss nicht alles gut finden, was es so gibt an unterschiedlichen Dingen, aber ich sollte mich darauf einlassen, mich damit beschäftigen. Ich sollte jedem das Recht zugestehen, so zu sein, wie er sein möchte, und da unvoreingenommen rangehen. Wenn alle gleich sind, ist es langweilig. Gerade wenn man sich in einer Subkultur bewegt wie zum Beispiel im Metal-Bereich, dann ist das für mich nur umso wichtiger. Weil ich mir denke: Eigentlich sind wir als Angehörige einer solchen Subkultur eh schon die Ausgestoßenen, die Misfits sozusagen. Wenn ich dann aber feststelle, dass sich in einer Subkultur so eine Strömung bildet wie 'wir wollen Andersartige nicht haben', dann finde ich das bitter - denn das ist genau das Gegenteil von dem, was hier sinnvoll oder wünschenswert wäre. Dass man versteht: hey, ich bin anders, andere Leute sind anders als ich, und ich möchte auch nicht, dass sie mich deswegen herabwürdigen. Das sollte ich auch in meinem Handeln umsetzen. Das steckt da mit drin.

Das Gegenteil von anders sein ist ähnlich sein. Jetzt mache ich mal einen kleinen Break: Gibt es Bands, die du gerne unter 'Similar Artists' gelistet hättest, wenn man im Netz THRÄNENKIND aufruft? Oder nicht?

Matthias: Das ist ein bisschen schwierig, weil wir alle in der Band - und ich auch - einen ziemlich breit gefächerten Musikgeschmack haben. Für mich ist es schwierig, Bands zu finden, die wirklich genauso sind wie wir... (denkt nach) ... schwierig. Also, es gibt sicher Bands, die ich gut finde und die vielleicht auch was mit uns zu tun haben, oder Bands, von denen ich Inspiration bekomme oder die mich beeinflussen. Da würde ich jetzt mal FALL OF EFRAFA nennen, die für mich eine ziemlich perfekte Mischung aus harter Musik und melancholischer, ergreifender, atmosphärischer Musik machen, gleichzeitig eine krasse Message verbreiten, die ich für wichtig erachte: Veganismus, Ankämpfen gegen faschistische Regimes oder ähnliches. Und das gleichzeitig auch noch künstlerisch verpackt. So mit Watership Down und diesem Kaninchenstaat (gemeint ist der 1972 erschienene Roman von Richard Adams bzw. dessen Verfilmung - d. A.). Das ist eine Band, die haben für mich alles richtig gemacht. Als wir gestern abgebaut haben, lief FALL OF EFRAFA (am Tag zuvor waren THRÄNENKIND in München im Kafe Marat - d. A.). Und dann dachte ich mir: Wenn das als passend für ein Ende von unserem Konzert ausgewählt wird … das finde ich gut!

Watership Down hast du wahrscheinlich auch als Kind geguckt? Oder hast du es gelesen?

Matthias: Ich hab das Buch gelesen. Ich durfte den Film als Kind nicht gucken, weil er zu brutal ist.

Ich hab's als Kind geguckt, und es hat mich so mitgenommen, dass ich mich als Erwachsene nicht getraut hab, es noch mal zu gucken. (lacht)

Matthias: (lacht) Ja, kann man dir nicht verdenken!

Magst Du noch ein paar Schlussworte sagen?

Matthias: Ich weiß keine großen Schlussworte, aber ich bedanke mich für das Gespräch! Hat Spaß gemacht.

Ich bedanke mich auch!

Matthias: Wenn wir mal wieder in Stuttgart sind, sieht man sich vielleicht.

Auf jeden Fall!

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