Kora Winter - Gott Segne, Gott Bewahre | |
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Review von John Torronto vom 16.12.2023 (7198 mal gelesen) | |
Jan Josef Liefers, halt dein gottverdammtes Maul - Hakan Halaç aka Haxan, der Frontmann der 2014 in Berlin gegründeten (Post-)Hardcoreband KORA WINTER, hat Wut im Bauch. Ich verwende dieses Zitat aus seinem Internetvideo bezüglich der dämlichen #allesdichtmachen-Aktion deutscher Künstler und Coronaleugner, um sowohl die politische Stoßrichtung als auch die Art und Weise Haxans und KORA WINTERs deutlich zu machen: Links, nicht SED verblendet-romantisiert, aggressiv, aber nicht gewalttätig. Dies ist die neue Form des deutschen Punkrocks. Musikalisch ist "Gott Segne, Gott Bewahre" allerdings entfernt von den typischen Punkrockvorstellungen. Was uns hier um die Ohren fliegt - im positiven Sinne - ist eine Melange aus Punkrock, Rap, Screamo und Djent. Es gibt Downtuning-Riffs wie im Sludge und Djent, Breakdowns aus dem typischen Hardcore, manchmal rap-artiger Sprechgesang, der dennoch meist geschrien wird, schnelle und treibende Punkrockbeats und dazwischen melodiöse Metalparts. Auf der anderen Seite gibt es Songs wie 'BBDDSSMM', die irgendwie leicht nach Industrial klingen und elektronisch daherkommen. 'Alle gegen Alle' wird mit Streichern (klingt bewusst nach Synth) untermalt, was dem Song einen gewissen artifiziellen Touch verleiht. Mir fällt hier eine Einordnung in Schubladen schwer. Ähnlich schwer fällt mir insgesamt die Rezension, da nicht nur die Musik teilweise unzugänglich ist, sondern auch die Texte. Das ist aber auch im absolut positiven Sinne gemeint. Hier passiert einfach musikalisch super viel, und die Songtexte sind eben keine typisch deutschen Plattitüden (vergleiche meine Rezension zu HAFENSAENGERS), sondern wirklich lyrische Ergüsse, die man immer und immer wieder über sich ergehen lassen sollte. Die meisten Bandmitglieder kommen aus Migrantenfamilien und so liefern KORA WINTER dem geneigten Zuhörer einen Blick auf die deutsche Gesellschaft, insbesondere in Berlin, aus der eigenen Sicht und fragen nach der Identität im Exil. Zeitgleich aber lassen die Texte durchblicken, dass es sich dabei schon lange um die (neue) Heimat handelt. KORA WINTER wollen nicht bloß einseitig darstellen, dass das von Migration und Fremde bestimmtes Leben hart und dreckig sein kann ('Der Missratene Sohn', 'Neuer Tag Im Rattenloch'), sondern dass es auch viel schlimmeres Unheil auf der Welt gibt ('Das Trauma, Die Trauer') und die eigenen Probleme im Vergleich first-world problems sind - das Leben im deutschen Sozialstaat kann auch für Migranten in Ordnung sein. Diese antithetische Diskrepanz legitimiert meiner Meinung nach das aggressive und raue Anprangern gesellschaftlich relevanter Themen. KORA WINTER haben alles Recht dazu und sie tun dies auf grandiose Weise. So ungefähr sieht meine Interpretation der Songs aus. Ich kann natürlich nicht genau wissen, ob das wirklich so richtig ist, aber dies ist eben mein Zugang zu der Lyrik KORA WINTERs. Weg vom Politikum und zurück zur Musik. Wie eingangs erwähnt, ist die musikalische Untermalung der teils verstörenden und unzugänglichen Texte in ihrer Wirkung nicht nur unterstützend, sondern zielführend: Die Songs sind durchweg sehr dynamisch und verlieren sich manchmal in technischem Gewichse à la THE HIRSCHEFFEKT (in deren Vorprogramm KORA WINTER bereits öfters live zu bestaunen waren). Dabei schlägt KORA WINTER mit einer brutalen Wucht ein, die mich so aktuell an LORNA SHORE erinnert, auch wenn da sonst eher wenig Parallelen zu ziehen sind. Unterstützt werden KORA WINTER bei den Songs 'Marmelade' von Johannes Prautzsch (KIND KAPUTT), 'Mann Gegen Wand' von Alex Kerski (VIANOVA), vielleicht bekannt aus dem Pro7-Format The Voice of Germany und von Gerrit Engel und 'BBDDSSMM' von Taby Pilgrim (Synchronsprecherin, Hörspielsprecherin, Musikerin, Sounddesignerin). Das Mitwirken Künstler anderer Genres unterstreicht die Dynamik und den Abwechslungsreichtum des Songwritings. Außerdem stellt es klar, dass KORA WINTER kein unbeschriebenes Blatt in der Berliner Künstlerszene sind, sondern gut vernetzt und verankert. Andere Rezensionen gehen mehr auf die musikalische Gestaltung ein und liefern Interpretationen einzelner Textbausteine. Ich erspare mir das hier aus zwei Gründen: 1. Ich stelle die steile These auf, dass jeder "Gott Segne, Gott Bewahre" auf völlig unterschiedliche Art und Weise hört und wahrnimmt. Ich behaupte außerdem, dass sich die Wahrnehmung bei jedem Hörduchgang weiter (ver)ändert. Aus diesem Grund möchte ich allen Interessierten keine Zugänge suggerieren. 2. Basierend auf der ersten These erscheint es mir nicht möglich, adäquate musikalischen Wertungen und Analysen abzugeben. Ich schaffe es ja nicht einmal, mich annährend für eine musikalische Schublade zu entscheiden. Ich bleibe einfach beim Begriff (Post)Hardcore. Wem der Sinn nach einem musikalischen Vergleich steht: FJORT. Selten, dass mir ein Vergleich so leichtfällt, und das ist gut so. FJORT sind nämlich super und KORA WINTER ebenfalls. Gesamtwertung: 9.0 Punkte | |
Trackliste | Album-Info |
01 (Fifteen Seconds To Think) 02 Der Missratene Sohn 03 Neuer Tag Im Rattenloch 04 Marmelade (Feat. Johannes Prautzsch) 05 Das Trauma, Die Trauer 06 Frontal Ins All 07 (How Can I Deal With Myself) 08 Mann Gegen Wand (Feat. Alex Kerski & Gerrit Engel) 09 BBDDSSMM (Feat. Taby Pilgrim) 10 (Jeder Gegen Jeden) 11 Alle Gegen Alle 12 Schuld | Band Website: https://aufewigwinter.de/kora-winter Medium: CD, LP Spieldauer: VÖ: 24.11.2023 |
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