Sabaton - The War To End All Wars

Review von Elvis vom 05.03.2022 (8142 mal gelesen)
Sabaton - The War To End All Wars Bereits 2019 haben SABATON mit "The Great War" ein Konzeptalbum über den Ersten Weltkrieg vorgelegt, welches grundsätzlich positiv aufgenommen wurde. Mit knapp 39 Minuten war dieses jedoch definitiv etwas zu kurz geraten, um den die Welt grundlegend verändernden Krieg von 1914 bis 1918 angemessen behandeln zu können. Unter diesem Aspekt ist es sowohl wenig verwunderlich als auch erfreulich, dass das nunmehr zehnte Studioalbum "The War To End All Wars" sich wiederum ausschließlich mit dem Ersten Weltkrieg befasst und damit ein weiteres Konzeptalbum geworden ist. Mit gut 45 Minuten ist es zwar ebenfalls "nur" im Bereich einer klassischen LP-Länge angesiedelt, aber es ist wohl auch vermessen, heutzutage von Bands zu erwarten, immer eine volle CD-Länge zu veröffentlichen - früher wäre das schließlich dann gleich eine Doppel-LP gewesen. Lassen wir uns jedoch zunächst mal nicht von Fragen der Laufzeit ablenken, sondern schauen wir uns lieber "The War To End All Wars" songtechnisch an. Der Albumtitel geht übrigens - für die, denen er nicht geläufig sein sollte - auf H.G. Wells zurück, der diesen in seinem Buch "The War That Will End War" 1914 zu Kriegsbeginn prägte.

Was für mich schon auf den ersten Blick schlüssig und sehr gut ist, ist die Einklammerung des Albums durch den Opener 'Sarajevo' und den Rausschmeißer 'Versailles', sprich, den Beginn als auch das Ende des Ersten Weltkriegs. Inhaltlich ist das bloß logisch und erfreulicherweise ist die Umsetzung dabei auch sehr gelungen. Insofern ein kurzer Hinweis vorab: Ja, es gibt das Album (ebenso wie den Vorgänger "The Great War") wiederum in einer regulären Version mit den Songs allein und in einer "History Edition" mit ergänzenden gesprochenen Einleitungen zu den jeweiligen Songs. Zur Erläuterung, wieso die Veröffentlichungspolitik so ist, sei auf das aktuelle Interview mit Chris Rörland verwiesen (https://bleeding4metal.de/index.php?show=interview&id=1153). Ausnahme sind jedoch tatsächlich 'Sarajevo' und 'Versailles', die beide Gesang von Joakim Broden nur in den Refrains haben und ansonsten gesprochene Texte über die historischen Hintergründe statt Versen. Das mag vielleicht im ersten Moment befremdlich wirken, ist meines Erachtens jedoch die einzig richtige Entscheidung gewesen, damit man diese Thematik jeweils mit der gebotenen Ernsthaftigkeit umsetzen konnte. Gesungen würden die Verse hier deutlich weniger eindringlich wirken und wohl auch vielen Zuhörern nicht vermitteln, was dahintersteht. Dementsprechend wird in 'Sarajevo' erklärt, wie die Ermordung des Thronfolger Österreich-Ungarns Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, bei ihrem Besuch in Sarajevo zur Julikrise und letztendlich zum Kriegsausbruch führte. Das geschieht jedoch musikalisch sehr gut untermalt und ohne erhobenen Zeigefinger und der mächtige Refrain mit Chor bildet wunderbar die Emotionen vieler Zeitgenossen ab, als viele mit einer aus heutiger Sicht wahnwitzigen und erschreckenden Euphorie in diese kriegerische Auseinandersetzung zogen, überzeugt, dass dieser Krieg (der ja lange schwelende Konflikte quasi in eine bewaffnete Auseinandersetzung "umsetzte") am Ende womöglich alle weiteren Kriege überflüssig machen werde. Diese Gefühle werden für mein Empfinden mit extremem Gänsehautfaktor musikalisch dargeboten. Deswegen ist 'Sarajevo' trotz der ungewohnten Machart ein ausgezeichneter SABATON-Song und ein perfekter Opener.

'Stormtroopers' handelt als nächster Song von den Sturmbatallionen des Deutschen Reiches, die mit den Sturmtruppen (ja, die gab es auch schon vor "Star Wars") eine gefürchtete Spezialeinheit von Freiwilligen bildeten. Der Song ist klassische SABATON-Kost und macht Spaß, erreicht aber natürlich nicht die emotionale Kraft des Openers. Von diesen Landtruppen geht es nun über zum Seekampf, denn 'Dreadnought' behandelt die vor dem Ersten Weltkrieg aufkommenden Großkriegsschiffe. Die wesentliche Auseinandersetzung mit Schiffen dieser Bauart war die Skagerrak-Schlacht zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich 1916. Der Song ist ebenfalls gelungen und steht klanglich in der Tradition anderer Songs von SABATON zum Thema Seekampf (etwa 'Wolfpack' oder 'Bismarck').

