Valborg - Zentrum | |
---|---|
Review von Zephir vom 06.06.2019 (5542 mal gelesen) | |
Neo-Dada mit Industrial-Irgendwas und vermutlich auch noch politischen Interpretationsspielräumen - an Künstler wie die Bonner Formation VALBORG muss man sich durchaus erst einmal gewöhnen. War das Vorgängeralbum "Endstrand" von 2017 eine Ausgeburt an prügelnder Provokation mit 80er-Jahre-APO-Flair, eine Zumutung von impertinenten Primitiv-Lyrics und eine akustische Orgie von Watschen gegen jegliche auditiv verwöhnte Intello-Musik-Bildungsbürger, so gibt sich das neue Output "Zentrum" versonnener, philosophischer, aber dabei nicht minder wahnsinnig. Im Opener 'Rote Augen' knüppeln sich VALBORG über heftig misshandelte Gitarren durch garagenmäßige Brutalo-Mucke, bleiben mit ihren elliptischen Lyrics kryptisch in der Intention wie eh und je ("Rote Augen zielen / tote Augen schielen / blaue Sonne, blauer Stern / rote Augen, toter Stern" … wenn ich es richtig verstehe.) Über fiese Dissonanzen hinweg grollen und grölen die Vocals ums blanke Überleben. Scheint 'Alphakomet' noch in eine ähnliche Kerbe zu schlagen, werden die musikdramatischen Untertöne mit 'Anomalie' etwas nachdenklicher, die hymnisch gesungenen Passagen ("so weit war noch niemand") wirken nicht nur irritierend melodisch, sondern auch verstörend unnahbar - die Klimax mündet schließlich in gequältem Gekreisch, dass einem die Eingeweide verkrampfen lässt. Spätestens 'Nahtod' liefert dann den Beweis, dass wir es mit einem tiefschürfend nach innen gekehrten Album zu tun haben. Völlig verflogen sind Provokation und ätzendes Schlagwort-Gespei. Die wie in Trance sich wiederholende Frage nach dem eigenen Sein ("wer bin ich bin ich bin ich wer …") und das fatale Eingeständnis "ich kann mich nicht erinnern woher wir kommen" ergeben zusammen mit der dumpfen Bassline und dem monotonen Riffing ein schmerzhaft depressives Düsterwerk, das seinesgleichen sucht (und dessen Vocals übrigens hier und da ein klein wenig an Joachim Witt erinnern). 'Ultragrab' fährt die Schiene des Hoffnungslos-Gebrochenen weiter. Die thematische Motivik hat leider persönliche Hintergründe: Während der Arbeit am neuen Album verstarb der mit VALBORG eng befreundete Instrumentenbauer René Marquis, weshalb "Zentrum" auch als Suche nach der verlorenen Mitte zu verstehen ist. Findet sich diese in 'Nonnenstern', dem einzigen Titel, der trotz seiner Brutalität fast ein wenig poppig daherkommt? Na gut, in dem Maße poppig, in dem das innerhalb des VALBORG-Universums möglich ist - das konventionelle Gefühl kommt hauptsächlich durch den regelmäßigen Beat und die stark zurückgenommene Saitenfraktion zustande. Von Mitte kann aber auch hier keine Rede sein, die Vocals tönen wie gehabt erbarmungswürdig; zwischendurch eingesprochene Worte stehen dem Track gut zu seinem verzerrten Gesicht. Der Endspurt des hier erstaunlich ausführlichen Textes wird abermals geschrien und gespien. 'Kreuzer' und 'Schwerter Der Zeit' könnten wiederum aus der Black-/Death-Ecke stammen. Ersteres überzeugt mit verzweifelten, trostlosen Screams vom vollständigen Elend unseres Daseins; Letzteres drischt dermaßen auf die Omme und scheint in den hier schwer verständlichen Lyrics wieder auf eine Art sozialpolitisch, die es einem schwer macht, sich nicht persönlich angesprochen zu fühlen. Den Abschluss bildet 'Vakuum' mit doomigen Einschlägen, stark gedrosseltem Tempo und noisigem Background: "Im All / in Ewigkeit […] Mein Ziel liegt im Nichts." Vieles geht unter in wahnwitzigem Suizidgekreisch vor grotesk eingestreuten, disparat heiteren Tralalala-Gesängen - und der Rest ist Schweigen. Je nun! Mit dem vergangenen VALBORG-Album hatte ich mich noch recht schwer getan. Mit "Zentrum" haben mich die Bonner aber vollständig überzeugt. Ich glaube nicht, dass man VALBORG verstehen kann, dafür kann man sich von dem düster-lärmenden Schizo-Doom-Krawall hypnotisieren lassen und lange, lange darüber brüten und sinnieren. Wer sich selbst überzeugen lassen möchte, der nutze gerne den Link des Labels Lupus Lounge/Prophecy, um reinzuhören. Anspieltipps zur Demonstration verschiedener Facetten des Albums: 'Rote Augen', 'Nahtod', 'Vakuum'. Gesamtwertung: 9.0 Punkte | |
Trackliste | Album-Info |
01. Rote Augen 02. Alphakomet 03. Anomalie 04. Nahtod 05. Ultragrab 06. Nonnenstern 07. Kreuzer 08. Schwerter Der Zeit 09. Vakuum | Band Website: www.valborg.de Medium: CD Spieldauer: 39:14 Minuten VÖ: 17.05.2019 |
Alle Artikel