Interview mit Luca Turilli von Rhapsody

Ein Interview von Lestat vom 30.07.2012 (12118 mal gelesen)
Luca Turilli hat sich Ende Juni am Telefon einigen Fragen zum Split, dem neuen Album "Ascending To Infinity" von LUCA TURILLI'S RHAPSODY sowie seiner Tätigkeit als Gitarrenlehrer gestellt und dabei bereitwillig ebenso über Tourpläne und seine Einstellung zu Spiritualität und Kunst geredet.

Hallo Luca, wo befindest du dich gerade?

Luca Turilli: Gerade eben bin ich in Paris, aber ich war die Tage auf dem Hatefest in Frankreich, das dort sehr bekannt ist, und habe da drei Tage Promotion betrieben. Ich konnte mir leider keine Shows anschauen, abgesehen von WITHIN TEMPTATION, welche mir gefallen haben.

Du hast vor Kurzem dein Album auf den Markt gebracht. Wir waren die Reaktionen bisher darauf?

Luca Turilli: Die Reaktionen waren fantastisch, wir haben etwas über hundert bisher gezählt und das Album wurde als eines der Besten der gesamten Diskographie von RHAPSODY bezeichnet. Das ist schlicht überwältigend. Man muss auch dazu sagen, dass wir gerade den Split hinter uns haben. Ganz abgesehen davon, dass die vorherige Storyline zu Ende war, habe ich einen neuen Sänger dazugeholt, habe etwas am Sound verändert, ich habe ein anderes Team für die Aufnahmen gewählt, nachdem zehn Jahre lang die gleichen Leute dabei waren: Statt mit Sascha Paeth haben wir jetzt mit Sebastian Roeder zusammengearbeitet und das Album in Kempten aufgenommen. Wir wussten also vorher wirklich nicht, was wir von der Presse zu erwarten hatten. Aber am Ende hatten wir die besten Bewertungen für ein RHAPSODY-Album überhaupt. Es gab ein Magazin in Deutschland, das wohl etwas anderes erwartet hatte.

Du hast ja gerade schon angesprochen, dass du eigentlich alles geändert hast. Wie lange haben die Vorbereitungen gedauert?

Luca Turilli: Das war eine der intensivsten Kompositionen und Studioproduktionen was die Zeit angeht. Im August 2011 haben wir den Split bekanntgegeben, im Juli wusste ich aber immer noch nicht, dass ich RHAPSODY selber weiterführe. Wir wussten, dass es zu der Trennung kommen würde, nachdem wir in 15 Jahren 10 Alben in der gleichen Kernbesetzung über die gleiche Saga veröffentlicht haben. Und mir war es dann wichtig, alle künstlerischen Freiheiten zu haben, ohne eingegrenzt zu sein. Die ganze Zeit drehte sich alles um die gleiche Saga, also musste ich auch aktuelle Thematiken über Metaphern und Symbole in die Saga einbauen. Aber immerhin können die Leute jetzt die CDs 1-10 anhören. Das würde zwar ähnlich lange dauern, wie sich Herr der Ringe 1-3 anzuschauen, man bräuchte viel Geduld, aber es ginge. Mir ging es aber nun darum, etwas Neues anzufangen, aber unter dem Namen RHAPSODY. Ich muss dazu sagen, dass weder Alex Staropoli noch ich vom anderen je hätte erwarten können, auf den Namen oder das Logo zu verzichten, alleine aus einem Grund: Wir mussten in der Vergangenheit viel, auch viel Geld, investieren, um den Namen behalten zu können. Und wer sich in der Wirtschaft ein wenig auskennt, der weiß, dass ein Logo 90% des Erfolgs ausmachen kann. Und wir wollten beide die gleichen Startvorraussetzungen haben für die Zeit nach dem Split. Jedenfalls wusste ich zum Zeitpunkt der Trennung noch nicht, was ich genau machen will. Das hätte in Richtung von Tobias Sammet's AVANTASIA sein können, es hätte sein können, dass ich von nun an Soundtracks schreibe, nachdem das Herz vom Songwriting von RHAPSODY immer auch mit Filmen verknüpft war, aber dann hätte ich den Metaleinfluss vermisst. Im letzten Moment haben Alex und ich uns für diese Lösung entschieden. Als ich also im September mit dem Schreiben für das Album angefangen habe, hatte ich noch keine Lieder. Ich musste bei Null anfangen, was bisher wirklich so gut wie noch nicht vorgekommen ist. OK, es gab ein Lied, das prinzipiell fertig war, aber aufgrund von Zeitlimits ist es nicht auf das Album gekommen. Wir werden es aber im September kostenlos veröffentlichen. Ich habe jedenfalls zwischen September und Dezember an die 15 Stunden am Tag an den Liedern gearbeitet, danach sind wir ins Studio in Kempten gegangen. Das Album war dann das Ergebnis einer der intensivsten Aufnahmeprozesse, die ich in meinem Leben bisher hatte. Um zu verdeutlichen, wie aufwendig die Lieder produziert sind: Alleine für den langen Song 'Of Michael The Archangel And Lucifers Fall' waren ca. 300 Spuren von nöten: Orchester, Chöre, es war einfach unglaublich.

