Geile Sache, wenn jemand seine eigene Meinung hat und diese auch vehement vertritt. Das ursprünglich als Promotion für das aktuelle Konzeptalbum "Circles" gedachte Interview mit dem im Normalfall überaus sympathischen PAST M.D.-Frontmann Jörg "Josh" Reuter entwickelte eine Eigendynamik und wurde ein verbaler Rundumschlag. Er machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und Veranstalter, Plattenfirmen sowie vor allem Musikredakteure bekamen ihr Fett weg...
Joshi, als wir uns das letzte Mal im April bei Eurem Gig in Antwerpen gesehen haben, habt Ihr alle einen ziemlich unzufriedenen und frustrierten Eindruck gemacht. Die Veröffentlichung von "Circles" stand in den Sternen und auch ansonsten ging es nicht voran. Nun sind wir ein gutes halbes Jahr weiter und Du strahlst Zufriedenheit, ja sogar Euphorie aus. Was ist passiert?
Josh: Na, wie Du schon selbst sagst, "Circles" ist endlich draußen. Antwerpen war zudem in jeder Hinsicht ein mieser Tag. Wir hatten schon am
frühen Nachmittag ordentlich Stress innerhalb der Band und das De Rots war auch nicht unbedingt der Bringer. Es gab überhaupt keinen Ablaufplan für den Abend und es schien auch niemand Wert darauf zu legen. Keiner wusste, wann der Soundmann eintrifft und wann es losgehen sollte. Auch unsere Buddys von CRIMES OF PASSION, für die wir ja eröffneten, waren sichtlich genervt. Die Anfangs- und Endzeiten wechselten halbstündlich. Selbst unser Soundcheck wurde kurzerhand nach fünf Minuten
unterbrochen und wir mussten urplötzlich nahtlos zum Konzert übergehen. Der ganze Tag war eine einzige Katastrophe.
Okay, dass die Rahmenbedingungen unter aller Kanone waren, ist sicherlich auch ein Grund gewesen. Allerdings wollte ich zugegebenermaßen auf einen anderen Punkt hinaus... Wie kam es zu dem überraschenden Wechsel im Line Up? Ich meine, Frank "Butch" Schneiders ist bekanntlich ein großartiger Bassist und hat die "Circles" ja auch noch mit eingespielt. Ihr dankt ihm im Booklet sogar noch ganz explizit...
Josh: Um das Ganze zu erklären, müsste ich zu viel Internes ans Licht bringen und ich möchte hier keine schmutzige Wäsche waschen. Bleiben wir also dabei, dass Butch einfach zu seinen Wurzeln, dem Death Metal, zurückgekehrt ist und bei seiner alten - und auch wieder neuen - Band SUFFOCATED ART glücklich ist. Wir hatten eine tolle und witzige Zeit zusammen, die ich auch nicht missen möchte. Wir spielen ja ohnehin noch bei THE 5 HORSEMEN, einer METALLICA-Coverband, zusammen.
Butch ist ein absolut wahnsinniger Basser. Es stimmte allerdings schon seit einiger Zeit an anderen Stellen mit ihm nicht mehr. Das war uns allen, auch Butch, längst klar. So überraschend war der Schritt für uns als Betroffene dann also letztlich nicht.
Der neue - kann man das überhaupt so sagen - "Basser" Stefan Huth spielt einen Chapman- oder in Eurem Fall exakter N/S Bass-Stick. Was zum Teufel ist das?!
Josh: Stefan ist ein Multi-Instrumentalist. Seit seinem fünften Lebensjahr spielt er Klavier. Irgendwann kamen weitere Instrumente dazu, unter anderem eben auch der Bass. Stefans N/S-Stick besteht aus acht Saiten. Vier normale Bass- und vier normale Gitarrensaiten. Durch eine besondere Art von Anschlägen, Tappings und Zupfen ist er so in der Lage, Gitarren- und Bassparts gleichzeitig zu spielen. Der Chapman-Stick hat zehn Saiten. Der Unterschied zum N/S liegt darin,
während beim N/S-Stick die Saiten wie bei der Gitarre, also von dicker nach dünner werdend, angeordnet sind, ist bei Chapman die dickste Saite in der Mitte. Von dort ausgehend werden die Saiten zu beiden Seiten zum Rand hin dünner. Bei uns kommen beide Sticks zum Einsatz.
