Ein Festival in der Lichtenfelser Stadthalle bedeutet für mich auch immer eine Reise zu meinen Metal-Wurzeln. Als gebürtiger Oberfranke habe ich hier vor knapp zehn Jahren meine ersten großen Konzerte erlebt und kann mich noch gut an Highlights wie die '98er Nightfall in Middle-Earth Tour von Guardian erinnern. Somit lag es nahe, einen kurzen Heimaturlaub mit dem Besuch Deutschlands größter Pagan-Metal Show zu verbinden. Dass ein kleiner Teil der Festival-Atmosphäre verloren geht, wenn man früh morgens in sein eigenes weiches Federbett fällt, habe ich gerne in Kauf genommen, um endlich einmal Größen des heidnischen Metal wie MOONSORROW, TURISAS oder MENHIR live erleben zu können. Und weil es sich im späten Winter (jaja, die Temperaturen haben nachts ziemlich gut zu all der nordischen Folklore gepasst) ohnehin schlecht zeltet und die angereisten Fans in Pensionen und zwei Schlafhallen unterkommen mussten, war ich am Ende sogar froh über die Möglichkeit, daheim übernachten zu können.
Doch genug der Vorrede. Die Ehre, das Festival am Freitag eröffnen zu dürfen, hatten die lokalen Opener VARG, die sich als Viking Metal Cover-Band herausstellten. Zwar war der Sänger etwas schwach auf der Brust, aber mit Gassenhauern wie 'Little Dreamer', 'Trollhammaren' oder 'Death in Fire' kann man nicht viel falsch machen. Schade nur für meine alten Bekannten von den starken Coburger Melodic Deathern IVENBERG, die sich auch für die Rolle des Opening-Acts beworben hatten und nun die Show aus dem Publikum anschauen mussten.
Nachdem SYCRONOMICA als einzige Band des Wochenendes krankheitsbedingt absagen mussten, nahmen sich GERNOTSHAGEN in aller Seelenruhe erst einmal 1 ½ Stunden Umbaupause, was zu der sich immer weiter fortsetzenden Verzögerung am Freitag führte. Für eine Vorband ist das schon ein starkes Stück, zumal die darauf folgende Show statisch war und trotz einer coolen Mischung aus melodischem Black und Schlachtgesängen nicht überzeugen konnte.
Es ging schon gegen 1 Uhr früh, als mit MOONSORROW endlich der Headliner des Freitags auf die Bühne durfte. Die finnischen Pagan Metal-Urgesteine haben unzählige Bands des Genres beeinflusst und so wunderte mich vor allem, wie jung die Kerle aus dem Land der tausend Seen eigentlich noch sind. Der späten Stunde war es geschuldet, dass nicht mehr ganz so viele Fans wie bei EQULIBRIUM jenseits des Foto-Grabens standen, aber den verbliebenen Hartgesottenen wurde die Müdigkeit ordentlich aus den Gliedmaßen gejagt. Ich hätte zwar noch ein bisschen mehr erwartet, aber MOONSORROW brachten ihren Gig mit aller Routine sauber zu Ende.
Der zweite Tag begann erst einmal mit ein paar Enttäuschungen. Zum einen ließen mich die freundlichen Herren von der Security nicht mehr in den Fotograben, so dass ich euch leider keine weitere Nahaufnahmen mehr bieten kann. Zum anderen verspätete sich die Technik dermaßen, dass ORLOG mit einer riesigen Verspätung anfangen mussten. Nachdem der Auftritt von TURISAS ohnehin erst für 1:20 Uhr angesetzt war, konnte man zu diesem Zeitpunkt schon absehen, dass am Ende irgend etwas schief laufen würde. TURISAS zogen gleich die Notbremse und setzten durch, dass ihr Gig auf 22:00 Uhr vorverlegt wurde. Dafür sollten BLACK MESSIAH den Spot der letzten Band übernehmen. Doch daraus wurde nichts mehr, und wer den langen Weg ins Oberfänkische wegen des schwarzen Erlösers gemacht hatte, musste in die Röhre schauen.
ORLOG kam die Verzögerung wahrscheinlich gerade recht, denn so standen ein paar Nasen mehr vor der Bühne, als sie endlich loslegen konnten. Die Schwarzmetaller machten immerhin das Beste aus der undankbaren Aufgabe, die Bierleichen von gestern auf den zweiten Festival-Tag einzustimmen. Aber klar: wer will sich nicht auf dem Ragnarök von seiner besten Seite zeigen?
THRUDVANGAR konnten mich danach nicht sonderlich begeistern, was wahrscheinlich auch daran lag, dass der Abend zuvor doch seine Spuren hinterlassen hatte. Wir hatten eigentlich geplant, zwei Bleeding4Metal Redakteure nach Lichtenfels zu schicken. Doch mein Kollege musste leider absagen, so dass ich die Halle praktisch kaum verlassen konnte, wenn ich einen vollständigen Festivalbericht abliefern wollte. Bei THRUDVANGAR war nun der Zeitpunkt gekommen, an dem mir das herzlich egal war. Die ersten Songs kamen eigentlich gar nicht mal so schlecht 'rüber, aber nicht zuletzt hatten wir nun Bundesliga-Zeit und Bremen - Bayern lockte einfach zu sehr.
Auch CREATURE und FALLEN YGGDRASIL fielen meiner kreativen Schaffenspause zum Opfer, was mir echt leid tut. Aber da Letztere ohnehin aus meiner derzeitigen Heimat Tübingen stammen, war der Samstagnachmittag für mich einfach der perfekte Zeitpunkt, einmal durchzuschnaufen.