Du und Alex Staropoli habt euch nun darauf geeinigt, beide als RHAPSODY weiterzumachen. Gibt es eine Chance, dass ihr irgendwann einmal zusammen auf Tour geht?

Luca Turilli: Nein, aber es ist unglaublich, von wie vielen Leuten ich das gefragt werde. Aber nein, das wird nicht passieren. Am Ende hat zwischen uns einfach der Spaß-Faktor gefehlt, die positive Energie. Es war einfach nicht mehr das Gleiche wie am Anfang. Wir haben uns einfach auseinandergelebt und haben schon lange über einen Split nachgedacht. Wir sind nach wie vor Freunde, und wir wollen nach wie vor über alles Reden - aber nicht über das jeweilige RHAPSODY des anderen. Vielleicht können wir in zehn oder mehr Jahren darüber sprechen.

Beim Albumpreview, das man sich online anhören konnte, war auch ein Coversong der Band HELLOWEEN dabei, 'March Of Time'. Aber auf der Promo ist das Lied nicht dabei. Wurde es wieder von der Tracklist entfernt oder woran lag das?

Luca Turilli: Das lag nur daran, dass man, sollte das Album durch Lecks vorab ins Internet geraten, was Gott sei Dank dann doch nicht passierte, die Raubkopierer etwas weniger Befriedigung haben. Ich bin übrigens sehr glücklich darüber, dass das erste Mal in der Geschichte RHAPSODYs das Album nicht vorab im Internet zu finden war, was wahrscheinlich am Einsatz von Wasserzeichen liegt. Mich freut das sehr, weil es einfach unbefriedigend ist, wenn man bis zur Erschöpfung arbeitet und nachher das Ergebnis kostenlos runterzuladen ist.

Bei RHAPSODY OF FIRE war ja alles an die Saga gebunden, bei "Ascending To Infinity" scheinen die Lieder ja relativ eigentständig zu sein. Wird sich LUCA TURILLI'S RHAPSODY irgendwann wieder zu einem bestimmten Thema bewegen, oder wird das nicht passieren?