Uns war das Teil anfangs auch ziemlich suspekt. Deshalb ignorierten wir Stefans Bewerbungen auch lange. Wir testeten einige Basser, aber ich hatte schon ein ziemlich genaues Bild davon, wie der neue Mitstreiter aussehen sollte und wollte absolut keine Kompromisse mehr eingehen. Ich war auf der Suche nach einem Mann, der sein Instrument perfekt beherrschte und dann auch noch 'ne absolut coole Rock'n'Roll-Sau sein sollte. Was anderes kam für mich nicht in Frage - es sei denn, es wäre etwas ganz Außergewöhnliches... ...wie zum Beispiel ein Chapman-Stick... ...von dessen Existenz ich bis dahin aber noch nicht mal wusste... Hahaha...
Nach den ersten negativen Castings schlug ich Poschi (Detlef D.P. Poschmann, Leadgitarrist) vor, Stefan doch mal einzuladen. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn überzeugt hatte und wieder gingen etliche Wochen ins Land. Stefan blieb allerdings hartnäckig, fragte immer wieder nach und irgendwann war's dann schließlich soweit. Poschi ging mit einer ziemlich negativen Einstellung in das Treffen, aber nach zwei Minuten waren seine sämtlichen Bedenken über Bord geworfen und es stand fest, dass wir unseren neuen Mann gefunden hatten. Stefan hatte sich die "Circles" schon bis zur Hälfte drauf geschafft, ohne uns jemals um Hilfe zu bitten. Keine Tabs, keine Noten, nicht mal Akkorde wollte er haben - unglaublich, genau so sollte es sein!
Dann kommen wir auch direkt zum neuen Album. "Circles" hat im Großen und Ganzen wirklich sehr, sehr gute Kritiken erhalten. Allerdings habe nicht nur ich in meinem Review angemerkt, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen absolut genialen, fast progressiven Stücken wie 'Nevermore', '40 Days' oder 'The Journey' und andererseits einer Handvoll Songs gibt, die sich zwar auf gutem, aber nicht überragendem Melodic Metal-Niveau befinden. Sind Euch die innovativen Ideen ausgegangen?
Josh: Überhaupt nicht... ...und ganz ehrlich... ...ich steh' zu 1.000% hinter dem kompletten Album... ...und glaub' mir, ich bin selbst unser größter Kritiker! Du darfst auch nicht vergessen, dass es sich nach wie vor um eine Low Budget-Produktion handelt. Es gibt keine große Firma im Hintergrund, keine fetten Studios und auch keinen der amtlichen Produzenten. Alles ist ganz alleine auf Poschis und meinem Mist gewachsen. Es war zu diesem Zeitpunkt das Beste, was wir aus uns rausholen konnten und ich liebe jeden einzelnen Song. Wer kann das schon ernsthaft von sich behaupten? Es macht wahnsinnig Spaß, das Ding in voller Länge live zu spielen!
Natürlich lese ich mir die Kritiken durch und früher hat mich sowas auch echt umgehauen, weil ich im Unterbewusstsein wusste, dass sie Recht haben. Bei "Part Time Rebellion", dem ersten Album wär's mir wahrscheinlich auch so ergangen. Seltsamerweise erhielt die Scheibe aber durchweg positive Kritiken, obwohl ich selbst finde, dass zwischen "Part Time Rebellion" und "Circles" Welten liegen. Umso mehr freut mich, wenn Leute wie Du sich tatsächlich die Mühe machen und auch mal genauer hinhören. Es muss nicht JEDER "Circles" lieben, aber ich verwette meinen Arsch darauf, dass viele der selbsternannten Kritikergötter dem Album nur 25% der Aufmerksamkeit zu Teil kommen haben lassen, die die Scheibe eigentlich verdient hätte. Jedem, der sich auch nur einigermaßen mit Musik auskennt, sollte eigentlich klar sein, dass man in ein Konzeptalbum mehr als nur einmal - und dann womöglich auch noch mit halbem Arsch - rein hören muss. Erst wer sich wirklich länger damit beschäftigt, wird auch die Struktur darin erkennen. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht hätte besser ausfallen können, allerdings eben nicht mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln.