Rechtzeitig zu XIV DARK CENTURIES bewegte ich mich dann wieder vor die Bühne – und ich war nicht alleine. Die Thüringer haben sich in der Szene schon lange einen Namen gemacht und wurden dementsprechend abgefeiert. Hier gab es Germanen zu sehen, wie sie im Buche stehen. Mir persönlich gefiel der Auftritt zwar nicht in allen Facetten, aber immerhin hatten die Teutonen einen der stärksten Gitarristen des Abends an Bord.
Als NOMANS LAND die Bühne enterten, wusste ich plötzlich, was mir schon das ganze Festival gefehlt hatte: eine Band, die ihre Melodien mit simplen, aber eingängigen Lead-Gitarren-Läufen erzeugt und trotzdem nicht auf atmosphärische Keyboardklänge verzichtet. Die Jungs aus St. Petersburg gefielen mir so gut, dass ich mir gleich an einem der zahlreichen Merch-Ständen ihre letzte CD „Hammerfrost“ zulegte. Kultig waren die Russen zudem auch noch. Als ich einen von ihnen einmal im Publikum ansprach, konnte er mir weder auf Englisch noch auf Deutsch Auskunft geben. Es ist mir ein Rätsel, wie das Publikum auf jede der absolut unverständlichen Ansagen (welche Sprache war das wohl... vielleicht doch Englisch?) zielsicher antworten konnte.
SKYFORGER waren danach die ersten richtigen Abräumer des Samstags. Schon die große Anzahl an Band-T-Shirts in der Menge hatte darauf schließen lassen, dass viele Fans vor allem wegen der lettischen Pagan Metal Institution gekommen waren. Was soll ich groß sagen? Es hat Spaß gemacht! Mit ihrem reichhaltigen Folk-Instrumentarium (Dudelsack, Flöten und dieses Ding, das die Keyboarderin von ENSIFERUM immer auf den Promo-Fotos in den Händen hält) heizten sie der Menge voll ein, die sich zahlreich vor der Bühne versammelt hatte. Thumbs up!
Mit MENHIR stand nach den Slaven eine der legendärsten deutschen Pagan Metal Bands auf dem Programm. Die Thüringer ließen sich nicht lange bitten und boten ihren Fans eine Show der Extraklasse. Mir persönlich waren zwar ein paar Midtempo-Nummern zu viel im Set, aber die meiste Zeit stand ich eh' mit offenem Mund vor der Bühne und bestaunte das Gesamtkunstwerk aus Dekoration, Stage-Acting und feinem Metal.
Als gegen 22 Uhr erneut die Lichter ausgingen, konnte man zum ersten Mal seit EQUILIBRIUM wieder eine fast greifbare Spannung in der Zuschauerschaft spüren. TURISAS waren für viele nicht nur der Höhepunkt des Abends, sondern des gesamten Festivals. Dennoch hinterließen sie bei mir zwiespältige Gefühle. Die Show suchte wirklich ihresgleichen. Blutüberströmt und in Felle gehüllt hetzten, krochen, hüpften und moshten die Finnen über die Bühne und motivierten das Publikum immer wieder zu ähnlichen Höchstleistungen. Aber die Songauswahl... die war nicht so mein Ding. Warum zur Hölle muss man Coverversionen von „Those were the days“ (hatte ich zum letzten Mal von den Drei Tenören gehört – ihr wisst schon: „Once upon a time there was a tavern...“), „Rasputin“ (Boney M !) und dem Prelude aus Charpentiers Te Deum (besser bekannt als die Eurovisionshymne vor „Wetten Dass?“) spielen, wenn man doch genug Battle Metal in der Hinterhand hat? Den meisten Leuten war das allerdings egal. Sie feierten ihre Helden über die gesamte Zeit des Auftritts ab, während ich irgendwann entnervt die Halle verließ.
Mit RIGER und HELHEIM ging das diesjährige Ragnarök-Festival schließlich aber würdig zu Ende. Während die beiden Legenden von hunderten Fans bejubelt wurden, musste ich den Anstrengungen des Wochenendes Tribut zollen und zog mich auf die Tribüne zurück, mit der die Lichtenfelser Stadthalle angenehmerweise ausgestattet ist.
Bei einer Veranstaltung wie dem Ragnarök gilt es, nicht nur auf die Bühne zu schauen, sondern auch daneben. In Berichten vom vergangenen Jahr hatte ich über die hohe Neonazi-Präsenz gelesen und ging dementsprechend kritisch an das Festival heran. Am Ende war ich einigermaßen erleichtert. Sowohl ein Rolli-Fahrer als auch ein Fan afrikanischer Herkunft konnten – soweit ich das beurteilen kann – das Festival genießen. Lediglich bei RIGER rotteten sich zahlreiche Arschlöcher in der ersten Reihe zusammen, um die Band mit dem Hitler-Gruß zu empfangen. Allerdings habe ich wohl viel Negatives nicht mitbekommen, weil ich mich weder lange auf dem Platz vor der Halle noch im Schlafsaal aufgehalten habe. Im offiziellen Ragnarök-Forum musste ich viele Klagen über braunes Pack lesen. Nächstes Jahr sollten sich die Veranstalter deutlicher von der rechten Szene distanzieren.
Wie auch immer: die Fahrt in die Heimat hat sich gelohnt! Nächstes Jahr bin ich wieder dabei!