Nun geht es aber wieder in SABATON-Gefilde, in denen eine herausragende Einzelperson eine Rolle spielt. Konkret ist das in 'The Unkillable Soldier' der in Brüssel geborene Sir Adrian Paul Ghislain Carton de Wiart, der für die britische Armee im Ersten Weltkrieg (und ebenso im Zweiten) sowie diversen anderen Auseinandersetzungen kämpfte und es später zum Lieutenant-General brachte. Der Mann errang einen legendären Ruf, weil er trotz diverser Verletzungen quasi alle möglichen Schlachten überlebte. Das ein oder andere Körperteil musste zwar dran glauben, aber sein soldatischer Mut war ungebrochen. Vom Song her hätte dieser Titel auch gut auf "Heroes" stehen können. Ein Highlight folgt daraufhin mit 'Soldier Of Heaven'. Hier geht es um die im Nachgang auch als "White Friday" bezeichnete Lawinenkatastrophe vom 13. Dezember 1916, bei der im Alpinen Kampf vermutlich bis zu 5.000 Soldaten von Lawinen verschüttet und getötet wurden. Zahlreiche dieser Männer wurden nie geborgen, weswegen ihre Gebeine dort tatsächlich immer noch ruhen. Musikalisch ist der Song unter überaus atmosphärischen Keyboardklängen ein Bericht aus Sicht eines dieser Männer. Für mich ist der Titel eines der Highlights auf "The War To End All Wars".

Mit den 'Hellfighters' geht es im Stile von "Heroes" wiederum um ein besonderes Regiment, nämlich das 369. Infanterie Regiment der US Army, welches auch als Harlem Hellfighters bekannt war und überwiegend aus dunkelhäutigen Amerikanern bestand. Mit 'Race To The Sea' folgt ein weiteres Highlight. Inhaltlich geht es um die Erste Flandernschlacht Ende 1914, bei der König Albert I. von Belgien im Wettlauf zum Meer persönlich mitkämpfte. Mich erinnert der extrem eingängige Song mit seinem majestätischen Chor-Refrain ein wenig an 'Winged Hussars' und ist für mich einer der besten Tracks auf "The War To End All Wars". Mit Milunka Savić gab es im Ersten Weltkrieg durchaus auch eine Frau, die sich in den Jahren 1912 bis 1919 zunächst anstelle ihres Bruders als Soldat diente und ihr Geschlecht bis zu einem Lazarettaufenthalt verheimlichen konnte. Sie durfte dennoch als Kämpferin weiterdienen und wurde die höchstdekorierte weibliche Soldatin aller Zeiten. 'Lady Of The Dark' handelt von dieser bemerkenswerten Frau und bietet dabei gewohnte SABATON-Kost.

Um die Schlacht von Doiran gegen Kriegsende 1918 geht es in 'The Valley Of Death'. Dabei standen sich zahlentechnisch unterlegene Bulgaren und Briten gegenüber, wobei die Bulgaren am Ende die Oberhand behalten konnten. Ein Hauch von '40 To 1' weht hier entsprechend mit. Wirklich bemerkenswert wird es mit 'Christmas Truce', dem Song, der 2021 als erste Single aus "The War To End All Wars" veröffentlicht wurde. Dieser handelt vom Weihnachtsfrieden 1914. Die Befehlsebene hatte diese spontane Waffenruhe an einigen Abschnitten der Westfront am 24. Dezember 1914 und den folgenden Tagen nicht autorisiert. Vor allem Deutsche und Briten begingen dabei trotz des Krieges die Weihnachtstage, teils miteinander, bevor es wieder zum Kampf kam. Diese ebenso bizarre wie besondere Stimmung gibt 'Christmas Truce' in seiner Feierlichkeit gut wieder und man kann hier sagen, dass der Track einem Weihnachts-Song von SABATON am nächsten kommen dürfte. Insbesondere das Video, in dem die Band teils selbst die Soldaten während dieses Ereignisses spielt, ist hier nur zu empfehlen.



Mit dem letzten Track 'Versailles' endet der Erste Weltkrieg auf diesem Album dann tatsächlich auch musikalisch. Wie schon in 'Sarajevo' sind die Verse ebenfalls gesprochen und nur der Refrain unter Choreinsatz gesungen. Die musikalische Untermalung ist ebenfalls sehr gelungen und gibt das triumphale Gefühl des Kriegsendes durch den berüchtigten Vertrag von Versailles sehr gut wieder. Hier ist Gänsehaut wiederum vorprogrammiert! Nichtsdestotrotz tut die historische Einordnung durch die gesprochenen Passagen dem Song sehr gut und zeigt, wie sich die Dinge danach zunächst einmal für die Siegernationen entwickelten - und auch, welche Folgen dieser Vertrag für das Deutsche Reich hatte und wie die drastischen Sanktionen und die Zuweisung der alleinigen Kriegsschuld an die Verlierer an manchen Leuten nagte. Es wird auch deutlich, dass damit bereits der Zweite Weltkrieg rund zwanzig Jahre später einen Grundstein gelegt bekam. Besonders stark ist für mein Empfinden, dass im letzten Drittel des Songs 'Sarajevo' nochmals als Reprise aufgegriffen wird und die vorherige Euphorie des Kriegsendes mit erheblichen Zweifeln am Wert des Ganzen sehr gedämpft wird. Aus dem ursprünglichen, überschwänglichen Kriegsziel erwächst nach dem Sieg letztlich die bange Frage, ob das wirklich das Ende aller Kriege gewesen sein könne... und wir wissen, ja, dass die Steigerung nicht lange auf sich warten ließ. Dieses Fazit ziehen auch SABATON hier.