Ich bin wirklich offen für kritische Worte und hinterfrage diese auch, aber bei zwei, drei Kritiken, die ich gelesen habe, kommt mir echt das Kotzen. Da sind Hobbydilettanten am Werk, die in ihrer Freizeit mal eben ein paar schnelle Worte, ohne jegliches journalistisches Verständnis und musikalisches Fachwissen, verfassen und nichts als ihren eigenen Musikgeschmack akzeptieren. Selbst haben sie es nie zustande gebracht, irgendeinem Instrument auch nur zwei passende Töne zu entlocken und machen jetzt den dicken Max, weil sie für ein Magazin schreiben dürfen. Es kann doch wirklich nicht angehen, dass man sich als jemand, der ein Album bewerten soll, zunächst mal das beiliegende Infoblatt ansieht und sich dann seine feste Vorstellung macht, was da jetzt auf ihn zukommt. Dass die nicht
erfüllt wird, ist doch von vorneherein klar. Wenn man dann offensichtliche Fehlinformationen, die mit einem einfachen Blick ins Booklet hätten geklärt werden können, zu Papier bringt, hat sich da ganz klar jemand keine große Mühe gemacht. Vielleicht sollte man mal Reviews für selbsternannte Kritiker einführen - das wär'n Spaß... Hahaha...
Die Vorstellung ist tatsächlich ziemlich cool... Hahaha... Aber bleiben wir beim Thema. Wohin wird die musikalische Reise bei Euch den nun in Zukunft gehen? Eher konventioneller Metal, wie auf "Part Time Rebellion" oder soll der progressivere, dunklere Weg, den Ihr auf "Circles" zum Teil eingeschlagen habt, die musikalische Heimat werden?
Josh: Ehrlich gesagt, sind wir uns darüber selbst noch nicht einig. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir uns vor allem keinen Weg aufzwängen lassen sollten. Ich brenne darauf, endlich wieder neue Songs zu schreiben und lass' mich da gerne treiben. Mal sehen, wohin uns das führt. Ich hasse auch diese ganze Katalogisierung. Ich könnte Dir auch nicht sagen, was wir da jetzt überhaupt machen. Für die einen ist das Power Metal, für den nächsten wieder Deutsch-Melodic und, und, und. Für mich gibt's nur Rock, der mir gefällt und Rock, der mir nicht gefällt - alles andere ist mir scheißegal... ...Hauptsache, wir fangen langsam mal an... Hahaha... Was sich bei den neuen Songs allerdings ändern wird, ist, dass wir André und Stefan mit einbeziehen werden. Wir haben mit den beiden ein solch geiles Potenzial, dass wir dumm wären, wenn wir es vergeuden würden.
Bleiben wir in die Gegenwart. Außer den, mit wenigen Ausnahmen, erfreulichen Bewertungen in den Medien - gab es zum neuen Album bereits ein sonstiges Feedback in irgendeiner Form?
Josh: Vor allem bei unseren letzten Livegigs, bei denen auch Stefan schon dabei war, haben wir eine unglaublich positive Resonanz gehabt. Einen Tag nach Antwerpen haben wir ja in meiner Heimat Soest gespielt. Da haben wir zum ersten Mal "Circles" in voller kompletter Länge gebracht. Allerdings lief es da noch nicht so rund und das Publikum war nach zwei Vorbands ohnehin schon überfordert. Wir haben dann, gerade mit Stefan, einiges geändert und sowohl die Engländer, als auch die Besucher beim Releasegig in Wuppertal sind völlig drauf abgefahren.
So langsam kommen auch die ersten Interviews rein. Einige Radioeinsätze hatten wir auch schon und wir werden uns in den nächsten Tagen zusammensetzen, um zu sehen, wie wir den Schwung am besten mitnehmen.
Nochmal zurück zu den Reviews. Auch der Vorgänger "Part Time Rebellion" hat passable Resonanzen erhalten, ist verkaufstechnisch aber nicht wirklich aus dem Quark gekommen. Ich gehe ja mal davon aus, Du hast die Hoffnung und Erwartung, dass es mit der neuen Scheibe besser läuft. Immerhin seid Ihr Profimusiker und müsst auch Eure Rechnungen ja auch irgendwie bezahlen. Wie sieht es perspektivisch derzeit bei PAST M.D. aus?
Josh: Machen wir uns nichts vor, der Markt ist einfach satt. Wann immer ich nach Köln komme, gehe ich auch bei Saturn vorbei. Wenn ich alleine in der Heavy-Abteilung 10% der Bands kenne, ist das schon viel. Dazu kommt, dass ohnehin viele Plattenfirmen am Stock gehen. Ich kenne Kids, die haben hunderte CDs zuhause, aber nicht eine davon ist original und gekauft. Wer verkauft denn heutzutage noch?
Wir sollten uns vor allem unseren Spaß an der Musik bewahren und nicht auf das große Geld schielen. Das ist viel wichtiger. Natürlich wäre es schön, auch irgendwann mal große, geile Gigs zu spielen und nicht nur vor zwanzig, dreißig Leuten. Wichtig ist aber, dass ich selbst meinen Spaß daran habe. Meine Rechnungen bezahle ich ohnehin nicht mit PAST M.D. - im Gegenteil, die Band bringt mir höchstens noch einige fette Rechnungen dazu! Hahaha...
