Karg - Traktat

Review von Zephir vom 13.02.2020 (7339 mal gelesen)
Karg - Traktat Waren die beiden Vorgängerwerke "Weltenasche" (2016) und "Dornenvögel" (2018) schon aufs Schmerzlichste depressiv, so übertrifft sich das österreichische Ein-Mann-Projekt KARG mit dem neuesten Seelenoutput "Traktat" noch einmal selbst. Mastermind J.J., der für KARG auch unter dem Alias V. Wahntraum aktiv ist, bezeichnet das aktuelle nebst der beiden vorgenannten Alben selbst als eine Art Trilogie, die nun mit "Traktat" ihren explosiven Verzweiflungstiefpunkt erreicht. Zwischen melancholisch verwaschenen Gitarrenklängen, zornentflammter Blastbeat-Raserei, erschütternden Schreien und hoffnungslos niedergeschlagenen Sprachsamples verarbeitet der Komponist eine Zeit höchster Indisposition, die er selbst durchlebt hat.

Eingang fand dies in der ersten Hälfte des Albums in Form einer aufgewühlten, dabei aber introvertierten Stimmung. Der Opener 'Irgendjemand Wartet Immer' startet mit dem für KARG typisch treibenden, ruhelosen Depri-Drive. Sowohl hier als auch im folgenden 'Jahr Ohne Sommer' meint man viel unmittelbar Autobiographisches herauszuhören, was sich zwischen den Depressive-Rock-Riffs und dem wütenden Drumgewitter (verantwortlich: Paul Färber) ebenso schonungslos wie desperat an die Oberfläche wühlt.

'Stolperkenotaphe' hat es dann nochmals tiefer in sich. Der Track verspricht zunächst elegischere Stimmung, die alsbald vom Sturm des musikalischen Geschehens gebeutelt wird, diesmal allerdings in faszinierender Begleitung von, wie ich herauszuhören meine, weinenden Geigenklängen - ob diese synthetisch erzeugt oder auf Saiten eingespielt wurden entzieht sich meiner Kenntnis, tut aber für das beeindruckende Gesamtkonzept nichts zur Sache. Mit seinen bis ins Mark dringenden Vocals und seiner lyrischen Metaphorik ist dieser Track ein Meisterwerk der Verzweiflung, das einen in seiner suizidären Klimax ermattet allein zurücklässt.

'Alaska', desolat und verlassen, bringt uns wieder in den Duktus der Anfangstracks, scheut dabei aber auch nicht das lyrische Gitarrenintermezzo, das trotz aller Melodiösität bei KARG immer trist und menschenscheu, vielleicht sogar leicht monomanisch wirkt. Der nachfolgende Titel 'Abgrunddialektik' bügelt einen anschließend als Klimax des Albums nieder: Hier tobt sich der Komponist in emotional aufgelösten rhythmischen Brüchen, verstörend abrupten harmonischen Wechseln und nahezu übergangslosen Stimmungsmodifikationen aus. Zwischenzeitlich hören wir eine heisere, lebensverbrauchte Frauenstimme sprechen, was zusätzlich zur Beunruhigung des Hörers beiträgt. Nun ging es ja bei KARG seit jeher um hoch emotionale und persönliche Belange bis hin zur Suizidalität, ein Themenkomplex, der durchaus auch für die deutlich jüngeren Formation HARAKIRI FOR THE SKY konstitutiv ist, der J.J. als Sänger angehört. Dass Letztere sich im Vergleich zu KARG in Deutschland einen deutlich bekannteren Namen machen konnten, mag an der für die Lyrics verwendeten Sprache liegen, denn für KARG textet der Künstler nicht auf Englisch, sondern in seiner österreichischen Mundart. Dei Nåm is mei Nåm. Dei Tod is mei Tod. Der Vers wiederholt sich beschwörungsformelartig in mehr als einem Song des Albums.

Es gibt kein Entrinnen aus der Qual, ‚'Alles Was Wir Geben Mussten' meldet sich abschiedsschmerzerfüllt, verwundet und zutiefst belastend. In 'Grabcholerik' erhellen nicht einmal die Gedanken an vergangenes Schönes die Welt. Immerhin wirft dieser Track hier und da etwas freundlichere Harmonien ein; auch die Geigenklänge hören wir gegen Ende wieder, diesmal in Dur - aber diese kontrastieren nur umso stärker mit der Grundstimmung von "Traktat". Das abschließende 'Tod, Wo Bleibt Dein Frieden?' jedenfalls, das mit reduzierterem Arrangement beginnt, zieht einen alsdann am letzten Kleidungsfetzen hinunter in die depressivste Tiefe.

Was soll ich resümieren! "Traktat" ist ganz schön schwere Kost. Anders als bei zahlreichen anderen Bands ist im jüngsten Output von KARG einfach zu offensichtlich, dass hier nicht mit juveniler schwarzer Romantik kokettiert wird. Das alles weckt in mir den an dieser Stelle zu äußern recht heiklen Gedanken, dass bei KARG funktioniert, was dereinst bei TRÄUMEN VON AURORA leidlich bemüht gewirkt hat. Denn dem Menschen dahinter zur Last, der Musik hingegen zur Erfüllung gereicht die Authentizität der Songs, die "Traktat" umfasst, auch wenn man als Hörer immer wieder hofft, das Ganze artifiziert verstehen zu dürfen. Hinweise darauf gibt das Album zumal mit seinen wie direkt von der Seele geschrieben Lyrics leider nicht - das Album ist bitterer Lebens- und Todesernst in Post Black Metal / Depressive Rock gegossen, der dem Hörer direkt in die Seele sticht, der belastet und quält, dessen musikalischer Perfektion und emotionaler Unbestechlichkeit man sich aber einfach nicht entziehen kann.

Gesamtwertung: 9.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Irgendjemand Wartet Immer
02. Jahr Ohne Sommer
03. Stolperkenotaphe
04. Alaska
05. Abgrunddialektik
06. Alles Was Wir Geben Mussten
07. Grabcholerik
08. Tod, Wo Bleibt Dein Frieden?
Band Website: www.facebook.com/kargband
Medium: CD, LP
Spieldauer: 1:16:22 Minuten
VÖ: 07.02.2020

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