In diesem Zusammenhang finde ich den Titel "The War To End All Wars" sehr treffend gewählt, zumal SABATON mit dem Opener und dem letzten Song gut die Konnotation dieser Aussage im Wandel der Zeit treffen. Aus dem Überschwang und Hochmut, den Krieg als solchen mit dem Krieg selbst beenden zu wollen wurde im Ergebnis im Lauf der Zeit eigentlich nur noch ein bitter anmutender Sarkasmus. Angesichts der definitiv klaren Ablehnung und historischen Einordnung der jeweiligen Themen ist für mich die "History Edition" hier auch die deutlich bessere Wahl, da sie vielleicht doch manch einem Hörer Ereignisse näher bringen kann, die ansonsten vom Zweiten Weltkrieg und dessen medialer Präsenz heute überschattet werden. Nichtsdestotrotz sind diverse Songs auf "The War To End All Wars" auch ohne die Beigabe sehr gelungen und machen natürlich als das, was sie sind - nämlich im Ergebnis immer noch Metal-Songs - Spaß. Den darf man meines Erachtens damit auch weiterhin haben. SABATON driften (zumindest aus meiner Perspektive) nie in eine Verherrlichung des Krieges ab, sondern behandeln die zugrundeliegenden Hintergründe stets mit dem gebotenen Respekt. Wer gerne beide Versionen haben möchte, kann dies beispielsweise in dem schön gestalteten Earbook für einen ordentlichen Preis bekommen. Allgemein sind, wie bei Nuclear Blast üblich, natürlich diverse Varianten des neuen Albums erhältlich, so dass eigentlich jeder Fan seine persönliche Lieblingsversion herauspicken kann (und fanatische Sammler arm werden können). Bonustracks gibt es diesmal dennoch allseits keine, was ich jedoch angesichts der Thematik und des Konzeptes verschmerzbar finde. Hintendran geklatschte Cover-Versionen hätten die Idee hinter dem Album tatsächlich konterkariert. Wer nach diesem Album übrigens noch mehr beklemmenden Eindruck vom Ersten Weltkrieg bekommen möchte, dem sei Peter Jacksons beeindruckender Film "They Shall Not Grow Old" ans Herz gelegt, der mit Originalaufnahmen und Texten den Krieg aus der Sicht britischer Soldaten zeigt.

"The War To End All Wars" ist im positiven Sinne ein SABATON-Album geworden, bei dem Fans das bekommen, was sie erwarten dürfen. Trotzdem finde ich vor allem die Wahl der Umsetzung von 'Sarajevo' und 'Versailles' mehr als gelungen und auch über das hinausgehend, was die Band bislang gemacht hat. Es gibt natürlich Epik, Pathos, Melodie, aber doch auch genug Zwischentöne. Wenn man "The Great War" und "The War To End All Wars" zusammen betrachtet, hat man am Ende quasi ein sehr gelungenes Doppel-Album, welches den Ersten Weltkrieg halbwegs akzentuiert abbildet. Fraglos, wer SABATON bislang nichts abgewinnen kann, wird es auch nach diesem Album nicht können und wer die teilweisen Ohrwürmer als "Schlager-Metal" abtut, wird es auch diesmal tun. Fans werden jedenfalls weiterhin ihre Freude haben und die Umsetzung im Konzert wird sicherlich mehr als spannend werden. Ich wäre jedenfalls überrascht, wenn nicht ein Block von Songs zum Ersten Weltkrieg live auch von 'Sarajevo' und 'Versailles' eingerahmt werden würde.

Anspieltipps: 'Sarajevo', 'Soldier Of Heaven', 'Race To The Sea', 'Versailles'


Gesamtwertung: 9.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Sarajevo (4:37)
02. Stormtroopers (3:56)
03. Dreadnought (4:58)
04. The Unkillable Soldier (4:11)
05. Soldier Of Heaven (3:38)
06. Hellfighters (3:26)
07. Race To The Sea (3:47)
08. Lady Of The Dark (3:03)
09. The Valley Of Death (4:13)
10. Christmas Truce (5:18)
11. Versailles (4:14)
Band Website: www.sabaton.net
Medium: CD + LP + digit
Spieldauer: 45:27 Minuten
VÖ: 04.03.2022

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