Luca Turilli: Ich kann sicher sagen, dass ich nicht mehr ein ganzes Album über nur ein Thema veröffentlichen werden. Ich werde es mehr wie dieses Mal machen, beispielsweise mit 'Ascending To Infinity'. Dabei handelt es sich um ein Minikonzept, bestehend aus den vier Liedern 'Quantum X', 'Ascending To Infinity', 'Dark Fate Of Atlantis' und 'Of Michael The Archangel And Lucifers Fall'. Diese vier Lieder drehen sich um eine Ministory, die sich um Dinge wie Quantentheorie, Multiversum, Astraltore zwischen verschiedenen Dimensionen drehen, kurz gesagt: Die Mysterien der Religion. Ich habe mich dabei inspirieren lassen durch das Buch der Apokalypse des heiligen Johannes und wollte die Themen Wissenschaft und Religion miteinander verknüpfen, ein wenig der Frage nach der absoluten Wahrheit nachgehen. Man muss dazu sagen: In meinen Augen ist der Künstler immer wie ein Kind, das fragt: Wo komme ich her und wo gehe ich hin? Der Künstler versucht das dann durch seine Kunst auszudrücken, zu erkunden und etwas Neues zu entdecken, in meinem Falle durch die Musik. Daher auch der Titel "Ascending To Inifity". Das Materielle geht einfach nur bis zu einem bestimmten Punkt, danach ist es eine Frage der Spiritualität, die existenziellen Fragen zu klären. Ich mag diese Thematik, muss aber dazu sagen, dass ich Teile von dieser Thematik bereits in den alten Sagen verwendet hatte. Aber das im Hintergrund, hinter der Geschichte, abzuhandeln, war immer sehr schwierig für mich. Ich werde aber weiterhin fantastische Elemente verwenden, aber nicht notwendigerweise Fantasyelemente. Ich spreche aktuelle Themen nicht direkt an, sondern werde immer Metaphern und Symbole verwenden, da sonst einiges an der Aura, der Stimmung, verlorengehen würde. Um es konkret zu machen: In 'Dante's Inferno' geht es um eine Tragödie, in der der Protagonist seine Freundin verliert und sie nicht retten kann. Daher fühlt er sich schuldig, nichts getan zu haben. Das wiederum führt zu großem Leiden. Er durchlebt daraufhin emotional die Hölle und steigt durch Läuterung auf in den Himmel, er überwindet also seine Schuldgefühle. Natürlich ist dieses Lied inspiriert durch die göttliche Komödie von Dante Alighieri. Ein anderes Beispiel wäre 'Clash Of The Titans', wo es um den Kampf zwischen Vernunft und Trieb geht. Und deswegen hörst du in dem Lied Helikopter, Sirenen und Kriegsgeräusche. Ich spreche also über viele verschiedene realitätsbezogene Sachen, aber immer mit fantastischen Elementen, weil da einfach meine Wurzeln liegen.

Ich bin im Internet auf die Seite "Luca Turilli's Neoclassical Revelation" gestoßen, auf der du Gitarrenunterricht anbietest. Was ist der Hintergrund dazu? Betreibst du das noch aktiv?

Luca Turilli: Aber ja! Das Projekt ist mir wichtig, es füllt die Zeit aus, wenn ich nicht mit RHAPSODY beschäftigt bin. Ich transkripiere klassische Werke auf Gitarrentabs. Ich bin darauf gekommen, weil ich früher mehr Zeit mit der Transkription als mit Gitarrespielen zugebracht habe. Mein Ziel ist es, irgendwann 100 Stücke zusammenzuhaben, momentan bin ich bei Nummer 57 oder so. Auch wenn die Schülerzahl begrenzt ist, weil ich auch Fragen von meinen Schülern beantworte. Wenn ich 100 Schüler hätte, könnte ich RHAPSODY nicht mehr betreiben. Und die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer ist mir wichtig.

Wie sieht es mit Tourplänen aus?

Luca Turilli: Wir planen gerade die Europatour, und wir werden auch in Deutschland einfallen. Es wird die längste Europatour sein, die wir je gemacht haben und wird der erste Teil der "Ascendig To Infinity"-Weltournee sein. Wir werden über 30 Tage in Europa unterwegs sein, davon allein sieben- oder achtmal in Deutschland. Wir sind schon in der Vorbereitung und werden einige Überraschungen parat haben. Mein größtes Problem gerade ist die Songauswahl, weil es einfach zu viele gute Lieder gibt, wir werden die ganze Bandbreite von uns abdecken.

Ich freue mich auf die Tour, hoffe, dass ihr auch in Frankfurt vorbeischaut und bedanke mich für das Interview. Die letzten Worte gehören dir!

Luca Turilli: Es ist viel passiert, Dinge verändern sich, aber ich will immer Optimismus verbreiten. Bei aller Krise, von der man liest: Wir haben alles an positiver Energie, die wir haben, in die Musik eingebracht und wollen damit unsere positive Energie verbreiten. Es ist für mich immer wieder fantastisch, dass ich auf Facebook sehe, was für eine starke Fanbase wir haben und dass wir den Leuten mit der Musik helfen können. Wir wollen bei den Shows unsere Energie mit den Leuten teilen um diese schweren Zeiten durchzustehen.

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