Gut Ding will Weile haben und irgendwann werden wir PAST M.D. zumindest etabliert haben. So'ne Kiste wie mit MIDNIGHT DARKNESS passiert uns nicht nochmal...
Trotz des Major-Deals bei Bellaphon seid Ihr live noch nicht flächendeckend aktiv gewesen. Ist es mittlerweile so schwierig, brauchbare Supports Slots oder Festivalauftritte zu bekommen? Nie zuvor gab es dermaßen viele Events auf dem Metal-Sektor, da müsste sich doch auch für Euch etwas bewegen lassen, außer den kleinen Club-Gigs...
Josh: Zunächst mal ist Bellaphon kein Majorlabel. Die Jungs sind froh, dass sie sich selbst am Kacken halten können. Sie machen für uns lediglich den Vertrieb, nicht mehr. Selbst die Zusammenarbeit mit CMM haben wir aus eigener Tasche gezahlt. An Support Slots ist da überhaupt nicht zu denken. Da packen die größeren Firmen schon ihre eigenen Bands rein. Wir sind alle auf diesem Gebiet auch noch nicht so erfahren, als dass wir bisher große Sachen an Land ziehen konnten. Aber wir haben trotzdem schon eine Europatour und einige zusätzliche Englandgigs hinter uns. Das können einige bekanntere Bands nicht von sich behaupten. Ich werde Anfang des Jahres mit dem Booking ordentlich Gas geben und sehen, was ich rausholen kann. Aber auch hier gilt, es ist ein langer Weg. Wir sind bereit ihn zu gehen...
Wo wir gerade beim Thema Auftritte sind - ich stelle es mir relativ schwierig vor, ein Konzeptalbum wie "Circles" mit doch recht beschränkten Mitteln auf der Bühne umzusetzen. Einfach nur die Songs runter zu spielen, würde der Story allerdings auch nicht gerecht werden...
Josh: Was bleibt uns anderes übrig? Wir haben einige geile Ideen und uns ist durchaus bewusst, dass "Circles" absolut für eine große Produktion geeignet wäre. Leider verfügt keiner von uns über die finanziellen Mittel, etwas derart Grosses aufzuziehen. Aber bevor wir gar nicht spielen, machen wir's im einfachen Rahmen und wir konnten mit unserem Charme live bisher fast jeden überzeugen... Hahaha...
Was dürfen wir also erwarten, das komplette Werk im Zusammenhang oder bunt gemischt mit älterem Material?
Josh: Es gibt auf "Circles" lediglich drei Songs, die textlich außerhalb des Konzeptes einen Sinn ergeben. Das sind 'Devil In Me', 'Far Away' und 'Nevermore'. Deshalb werden bei Support- oder Festivalgigs höchstens diese drei zum Einsatz kommen. Bei Headlinershows bringen wir "Circles" in kompletter Länge. Da das Album mit rund 57 Minuten eh nicht sooo lang ist, bleibt uns also auch noch ausreichend Zeit für "Part Time Rebellion"-Songs.
Zum Abschluss noch eine indiskrete Frage an Dich persönlich. Du dringst an einigen Stellen auf "Circles" ja in gesangliche Höhen vor, die man bei Dir gar nicht vermutet hätte. Hartes Training oder operativer Eingriff? Hahaha...
Josh: Ich hätte jetzt eher erwartet, dass man von mir auf "Circles" unerwartet tiefe Töne hört, da ich von Haus aus eine eher hohe Stimme habe. Hör' Dir mal die alte MIDNIGHT DARKNESS an. Das ist so hoch, das geht mir ja sogar selbst auf den Sack! Hahaha... Aber trotzdem... ...hartes Training. Ich mache immer noch tagtäglich meine Übungen. Zudem bin ich mittlerweile selbst als Gesangslehrer oder neudeutsch Vocalcoach (www.vocalchief.de) tätig. Singen erfordert eine dermaßen beschissene
Disziplin, dass ich geradezu als Spaßbremse bekannt bin. Hahaha...
Kann ich jetzt nicht gerade behaupten. Mir haben Deine überaus offenen Worte sogar extrem viel Spaß gemacht! Ich drücke Euch die Daumen, dass "Circles" die verdiente Anerkennung bekommt und wir uns bald auf Tour oder einem Festival wieder sehen!
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